Interview mit Franz Fayot im Tageblatt

"Teufelskreis der Destabilisierung"

Interview: Tageblatt (Sidney Wiltgen)

Tageblatt: Minister Fayot, was ist Ihr Fazit von der Mission nach Ruanda und Niger?

Franz Fayot: Die Mission kann als Follow-up zu unseren vorherigen Missionen angesehen werden. Im vergangenen Oktober waren wir bereits auf der afrikanischen Mikrofinanzwoche und schauen seitdem, in welchen Kooperationsbereichen wir noch - neben dem Kigali Financial Center - etwas bewegen können. Jetzt sind wir uns mit dem ruandischen Außen- und Wirtschaftsministerium einig geworden, dass wir, im Hinblick auf ihren Finanzplatz, kooperieren wollen - mit Fokus auf Finanztechnologien und "inklusiven Finanzen". Auch wollen wir uns für Nachhaltigkeit und Umweltprojekte einsetzen sowie den Austausch mit Experten suchen. Wenn wir grünes Licht von den ruandischen Behörden bekommen, kann Lux-Dev ("Agence luxembourgeoise pour la coopération au développement", Anm. der Red.) mit der Arbeit anfangen.

Tageblatt: Sie haben auf einem Event mit ruandischen Unternehmen den Slogan "trade, not aid" gebraucht. Wie passt das zusammen?

Franz Fayot: Ruanda hat ganz andere Entwicklungbedürfnisse als beispielsweise Niger. Sie haben eine große Nachfrage an beruflichen Weiterbildungen und benötigen Hilfe beim Aufbau ihres Finanzplatzes. Es geht aber nicht darum, ihnen Luxemburger Unternehmen, wie bei einer "aide-approche", aufzuzwingen, sondern mit Luxemburger Privatunternehmen einen Impakt auf den Privatsektor zu entwickeln. In dem Sinne war es sehr hilfreich, dass Luxemburger Unternehmen bei dieser Mission dabei waren. Wir wollen einen offenen Austausch und somit die Entwicklung kommerzieller Aktivitäten fördern.

Tageblatt: Auch wurde die Gründung eines Wirkungsfonds (Impact Fonds) angesprochen.

Franz Fayot: Dieser Impact Fonds soll im Ruanda aufgebaut werden, sich aber nicht nur auf Ruanda beschränken. Sechs weitere afrikanische Länder sollen miteinbezogen werden. Kigali will Zentrum der "Finance à impact" werden, finanzielle Mittel und Investoren bündeln und ganz gezielt in verschiedenen Bereichen vorgehen.

Tageblatt: In einem Land, das nicht unbedingt als lupenreine Demokratie gelten kann. Wurde dieser Umstand ebenfalls angesprochen?

Franz Fayot: Wir sind uns bewusst, dass das natürlich ein Thema ist. Im Laos, Burkina Faso, Mali oder im Senegal gibt es ebenfalls besorgniserregende Tendenzen bei der Governance. Das haben wir bei unserem Zusammentreffen mit dem ruandischen Außenminister und Premierminister Kagamé angesprochen. Wir haben unsere Sorgen über die unterdrückten Stimmen der Oppositionellen, Menschenrechte und politischen Freiheiten ausgedrückt. Der ruandische Außenminister hat sich offen dafür gezeigt, das in einem gemeinsamen Dialog weiter zu thematisieren. Wir helfen im Ruanda zudem bei der Umsetzung der Empfehlungen des UN-Menschenrechtsrates. Auch das ist ein Teil der Luxemburger Kooperation.

Tageblatt: Kommen wir zur Visite im Niger.

Franz Fayot: Das war aus unserer Sicht eher ein Höflichkeitsbesuch, da wir ja im vergangenen Jahr dem nigrischen Präsidenten Mohamed Bazoum bei dessen Visite in Luxemburg versprochen hatten, nach Niger zu kommen. Es gibt in dem Sinne kein neues Moment, bis auf den Umstand, dass wir bei einigen Projekten weitergekommen sind. Wir haben uns entschieden, nun auch, was die "Finance inclusive” anbelangt, mehr zu tun. Auch wollen wir, dass für unsere Projekte ganzheitliche Ansätze gelten, bei Finanzen, Digitalisierung usw. Wir wollen mit allen Akteuren zusammen arbeiten. Das ist sehr innovativ für ein Land, das sich mit mehreren Krisen, dem Klimawandel und einer drohenden Hungersnot konfrontiert sieht. Der Kontrast zwischen Ruanda und Niger ist in der Hinsicht schon sehr interessant.

Tageblatt: Niger hat im Bereich der Digitalisierung eine Verdopplung der Anstrengungen gefordert?

Franz Fayot: Tatsächlich will Niger mehr Digitalisierung in jedes ihrer Projekte hineinbringen. Es besteht in erster Linie eine riesige Nachfrage nach digitaler Infrastruktur. Auch sollen die öffentlichen Verwaltungen und Ministerien digital und dadurch effizienter werden. Diesen Schritt will Niger lieber mit uns als mit einem externen Anbieter gehen — da sind oft nicht ganz seriöse Angebote dabei.

Tageblatt: In den politischen Unterredungen wurden auch die Frauenrechte im Niger angesprochen?

Franz Fayot: Wir sind im Niger im Rahmen des United Nation's Population Fund (UNFPA) engagiert und beteiligen uns an der Finanzierung einiger Projekte. Zudem verfolgen wir die gleiche Strategie wie Präsident Bazoum, die darauf abzielt, jungen Mädchen eine längere Schulbildung zu ermöglichen. Dafür sollen mehr Internate geschaffen werden, in denen Mädchen noch mit 17 Jahren zur Schule gehen können - und nicht mit zwölf oder 13 Jahren bereits Kinder kriegen. Sie sollen nicht bereits in einem sehr jungen Alter abhängig von jungen Männern sein. Insgesamt wollen wir uns für die sexuelle und reproduktive Gesundheit einsetzen.

Tageblatt: Niger droht auch durch die Nähe zu Burkina Faso und Mali destabilisiert zu werden. Was bedeutet das für die Zukunft der Luxemburger Kooperationsbemühungen in der Region?

Franz Fayot: Die Lage ist kompliziert, in den zwei Ländern ist es zu einem Putsch gekommen, ein Ende ist nicht in Sicht. Es gibt auch keine Perspektive, wie in nächster Zukunft ein Übergang zu einer demokratischen Regierung gelingen kann. Im Mali sind wir natürlich sehr besorgt über die Zusammenarbeit der Militärjunta mit der russischen Söldnergruppe Wagner. Wir haben uns gegen eine weitere militärische Präsenz entschieden, was die Entwicklungsarbeit natürlich erschwert. Der Luxemburger Beauftragte meint jedoch, dass unsere Projekte weitergeführt werden können. Demnach haben wir keine Absicht, uns aus der Region zurückzuziehen. Die Situation im Burkina Faso sieht nicht viel besser aus, auch hier kriegt die Junta die Situation nicht in den Griff. Hier wird die Arbeit dadurch erschwert, dass wir auf politischem Niveau keinen Ansprechpartner haben. Insgesamt ist die Situation in der Sahelzone sehr besorgniserregend. Aufrühre, Dschihadisten in den Grenzgebieten, eine sich verschlechternde Nahrungsmittelsicherheit, Klimawandel und die fortschreitende Desertifikation und zunehmende Perspektivlosigkeit schwächen die Region. Das ist schon fast ein Teufelskreis, der sich mit der Ukraine-Krise noch verschlimmert hat. Ich bin deshalb der Meinung, dass wir uns noch nicht zurückziehen sollten, um so den Leuten vor Ort zu helfen.

Tageblatt: Wie kann die Nahrungsmittelversorgung denn mit dem Krieg in der Ukraine überhaupt noch gesichert werden?

Franz Fayot: David Beasley, Direktor des UN World Food Program, hat es den "perfekten Sturm" genannt. Es liegen Millionen Tonnen an Korn in Odessa. Die Möglichkeit, diese irgendwie freizugeben und eine Normalisierung der Preise herbeizuführen, ist nicht gegeben. Auch das ist ein politisches Spiel zwischen Putin und dem Westen. Idealerweise würden diese Reserven in die Länder transportiert, die es am meisten nötig haben. In einer zweiten Phase müsste der Eigenanbau gefördert werden. Dramatisch ist jedoch, dass die Erntesaison durch den Klimawandel Kopf steht. Die Regensaison hat sich um einen Monat verkürzt; die Niederschlagmenge von sonst zwei Monaten gibt es jetzt in nur einem Monat. Das erschwert den landwirtschaftlichen Anbau.

Tageblatt: Wann ist denn der Punkt gekommen, wo Luxemburg die Reißleine zieht?

Franz Fayot: Das ist schwierig zu benennen, da wir mit extrem vielen Projekten vor Ort sind. In Myanmar war das einfacher, da nur noch ein oder zwei Projekte liefen. Besonders Mali wird durch den Krieg in der Ukraine zum Spielball zwischen den Russen und dem Westen. Wir sollten als Europäer aber nicht zu streng gegen die Länder in der Sahelzone vorgehen — sie schauen auf Europa, sind unsere Nachbarn und natürlichen Partner. Deshalb sollten wir weiterhin auf Dialog setzen.

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