Interview mit Joëlle Welfring im Luxemburger Wort

"Naturschutz ist nach wie vor wichtig"

Interview: Luxemburger Wort (Michèle Gantenbein)

Luxemburger Wort: Joëlle Welfring, Sie sind seit Anfang Mai Umweltministerin. Wie haben Sie sich in Ihrem neuen Job eingelebt?

Joëlle Welfring: Gut. Ich kann im Ministerium und den drei Verwaltungen auf motivierte und engagierte Mitarbeiter zählen. Es ist eine Freude, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Meine Vorgängerin hat bereits viel bewegt. Es liegt aber auch noch viel Arbeit vor uns, sei es im Klimaschutz, Trinkwasserschutz oder Waldschutz.

Luxemburger Wort: Inwiefern hilft Ihnen Ihre Berufserfahrung im Centre de recherche Henri Tudor und in der Umweltverwaltung in Ihrem neuen Job?

Joëlle Welfring: Im Forschungszentrum hatte ich das Glück, Teams leiten zu können. Das ist auf jeden Fall von Vorteil. Ich habe in Bereichen gearbeitet, in denen Wissen entwickelt und mit Akteuren aus der Gesellschaft angewandt wird. Diese Erfahrungen haben mir gezeigt, wie Betriebe funktionieren, wo die Probleme liegen. Die andere Seite zu kennen, hilft mir in meinem aktuellen Job.

Luxemburger Wort: Derzeit wird viel über das Naturschutzgesetz diskutiert. Denken Sie, dass das aktuelle Gesetz, auch in seiner Anwendung, dem Naturschutz dient?

Joëlle Welfring: Die Sinnhaftigkeit und die Wichtigkeit des Naturschutzgesetzes sind nach wie vor gegeben. Wir sehen an der Dürre, welchem Stress unsere Natur ausgesetzt ist. Wir müssen unsere Lebensgrundlage schützen. In der Anwendung haben wir uns anders aufgestellt. Innerhalb der Naturverwaltung wurde eine Abteilung geschaffen, die für die Genehmigungen verantwortlich ist. Wir werden das Team aufstocken und unsere Fristen verbessern.

Luxemburger Wort: Das Gesetz steht als Verbots- und Bestrafungsgesetz stark in der Kritik. Ist das der richtige Weg, um Menschen für Naturschutz zu sensibilisieren?

Joëlle Welfring: Das Naturschutzgesetz hat ja nicht nur einen repressiven Teil. Bauprojekte in der Grünzone sind nun einmal genehmigungspflichtig. Das ist aber nur ein Element. Es gibt andere wichtige Elemente, wie zum Beispiel finanzielle Hilfen für die Wiederherstellung wichtiger Lebensräume, Blumenwiesen etwa oder Feuchtgebiete. Mit so genannten Appels à projets, die wir im Frühjahr gestartet haben, rufen wir Gemeinden, Syndikate und Naturschutzverbände dazu auf, Projekte einzureichen. Das ist proaktiver Naturschutz. Hinzu kommen die Biodiversitätshilfen für Bauern oder noch der Klimabonus für private Waldbesitzer. Diese Elemente aus dem Naturschutzgesetz erlauben uns, die Dinge zu steuern und eine positive Wirkung zu erzielen. Luxemburg ist eines der zersiedeltsten Länder Europas. Das ist ein großes Problem. Man kann mit proaktivem Umweltschutz darauf einwirken. Andererseits aber müssen wir auch manches verbieten. Man muss das große Ganze - den Schutz unserer Lebensgrundlage - vor Augen haben.

Luxemburger Wort: Das Problem, das viele Besitzer von Häusern oder Chalets in der Grünzone haben, ist, dass ihre Anträge auf Renovierung oder Umbau oft abgelehnt werden. Was schadet es der Natur, wenn jemand sein Haus in der Natur instand setzen möchte?

Joëlle Welfring: Da liegt ja jetzt ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vor. Die Richter sagen, dass wir das Gesetz zu strikt angewendet haben. Andererseits aber weisen sie uns darauf hin, dass wir Anpassungen vornehmen können. Diese Analyse läuft gerade. Wir prüfen eine mögliche andere Auslegung des Gesetzes.

Luxemburger Wort: Werden Sie das Gesetz anpassen oder lediglich bei der Anwendung des Gesetzes Änderungen vornehmen?

Joëlle Welfring: Wir sind dabei, das Gesetz zu analysieren und werden noch in diesem Jahr einen Reformentwurf vorlegen.

Luxemburger Wort: 2018 wurde mit dem neuen Naturschutzgesetz der Recours en réformation durch den Recours en annulation ersetzt. Das Gericht kann Entscheidungen des Staates lediglich annullieren, aber nicht mehr anstelle des Staates eine Entscheidung treffen. Kommt das nicht einer Beschneidung der Bürgerrechte gleich?

Joëlle Welfring: Der Recours en annulation ist ein allgemeines Prinzip, das 1996 vom Gesetzgeber eingeführt worden ist und den Zugang zur Justiz sicherstellt. Dieses Bürgerrecht ist durch das Naturschutzgesetz garantiert, unabhängig davon, ob es sich um einen Recours en annulation oder en réformation handelt. Dass es den Recours en réformation nicht gibt, ist demnach keine Beschneidung der Bürgerrechte. Im Übrigen respektieren wir jede gerichtliche Entscheidung, die eine administrative Entscheidung annulliert, und erteilen den Betroffenen die Genehmigung ohne weitere Formalitäten.

Luxemburger Wort: Sie werden das Gesetz in diesem Punkt also nicht ändern?

Joëlle Welfring: Wie gesagt, diese Analyse läuft gerade.

Luxemburger Wort: Mehrere Bauern bekamen im Sommer Post von Ihrem Ministerium mit der Aufforderung im Zuge ihres geplanten Neu- oder Umbaus umfassende Impaktstudien durchzuführen. Sie haben diese inzwischen zurückgezogen. Hatten die Impaktstudien zum Ziel, wie die Bauern meinen, den Genehmigungsprozess zu verzögern oder gab es andere Gründe?

Joëlle Welfring: Wir haben an vielen Orten eine schlechte Grundwasser- und Wasserqualität. Diese ist zu einem großen Teil auf das diffuse Ausbringen von Nährstoffen zurückzuführen, das der Landwirtschaft zuzuordnen ist. Wir sind dabei, die Bestimmungen über Stickstoffdünger aus dem Jahr 2000 zu überarbeiten. Sie sehen Maßnahmen für landwirtschaftliche Betriebe, unabhängig von ihrer Größe oder der Art des Betriebs, vor. Wir haben Anfang August mit Vertretern aus der Landwirtschaft Gespräche geführt und daraufhin die Impaktstudien zurückgezogen. Die neuen Stickstoffdünger-Bestimmungen sollen dazu beitragen, einen besseren Schutz der Umwelt sicherzustellen.

Luxemburger Wort: Auch das Kompensierungssystem mit den Ökopunkten steht in der Kritik. Niemand weiß, was genau mit dem eingezahlten Geld passiert. Das Ganze ist recht intransparent. Die Kritik ist, dass der Staat alles an sich reißen möchte, statt den Menschen zu erlauben, selbst zu kompensieren. Das vermittelt ihnen den Eindruck, dass der Staat ihnen misstraut. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?

Joëlle Welfring: Die Kompensierungen gab es schon im Gesetz von 2004. Damals musste der Initiator eines Bauprojekts, das die Zerstörung eines Biotops zur Folge hatte, sich selbst um die Kompensierung kümmern und in der Nähe des Projekts Flächen erwerben. Das hat die Preise stark ansteigen lassen. Des Weiteren war es schwierig, die obligatorische Pflege der Maßnahmen während 25 Jahren im Auge zu behalten. Besser als viele kleine lokale Maßnahmen sind Maßnahmen auf größeren zusammenhängenden Flächen, wo die Lebewesen sich besser entwickeln können. Damit ist der Natur mehr geholfen. Deshalb wurden die Flächenpools geschaffen. Dort werden sinnvolle Projekte durchgeführt und den Kriterien wird kontrolliert Rechnung getragen. Zur Transparenz kann man sagen, dass die Flächenpools auf dem Geoportail identifiziert und somit erkennbar sind. Außerdem wird ein Monitoring der Maßnahmen durchgeführt. So haben wir nach den ersten fünf Jahren erste Informationen.

Luxemburger Wort: Sie sprechen von der ersten großen Bilanz, die laut Gesetz alle fünf Jahre, also erstmals 2023, gemacht werden muss. Wer erstellt diese Bilanz?

Joëlle Welfring: Die Naturverwaltung ist für die Planung und Umsetzung der Projekte auf den nationalen Flächenpools verantwortlich. Das Monitoring machen anerkannte Expertenbüros. Sie erstellen ein Inventar der erfolgten Maßnahmen und prüfen, ob wir auch das umgesetzt haben, was geplant war.

Luxemburger Wort: Der einzelne Bürger ist bei den Kornpensierungsmaßnahmen völlig ausgenommen.

Joëlle Welfring: Tatsächlich dürfen die sogenannten Maßnahmen "in situ" nur auf öffentlichen Flächen durchgeführt werden. Allerdings können Antragsteller - auch Privatpersonen - ausnahmsweise Kompensierungsmaßnahmen selbst durchführen, falls diese besonders vorteilhaft für die biologische Vielfalt sind (Artikel 63). Wir beraten allerdings derzeit über eine erweiterte Durchführung von Projekten auf privaten Flächen. Das Problem dabei ist, dass wir keine Übersicht darüber haben, ob die Maßnahmen während 25 Jahren aufrechterhalten werden. Wenn Bäume gepflanzt werden, vertrocknen und nicht ersetzt werden, bleibt die Maßnahme ohne Wirkung. Dieses Problem hatten wir auch vorher, als etwa die Promoteure sich selbst um die Kompensierungen kümmern mussten. Aus diesem Grund haben wir die Aufgabe in staatliche beziehungsweise kommunale Hände gegeben, die die Kompetenz haben, solche Projekte über einen längeren Zeitraum im Auge zu behalten. Bei privaten Projekten müssen wir uns die nötigen Garantien geben, dass die Projekte auch Bestand haben.

Luxemburger Wort: Da ist es wieder, das Misstrauen. Der Staat geht davon aus, dass der Bürger sich verantwortungslos verhält...

Joëlle Welfring: Die Erfahrung hat gezeigt, dass es oft nicht funktioniert hat. Aber, wie gesagt: Wir überlegen, bestimmte Typen von Maßnahmen zu ermöglichen. Allerdings müssen wir uns die Garantien geben, dass das dann auch Bestand hat.

Luxemburger Wort: Aus welchem Budget werden die Flächen für die nationalen Flächenpools finanziert?

Joëlle Welfring: Der Staat erwirbt Flächen ausschließlich über das Comité d'acquisition des Finanzministeriums. Dort wird der Kauf aller staatlichen Flächen koordiniert. Geplant ist, die Gelder aus dem Umweltfonds zurück an das Finanzministerium zu transferieren, so dass diese Ausgaben alle über den Umweltfonds gedeckt werden. Das gilt retroaktiv für alle Flächen, die zu Kompensierungszwecken erworben wurden.

Luxemburger Wort: Das Geld, das für den Kauf der Flächen verwendet wird, bezieht der Staat also aus den Kompensierungszahlungen, aus dem Ökopunkte-System?

Joëlle Welfring: Genau. Der Wert der Ökopunkte wird berechnet auf Basis des Flächenankaufs, der ersten Maßnahmen, die darauf umgesetzt werden, und auf Basis der 25-jährigen Laufdauer der Projekte. Das ergibt den Gesamtwert.

Luxemburger Wort: Wenn der Staat Flächen kauft, wechseln diese lediglich den Besitzer. Eine Kompensierung hat dann noch nicht stattgefunden...

Joëlle Welfring: So steht es im Gesetz. Der Ökopunkte-Wert beinhaltet auch den Ankauf von Flächen. Aber natürlich muss danach ein Projekt darauf umgesetzt werden. Ankauf und Kompensierung sind gekoppelt.

Luxemburger Wort: Wie viel hat der Kauf von Flächen für die Flächenpools den Staat bisher gekostet?

Joëlle Welfring: Das waren 12,23 Millionen Euro für 644,7 Hektar. Die Flächen werden entweder direkt für die Umsetzung konkreter Maßnahmen beansprucht, als Tauschflächen reserviert oder sie werden im Rahmen einer Flurerneuerung beansprucht, um neue Flächenpool-Projekte zu erschließen. Seit dem Inkrafttreten des Naturschutzgesetzes von 2018 sind 23,46 Millionen Euro als Taxe de remboursement eingezahlt worden. Seit dem Aufbau des Flächenpools wurden 3,07 Millionen Euro rein an Umsetzungen ausgegeben. Zusätzlich ist in den nächsten sechs Monaten die Ausgabe von 2,46 Millionen Euro geplant.

Luxemburger Wort: An wen ist dieses Geld geflossen?

Joëlle Welfring: Die Gelder wurden an private Unternehmen gezahlt, die im Auftrag der Naturverwaltung mit der Umsetzung von präzisen Maßnahmen beauftragt wurden. Das hat durchaus positive Auswirkungen auf die Weiterentwicklung von Betriebszweigen der green economy. Die Spannweite der Betriebszweige reicht von klassischen Bauunternehmen über Forst- und Gartenbaubetriebe bis zu Planungsbüros oder landwirtschaftlichen Betrieben.

Luxemburger Wort: Kommen wir zur SuperDrecksKëscht. Sie hatten im Parlament eine externe Untersuchung von verschiedenen Punkten aus dem Audit angekündigt sowie eine externe Begleitung von Maßnahmen, die infolge des Audits ergriffen worden sind. Welche Punkte wollen Sie vertiefen?

Joëlle Welfring: Dabei handelt es sich um eine juristische Analyse von einzelnen Elementen, aber auch praktische - zum Beispiel wollen wir ein Instrument zur Automatisierung des Rechnungssystems schaffen. Auch beim Vertrag mit der Firma möchten wir nachbessern. Zum Beispiel möchten wir mehr Klarheit bei den Franchise-Verträgen, aber auch bei anderen Punkten und Verträgen wollen wir mehr Klarheit haben.

Luxemburger Wort: Die Piraten haben ein juristisches Gutachten erstellen lassen, das den Verdacht eines strafrechtlich relevanten Interessenkonfliktes zwischen dem früheren Direktor der Umweltverwaltung und dem Betreiber der Firma OSL nahelegt. Gehen Sie diesen Verdachtsmomenten auch nach?

Joëlle Welfring: Das Dossier liegt bei der Staatsanwaltschaft und nimmt dort seinen Lauf.

Luxemburger Wort: Hatten Sie als beigeordnete Direktorin Einsicht in Angelegenheiten der SuperDrecksKäscht?

Joëlle Welfring: Nein.

Luxemburger Wort: Nach den Unwettern vom Juli 2021 hat der Bereich Hochwasserschutz an Bedeutung gewonnen. Renaturierungen von Flüssen und Bächen können vor Hochwasser schützen. In dem Bereich ist aber so gut wie nichts passiert. Woran liegt das?

Joëlle Welfring: Eine Reihe von Renaturierungsprojekten befinden sich in der Umsetzung. Das sind schwierige Projekte, die oft Jahre dauern. Jede Renaturierung ist verbunden mit einem Eingriff in die natürliche Umwelt. Das muss sorgsam geplant werden und man braucht Flächen. Die sind schwer zu erwerben. Vielleicht haben wir uns aber auch zu sehr auf große Projekte fokussiert, etwa das Renaturierungsprojekt im Réiserbann. Das Problem dort ist die Verfügbarkeit der Flächen, aber auch die Bereitschaft der Bauern, mitzumachen. Wenn wir unseren Erfolg an den Großprojekten messen, kann man sagen, dass wir noch nicht besonders viel umgesetzt haben. Ein positives Beispiel ist aber das Projekt Pudel in Schifflingen/Esch, das fast komplett abgeschlossen ist und einen großen Impakt auf den Hochwasserschutz haben wird. Wir haben viele kleinere Maßnahmen umgesetzt, die in Bezug auf den Hochwasserschutz ihre Früchte tragen werden. Renaturierungen werden aber auch in den Flächenpools umgesetzt. Wir wenden dort also nicht nur das reine Ökopunkte-System an, sondern setzen dort auch noch zusätzliche ökologische Maßnahmen um. Ein Beispiel ist die Pirmesknupp nahe Büderscheid. Ein Bachlauf wurde bereits renaturiert, Ende dieses Jahres wird eine zweite Renaturierung vorgenommen. Ein weiteres Projekt startet demnächst auf dem Standort Fausermillen in Mertert und im Rahmen des Wohnprojekts Wunne mat der Wooltz.

Luxemburger Wort: Ihnen bleibt noch ein knappes Jahr Zeit bis zu den Wahlen. Welche Dossiers wollen Sie in dieser Zeit voranbringen?

Joëlle Welfring: Seit 2014 wurden 43 Trinkwasserschutzzonen ausgewiesen. Fünf weitere werden folgen. Damit sind 90 Prozent unserer Quellen und Bohrungen geschützt. In dem Bereich wurde viel Arbeit geleistet, aber es bleibt noch einiges zu tun. Wir stehen in ständigem Austausch mit den Gemeinden und Trinkwassersyndikaten, die viel in den Trinkwasserschutz investiert haben - die Sebes zum Beispiel hat eine zusätzliche Aufbereitungsanlage in Eschdorf in Betrieb genommen. Auch die SES ist ein wichtiger Partner. Bis Anfang 2023 müssen wir die Trinkwasserdirektive umsetzen. Da kommen neue Verpflichtungen auf die Gemeinden und Trinkwassersyndikate zu. Weitere Projekte sind das Waldgesetz, die Umsetzung der Abfallgesetzgebung und natürlich das Klimagesetz. Mit der Neuauflage des Energie- und Klimaplans starten wir im Herbst in eine neue Phase. Es ist völlig klar, dass weitere Anstrengungen nötig sind.

Luxemburger Wort: Sie werden 2023 bei den Wahlen kandidieren. Wie wollen Sie in den wenigen verbleibenden Monaten der Klima- und Umweltschutzpolitik Ihren persönlichen Stempel aufdrücken?

Joëlle Welfring: Das Wichtigste ist, dass wir in den oben genannten Bereichen vorankommen und mit den betroffenen Akteuren zusammen unsere Ziele erreichen. Das ist mir wichtiger als irgendeinen Stempel aufzudrücken.

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