Interview mit Joëlle Welfring im Tageblatt

Zwischen Skepsis und Optimismus

Interview: Tageblatt (Frank Göbel)

Tageblatt: Frau Ministerin, Sie nehmen demnächst an Ihrer ersten Klimakonferenz teil. Die wohl bekannteste Klimaaktivistin der Welt, Greta Thunberg, bleibt aber lieber fern. Haben Sie mal überlegt, es ihr gleichzutun?

Joëlle Welfring: Nein, ich denke, es ist wichtig, dass man da Präsenz zeigt.

Natürlich überlege ich mir, wenn ich ins Flugzeug steige, ob das wirklich sein muss. Aber ich gehe da hin, um den Kontakt mit den Menschen zu haben. Nur dann kann man diese Brückenfunktion einnehmen als Mitglied der Europäischen Union: um vielleicht da zu vermitteln, wo die Verhandlungen nicht so gut laufen.

Es geht ja auch darum, ein Zeichen zu setzen, mit der weltweiten Gemeinschaft, dass man Resultate haben möchte.

Tageblatt: Manchen Leuten wird das Symbolische und das "Zeichen-setzen" aber zu viel, während sie echte Fortschritte in der Klimapolitik vermissen. Die bisher jüngste COP26 von Glasgow gilt etwa nicht gerade als Sternstunde. Noch einmal ein Greta-Thunberg-Zitat dazu: "Bla, bla". Wie optimistisch sind Sie, dass die COP27 da nicht noch einen draufsetzt?

Joëlle Welfring: Glasgow war eine sehr wichtige Etappe, weil da klare Regeln gesetzt wurden, wie das Paris-Abkommen konkret umgesetzt werden soll. Wir haben ja auch die internationale Ebene, bei der es darum geht, Länder, die bisher skeptisch waren, zu motivieren, sich zum 1,5- oder 2-Grad-Ziel zu bekennen. Nachher hat jedes Land dann die Verantwortung, das auf dem eigenen Terrain auch umzusetzen. Man kann übrigens sagen, dass wir uns in Luxemburg nicht verstecken müssen, da ist sehr viel passiert in den letzten Jahren.

Tageblatt: Zum Beispiel?

Joëlle Welfring: Erneuerbare Energien sind weiter ausgebaut worden als je zuvor.

Dann haben wir ein Klimagesetz, das nicht jedes Land hat. Und das hatten wir noch vor dem europäischen Klimareglement! Und wir haben weitere ambitionierte Ziele. Im "Fit-for-55-Paket" gibt es ja einige Stoßrichtungen, um konkret in Europa neue Regeln vorzugeben. Kürzlich wurden ja die "CO2-Standards for cars" festgelegt, dass ab 2035 keine thermischen Fahrzeuge mehr auf den Markt kommen dürfen.

Ein kleines Land wie Luxemburg allein hätte da nicht viel Einfluss nehmen können, aber als Mitglied der Europäischen Union haben wir da konkret mitgearbeitet, dass die CO2-Emissionen in Europa bald stark vermindert werden. In Europa passieren also konkrete Dinge und in Luxemburg auch. Man sieht das ja nicht nur bei Regierungsprojekten, sondern auch bei den Bürgern: Noch nie hat eine Klima-Agentur so viel Zulauf gehabt von Bürgern, die eine Wärmepumpe oder ähnliches installieren möchten. Die Handwerker kommen ja nicht mehr nach vor lauter Anfragen.

Tageblatt: Aber zum Beispiel Letzteres passiert doch nicht so sehr wegen des Klimawandels, sondern weil die Leute Angst haben, dass sie demnächst aus anderen Gründen ihre Wohnung nicht mehr beheizen können!

Joëlle Welfring: Das mag sein, aber trotzdem ist es ein wichtiger Schritt in Richtung Klimaschutz. Und das ja nicht nur aus Energie-Effizienz-Gründen. Wir haben ja auch im Tripartite-Accord entschieden, dass wir der Energie-Transition die nötigen Mittel geben, indem ein entsprechendes Paket geschnürt wurde. Gleichzeitig darf es nicht sein, dass die Leute in diesem Winter in der Kälte dasitzen, da muss man dran arbeiten. Es gibt aber ganz klar die Klimakrise, die gab es vorher und die wird es auch danach noch geben.

Tageblatt: In Ihrer Ankündigung zur Teilnahme an der COP27 heißt es, "die Energiesicherheit darf nicht auf Kosten des Klimaschutzes gehen". Könnten Sie das näher erläutern?

Joëlle Welfring: Sagen wir es so: Es ist müßig, jetzt zwei Krisen gegeneinander auszuspielen. Wir müssen die Zeit nutzen, die noch bleibt, um mit unseren Zielen voranzukommen, und da haben wir wirklich jetzt die Gelegenheit, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Also mehr ist dazu nicht zu sagen, finde ich.

Tageblatt: Vieles von dem, was aus Sicht des Klimaschutzes anzugehen wäre, kollidiert ja mit anderen Interessen. Wie vereint man das?

Joëlle Welfring: Wir sind derzeit dabei, den Energie- und Klimaplan neu zu bearbeiten. Da gibt es etwa die 56 Empfehlungen des Klimabürger-rats, wir haben den "Observatoire de la politique climatique", das wissenschaftliche Gremium, das uns zusätzlich wertvollen Input geliefert hat. Das alles wird derzeit analysiert, um in unseren Maßnahmenkatalog einzufließen. Und ich spüre, mehr als zuvor, in der ganzen Regierung die Einsicht, dass da Aktion gefordert ist - und den Willen, das umzusetzen. Ich bin da sehr zuversichtlich.

Wir haben auch diese schon sehr gut funktionierende Partnerschaft mit den Kommunen, den Klima- und Naturpakt: Das sind sehr wichtige Instrumente, die von der nationalen Ebene auf die lokale Ebene führen, denn Klimaschutz passiert vor Ort und die Kommunen sind da ein sehr wichtiges Stellglied und das funktioniert sehr gut. Wir haben ja den Klimapakt 2.0 einberufen, letztes Jahr, und wir haben jetzt schon 101 von 102 Gemeinden, die sich da eingeschrieben haben.

Zusätzlich zum Ausbau von erneuerbaren Energien kann man zum Beispiel die Zentren stärker begrünen, was auch zur Lebensqualität beiträgt und andererseits natürlich zur Biodiversität. Beim "European Energy Award" sind übrigens gerade sechs Luxemburger Kommunen mit Gold ausgezeichnet worden.

Tageblatt: Nochmal: Sie wollen mehr begrünen, andere Leute wollen aber vielleicht mehr bauen und noch mehr Flächen versiegeln. Sie haben also vieles auf der Agenda, bei dem die Interessen anderer noch mehr reinspielen als das wohl bei anderen Ministerien der Fall ist.

Joëlle Welfring: Das macht meine Arbeit so spannend und so anstrengend (lacht). Mein Beruf besteht ja auch darin, unterschiedliche Interessen zu vereinen. Wenn man nur umsetzen müsste, was die Wissenschaft sagt, dann bräuchte man keine politischen Entscheidungsträger. Das wird also immer zu Diskussionen führen und gehört zum Beruf dazu.

Tageblatt:Die Regierung steht also insgesamt hinter dem Klimaschutz?

Joëlle Welfring: Es ist sicher ein klarer Wille da, im Klimabereich voranzukommen. Sie haben ja mitgekriegt, was der Premier gerade bei der Konferenz gesagt hat. Und er hat sich ja auch schon vorher, sowohl in der Chamber wie öffentlich, etwa in der Rede zur Lage der Nation, klar entsprechend bekannt.

Tageblatt: Die Pandemie hat gezeigt, dass Sachen machbar sind, die oft zuvor angezweifelt wurden, zum Beispiel, dass man vielfach auch von zu Hause aus arbeiten kann. Jetzt, wo die Pandemie langsam nachlässt, scheinen viele Lehren wieder vergessen zu sein. Die Blechlawinen wälzen sich wieder durchs Land und viele Betriebe sehen die Telearbeit wieder skeptisch. Gesellschaftliche Veränderungen gestalten sich wohl sehr schwer?

Joëlle Welfring: Die Covidkrise hat, glaube ich, vielen Leuten gezeigt, was im Leben wichtig ist. Das waren ganz wichtige Erkenntnisse. Das ist auch mein persönlicher Gedanke. Das Homeoffice wird vielleicht nicht mehr in der Intensität des Lockdowns fortgeführt, aber wir sind da doch viel weiter als vorher. Das sehe ich auch beim Staat, da hat man sich auch neue Regeln gegeben. In den Verwaltungen, wo ich mitentscheiden darf, ist Homeoffice jetzt Teil unserer Arbeitsweise.

Tageblatt:Aber eine Klimakonferenz muss in Präsenz stattfinden? Geht man da nicht mit schlechtem Beispiel voran?

Joëlle Welfring: Es geht hier wirklich um etwas sehr Wichtiges, deshalb bin ich der Meinung, dass es gerechtfertigt ist. Es macht die Sache viel einfacher, wenn man sich da direkt trifft. Ohne den persönlichen Kontakt wird es bei so komplexen Themen viel schwieriger.

Und wir sind ja nicht nur wegen der internationalen Verhandlungen da: Wir betreuen ja auch ganz konkrete Projekte in Entwicklungsländern. Diese Konferenz gibt uns Gelegenheit, Vertreter dieser Länder zu treffen, damit wir da Feedback einholen und vielleicht die Zusammenarbeit noch ausbauen zu können.

Und das geht, wenn die Leute sich kennen und Beziehungen und Vertrauen aufbauen konnten.

Tageblatt: Die Unterstützung für Entwicklungsländer ist ja ein wichtiger Punkt auf der COP27, ein Stichwort ist etwa "Loss and Damage".

Joëlle Welfring: Ja, Sie kennen ja bestimmt diese Karten, wo man sieht, wie die einen Länder in den letzten 100 Jahren über fossile Energien ihren Wohlstand aufgebaut haben, und dann sieht man die anderen Länder — und da sind die Klimaeffekte oft am stärksten.

Wir sind da als entwickelte Länder in der Pflicht, diesen Ländern, die großen Aufholbedarf haben, bei ihrer Entwicklung zu helfen — und über "Loss and Damage" neben Prävention auch Wiederaufbau zu leisten. Das sind etwa Inselstaaten, die knapp über dem Meeresspiegel liegen und die vielmehr den Stürmen ausgesetzt sind, wodurch regelmäßig viel zerstört wird. Das wird in Frequenz und Intensität zunehmen, das ist klar wissenschaftlich erwiesen als einer der Effekte des Klimawandels. Deshalb gibt es die Verpflichtung, diese 100 Milliarden Dollar aufzutreiben, die leider noch nicht erreicht sind.

Das ist ein Punkt, dem ich mich in Seharm el-Scheich auch widmen werde.

Tageblatt: Bitte erklären Sie kurz das konkrete Prozedere in Ägypten. Mit wem fliegen Sie dahin, wie läuft das vor Ort ab?

Joëlle Welfring: Es gibt da einen Ablauf, der bei jeder COP ähnlich ist: Die ersten zwei Tage waren ja die verschiedenen Staats-und Regierungschefs zum sogenannten "High-Level-Segment" vor Ort, um ihre Statements abzugeben. Nach einer Vorbereitung durch die wissenschaftliche und technische Seite kommen dann die Umwelt- und Klimaminister zusammen. Die Ambition ist, dass wir da zu einer gemeinsamen Position kommen für die drei Hauptthemen.

Jeder Tag beginnt morgens mit einer gemeinsamen Sitzung der Minister unter tschechischem Vorsitz, zusammen mit dem Vizepräsidenten der EU-Kommission Franz Timmermans, wobei Bilanz gezogen wird, was am Tag vorher gelaufen ist, und bestimmt wird, wie die folgenden Verhandlungen ablaufen sollen. Da werden dann die Aufgaben verteilt und wenn Verstärkung gebraucht wird, um zwischen verschiedenen Parteien zu vermitteln, werde ich mich da selbstverständlich engagieren. Aber das muss man vor Ort sehen. Mehr Details kann ich jetzt noch nicht preisgeben.

Tageblatt: Sie haben eben skeptische Länder erwähnt, die, das klang recht optimistisch, diesmal auch eher an Bord wären. Wer ist das? Mit Russland und China gibt es ja derzeit so einige Probleme...

Joëlle Welfring: Zum Beispiel. Ich weiß, dass sich auch die USA teils schwertun, etwa mit der Stärkung der Klimafinanzierung. Das ist nicht neu und aus vergangenen COPs bekannt. Ich bin jetzt mal optimistisch, dass wir da vorankommen.

Tageblatt: Luxemburg könnte man aber auch als skeptisches Land bezeichnen. Auch in unseren Kommentarspalten oder bei Facebook tummeln sich etwa viele Leute, die es unzumutbar finden, in Konsum oder Bequemlichkeit eingeschränkt zu werden. Wie optimistisch sind Sie, dass man die Menschen tatsächlich für noch mehr Anstrengungen gewinnen kann?

Joëlle Welfring: Sagen wir es mal so: Es gibt ja viele Möglichkeiten, dass jeder Einzelne etwas machen kann. Da geht es darum, wie organisiere ich meine Mobilität, wie organisiere ich meine Urlaube, wie ernähre ich mich, wie wohne ich.

Das ist ja das Schöne, dass man viele Möglichkeiten hat, was zu machen, wenn man was machen möchte. Es ist die Rolle der Politik, da den Rahmen zu schaffen, dass das so einfach wie möglich gelingt. Es ist ja einfacher, den öffentlichen Transport zu nehmen, wenn man ein System hat, das gut funktioniert, wie hierzulande die Tram.

Auch da muss ich sagen: So viel wie in den letzten Jahren ist noch nie in den öffentlichen Transport investiert worden. Ich habe den Klimapakt erwähnt, bei dem die Leute in ihren Kommunen sehen, da passiert was, und das macht auch Lust auf Klimaschutz. Und was wäre die Alternative — nichts zu machen? Lebt es sich frei in einer Welt von Klimaeffekten, wie wir sie diesen Sommer erlebt haben? Ich weiß nicht, ob das eine gute Zukunft ist.

Tageblatt: Es gibt ja auch die Alternative: mehr Zwang. Sind sie dafür? Zum Beispiel eine Erhöhung der CO2-Steuer oder eine Steuer auf exorbitanten Ressourcenverbrauch?

Joëlle Welfring: Sowas geht nur, wenn gute Alternativen da sind. Und das ist auch das, was bei verschiedenen Aspekten ja bereits passiert, dass man bei Neubauten jetzt die Reglementierung so hat, dass man quasi keine fossilen Energien mehr einbauen wird. Das ist kein Zwang in dem Sinne, aber durch diese Bezuschussung, die wir jetzt haben, hat man gute Alternativen. Das ist, glaube ich, das Wichtige. Einfach verbieten, das kann definitiv nicht die Lösung sein. Man muss schon ein ganzes System drumherum haben, damit man Alternativen hat, die umsetzbar sind, die erschwinglich sind, dann kanns gelingen.

Tageblatt: Aber muss Luxemburg abseits des internationalen Engagements überhaupt regional so viel tun? Durch seine geringe Größe hat das Land doch sowieso kaum Impakt auf den Klimawandel?

Joëlle Welfring: Das kann ich nicht gelten lassen. Pro Kopf sind wir ja quasi knapp hinter Katar.

Tageblatt: Aber es sind ja doch nur wenige Köpfe. Also, was können wir schon ändern, global gesehen?

Joëlle Welfring: Aber wir haben eine Verantwortung, so sehe ich das jedenfalls. Wir konnten unseren Wohlstand so aufbauen, wie wir das gemacht haben, und jetzt sind wir in einem Umbruch. Die Realität zeigt: Weiter wie bisher geht es nicht. Das ist die Verantwortung, die wir haben.

Tageblatt: Welche aktuell laufenden Gesetzentwürfe sind denn besonders wichtig für den Klimaschutz?

Joëlle Welfring: Wir haben bereits ein Klimagesetz, das schon klare Ziele gesetzt hat. Dann haben wir im Moment als Gesetzesvorschlag auf dem Instanzenweg das Waldgesetz, durch das der bestehende Wald noch stärker geschützt werden soll und die Verjüngung des Waldes auch klimagerechter gestaltet wird. Das sind Elemente, die hoffentlich so bald wie möglich noch im Parlament gestimmt werden können. Ein anderes Gesetz, das vielleicht ein bisschen ferner ab ist, ist das Trinkwassergesetz. Das setzt eine europäische Richtlinie um, wo wirklich die Zeit auch drängt, damit wir es fristgerecht hinkriegen.

Tageblatt: Mit dem Google-Projekt in Bissen ist ja unklar, was für ein Wasserverbraucher da eventuell noch vorhat, nach Luxemburg zu kommen...

Joëlle Welfring: Ich habe da kein Dossier, ich kann mich dazu nicht gut auslassen, weil ich nicht weiß, ob da wer mal kommt und wenn ein Projekt kommt, welches Projekt da kommt. Das ist alles schwer vorauszusehen. Klar ist, dass das kein Standardprojekt sein kann.

Tageblatt: Wie bitte: Sie haben da kein Dossier?

Joëlle Welfring: Nein, der Ball liegt bei den Projektträgern. Große, ressourcenintensive Betriebe, die nach Luxemburg kommen wollen, müssen jedenfalls damit rechnen, dass sie ihr Projekt so konzipieren müssen, dass es den Grenzen unserer Ressourcen angepasst ist.

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