Interview mit François Bausch im Tageblatt

"Die Prognosen sind eher düster"

Interview Tageblatt (Eric Hamus)

Tageblatt: Herr Minister, was empfindet ein früherer Hippie beim Kauf von Waffen und Munition?

François Bausch: Selbstverständlich würde ich die öffentlichen Mittel lieber für den Ausbau öffentlicher Transportmittel verwenden. Doch die Lage ist dramatisch. Es leidet nicht nur das Volk, das vor einem Jahr überfallen wurde, sondern unsere eigene Sicherheit steht auf dem Spiel. Wenn wir diesen Angriff hinnehmen, vermitteln wir das falsche Signal. Vor allem an potenzielle Nachahmer, die ähnliche Gedanken hegen. Russland hat sich mit militärischen Mitteln Gebiete eines anderen Staates angeeignet und damit gegen einen Grundkonsens im Völkerrecht verstoßen. Eine solche Katastrophe sollte sich im 21. Jahrhundert nicht mehr zutragen. Mit seiner Geschichte steht Luxemburg in der Pflicht, der Ukraine zu helfen.

Tageblatt: Sie nennen den Krieg in der Ukraine als Argument für die Luxemburger Beteiligung am "Medium Earth Orbit Global Services"-Programm, das am Donnerstag vorgestellt wurde. Damit erwirbt das Großherzogtum Satelliten-Kapazitäten für eine schnelle, lückenlose Breitband-Verbindung zu Land, zu Wasser und in der Luft. Wie wollen Sie diese Kapazitäten praktisch einsetzen?

François Bausch: Mit diesen Satelliten können wir überall auf der Welt eine sichere Hochgeschwindigkeitsverbindung für Sprach- und Datenkommunikation erstellen. Natürlich wird auch unsere Armee diese Möglichkeiten nutzen. Allerdings wird Luxemburg nicht sämtliche Kapazitäten aufbrauchen, die wir mit diesem Programm erwerben. Diese werden wir der NATO und ihren Mitgliedstaaten als Verteidigungsbeitrag zur Verfügung stellen. Mit den Vereinigten Staaten haben wir zudem noch einen Partner mit an Bord, der uns innerhalb des Verteidigungsbündnisses eine gewisse Glaubwürdigkeit verleiht.

Tageblatt: Kann man davon ausgehen, dass auch die Ukraine Zugriff erhält?

François Bausch: Dazu kann ich im Augenblick noch nichts sagen. Das Programm ist noch nicht in diesem Ausmaß operationell. Allerdings ist es durchaus möglich, dass sich Luxemburg dazu entscheidet, der Ukraine Kapazitäten zur Verfügung zu stellen. Theoretisch wäre es auf jeden Fall machbar.

Tageblatt: Und wie sieht die Luxemburger Unterstützung in Zukunft praktisch aus?

François Bausch: Wir werden im gleichen Rhythmus weitermachen, wie in den letzten zwölf Monaten. Die nötigen Mittel dafür sind im Verteidigungshaushalt vorgesehen. Allein in den ersten zwei Monaten dieses Jahres wurden bereits 13 Millionen Euro in militärische Hilfe für die Ukraine investiert. Luxemburg hat sich dazu verpflichtet, das Land so lange zu unterstützen, wie es nötig ist. Da wollen wir uns natürlich keine Blöße geben. Im Übrigen erfahren die Luxemburger Bemühungen weltweit eine große Anerkennung. Nicht zuletzt auch von den Ukrainern, die uns enorm dankbar sind. Jeder einzelne Beitrag ist wichtig.

Tageblatt: Die Europäische Union sucht nach Möglichkeiten für eine gemeinsame Anschaffung von Munition für die Ukraine bei deren Verteidigung gegen Russland. Wie steht Luxemburg zu diesen Plänen?

François Bausch: Man kann diesen Weg durchaus beschreiten. Allerdings sollten wir zunächst die Details klären und prüfen, wie man die Initiative in die Praxis umsetzen kann. Vom Prinzip her ergibt es Sinn, sich beim Kauf von Munition und Waffen auf europäischer Ebene abzusprechen. Doch es muss machbar sein, flexibel bleiben und schnell geliefert werden.

Tageblatt: Inwiefern würde sich diese europäische Herangehensweise von der luxemburgischen unterscheiden?

François Bausch: Wir haben bisher eng mit der ukrainischen Botschaft in Brüssel zusammengearbeitet. Die wissen am besten, was sie brauchen. Wir haben dann jene Mittel besorgt, die benötigt werden - natürlich immer im Rahmen unserer Möglichkeiten. Diese Herangehensweise war pragmatisch und flexibel. Deshalb müssen wir darauf achten, dass eine potenzielle europäische Initiative nicht zu einem bürokratischen Sumpf ausartet, der Lieferungen hinauszögert. Munition und Waffen werden nämlich dringend gebraucht.

Tageblatt: Wie kommt man als Staat überhaupt an Waffen und Munition?

François Bausch: Ganz einfach: bei spezialisierten Unternehmen auf dem offenen Markt. Es ist ja kein Geheimnis, dass wir in letzter Zeit mehrere Munitionskäufe bei einer tschechischen Firma getätigt haben. Weil die ukrainische Armee noch über viel Material aus den Beständen der ehemaligen Sowjetunion verfügt, müssen Munition und Zubehör gewissen Kriterien entsprechen. Dafür haben tschechische Unternehmen das nötige Knowhow. Allerdings haben wir auch schon in den Vereinigten Staaten eingekauft. Ob Drohnen, Munition, Nachtsichtgeräte oder schusssichere Westen - es hängt immer vom Material ab...

Tageblatt: Vor kurzem hat sich sogar die New York Times den Luxemburger Hilfsbemühungen gewidmet. Der Artikel erweckt den Anschein, als sei die für Waffenkäufe zuständige Abteilung im Verteidigungsministerium mit nur zwei Mitarbeitern an ihre Grenzen gestoßen...

François Bausch: Ich glaube, da wurden einige Dinge falsch verstanden. Die Personen, die im Verteidigungsministerium für solche Einkäufe zuständig sind, haben noch andere Aufgaben. Es ist nicht so, als ob sie den ganzen Tag nur Waffen kaufen. Auch darf man nicht vergessen, dass Luxemburg in dieser Hinsicht etwas eingeschränkt ist. Wir können doch keine Panzer kaufen oder anderes schweres Gerät. Dafür haben wir nicht das nötige Knowhow. Wir konzentrieren uns auf das, was zu uns passt: Munition, Panzerabwehrgranaten, Schutzausrüstung...- dafür brauchen wir keine zusätzlichen Mitarbeiter.

Tageblatt: Laut New York Times habe man auch nur einen Bruchteil der erwünschten Gegenstände erhalten. Die Regierung habe deshalb Mühe gehabt, das restliche Geld auszugeben. Um welche Summen handelt es sich dabei?

François Bausch: Nichts ist übrig geblieben. Das Budget wurde komplett aufgebraucht. Wir waren Ende letzten Jahres wirklich am Rande unserer finanziellen Möglichkeiten angelangt. Weitere Ausgaben hätten wir im Verteidigungshaushalt nicht mehr mobilisieren können. Dafür hätten wir andere Quellen anzapfen müssen.

Tageblatt: Polen oder die baltischen Staaten plädieren für eine kompromisslose Unterstützung der Ukraine. Andere Länder, wie Frankreich oder Deutschland, sind etwas vorsichtiger, um eine Eskalation mit Russland zu vermeiden. Auf welcher Seite steht Luxemburg?

François Bausch: Wir stehen auf der Seite der Ukraine und werden das Land so lange unterstützen, wie es nötig ist. Allerdings sollte sich die Stimmung nicht gegen das russische Volk wenden. Es geht nicht darum, Russland anzugreifen, sondern die Ukraine zu verteidigen. Natürlich ist das Regime in Moskau eine Gefahr. Sowohl für die Ukraine und die internationale Gemeinschaft, als auch für das russische Volk. Es soll aber das Ziel bleiben, der Ukraine jene Mittel zur Verfügung zu stellen, die es dem Land erlauben, als autonome Nation zu überleben, sich gegen Angreifer zu verteidigen und verlorene Gebiete zurückzuerlangen.

Tageblatt: Ihre Gedanken zu China?

François Bausch: China kann man mit Russland nicht vergleichen. Wie auch andere Akteure, die international etwas problematisch sind. Im Fall der Volksrepublik müssen wir weiter auf Dialog und Austausch setzen. Es wäre ein fataler Fehler, die Kommunikationskanäle zu kappen. Das Prinzip von, Wandel durch Handel" hat noch immer eine Daseinsberechtigung. Allerdings müssen wir darauf achten, dass der Handel nicht auf Kosten des Wandels geht. So naiv dürfen nicht sein. Deshalb sollte man China auch Paroli bieten und die Grenzen aufzeigen, wenn es erforderlich ist. Gleichzeitig sollten wir die Energietransition beschleunigen, um unsere Abhängigkeit in diesem Bereich von China und anderen Staaten zu verringern. Das gilt im Übrigen auch für andere Industrien.

Tageblatt: Ein Schlusswort zur Ukraine: Wie sehen Sie die weiteren Entwicklungen?

François Bausch: Auch wenn es viele selbsternannte Experten in dieser Hinsicht gibt: Ich weiß nicht, wie es weitergeht. Ich besitze keine Glaskugel. Wir befinden uns in einem schlimmen Konflikt und die Prognosen sind - zumindest im Augenblick - eher düster. Das heißt aber nicht, dass ich keine Hoffnung habe und nicht daran glaube, dass wir irgendwann wieder auf den Weg der Diplomatie zurückfinden. Diese Hoffnung sollte man nie aufgeben. Dafür aber müssen wir die Ukrainer in eine Position der Stärke bringen, aus der sie erhobenen Hauptes Friedensverhandlungen führen können. Leider sind wir von diesem Stadium noch weit entfernt, sodass ich nicht daran glaube, dass dieser Krieg in Kürze vorbei sein könnte. Des Weiteren müssen wir unsere Sicherheitspolitik auf lange Frist anpassen. Auch wenn dieser Konflikt beigelegt werden kann, sollte man nicht meinen, in Moskau sei plötzlich alles wieder in Ordnung. Was auch immer mit dem aktuellen Regime passiert: Das Land bleibt instabil.

Zum letzten Mal aktualisiert am