Interview mit Jean Asselborn mit SWR Aktuell

"In der Großregion ist Europa wirklich zusammengewachsen"

Interview: SWR Aktuell (Nicole Mertes)

SWR Aktuell: Jean Asselborn, was erhoffen Sie sich von diesem grenzüberschreitenden Fest in Grevenmacher?

Jean Asselborn: Ich glaube, es ist ein Zeichen, dass wir in Luxemburg - in Trier selbstverständlich auch - zu der Großregion stehen. Das Wort Grenze, zumindest ist es so in Luxemburg und ich glaube, das ist dasselbe auch bei euch, wird eigentlich nicht mehr so oft benutzt. Europa ist gelebter Alltag.

Wir wissen aber auch hüben wie drüben, dass wir uns einsetzen müssen für die Wertegemeinschaft, die die Europäische Union darstellt und natürlich auch für die Freizügigkeit. Der 9. Mai ist ja ein ganz besonderer Tag bei uns in Luxemburg, denn seit 2019 ist er bei uns ein Feiertag.

SWR Aktuell: Wäre das nicht eine Idee für alle europäischen Länder? Haben Sie das schon mal vorgeschlagen, dass es europaweit ein gesetzlicher Feiertag wird?

Jean Asselborn: Hier ist es ja auf jeden Fall so, dass wir uns 2018 so entschieden haben. Wie das in Europa aufgenommen würde, weiß ich nicht. Das wäre ein gutes Zeichen. Dass Luxemburg mit dem Beispiel vorangeht, kann ja nicht schlecht sein.

SWR Aktuell: Für die Menschen in der Großregion sind offene Grenzen selbstverständlich. Mit dem Krieg in der Ukraine ist vielen aber bewusst geworden, dass Freiheit und Demokratie nicht garantiert sind, dass man dafür etwas tun muss. Ist dafür ein gemeinsames Fest zum Europatag auch ein guter Anlass?

Jean Asselborn: Was uns hier in der Großregion angeht, sind die Zahlen schon beeindruckend: Wir sind der größte grenzüberschreitende Arbeitsmarkt in der Europäischen Union mit 251.000 Grenzgängern. Allein in Luxemburg sind es 225.000 Menschen, die aus Belgien, aus Frankreich und aus Deutschland zur Arbeit kommen. Es leben aber auch etwa 25.000 Luxemburger in Deutschland, hauptsächlich in der Grenzregion. Ich glaube, hier ist Europa wirklich zusammengewachsen.

Das war leider ein wenig anders in der Corona-Pandemie in Europa, aber das ist vorüber, das haben wir geschafft und wir müssen aufpassen, dass in einer nächsten Krise oder Pandemie diese Fehler nicht noch einmal wiederholt werden.

Was die Ukraine betrifft: Wer hätte geglaubt, dass der Krieg in Europa wieder Fuß fassen konnte, dass wir uns wieder damit auseinandersetzen müssen. Mehr als 30 Jahre nach dem Fall der Mauer. Etwas, das nicht geschehen ist, solange Kalter Krieg war, dass wir wieder einen Krieg haben, der von Putin ausgelöst wurde. Das Opfer ist die Ukraine, aber das Opfer ist auch die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit.

Dieser 9. Mai soll ja auch dazu dienen, dass man weiß: Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit gehören zusammen. Und wenn die Rechtsstaatlichkeit außer Kraft gesetzt wird, wenn die Presse nicht mehr frei ist, wenn die Justiz nicht mehr unabhängig ist und die Trennung der Gewalten nicht mehr funktioniert, dann kann ein Regime entstehen wie das in Russland - mit den Konsequenzen, die dramatisch sind, nicht nur für Europa.

SWR Aktuell: Trotzdem gibt es in fast allen europäischen Ländern die Tendenz, dass rechtsradikale Parteien Zuspruch finden. Gibt es eine Möglichkeit, dem etwas entgegenzusetzen?

Jean Asselborn: Ja, das sieht man im Norden Europas, man sieht es im Süden Europas. Das ist genau dieser Bazillus, der in den 1930er Jahren, wo Nationalismus, Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit zu der Katastrophe geführt haben, die dann mehr als 60 Millionen Tote als Resultat hatte.

Wir müssen in der Europäischen Union selbstverständlich diese Strömungen ernst nehmen. Wir müssen uns auch Gedanken machen, wie es möglich ist, dass diese rechten Tendenzen immer mehr Auftrieb bekommen haben.

Die Europäische Union ist ja eigentlich geschaffen worden und dient auch heute dazu, dass große und kleine Länder ihre Identität und Souveränität bewahren können. Das ist eine Garantie. Wenn es keine Europäische Union mehr gibt, dann könnten sicht vielleicht die großen Länder irgendwie durchschlagen, aber die mittleren und die kleineren wären total verloren.

Darum glaube ich, dass es ein gemeinsames Interesse gibt. Die Freiheit und Rechtsstaatlichkeit ist nicht garantiert, wenn wir wieder in nationalistische Töne verfallen.

Hier war das Jahr 2016 ein Höhepunkt der negativen Entwicklungen. Zuerst mit dem Brexit. Heute sehen wir, dass der Brexit aufgebaut war auf Fake News. Dann kam 2016 in Amerika ein Präsident an die Macht, der den Multilateralismus am liebsten abgeschafft hätte mit Sprüchen wie 'Make America great again'. Das ist auch auf europäische Länder abgefärbt.

Ich hoffe, dass wir das hinter uns haben und kein amerikanischer Präsident mit dieser Einstellung zurückkommt. Das würde auch Europa wieder total in eine negative Richtung führen.

Wir hier in Europa müssen uns alle an diesem 9. Mai dafür einsetzen und dafür kämpfen, dass Demokratie erhalten bleibt, dass Freiheit erhalten bleibt. Das geht nicht mit rechtsnationalen Tendenzen."

SWR Aktuell: Viele Menschen kritisieren einen "aufgeblähten Verwaltungsapparat Brüssel", sie sehen Beamte von Brüssel nach Straßburg reisen und zurück. Könnte man die EU-Verwaltung nicht etwas schlanker gestalten?

Jean Asselborn: Für die Stadt Köln arbeiten 24.000 Beamte und Angestellte. Für die Europäische Union mit 450 Millionen Menschen arbeiten 32.000. Straßburg ist seit 1992 der Sitz der meisten Plenartagungen, die Ausschüsse tagen in Brüssel. Europa hat nicht eine Hauptstadt, sondern drei: Brüssel, Straßburg, Luxemburg.

Das muss man erhalten, das ist eine der Partikularitäten. Das ist ein paarmal im Jahr, wo dann verschiedene Beamte sich von Brüssel nach Straßburg begeben. Das ist nichts, was die Europäische Union finanziell oder kulturpolitisch in die Enge treibt.

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