Zum letzten Mal aktualisiert am
Interview mit Yuriko Backes im Luxemburger Wort "Wir müssen langfristig denken, und das tun wir auch"
Interview: Luxemburger Wort (Marco Meng)
Luxemburger Wort: Yuriko Backes, in der Financial Times haben Sie kürzlich mit Ihrer polnischen Amtskollegin gemeint, die EU müsse die richtigen Lehren für die Kapitalmärkte ziehen. Der Bürger fragt sich: was bringt mir eine Kapitalmarktunion?
Yuriko Backes: Die Kapitalmarktunion soll Finanzströme schaffen, die in der Lage sind, eine zentrale Rolle bei der Bewältigung der vielen Herausforderungen zu spielen, mit denen wir aktuell konfrontiert sind. Mit dem Brexit, mit der Pandemie und natürlich auch mit dem Krieg in der Ukraine ist das Projekt Kapitalmarktunion europapolitisch etwas in den Hintergrund geraten. Sie ist und bleibt aber sehr wichtig. Die Kapitalmarktunion - eine Initiative, die 2015 von der Europäischen Kommission ins Leben gerufen worden ist - hat das Ziel, einen unionsweiten Binnenmarkt für Kapital für alle Mitgliedstaaten zu schaffen. Der initiale Gedanke ist die Förderung von Wachstum und Beschäftigung in der EU. Seit der Finanzkrise stellen wir in Europa einen Verlust der Wettbewerbsfähigkeit fest. Durch einen gemeinsamen Binnenmarkt für Kapital würden zum einen die Unternehmen in der EU einen besseren Zugang zu unterschiedlichen Finanzquellen erhalten und zum anderen erhalten Investoren und Sparer, egal in welchem Land der EU sie ansässig sind, zusätzliche Möglichkeiten, ihr Geld gewinnbringend anzulegen. Die Finanzmöglichkeiten der Wirtschaft werden durch eine Kapitalmarktunion diversifiziert, was auch die Finanzierungskosten senken sollte, da sich dann in Zukunft die Unternehmen nicht länger nur über Bankenkredite finanzieren werden, so, wie es heute in Europa meistens der Fall ist. Insgesamt werden durch eine Kapitalmarktunion grenzüberschreitende Finanzierungen gefördert. Das ist sehr wichtig für den Finanzplatz Luxemburg. Gleichzeitig soll die Entwicklung einer Kapitalmarktunion auch die digitale und hauptsächlich grüne Transition der Wirtschaft vorantreiben. Darum haben meine polnische Amtskollegin Magdalena Rzeczkowska und ich unsere gemeinsame Vision der Kapitalmarktunion in einem offenen Brief zu Papier gebracht, um somit weitere Denkanstöße zu geben, wie man bei der Vertiefung der Kapitalmarktunion vorgehen sollte. Das Leitprinzip lautet hier "in Vielfalt geeint". Wir sind davon überzeugt, dass nur eine Kapitalmarktunion, der es gelingt, ein starkes polyzentrisches Netz miteinander verbundener europäischer Finanzzentren zu schaffen, in der Lage sein wird, eine zentrale Rolle bei der Bewältigung der vor uns liegenden Herausforderungen zu spielen.
Luxemburger Wort: Einerseits verlangen Sie einen gemeinsamen Kapital- und Bankenmarkt, lehnen andererseits aber eine Zentralisierung der Aufsicht ab. Widerspricht sich das nicht?
Yuriko Backes: Eine Zentralisierung der Aufsichtsfunktion finde ich kontraproduktiv. Das ist aber kein Widerspruch zur Kapitalmarktunion. Eine Zentralisierung der Aufsichtsfunktion würde den Marktteilnehmern den direkten Zugang zu wichtigem Fachwissen, das wir heute auf der lokalen Ebene haben, vorenthalten. Denn die zuständigen nationalen Behörden sind unserer Meinung nach wirklich am besten in der Lage, dafür zu sorgen, dass die Produkte und Finanzierungsinstrumente den Anforderungen auch der lokalen Unternehmen und der lokalen Anleger gerecht werden.
Luxemburger Wort: Es gibt die Forderung, Banken angesichts höherer Risiken von Kreditausfällen stärker zu kontrollieren. Bräuchten in Luxemburg Justiz und Finanzaufsicht CSSF nicht mehr Mitarbeiter?
Yuriko Backes: Die CSSF hat in der Tat in den letzten Jahren sehr viele zusätzliche Aufgaben erhalten, sie hat aber auch in dieser Zeit viel neues Personal eingestellt. 2016 waren es 670 Mitarbeiter, heute sind es fast tausend. Auch die Justiz hat die Zahl ihrer Mitarbeiter aufgestockt, soweit ich weiß. Wir müssen gut aufgestellt sein - und das sind wir auch. Aber es ist natürlich eine Entwicklung, die stetig weitergeht.
Luxemburger Wort: Auf Corona-Hilfspakete folgten Inflations-Hilfspakete - wie lange kann sich Luxemburg das noch leisten?
Yuriko Backes: Sechs Wochen nach meinem Amtsantritt befanden wir uns in Europa in einer Kriegssituation. Nach mehr als zwei Jahren Pandemie waren Regierungen in ganz Europa gezwungen, weitere Hilfspakete zu beschließen. Die luxemburgische Regierung hat in enger Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern Energie-Hilfspakete auf den Weg gebracht, um gezielt die Kaufkraft der Bürger sowie die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu unterstützen. Die Hilfspakete sind teuer; ja, aber sie haben uns Stabilität, Planbarkeit und die niedrigste Inflationsrate in der EU gebracht. Deshalb bin ich überzeugt, dass sie richtig und notwendig sind. Trotz der Maßnahmen wurde die im Koalitionsvertrag vereinbarte Schuldenquote von 30 Prozent nicht überschritten. Es gilt, auch weiterhin verantwortungsbewusst zu handeln. Mir ist es wichtig, langfristig stabile Staatsfinanzen zu gewährleisten, da sie maßgeblich zur positiven wirtschaftlichen Entwicklung Luxemburgs beitragen. Ohne die strategischen Investitionen zu vernachlässigen, die für den ökologischen, energetischen und digitalen Wandel notwendig sind, müssen wir unser Land finanzpolitisch so aufstellen, dass wir auch zukünftige Krisen erfolgreich meistern können.
Luxemburger Wort: Wie steht es um die Zukunft des Finanzplatzes, der ein wichtiger Arbeitgeber und Steuerzahler ist? Die Zahl der Banken in Luxemburg ist deutlich zurückgegangen.
Yuriko Backes: Die Anzahl der Banken ist nicht unbedingt ausschlaggebend oder aussagekräftig. Über die letzten Jahre hat im Bankenbereich eine Konsolidierung stattgefunden, die auch weiterhin anhält. Früher hatten wir eine größere Anzahl von Banken, heute zählt der Bankenplatz aber mehr Arbeitsplätze: die mehr als 200 Banken in den 1990er-Jahre beschäftigten 17.000 Mitarbeiter, die 120 Banken heute haben 10.000 Beschäftigte mehr. Auch die Bilanzsumme der Banken ist nicht gesunken. Im Segment Corporate Banking, sehen wir zunehmend neue Banken in Luxemburg aktiv werden, besonders aus den USA und Großbritannien. Wir haben eine sehr breite Palette von Dienstleistungen hier in Luxemburg, von Family Offices und Vermögensverwaltungen über Investment Services bis hin zum Private Banking. Wir verfügen auch über eine einzigartige Expertise in allem, was grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen und Produkte angeht. Von diesem ganzen Umfeld profitieren natürlich auch die Banken.
Luxemburger Wort: Wo kann der Finanzplatz noch Boden gutmachen?
Yuriko Backes: Mit dem Brexit haben 15 internationale Versicherer Luxemburg als Sitz in der EU ausgewählt. Mehr als 90 Akteure haben seither ihre Aktivitäten in Luxemburg ausgebaut und verstärkt. Der Finanzplatz wächst also. Sieht man sich die internationalen Ratings an, ist der Luxemburger Finanzplatz immer oben mit dabei: was offene Finanzzentren betrifft, sind wir immer unter den Top drei, was grüne Finanzplätze angeht, sind wir in den Top fünf. Am Green Exchange der Luxemburger Börse sind 40 Prozent aller nachhaltig orientierten Anleihen weltweit notiert. Auch 40 Prozent aller europäischen ESG-Fonds sind in Luxemburg aufgelegt. Wenn wir von nachhaltigen Finanzen sprechen, ist auch Gender Finance wichtig. Dazu gehört Geschlechtergerechtigkeit im Finanzsektor - die "Women in Finance"-Charta haben viele Unternehmen unterzeichnet - sowie "Finance for Wo-men", um Frauen bessere Perspektiven zu bieten. An der Luxemburger Börse sind heute mehrere Gender Bonds gelistet. Das Finanzministerium kann in diesem Bereich zusammen mit dem Finanzplatz eine Vorreiterrolle spielen. Ich bin überzeugt davon, dass dies nicht nur gut für Frauen ist, sondern auch für Männer, für die Ökonomie und für deren Wettbewerbsfähigkeit. Wir sprechen immer vom Mangel an Talenten - nicht nur in Luxemburg -, und vergessen dabei oft die Frauen, die sehr gut ausgebildet sind. Zudem zeigen Studien, dass Unternehmen, die von Frauen geleitet werden, auch einen geringeren ökologischen Fußabdruck haben. Daher bin ich überzeugt, dass auch der Luxemburger Finanzplatz hier an eine große und positive Rolle spielen kann. Ein weiterer wichtiger Faktor in der Entwicklung unseres Finanzplatzes ist die Digitalisierung. Wir haben heute mehr als 220 Fintech-Firmen in Luxemburg. Es ist natürlich entscheidend, dass wir die Innovationen im Finanzsektor weiterbringen und fördern. Das machen wir mit dem House of Financial Technology (LHoFT), das sowohl Fintech-Unternehmen auf den Luxemburger Markt begleitet, als auch Finanzinstitute bei ihrer Digitalisierung. Als Regierung wollen wir das richtige förderliche Umfeld schaffen und haben dazu beispielsweise Rechtsvorschriften geändert und die Nutzung von DLT und Blockchain explizit vorgesehen für die Ausgabe und Übertragung von Wertpapieren und neuerdings auch für Finanzsicherheiten. Die HSBC hat kürzlich beschlossen, ihre globale Plattform für digitale Vermögenswerte in Luxemburg zu errichten, auch die Europäische Investitionsbank (EIB) hat ihre ersten digitalen Anleihen nach luxemburgischem Recht begeben. Die Konkurrenz schläft nicht, so dass wir uns weiter gut aufstellen und diversifizieren müssen. Ich glaube, das haben wir bislang sehr gut gemacht. Natürlich müssen wir das auch weiterführen.
Luxemburger Wort: Wann wurden Sie darüber informiert, dass die Credit Suisse so strauchelt, dass quasi übers Wochenende gerettet werden muss?
Yuriko Backes: Ich denke, dass die Situation um Credit Suisse aufzeigt, wie wichtig das Vertrauen des Marktes für die Führung von Bankgeschäften ist. Wenn das Vertrauen der Anleger nicht mehr vorhanden ist, kann es sehr schnell schwierig werden. Für die Aufsicht der Credit Suisse Luxemburg ist die CSSF zuständig, die auch die ganze Zeit mit ihren zuständigen Kollegen auf der Schweizer Seite in Kontakt war. Wir wurden regelmäßig über die Entwicklungen informiert.
Luxemburger Wort: Zeitgleich waren in Amerika Banken zusammengebrochen, so dass man fürchtete, die Geschichte wiederhole sich. Aber dann ist der Dominoeffekt doch ausgeblieben.
Yuriko Backes: Die Ereignisse in den USA und in der Schweiz bestätigen zwei Dinge. Der europäische Bankensektor ist heute auch dank der hohen Kapital- und Liquiditätsausstattung sehr widerstandsfähig. Seit der Finanzkrise 2008 unterliegen alle europäischen Banken unabhängig von ihrer Größe den gleichen Regeln. Das sorgt für Vertrauen und Stabilität. Das thematisiere ich natürlich auch mit meinen europäischen Kollegen, damit die Bankenregulierung weiterhin auf alle Banken, inklusive der Tochtergesellschaften von größeren Banken und von Banken-Gruppen - angewendet wird. Was den Einlagenschutz angeht, haben wir in Luxemburg die EU-Vorgaben zur Absicherung der Einlagen Ende 2015 verdoppelt: statt 0,8 Prozent des Betrags der gedeckten Einlagen der Kreditinstitute umfasst der Garantiefonds hierzulande 1,6 Prozent. Das zeigt: die nötigen Reserven sind da, und das Vertrauen auch.
Luxemburger Wort: Wird der erhöhte EZB-Zinssatz gegen die Inflation wirken? Oder sorgt er eher für ein Wiederaufflammen der Staatsschuldenkrise?
Yuriko Backes: Wir diskutieren dieses Thema auch in der Eurogruppe. Ich werde als Finanzministerin nicht die Entscheidungen der EZB kommentieren. Wir sehen, dass die Maßnahmen, die die Zentralbank beschlossen hat, bereits Wirkung zeigen. Wenn wir jetzt beispielsweise die Inflationsraten der beiden größten Volkswirtschaften der Eurozone anschauen, haben sich dort die Preisentwicklungen bereits stabilisiert. Das verschafft den Verbrauchern und den Unternehmen die dringend benötigte Erleichterung. Internationale Institutionen - zum Beispiel die Kommission und auch der Internationale Währungsfonds (IWF) - weisen aber zu Recht darauf hin, dass sich die Länder nicht zu hoch verschulden sollten, um Risiken, die die Zinsentwicklungen mit sich bringen, entgegenzuwirken. Ich denke, wir haben die Lektionen aus der letzten Finanzkrise gelernt. Wir müssen langfristig denken, und unsere Finanzpolitik so ausrichten, dass wir auch kommende Herausforderungen erfolgreich meistern werden.