"Nicht einfach Geld auf NATO-Konten überweisen"

Interview: Luxemburger Wort (Jan Kreller)

Luxemburger Wort: François Bausch, Luxemburg wird von seinen NATO-Partnern für seine zu geringen Verteidigungsausgaben kritisiert. Auf dem Gipfel in Vilnius wollen Sie die Partnerländer umstimmen und eine Berechnung auf Grundlage des Bruttonationaleinkommens (BNE) erreichen, die das Großherzogtum viel besser dastehen ließe. Glauben Sie, dass sich damit die Diskussion erledigt hat?

François Bausch: Das glaube ich schon. Wir sind das einzige Land in der NATO, das eine derartig spezifische Situation hat, wo das Bruttoinlandsprodukt durch viele Menschen erarbeitet wird, die nicht im Land leben. Und wenn Sie auch heute schon sehen, wie viel wir pro Soldat ausgeben, wir sind ja Spitzenreiter. Ich glaube schon, dass man das berücksichtigen muss und auch, dass es ein breites Verständnis innerhalb der NATO dafür gibt. Im Grunde genommen stehen wir gut da, denn wir haben immer geliefert, wenn es darauf ankam. Deshalb bin ich optimistisch, dass wir einen Kompromiss finden werden.

Luxemburger Wort: Würde die NATO am Zwei-Prozent-Ziel festhalten, bedeutet das für Luxemburg einen Milliardenaufwuchs. Wie könnte das für die Armee aussehen?

François Bausch: Einmal abgesehen davon, dass ich das komplett ungerecht finden würde, wenn man das so für Luxemburg berechnet: Das wäre auch überhaupt nicht zu schaffen, weil das von der Kapazität alles übersteigen würde. Das einzige, was dann noch übrig bliebe, wäre zu sagen, ja dann zahlt doch einfach irgendwie einen Betrag in einen internationalen NATO Fund ein. Wir müssen aber auch gegenüber unserer eigenen Bevölkerung geradestehen. Außerdem haben wir keine Rüstungsindustrie. Fast alle Staaten, die jetzt in diesem Prozess mehr investieren, bekommen ein return an investment über ihre eigene Industrie. Es kann ja kein Mensch von uns verlangen, dass wir einfach das Geld ins Ausland schicken. Das wird die Regierung auch ganz sicher nicht tun.

Luxemburger Wort: Auf was genau könnte sich Luxemburg fokussieren?

François Bausch: Wenn wir jetzt von den zwei Prozent des BNE ausgehen, da sehen wir eher die Bereiche Cyberspace und Space, vielleicht auch den Flugbereich. Es gibt ja noch die Debatte um die Erhöhung der Ausgaben für die AWACS Flugzeuge, die erneuert werden müssen. Wir suchen uns also Sachen aus, wo wir spezifisches Know How in Luxemburg haben, wie zum Beispiel kürzlich die Investitionen in 03b mPower von SES. Davon profitiert auch eine Luxemburger Industrie. Space Awareness ist ein anderer Bereich oder Forschung, in die wir zwei Prozent unserer Ausgaben stecken. Wir haben Materialforschung als ersten Bereich ausgesucht, der zweite wird eher alternative Antriebssysteme sein, synthetische Kraftstoffe, die für das Militär sehr wichtig sind, aber auch natürlich für die Zivilgesellschaft. Wir wollen uns Nischen aussuchen, die zu Luxemburg passen, wo Luxemburg auch Stärken hat.

Luxemburger Wort: Luxemburg und Belgien planen die Aufstellung eines gemeinsamen Aufklärungsbatail-lons. Wie wollen Sie im Hinblick auf die generelle Personalproblematik neue Soldaten für dieses Projekt gewinnen?

François Bausch: Also erstens ist das ein sehr guter Beleg dafür, dass wir unseren Soll, der von uns im NATO Defence Planning Process verlangt wird, erfüllen. Das Bataillon ist ein neues Projekt, das sehr aufwendig für uns ist, das wir aber sehr befürworten, weil es ein Symbol für die Zusammenarbeit innerhalb der europäischen Armeen ist. Und zweitens, das ist ein Bereich, der richtig Geld kostet und wo wir auch unseren Beitrag mit Truppen am Boden leisten können. Von unserer Seite aus ist das vom Timing her kein Problem. Das einzige, was schwierig ist, das ist die Rekrutierung der Soldaten. Und da warte ich natürlich sehnlichst auf das neue Armeegesetz, weil es mir ganz andere Besoldungsmöglichkeiten bietet, neue Karrieremöglichkeiten und mehr Flexibilität innerhalb der Karrieren eröffnet.

Luxemburger Wort: Apropos Armeegesetz: Das ist ja kürzlich beim Staatsrat durchgefallen. Wie zuversichtlich sind Sie, dass Sie das Gesetz in den noch verbleibenden Tagen durchbekommen?

François Bausch: Also ich bin noch immer zuversichtlich. Wir machen alles bereit, dass, wenn das zweite Gutachten kommt, wir das noch hinkriegen. Meine Hoffnung ist, dass, wenn darin noch oppositions formelles übrig bleiben, dass dann der Staatsrat uns einen Textvorschlag macht, den wir einfach übernehmen können. Am liebsten hätte ich natürlich keine mehr drin. Wir haben sehr viel gearbeitet - mein ganzes Team einen ganzen Monat nur an diesem Text. Ich bin guter Dinge, dass wir das vor der Sommerpause hinkriegen.

Luxemburger Wort: Wie wichtig sind Ihnen die Beteiligungen luxemburgischer Soldaten an NATO-Auslandsmissionen?

François Bausch: Das hat einen hohen Stellenwert. Die NATO möchte, dass alle - und das finde ich auch richtig - dass alle Länder ihren Beitrag leisten. Es ist schon wichtig, dass wir auch mit Manpower, mit Soldaten präsent sind. Da kommt sehr großer Zuspruch von unseren Partnern. Und man muss auch sagen, unsere Soldaten sind sehr gut ausgebildet, die Dreisprachigkeit ist oft ein Vorteil. Ich bekomme sehr viel Lob von allen Stellen, wo ich unsere Soldaten besuche. Aber das ist auch wieder ein gutes Beispiel dafür, wie wir, wenn etwas von uns verlangt wird, präsent sind. Seit dem NATO-Gipfel in Wales 2014 haben wir immer unseren Soll erfüllt. Und das zeigt auch, dass wir eigentlich da "on track" sind, wie man so schön sagt.

Luxemburger Wort: Premierminister Xavier Bettel hatte erklärt, dass Luxemburg bereit ist, die Ukraine so lange zu unterstützen, wie es notwendig ist. Also könnte man sich auch vorstellen, Kampftruppen abzustellen?

François Bausch: Nein, das glaube ich nicht, weil das auch gar nicht das Ziel der NATO ist. Es geht darum zu helfen, aber nicht zu eskalieren. Man möchte trotz allem eine gewisse Gratwanderung hinbekommen. Zurzeit sind wir absolut kompatibel mit dem internationalen Recht, weil es erlaubt, einem Land Unterstützung zukommen zu lassen, ohne sich direkt einzumischen. Und dabei wird es auch bleiben, füi Luxemburg ganz sicher. Insgesamt geht es vor allem darum, diesen Krieg zu beenden und zwar so, dass die Ukraine in einer starken Position verhandeln kann, damit sie ihr unabhängiges Territorium bewahren und als eigenständiges Land auch funktionieren kann. Und jeder hofft natürlich, dass das relativ schnell geschieht.

Luxemburger Wort: Schauen wir noch mal auf das luxemburgische Militär, Stichwort Leitlinien. Wo sehen Sie aus Ihrer Sicht die Schwerpunkte für die nächsten Jahre?

François Bausch: Also das erste ist, die Infrastrukturen komplett zu modernisieren. Da haben wir bereits Vieles in die Wege geleitet. Fast alle Infrastrukturen der Armee werden modernisiert. Dann natürlich die Weiterentwicklung in Richtung einer professionellen Armee in dem Sinne, dass sie aus dem Nischendasein rauskommt, wo sie zu lange in Luxemburg auch gesehen wurde. Nach 1989 hat keiner mehr irgendwie im Kopf gehabt, dass es notwendig ist, eine moderne und professionell organisierte Armee zu haben. Das muss das Ziel sein und die Leitlinien sind darauf ausgerichtet. Sie beschreiben aber nicht nur neue Betätigungsfelder, wie zum Beispiel Cyberspace oder Space, sondern auch, wie eine moderne, professionell organisierte Luxemburger Armee aussehen soll. Und das bedeutet, dass die Offiziersrekrutierung und Laufbahnen mehr Flexibilität bekommen. Ganz sicher bleibt auch die soziale Rolle. Das finde ich auch noch immer wichtig.

Luxemburger Wort: Als grüner Minister, der in der Friedensbewegung politisch groß wurde, muss es doch schmerzhaft sein, sich jetzt fast täglich mit Waffen und Krieg auseinandersetzen zu müssen?

François Bausch: Ich habe, wie wahrscheinlich jeder Mensch Bauchschmerzen, wenn es darum geht zu diskutieren, wie ich mir die Möglichkeit gebe, mich zu verteidigen - was im Endeffekt auch bedeuten kann, dass Menschen ihr Leben verlieren. Da ist es natürlich schwierig, eine Balance zu finden. Aber ich sage auch: Ziel muss sein, dass die Menschheit irgendwann verstanden hat, dass sie das eigentlich nicht mehr braucht. Aber davon sind wir weit weg. Man muss natürlich diese Realität anerkennen. Es ist eine sehr komplexe Welt und in dieser komplexen Welt bin ich als Grüner der Meinung, dass solange die Welt die Werte, die wir haben, immer wieder in Frage stellt, solange muss man sich verteidigen können. Deshalb braucht man eine effiziente Armee. Das scheint mir unabdingbar.

Luxemburger Wort: Sie sagten vorhin, dass die Militärstandorte erneuert werden. Inwiefern tragen Sie dabei ökologischen Aspekten Rechnung?

François Bausch: Das hätten wir viel früher tun müssen. Die Gebäude entsprechen nicht nur nicht mehr den ökologischen Standards, sondern auch nicht den Standards, die wir Soldaten zumuten können. Ich habe mir damals als Bautenminister zusammen mit Etienne Schneider als Verteidigungsminister die Kasernen angeschaut und ich muss ihnen ganz ehrlich sagen, dass wir geschockt darüber waren, wie die Militärs untergebracht wurden. Es hatte nichts mit modernen, ordentlichen Arbeitsbedingungen zu tun und deshalb waren wir uns beide damals auch einig, dass wir, wenn wir jetzt massiv Geld investieren, auch den COz_Fußabdruck der Armee senken. Deshalb werden die Gebäude energetisch saniert. Das, was neu gebaut wird, wird sowieso nach neuesten energetischen Standards gebaut. Ich habe in einer Studie berechnen lassen, ob es nicht sinnvoll wäre, Wasserstoff zu produzieren. Aber das ist ein bisschen riskant, vor allem wegen der Lagerung. Aber mit Hilfe der Solarpanels, die wir auf die Dächer legen, werden wir es fertig bringen, 67 Prozent des Eigenverbrauchs am Standort Diekirch selbst zu produzieren. Außerdem werden wir die zivilen Dienstwagen der Armee auf elektrisch umstellen.