Interview mit Martine Deprez im Lëtzebuerger Land

"Eine Riesenarbeit"

Interview: d'Lëtzebuerger Land (Peter Feist)

D'Land: Frau Ministerin, kein anderes Regierungsmitglied spricht im Parlament so oft und noch immer über den Koalitionsvertrag wie Sie. Im Ausschuss für Gesundheit und Sozialversicherung ging es am 6. Dezember los, danach ging es jeden Mittwoch weiter. Am 10. Januar ist die nächste Sitzung...

Martine Deprez:... und am 17. Januar die übernächste.

D'Land: Lädt jedes Mal die LSAP Sie ein, und Mars Di Bartolomeo streitet mit Ihnen über die geplante Rentenreform?

Martine Deprez: Mich muss niemand einladen, ich komme freiwillig (lacht). Über die Renten wurde nur am 6. Dezember diskutiert, in den Sitzungen danach über die Gesundheitspolitik. Von einer Reform der Renten spricht die Regierung noch nicht. Im Koalitionsvertrag kommt das Wort nicht vor.

D'Land: Dort steht, das Rentensystem soll "langfristig abgesichert" werden. Die damalige CSV-LSAP-Regierung wollte sie 2012 mit ihrer Rentenreform bis ungefähr 2050 absichern. Falls die CSV-DP-Regierung nun meint, das reiche nicht, würde das weitreichende Änderungen bedeuten, nicht wahr?

Martine Deprez: Aber darüber müsste es einen Konsens geben. Wie er aussehen könnte, weiß ich noch nicht. Deshalb sieht der Koalitionsvertrag eine breite gesellschaftliche Debatte vor. Ich werde zunächst viele bilaterale Gespräche führen und mir alles anhören, was vum Terrain kommt. Das ist der Auftrag, den der Premier mir gegeben hat. Die Resultate der Gespräche wird das Ministerium analysieren und der Regierung ein Projekt vorlegen. Darüber wird mit allen Beteiligten gemeinsam weiterdiskutiert.

D'Land: Auch mit den Oppositionsparteien, wie 2001 und 2002 am Rentendësch?

Martine Deprez: Ich schließe das nicht aus. Wenn ich im Kammerausschuss bin, diskutiere ich mehr mit der Opposition als mit Abgeordneten meiner eigenen Partei.

D'Land: Wieso reicht die Reform von 2012 nicht?

Martine Deprez: Seit 2012 wurde über die Renten nicht mehr politisch diskutiert. Das wurde vermieden. Dadurch geriet in den Hintergrund, dass unser System zwar nicht morgen, aber übermorgen Probleme bekommen wird. Wir müssen heute darüber nachdenken, was wir dagegen unternehmen. Meine zweite Feststellung lautet, dass die Reform von 2012 die Rentenausgaben auf lange Sicht um nicht mal zehn Prozent senkt. Und sie hat nichts an der Architektur der Altersvorsorge geändert: Nach wie vor kommt der allergrößte Teil der Einkünfte im Alter aus dem ersten Pfeiler, der öffentlichen Rentenversicherung. Der zweite Pfeiler, die betrieblichen Zusatzrenten, und der dritte, die privaten Altersvorsorgeverträge, müssen eine größere Rolle spielen.

D'Land: Für so einen Systemwechsel haben CSV und DP sich bei den Wahlen aber nicht mandatieren lassen. Im Wahlkampf spielten die Renten keine Rolle.

Martine Deprez: Im Wahlprogramm der CSV stand, dass langfristig Handlungsbedarf besteht und dass eine detaillierte Analyse der mittel- und langfristigen finanziellen Tragfähigkeit des Systems vorgenommen wird. Ich hatte 2009 zu den Kammerwahlen kandidiert. Im Wahlkampf damals waren die Renten ein großes Thema. Anschließend kam die Reform von 2012. Im Wahlkampf dieses Jahr war ich nicht dabei. Wäre ich dabei gewesen, hätte ich mich dafür eingesetzt, die Renten stärker zu thematisieren.

D'Land: Dann ist die Reform, die noch nicht so heißen darf, Ihre Idee? Und nicht die von Luc Frieden oder der DP, die 2012 weitergehen wollte als CSV und LSAP?

Martine Deprez: Ich hatte das Glück, in der Arbeitsgruppe Sozialversicherung zu den Koalitionsverhandlungen dabei zu sein. Mit den beiden CSV-Abgeordneten Claude Wiseler und Marc Spautz versuchten wir, im Sinne unseres Wahlprogramms das Rententhema in den Koalitionsvertrag einfließen zu lassen. Luc Frieden griff die Idee auf. Ich war nur in einer technischen Arbeitsgruppe. Was sie andachte, wurde in die Etage über uns weitergereicht, um dort politisch besprochen zu werden. Wie das geschah, ob die eine Partei sich stärker dafür einsetzte, als die andere oder nur Luc Frieden diese Position vertrat, kann ich Ihnen nicht sagen.

D'Land: Was meinen Sie mit Problemen im System? Seit 2012 überprüft die Generalinspektion der Sozialversicherung (IGSS) alle fünf Jahre, ob der Beitragssatz von drei Mal acht Prozent auf ein Bruttogehalt in den jeweils kommenden zehn Jahren reichen wird und ob das Verhältnis der Ausgaben der Rentenkasse zu ihren Einnahmen größer zu werden droht als der Beitragssatz. 2022 fand die IGSS, dass dieses Verhältnis 2027 kippen könnte. Doch das ist eine Modellierung. 2012 hatte die IGSS den kritischen Punkt auf 2018 veranschlagt, 2016 auf das Jahr 2023. 2018 korrigierte sie ihn auf 2024. Doch nie trat das ein. Wieso will die CSV-DP-Regierung nicht warten, ob die Konjunktur sie rettet? So wie sie ihre beiden Vorgänger-Regierungen gerettet hat.

Martine Deprez: Weil wir zurzeit in einer Rezession sind und nicht abzusehen ist, ob es in den nächsten Jahren ein Wachstum geben wird, das hoch genug ist, um uns zu retten. Weil ein Rentensystem, das derart von permanentem Wachstum abhängig ist wie unseres, nicht gesund ist. Und weil das permanente Wachstum durch die Krisen der letzten Zeit immer wieder infrage stand. Angefangen mit der Covid-Pandemie.

D'Land: Im Reformgesetz von 2012 stehen Maßnahmen, die ergriffen würden, wenn das Verhältnis der Ausgaben zu den Einnahmen schlechter wird als der Beitragssatz. Dann würde die Jahresendzulage zu den Renten gestrichen. Die Anpassung bestehender Renten an die Reallohnentwicklung würde mindestens halbiert, vielleicht ganz abgeschafft. Warum reicht das nicht?

Martine Deprez: Das sind kurzfristig wirkende Maßnahmen. Sie würden uns vielleicht ein Jahr Spielraum geben.

D'Land: Die IGSS schreibt, wenn die Jahresendzulage entfiele und die Rentenanpassung um 75 Prozent gekürzt würde, wäre Ruhe bis 2032.

Martine Deprez: Wenn man den Bericht genau liest, dauert die Ruhe höchstens zwei bis drei Jahre. Das wäre ein kleiner Puffer, auf längere Sicht brächte er nicht viel. Die Regierung will auf längere Sicht agieren. Die Reform von 2012 senkt die Leistungen für neu gewährte Renten um rund zehn bis fünfzehn Prozent. Doch das zieht sich über vierzig Jahre hin. Voll wirksam wird es erst 2052. Ich stelle mir vor, diesen Effekt vorzuziehen. Auf 2035, im Idealfall auf 2032.

D'Land: Der ursprüngliche Reformentwurf wollte den Effekt 2013 einsetzen lassen, für alle neuen Renten gleich nach Inkrafttreten der Reform. Die Streckung über 40 Jahre war ein Zugeständnis an die Gewerkschaften. Die werden von einer Stauchung um 20 Jahre nicht viel halten. Die Oppositionsparteien links von CSV und DP auch nicht.

Martine Deprez: Mir ist klar, dass eine Riesenarbeit auf mich wartet. Das Rententhema ist das politisch schwierigste in meinen beiden Ressorts Santé und Sécu. Ich werde sehen, wie sich dazu ein Konsens herstellen lässt und welche Szenarien wir konkreter beziffern, um sie vertiefter zu diskutieren.

D'Land: Würde der Kürzungseffekt auf 2032 vorgezogen, müssten Aktive, die in acht Jahren pensioniert werden, sich ziemlich kurzfristig auf kleinere Renten gefasst machen. Ist das fair?

Martine Deprez: Es wäre nicht fair, das Rentenniveau von Menschen infrage zu stellen, die kurz vor der Pensionierung stehen. Mehr noch: Damit würde das legitime Vertrauen beschädigt, das die Bürger in die Organisation des Staates haben müssen. Das kann niemand wollen. Ich räsoniere eher so, dass ein Aktiver, dem bis zur Pensionierung noch 20 Jahre bleiben und der sich sein Leben in den vergangenen 20 Jahren so organisiert hat, dass er mit dem aktuellen System klarkommt, in den verbleibenden 20 Jahren die Möglichkeit erhalten muss, sich an ein geändertes System anpassen zu können. Diese Möglichkeiten müsste der Gesetzgeber schaffen. Das könnte zum Beispiel eine private Altersvorsorge im dritten Pfeiler sein.

D'Land: Wieviel an Rentenleistungen bekommt man aus so einer Privatversicherung? Wenn ich richtig informiert bin, kann man sich das angesparte Kapital entweder auf einmal auszahlen lassen oder je zur Hälfte als Einmalzahlung und als monatliche Rente.

Martine Deprez: Ich meine, das gilt noch immer. Also bekommt man das angesparte Kapital plus Zinsen und eventuelle Boni, die der Versicherer erwirtschaftet hat. Wer jeden Monat 200 Euro in eine solche Altersvorsorge einzahlt, erhält am Ende nicht viel mehr, als aus diesen monatlichen 200 Euro über mehrere Jahre zusammenkam.

D'Land: 200 Euro monatlich sind 2 400 Euro im Jahr. Maximal 3 200 Euro lassen sich auf der Einkommensteuererklärung geltend machen. Das wären 267 Euro im Monat, aus denen sich später vermutlich noch immer keine hohe Rente ergibt. Laut Koalitionsvertrag sollen Pfeiler zwei und drei "attraktiver" gemacht werden. Soll die Absetzbarkeit im dritten Pfeiler erhöht werden?

Martine Deprez: Da bin ich mir nicht sicher. Der steuerliche Anreiz ist schon jetzt relativ groß. Die meisten Verträge im dritten Pfeiler werden zur Optimierung der Steuererklärung abgeschlossen. Klar ist, dass der dritte Pfeiler implizit attraktiver wird, wenn aus dem ersten weniger Rente bezogen werden kann.

D'Land: Mehr Absetzbarkeit würde auch heißen, dass die Staatskasse auf Steuereinnahmen verzichtet und die Versicherer mehr verdienen. Der Branchenverband Aca hatte in einem Brief an denformateur angeregt, die Absetzbarkeit auf 6 400 Euro im Jahr zu verdoppeln. In einem Positionspapier für den Wahlkampf plädierte die Aca sogar für 12 800 Euro. Kommt sowas nicht in Frage?

Martine Deprez: Darüber wurde noch nicht diskutiert. Die Regierung will den zweiten und den dritten Pfeiler stärken, aber über Beträge wurde noch nicht gesprochen. Das wird auch davon abhängen, welcher Konsens sich über Änderungen im ersten Pfeiler finden lässt. Anschließend könnte man die steuerlichen Vorteile zum Beispiel staffeln, je nach den eingezahlten Prämien, in Abhängigkeit vom Alter und so weiter. Da gibt es viele Möglichkeiten.

D'Land: Wenn die Leistungskürzung vorgezogen wird, müssten womöglich viele Aktive in eine private Altersvorsorge investieren, um nichts zu verlieren. Welche Population wäre das, und unter welchen Bedingungen würde sie privat vorsorgen?

Martine Deprez: Das ist eine Frage, zu der die relevanten Akteure sich werden finden müssen. Wer 1 000 Euro im Monat übrig hat, mit denen er nichts anzufangen weiß, schaut sich nach Anlagemöglichkeiten um. Der eine zieht es vor, in ein Apartment zu investieren und eine monatliche Miete zu erhalten. Geht er 30 Jahre später in Pension, verkauft er diese Wohnung womöglich. Ein anderer möchte vielleicht nicht in Stein investieren, vertraut seinem Versicherer und baut sich eine Lebensversicherung auf oder eine private Rente. Das liegt dann im Ermessen der Betroffenen. Ich würde dem nicht vorgreifen wollen.

D'Land: Und was tun die, die keine 1 000 Euro im Monat übrig haben? Werden sie im dritten Pfeiler vorsorgen müssen, obwohl ihnen dafür eigentlich das Geld fehlt?

Martine Deprez: Auf gar keinen Fall! Das war die erste Unterstellung von Linken und LSAP nach der Sitzung des parlamentarischen Ausschusses vom 6. Dezember, dass wir den ersten Pfeiler abbauen würden. Das habe ich nie gesagt. Entweder habe ich mich da nicht gut ausgedrückt, oder es wurde falsch verstanden. Ich habe immer gesagt, dass der erste Pfeiler der Pfeiler bleibt. Aber die Ungleichheiten, die es im aktiven Leben gibt, muss man nicht unbedingt integral im ersten Pfeiler der Altersabsicherung wiederfinden.

D'Land: Die Kürzung vorzuziehen, wäre aber Abbau.

Martine Deprez: Jede Rente setzt sich aus einem pauschalen Anteil und einem proportionalen Anteil zusammen. Der pauschale hängt von der Zahl der Beitragsjahre ab: Wer 40 Jahre lang in die Rentenkasse eingezahlt hat, erhält beim derzeitigen Stand pauschal knapp 600 Euro im Monat. Jedes fehlende Beitragsjahr senkt diesen Betrag um ein Vierzigstel. An einer normalen Rente ist der pauschale Anteil klein. Viel größer ist der proportionale Anteil, der von der Summe der eingezahlten Beiträge abhängt. So funktioniert die Luxemburger Rentenformel. Aufbauend auf der Idee von 2012, könnte die beitragsbedingte Komponente in der Rentenformel weiter gesenkt, die pauschale Komponente hingegen weiter erhöht werden. Damit möchten wir unter anderem erreichen, dass weniger Rentner einen Zusatz zu ihrer Pension erhalten müssen, um auf die Mindestrente zu kommen. Viele Mindestrentenbezieher erhalten dieses complément, weil sie Teilzeit gearbeitet haben, mit niedrigen Löhnen, aber 40 Jahre lang. Und dann kommen sie nicht mal auf die Mindestrente. Das finde ich für ein Land wie Luxemburg erschreckend.

D'Land: Was ist mit denen, die vielleicht 200 Euro auf der Seite hätten, doch die in den dritten Pfeiler zu stecken, bringt nicht viel? Oder anders gefragt: Wie vermeiden Sie Schwelleneffekte zwischen den Aktiven? Etwa unter jenen, die Beiträge auf einen zweifachen bis dreifachen Mindestlohn entrichten und sich eine entsprechende Rente erwarten?

Martine Deprez: Unser Rentensystem sollte sich gerade mehr darauf konzentrieren, Menschen mit mittlerem Einkommen wirklich ehrbar abzusichern, denen keine Betriebsrente zur Verfügung stand und die sich keine private Altersvorsorge leisten konnten. Das wird Thema der Gespräche, die ich führen werde.

D'Land: Wenn die Leistungskürzung um 20 Jahre vorgezogen würde: Könnte das System anschließend bleiben, wie es ist, oder würden Sie noch weiter gehen?

Martine Deprez: Ich kann nur mit den Zahlen argumentieren, die bisher vorliegen. Aus ihnen ergibt sich bei den Rentenausgaben der Einspareffekt um knapp zehn Prozent im Jahr 2032 statt 2052, wenn die 2012 eingeführten Maßnahmen vorgezogen werden. Über Szenarien, die weiter in die Zukunft reichen, verfüge ich noch nicht. Aber das Prinzip bleibt das gleiche: Wir haben es immer mit Geld zu tun, das reinkommt, und mit Geld, das rausgeht. Geht mehr raus, als reinkommt, hat man irgendwann keines mehr.

D'Land: Würden Sie auch an den bestehenden Renten sparen?

Martine Deprez: Das ist ein No-Go! Das wäre höchstens bei extremen Finanzierungsproblemen vorstellbar. Aber in diese Situation wollen wir nicht kommen. Das wäre ein sehr ernster Generationenkonflikt.

D'Land: Laut Reformgesetz von 2012 muss die Anpassung der bestehenden Renten an die Reallohnentwicklung mindestens halbiert werden, falls die Rentenkasse mehr ausgibt, als sie einnimmt. Womit die IGSS für 2027 rechnet. Wäre das nicht auch ein Eingriff in die bestehenden Renten?

Martine Deprez: Selbst wenn diese Anpassung komplett entfiele, blieben die Renten an den Index gebunden. Luxemburg ist das einzige EU-Land, in dem die Renten indexiert sind und obendrein an die Reallohnentwicklung angepasst werden. Da sind wir in einem Luxusproblem unterwegs.

D'Land: Würden Sie diese Anpassung kürzen?

Martine Deprez: Das ist ein wirklich kreativer Mechanismus. Er wurde noch nicht angewandt, weil die gesetzlichen Bedingungen für eine Anwendung noch nicht erfüllt waren. Ich würde die Anwendung schon gerne einmal erleben, um die Reaktionen der betroffenen Partner zu sehen.

D'Land: Politisch ist das nicht ohne Risiko. Sie müssten das auch den CSV-Senioren erklären.

Martine Deprez: Ja, aber wenn im Gesetz steht, dass es so laufen soll, dann läuft das so. Der Gesetzgeber hat das so entschieden.

D'Land: Warum haben Sie - und die Regierung - mit politischen Aussagen zu den Renten nicht bis nach den Sozialwahlen oder nach den Europawahlen im Juni gewartet? Die anschließend nächsten Wahlen sind erst 2028.

Martine Deprez: Wer etwas unternehmen will, muss die Karten auf den Tisch legen. Ich bin keine, die wartet, weil der eine oder andere lieber noch nicht diskutieren möchte. Die Renten sind mein schwierigstes Dossier. Warte ich, um damit herauszukommen, nehmen die Schwierigkeiten für mich nur noch zu.

D'Land: Und wenn es zu einem Konflikt kommt, ist das strategisch sogar gut für Sie? Dann können Sie Ihre Lösung politisch als einzig gangbaren Mittelweg verkaufen.

Martine Deprez: Ich habe keinen Konflikt ausgelöst. Am 6. Dezember habe ich im Kammerausschuss das System in seiner Komplexität zu erklären versucht. Andere haben ein Element davon herausgenommen, um schon nach der ersten Ausschusssitzung einen Konflikt zu erzeugen. In den letzten Wochen aber habe ich keinen Konflikt mehr gespürt. Und ich muss sagen: Die Feedbacks, die ich bekommen habe, von Freunden, Bekannten und früheren Arbeitskollegen, sind eher positiv. Da wird verstanden, dass es nötig ist, das Problem ganzheitlich anzufassen und alle Seiten an der Suche nach einer Lösung zu beteiligen.

D'Land: Im Moment sollen die älteren Aktiven angereizt werden, länger zu arbeiten und Beiträge zu entrichten. Einerseits über Rentenzuschläge, die 2002 am Rentendësch abgemacht wurden. Andererseits über die "Pension à la carte", wie Mars Di Bartolomeo seinen Ansatz von 2012 nannte: Wer seine Rente nicht gekürzt sehen will, muss drei Jahre länger arbeiten. Funktionieren die Anreize?

Martine Deprez: Dazu habe ich noch keine genauen Statistiken, dazu müssen wir auf Mikrodaten zurückgreifen. Im Schulwesen, wo ich gearbeitet habe, funktioniert es nicht gut. Da verzichten die Leute eher auf ein paar hundert Euro und gehen früher in Pension, als noch ein paar Jahre länger zu arbeiten. Dabei ist der Lehrerberuf keiner, der schwere körperliche Einsätze verlangt. Er ist oft ein komplizierter Beruf, den man vielleicht im Alter weniger gut verträgt, aber keiner, der unter "critères de pénibilité" fallen würde. Dagegen arbeiten noch immer Menschen in körperlich anstrengenden Berufen oder unter viel Stress. Ob sie freiwillig drei Jahre länger arbeiten würden, um monatlich 200 oder 300 Euro mehr in der Rente zu haben, bin ich mir nicht sicher.

D'Land: Könnte es sein, dass unser System ein Gerechtigkeitsproblem insofern hat, dass Menschen, die weniger verdienen, statistisch gesehen früher sterben? Sodass ihnen weniger Zeit bleibt, ihre Rente zu genießen, und sie letzten Endes die Renten von Besserverdienenden subventionieren, die länger leben?

Martine Deprez: Solche Diskussionen sind gefährlich. Ich verweise lieber darauf, dass wir ein System haben, das Ungerechtigkeiten, die es im aktiven Berufsleben gab, im inaktiven Leben weiterbestehen lässt. Daher kommt meine Idee, den pauschalen Anteil an den Renten stärker zu gewichten, sodass sich mehr Gleichbehandlung über alle Rentner ergibt.

D'Land: Man könnte auch anführen, dass mit 57 eine Frührente antreten kann, wer 40 Jahre lang Beiträge gezahlt hat. Das ist im Vergleich zu vielen anderen OECD-Ländern früh und soll Belastungen aus "travaux pénibles" vermutlich Rechnung tragen.

Martine Deprez: Genau das war die Idee hinter der Einführung der Frührente mit 57.

D'Land: Und das würden Sie auch nicht ändern wollen?

Martine Deprez: Ich wüsste nicht, weshalb. Diese Menschen haben 40 Jahre lang Beiträge entrichtet, in Berufen, in denen sie wahrscheinlich ab 17 körperlich schwer gearbeitet haben. Natürlich hängt es im Alter auch von der individuellen Konstitution ab, ob man noch mit 80 von seiner Rente profitiert. Aber wer 40 Jahre für die Gesellschaft da war, hat es, denke ich, verdient, in Rente gehen zu dürfen. Zu dürfen - wir zwingen ja keinen. Wer länger arbeiten möchte, kann das tun und erhöht damit die spätere Rente noch.

D'Land: Eigentlich könnte man ja sogar sagen: Du musst bis 65 arbeiten!

Martine Deprez: Das ist unser gesetzliches Renteneintrittsalter. Internationale Statistiken weisen immer wieder darauf hin, dass der tatsächliche Renteneintritt eher bei 60 liegt. Betrachten wir Invalidenrentner mit, sind wir bei 54 bis 55.

D'Land: Eine Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters fassen Sie nicht ins Auge?

Martine Deprez: Ich denke, dass wir das nicht brauchen. Unser System ist angemessen, was das angeht.

D'Land: Die OECD hob vor vier Wochen in ihrem Rentenbericht 2023 hervor, nur in Kolumbien, Slowenien und Luxemburg könne ein heute 22-Jähriger bei unveränderter Politik nach 40 Jahren in Rente gehen, also mit 62. Dagegen in Schweden, Dänemark oder Holland erst mit 70 oder noch später. Das ist ein beträchtlicher Unterschied. Dabei sind Dänemark und Schweden nicht gerade Länder ohne sozialstaatliche Tradition.

Martine Deprez: Das ist kulturell so gewachsen. Ich weiß nicht, welche Reaktionen es gäbe, wenn ich morgen erklären würde, wir heben das legale Rentenalter von 65 auf 68 an. Denn es ist ja das, was ich sagen müsste. Ich könnte sagen, Frührente gibt es erst mit 60 und nicht schon ab 57. Doch dann sind wir wieder bei den "travaux pénibles". Oder wir sagen, wir erkennen für die vorgezogene Altersrente mit 60 die Ersatzzeiten nicht mehr so an wie derzeit, sondern erst mit 62. Aber die Auswirkungen auf die Ausgaben der Kasse wären wahrscheinlich klein. Wirkung entfalten würden sie nach 40 Jahren, die einer vollen Beitragskarriere entsprechen.

D'Land: Warum schließt die Regierung Beitragserhöhungen aus, falls in der Rentenkasse das Geld knapp wird?

Martine Deprez: Ich schließe sie nicht aus und in der Regierung wurde darüber noch nicht gesprochen. Manche Leute stellen es draußen so dar, als hätte jemand sie ausgeschlossen.

D'Land: So macht es ja auch jeder Privatversicherer: Reicht das Geld nicht zur Finanzierung der Leistungen an seine Solidargemeinschaft, werden die Prämien teurer. Die Beitragszahler in die umlagefinanzierte Rente sind eine Solidargemeinschaft par excellence.

Martine Deprez: Aber der Privatversicherer hat Kunden, die mit ihm freiwillig einen Vertrag abgeschlossen haben. Die öffentliche Rentenversicherung ist Pflicht, also muss die Gesellschaft sich darüber verständigen, welche Maßnahmen zur Absicherung des Systems von der gesamten Gesellschaft akzeptiert werden. Vielleicht kann eine Beitragserhöhung am Ende Teil eines größeren Kompromisses sein, deshalb schließe ich sie nicht aus. Aber ich bin mir nicht sicher, ob die jüngeren Aktiven um ein bis zwei Prozentpunkte erhöhte Beiträge akzeptieren würden, wohlwissend, dass das System dann vielleicht noch immer nicht auf gesunden Füßen steht.

D'Land: Sie meinen, es verspricht zu hohe Leistungen.

Martine Deprez: Nicht unbedingt. Ich stelle fest: Unser System überträgt aktuell Ungleichheiten aus der aktiven Laufbahn automatisch in den Ruhestand. Und es baut auf permanentem Wachstum auf. Vor allem dies erkennt man aus den letzten IGSS-Berichten: Wir brauchen permanentes Beschäftigungswachstum zur Finanzierung des Systems. Schon 1999 berechnete die IGSS, dass langfristig 50 Prozent von dem, was die Leute erschaffen haben, integral heranzuziehen wäre, um Renten zu bezahlen. 50 Prozent — bei einem Beitragssatz von 24 Prozent. Dieses Geld geht der Wirtschaft verloren. Die Mechanismen, die 2012 eingeführt wurden, erlauben es, in der Gegend von 35 Prozent zu bleiben. Doch das ist immer noch mehr als ein Drittel der Lohnmasse, auf die Beiträge erhoben werden. Hinzu kommt, dass der Anteil der Renten wächst, die wir in andere Staaten exportieren. Wie sich diese Transfers auf die Wirtschaftslage bei uns und in der Großregion auswirken werden, wissen wir nicht. Das sind jetzt die Jahrgänge 1985 bis 1988, als das Phänomen des Anstiegs der Grenzpendler einsetzte, die nun zwischen 2025 und 2027 in Pension gehen, mit den ersten wirklich vollständigen Beitragskarrieren hier im Land.

D'Land: Premier Luc Frieden hat angedeutet, dass die Staatsschuld 30 BIP-Prozent überschreiten könnte. Wie wichtig das "Triple A" ist, hat er auch gesagt. Sind die Überlegungen zu den Renten auch Teil eines Ansatzes, um den Rating-Agenturen zu verstehen zu geben: Mag die Staatsschuld Luxemburgs höher werden, unternimmt die Regierung etwas, um die implizite Staatsschuld aus den langfristigen Rentenausgaben im Griff zu behalten?

Martine Deprez: Das wurde schon 2012 mitdiskutiert, das kann man in den parlamentarischen Dokumenten zur Rentenreform lesen. Luc Frieden war als Finanzminister dabei, bereits damals ging es ums "Triple A" in Beziehung zu Staatsschuld und impliziter Schuld. Ich denke nicht, dass diese Einstellung sich grundsätzlich geändert hat.

D'Land: Wann möchten Sie neue Regeln in Kraft haben, und wann sollen die bilateralen Gespräche beginnen?

Martine Deprez: Die Gespräche werden im Frühjahr starten. Zuerst werden wir gemeinsam den Ist-Zustand diskutieren und aus den jeweiligen Analysen die weitergehende Route festlegen. Einen Termin für eventuelle "neue" Regeln können wir dann frühestens nach diesen Arbeiten angeben. 

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