Interview mit Luc Frieden im Luxemburger Wort

"Die Arbeit beginnt erst jetzt"

Interview: Luxemburger Wort (Michel Merten)

Luxemburger Wort: Luc Frieden, wie war Ihr persönlicher Eindruck von dieser Konferenz?

Luc Frieden: Die Konferenz war beeindruckend für mich. Aus zwei Gründen. Erstens, weil wir über Krieg gesprochen haben, was ein bewegendes Thema ist. Und zweitens, weil zum ersten Mal so viele Staaten aus allen Kontinenten sich mit diesem Thema Ukraine abgegeben haben. Bislang war es immer ein europäisches Thema, zum Teil auch noch mit Amerika. Aber diesmal waren dabei Afrikaner, Lateinamerikaner, Asiaten, Araber. Diese internationale Dimension hat mich sehr beeindruckt.

Luxemburger Wort: Verändert das den Diskurs, wenn diese Länder mit an Bord sind?

Luc Frieden: Ich glaube sehr. Einerseits ist es die Anerkennung des internationalen Rechts: Kein Land kann die Grenzen eines anderen Landes durch Gewalt verändern. Und zweitens sendet es eine starke Botschaft an Russland, an China und andere, dass hier 100 ganz unterschiedliche Staaten die gleiche Meinung haben: Dass ein freies und friedliches Zusammenleben nur möglich ist, wenn wir eine Welt haben, die auf dem internationalen Recht aufgebaut ist. Und das ist auch für mich als Luxemburger eine der Hauptursachen, weshalb ich hier bin. Internationales Recht ist auch der Garant für kleine Länder wie Luxemburg. Diese Prinzipien, die kann man nicht einfach so aufgeben. Das wäre das Ende der Welt, die wir nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut haben und von der wir jeden Tag in Frieden und Freiheit profitieren.

Luxemburger Wort: Welchen Einfluss hat ein kleines Land wie Luxemburg bei so einer Konferenz? Und welche Rolle spielen die bilateralen Gespräche am Rande?

Luc Frieden: Jedes Land hat bei Grundprinzipien die gleiche Rolle. Es geht darum, möglichst viele Staaten dabei zu haben. Das verstärkt die Botschaft. Präsident Selenskyj sowie die schweizerische Präsidentin haben mir mehrmals gesagt, dass es sehr wichtig ist, dass wir alle dabei sind. Es genügt nicht, dass die drei, vier Großen etwas sagen, sondern wenn 90, davon viele kleine und mittlere Staaten mit dabei sind, dann verstärkt es das, was wir hier gemeinsam wollen: Einen gerechten und dauerhaften Frieden, der auf der Basis des internationalen Rechtes aufgebaut wird.

Luxemburger Wort: Wie kann man sich das vorstellen: Haben sich Ihre Gespräche am Rande zufällig ergeben, oder sind die schon länger vorbereitet worden?

Luc Frieden: Beides. Wir haben natürlich unter europäischen Staats- und Regierungschefs über dieses Thema in den acht Monaten, wo ich dabei bin, aber auch vorher schon sehr viel gesprochen.

Aber am Rande finden viele spontane und organisierte Begegnungen statt, die einem erlauben, ein Stück weiterzukommen. Das ist die Stärke dieser Gipfeltreffen. Wichtig ist, dass wir uns zusammen sehen, dass wir zusammen reden. Ich glaube schon, dass diese informellen Gespräche einen sehr großen diplomatischen Nachhalleffekt haben werden.

Luxemburger Wort: Dennoch haben sehr große Staaten wie Südafrika und Indien die Erklärung nicht unterzeichnet. Können die in den kommenden Monaten noch überzeugt werden?

Luc Frieden: Ich glaube schon, dass diese Staaten die Zeitungen lesen werden. Und die werden sehen, dass 100 Staaten sich auf einige Grundprinzipien geeinigt haben.

Das gab es nie in der Vergangenheit. Da muss man sich schon fragen: Wieso bin ich nicht dabei? Deshalb glaube ich, dass diese Konferenz einen positiven Effekt auf andere haben wird. Aber die Arbeit beginnt erst jetzt. Es ist ein Weg zum Frieden. Zu diesem Weg gehört natürlich einerseits Russland, was diese Prinzipien respektieren muss, damit es zu einem Gespräch kommen kann. Dazugehören aber auch andere wichtige Staaten wie China, die in der Weltpolitik eine Rolle spielen und die sich diese Konferenz sehr gut angeschaut haben.

Luxemburger Wort: Es wurde viel spekuliert über die Rolle der Saudis, denen eine entscheidende Rolle zukommen könnte...

Luc Frieden: Ich glaube, generell war es ein wichtiges Element dieser Konferenz, dass mehrere arabische Staaten teilgenommen haben - zu einem Zeitpunkt, wo gerade in der arabischen Welt sehr viel los ist. Und dass diese Staaten gesagt haben, auch was bei euch geschieht, ist uns nicht gleich.

Luxemburger Wort: Die Wiederwahl von Joe Biden steht unter großen Fragezeichen. Unter einem Präsidenten Trump, der gute Beziehungen zu Putin hat, besteht das Risiko, dass die Ukraine ihren wichtigsten Verbündeten verliert. Sind die Europäer auf solch ein Szenario vorbereitet?

Luc Frieden: Es gehört zum politischen Leadership, dass man sich auf alle Szenarien vorbereitet. Ich hatte gestern ein kurzes Gespräch mit der amerikanischen Vizepräsidentin Kamala Harris. Ihre Präsenz hier war ein sehr starkes Zeichen der Biden-Administration. Ich bin froh, dass der gegenwärtige Präsident und die Vizepräsidentin sehr wohl die internationale Dimension dieses Krieges sehen. Und ich hoffe, dass Amerika auch nach den Wahlen an der Seite Europas stehen wird.

Denn es geht hier um Europa, aber es geht auch um die Friedensordnung in der Welt von morgen. Und ich glaube, dass da die Demokratien dieser Welt eine Wertegemeinschaft bilden, die mir sehr am Herzen liegt. Ich werde als luxemburgischer Regierungschef alles tun, um diese transatlantische Achse der demokratischen Werte auch in der Zukunft zu stärken.

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