Interview mit Yuriko Backes im Luxemburger Wort

"Diskussion über die Wehrpflicht wird kommen"

Interview: Luxemburger Wort (Jan Kreller)

Luxemburger Wort: Yuriko Backes, Sie sind seit rund einem dreiviertel Jahr Verteidigungsministerin. Haben Sie sich gut ins Amt eingefunden?

Yuriko Backes: Ich musste mich natürlich in das Thema Verteidigung einarbeiten. Das ist jedoch nicht das einzige Ministerium, dem ich vorstehe. Ich bin daneben um bessere Mobilitätbemüht, kümmere mich um öffentliche Bauten und bin zuständig für die Gendergleichstellung und Diversität. Das waren ohne Zweifel sieben intensive Monate, aber ich denke, ich habe mich gut eingefunden.

Luxemburger Wort: In Deutschland wird über die Reaktivierung der Wehrpflicht diskutiert. Wann kommt die Wehrpflicht für Luxemburg?

Yuriko Backes: Die Wehrpflicht ist in Luxemburg 1967 abgeschafft worden. Ich habe gemäß Koalitionsvertrag auch keinen Auftrag, die Wehrpflicht wieder einzuführen. Ich werde mich jetzt darauf konzentrieren, unsere Armee so gut wie möglich für die Zukunft aufzustellen. Ich glaube aber schon, dass es - genauso wie in anderen europäischen Ländern - eine Diskussion darum geben wird.

Luxemburger Wort: Lange Zeit galt die Armee als Sprungbrett für Menschen mit holpriger Bildungskarriere oder für Sportsoldaten. Ist diese Sichtweise noch haltbar?

Yuriko Backes: Der Stellenwert von Soldatinnen und Soldaten muss ein ganz anderer sein. Das ist für mich ein sehr nobler Beruf, denn es geht um nicht weniger als die Verteidigung unseres Landes und unserer Freiheit. Das ist essenziell. Das heißt aber nicht, dass die Rekrutierung einfach ist. Darum arbeiten wir daran, der Armee den Stellenwert in unserer Gesellschaft zu geben, den sie verdient. Gleichzeitig wollen wir sie attraktiver machen. Wir investieren massiv in die Verbesserung der Infrastruktur, haben zwei neue Karrierewege und viele neue Berufe, vor allem in hoch technologisierten Bereichen, die es früher so nicht in einer Armee gab.

Luxemburger Wort: In der Roadmap zum Zwei-Prozent-Ziel ist die Rede vom Ausbau des Cyber-Sektors. Wie wollen Sie hochspezialisierte Experten für diesen Bereich gewinnen?

Yuriko Backes: Ich glaube, wir ziehen in Luxemburgschon jetzt viele Talente an. Cyber ist für uns kein neues Thema. Im Zuge der Erfüllung des Zwei-Prozent-Zieles, das Investitionen in diese Sparte erfordert, benötigen wir die richtigen Talente und ich bin davonüberzeugt, dass wir diese finden werden.

Luxemburger Wort: US-Präsident Barack Obama hatte bereits 2014 (NATO-Gipfel von Wales) deutlich gemacht, dass die NATO-Mitgliedstaaten zwei Prozent ihres BIP für Verteidigung ausgeben müssen. Wieso hat man diese Forderung hierzulande so lange nicht ernst genommen?

Yuriko Backes: Seit Jahren haben wir von der sogenannten Friedensdividende gelebt. Es ist schade, dass wir das Geld heute in diesem Umfang in unsere Verteidigung investieren müssen und nicht besser für beispielsweise nationale Infrastrukturen ausgeben können. Jetzt haben wir aber spätestens mit der großangelegten Invasion Russlands in die Ukraine einen völligen Paradigmenwechsel. Luxemburg, aber auch andere Länder, hat jahrzehntelang nicht genug in seine Verteidigung investiert. Seit 2014 hat sich unser Verteidigungsbudget allerdings verdreifacht. Bis 2030 werden wir die Ausgaben noch einmal verdoppeln. Beim NATO-Gipfel in Vilnius 2023 haben wir zugesagt, auf mindestens zwei Prozent des BNE zu kommen - und das werden wir auch. Dafür haben wir jetzt einen Plan aufgestellt, für den ich vom US-Verteidigungsminister Lloyd Austin 111. bereits positive Rückmeldung erhalten habe. Die Amerikaner haben wir damit überrascht.

Luxemburger Wort: Der jährliche Ausgabenzuwachs liegt im Schnitt bei über 100 Millionen Euro. Die Ausgaben orientieren sich also eher am Erreichen des NATO-Ziels, als an konkreten Projekten. Warum dieser technokratische Ansatz?

Yuriko Backes: Nein, wir orientieren uns selbstverständlich an konkreten Projekten. Man muss sich allerdings dafür einen finanziellen Rahmen geben. Darin enthalten sind noch nicht die Hilfen für die Ukraine, diese kommen hinzu. Natürlich müssen wir bei der Planung und bei der militärischen Hilfe für die Ukraine flexibel bleiben, auch vor dem Hintergrund, dass allen Alliierten im kommenden Jahr neue NATO-Anforderungen in puncto militärische Fähigkeiten zugeteilt werden. Bis 2028 ist die finanzielle Roadmap für die Armee ohnehin maßgeblich wegen der Gründung des binationalen Kampf-Aufklärungsbataillons gesetzt. Alle neu angekündigten Investitionen, die dem Erreichen des NATO-Zwei-Prozent-Zieles dienen, werden ab 2028 bis 2030 und darüber hinaus getätigt.

Luxemburger Wort: In einigen NATO-Staaten gibt es bereits Diskussionen um drei Prozent Verteidigungsausgaben als Minimum. Wie groß ist die Sorge, derartige Ausgabensteigerungen in Luxemburg sowohl politisch als auch gesellschaftlich nicht mehr vermitteln zu können?

Yuriko Backes: Ich verstehe sehr gut, dass insbesondere die Länder, die geografisch näher an Russland liegen, jetzt über drei Prozent diskutieren. Ich meine aber, wir machen jetzt erst einmal eines nach dem anderen. Luxemburg hat ein sehr hohes Bruttonationaleinkommen, was eine Anhebung der Quote folgenreich macht, insbesondere wenn wir gerade dabei sind, das aktuelle Mindestziel zu verkraften. Wir haben zudem keine Waffenindustrie, sodass unsere Ausgaben zu großen Teilen nicht im Land bleiben. Das ist ein wesentlicher Unterschied, den ich unterstreichen muss.

Luxemburger Wort: Luxemburg strebt an, diese Wortschöpfungen Land zu behalten. Wäre es folglich denkbar, in Luxemburg eine eigene, spezialisierte Rüstungsindustrie aufzubauen? Stichwort: Dual-Use...

Yuriko Backes: Investieren wir in größere Projekte, ist es unsere Aufgabe, darauf zu achten, dass der eine oder andere Luxemburger Betrieb davon profitieren kann. Ich habe eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die die Unternehmen in Luxemburg erfasst, die Projekte im Bereich Dual-Use umsetzen können. Außerdem fördern wir kleinere und mittlere Betriebe im Bereich Forschung und Entwicklung. Hierzu existiert eine EU-Vorgabe, wonach zwei Prozent des Verteidigungsbudgets in diesen Bereich investiert werden muss. Da liegt Luxemburg jetzt schon darüber. Mit der SES haben wir zudem einen großen internationalen Satellitenbetreiber in Luxemburg, dessen Kapazitäten wir als Teilunserer Verteidigungsanstrengungen zur Verfügung stellen.

Luxemburger Wort: In Luxemburg gibt es, bezogen auf die Aufrüstung der Armee, auch kritische Stimmen. Was entgegnen Sie Skeptikern?

Yuriko Backes: Dass die geopolitische Lage und der nahe Krieg in der Ukraine uns ebenso bedroht. Man darf nicht naiv sein und darauf bauen, dass wir von anderen verteidigt werden. Das System "Trittbrettfahrer" funktioniert nicht. Noch einmal: Ich würde das Geld auch lieber nehmen und in wunderbare Projekte in unserem Land investieren. Aber das ist nicht die Realität. Wir wollen ein solidarischer NATO-Partner sein und müssen daher investieren.

Luxemburger Wort: Luxemburg gehört innerhalb der NATO zu den kleineren Mitgliedstaaten. Wie wichtig ist selbstbewusstes Auftreten bei solchen bedeutenden Veranstaltungen wie dem anstehenden NATO-Gipfel in Washington?

Yuriko Backes: Wir brauchen uns wirklich nicht zu verstecken. Wir sind ein solidarischer Partner, zumal im Hinblick auf die Unterstützung der Ukraine. Wir erfüllen die drei "C" der NATO: Cash für zwei Prozent, Capabilities (Investitionen in Fähigkeiten) und Contributions (Auslandseinsätze). Wir haben 26 Soldaten in Rumänien und sechs Soldaten in Litauen stationiert, 2022 und 2023 haben wir 16 Prozent unseres Verteidigungshaushalts für die Ukrainehilfe ausgegeben. In diesem Jahr sind es mindestens 70 Millionen. Im kommenden Jahr wird diese Hilfe als separate unbegrenzte Haushaltslinie ausgegliedert, sodass sie von den Schwankungen des BNP unabhängig ist. Im Rahmen der sogenannten Ramstein-Kontaktgruppe sind wir außerdem Führungsnation zusammen mit Estland in der IT-Koalition, wir sind Teil der Artillerie-Koalition und der Air-Force-Koalition.

Luxemburger Wort: Luxemburg hat der Ukraine uneingeschränkte Unterstützung zugesichert. Wird das angesichts des nicht abzusehenden Endes des Krieges dabei bleiben?

Yuriko Backes: Absolut. Da sind wir auch nicht allein. Wir können uns nicht erlauben, dass die Ukraine den Krieg verliert. Europa kann es sich nicht erlauben, die NATO ebenso wenig. Es ist traurig zu sagen, dass jeder russische Panzer, der von der Ukraine abgeschossen wird, ein Panzer weniger ist, der auf Europa gerichtet werden kann.

Luxemburger Wort: Wie nehmen Sie den Krieg Russlands am Rande Europas wahr? Wie groß ist Ihre persönliche Sorge um eine Eskalation?

Yuriko Backes: Ich mache mir sehr große Sorgen, dass unsere Kinder einen Krieg sehen. Für die Menschen in Luxemburg ist der Krieg noch weit weg. Wir haben jedoch sehr viele ukrainische Frauen und Kinder aufgenommen, deren Männer respektive Väter an der Front sind und dort fallen. Wir dürfen nicht vergessen, dass Putin bei einem Sieg nicht in der Ukraine aufhört -und er ist nicht allein. Wir sind in einer volatilen geopolitischen Situation, für die wir uns aufstellen müssen. Deshalb ist der Invest in unsere Verteidigung wohl die beste Investition in unseren Frieden.

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