Interview im Lëtzebuerger Journal mit Léon Gloden

"Auch ein Minister ist nur ein Mensch"

Interview: Lëtzebuerger Journal (Pascal Steinwachs)

Lëtzebuerger Journal: Ein Innenminister wird ja oftmals als so eine Art Obersheriff bezeichnet. Würden wir uns im Wilden Westen befinden, so hätten Sie wahrscheinlich den Ruf eines richtig harten Hundes. Wer sich nicht an die Regeln hält, der spürt das Auge des Gesetzes: Die Ganoven werden ohne Fisimatenten hinter Schloss und Riegel gebracht, und Bettler*innen, die das Stadtbild stören, werden einfach hinter die Stadtgrenze verfrachtet.

Léon Gloden: Ich bin ja nicht Polizist, sondern Innenminister, und der hat eine Reihe von Kompetenzen. Dieser ist unter anderem für die Gemeinden und für die innere und zivile Sicherheit zuständig. Als Abgeordneter hatte ich mich ja auch schon mit den Bereichen Sicherheit und Polizei befasst, so dass Luc Frieden, der eine Person suchte, die sich mit den Gemeinden und dem Polizeiwesen auskennt, mir diese Bereiche übertrug. Einige Leute dachten ja, ich würde Justizminister werden. Die Sicherheit war eine der Wahlprioritäten der CSV. Diese Regierung ist nicht zuletzt auch deshalb gewählt worden, um neue Akzente in der Sicherheitspolitik zu setzen, und das tut sie auch. Als früherer Bürgermeister habe ich ein sehr gutes Verhältnis zur Polizei und kenne deren Probleme.

Lëtzebuerger Journal: Wären Sie in Wirklichkeit nicht doch lieber Justizminister geworden?

Léon Gloden: Die Ressortverteilung obliegt dem Premierminister. Ich habe mich gut eingelebt, und die Arbeit macht mir großen Spaß. Ich interessiere mich aber natürlich immer noch für das Justizwesen.

Lëtzebuerger Journal: Die ersten Monate der neuen Regierung waren jedenfalls ausschließlich vom Bettelverbot geprägt. Mit Ihrer Law-and-Order-Aktion haben Sie sogar Premier Frieden und seiner Anpassung der Steuertabelle die Show gestohlen. Es dürfte keinen Minister gegeben haben, über den zu Beginn der neuen Regierung mehr gesprochen und gestritten wurde als über Sie.

Léon Gloden: Zu diesem Thema ist alles gesagt und geschrieben worden. Noch einmal: Durch seine Kompetenzen steht der Innenminister im Fokus der Öffentlichkeit. Immer, wenn etwas in einer Gemeinde oder im Bereich der inneren und zivilen Sicherheit passiert, dann ist der Innenminister gefordert. Dessen muss man sich bewusst sein, und das macht den Job auch so interessant. Darüber habe ich zum Beispiel oft mit meiner deutschen Amtskollegin Nancy Faeser gesprochen, mit der ich übrigens ein sehr gutes Verhältnis pflege.

Lëtzebuerger Journal: Wobei Nancy Faeser mehr ankündigt als umsetzt …

Léon Gloden: Ich will mich jetzt nicht selbst loben, aber ich bin bekannt dafür, und das war ich auch als Bürgermeister, dass ich, wenn ich etwas sage, das dann auch mache. Es ist vielleicht nicht immer jeder mit allem einverstanden, aber in der Politik muss man handeln. Wir wurden gewählt, um die Entscheidungen zu treffen, die im Koalitionsabkommen festgehalten sind.

Lëtzebuerger Journal: Hat Ihnen Regierungs- und Parteichef Frieden trotzdem nicht hinter verschlossenen Türen die Ohren lang gezogen?

Léon Gloden: Ich kann nur feststellen, dass sich die Situation in Bezug auf das aggressive Betteln in der Hauptstadt wesentlich verbessert hat. Viele Leute sagen mir, dass sie sich jetzt wieder trauen würden, zusammen mit ihren Kindern in die Stadt zu kommen. Es war ja auch nicht meine Entscheidung, sondern ein Entscheid der Stadt Luxemburg. Einer meiner Mitarbeiter hatte mich auf das anhängige Gerichtsverfahren aufmerksam gemacht.

Lëtzebuerger Journal: Warum eigentlich?

Léon Gloden: Die Ablehnung des Bettelverbots durch Taina Bofferding beruhte darauf, dass keine richtigen Beweise vorlagen, dass die Bettelei die öffentliche Ordnung in der Hauptstadt störe. In ihrem Einspruch legte die Stadt Luxemburg dann eine ganze Reihe an schriftlichen Beschwerden und Klagen vor, die von Taten zeugen, die von bettelnden Personen begangen wurden. Hierauf traf ich die Entscheidung, das Bettelverbot, wie von der Stadt Luxemburg gefordert, zu genehmigen. Dieses betrifft die „Mendicité organisé ou en bande", die "Mendicité simple" wird hingegen aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Das entsprechende Gesetzesprojekt befindet sich auf dem Instanzenweg, ebenso wie ein Gesetzentwurf zur verschärften Anwendung eines Platzverweises. Die Leute wollen mehr Sicherheit, und das setzen wir um. Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt.

Lëtzebuerger Journal: Warum haben Sie nicht wenigstens Weihnachten abgewartet, anstatt das Bettelverbot trotz all der juristischen Zweifel und einem wirklich scharfen Gegenwind umgehend durchzusetzen? Ihr politisches Gespür scheint Sie hier trotz Ihrer langjährigen politischen Erfahrung im Stich gelassen zu haben. Man könnte fast glauben, die CSV wäre noch nie zuvor in Regierungsverantwortung gewesen.

Léon Gloden: Das Ganze war mit dem Premierminister abgesprochen, aber natürlich habe ich mir diese Frage auch gestellt.

Lëtzebuerger Journal: Und?

Léon Gloden: Das wird jetzt leider ein bisschen technisch. Also: Der Einspruch der Stadt Luxemburg wurde im Sommer des letzten Jahres eingereicht, und wenn etwas während der Ferienzeit bei den Verwaltungsgerichten eingereicht wird, dann wird die Frist bis zum 15. September ausgesetzt. Und da man drei Monate Zeit für die Klagebeantwortung hat, musste ich bis zum 15. Dezember reagieren. Ich hatte also keine andere Wahl. Man hätte die Sache vielleicht anders kommunizieren können, aber es ist nun mal gelaufen, wie es gelaufen ist. Was nun aber den Sachverhalt anbelangt, so würde ich noch einmal die gleiche Entscheidung treffen. Die Situation in Sachen Bettelei hat sich bedeutend verbessert, und das sagt mir auch eine Mehrheit der Leute, sogar diejenigen, die mich sonst nicht gut finden.

Lëtzebuerger Journal: In einem Interview mit dem soziokulturellen Radio behaupteten Sie dann aber auch noch, dass es Beweise gäbe, dass große deutsche Limousinen mit belgischen Autokennzeichen Menschen in Luxemburg-Stadt herauslassen würden, um zu betteln. Beweise, die Sie natürlich nicht hatten. Warum sagen Sie so was? Haben Sie in Ihrem Ministerium eigentlich keine Berater*innen?

Léon Gloden: Auch ein Minister ist nur ein Mensch, wobei ich während all dieser Zeit einem unglaublichen Druck ausgesetzt war.

Lëtzebuerger Journal: Dass Sie sich dann auch noch mit der Kulturszene angelegt haben, nachdem die Mauer um Ihr Haus mit Graffiti besprüht (Nee zum Heescheverbued) und die Reifen Ihres Sohnes zerstochen wurden, zeugt nicht gerade von politischem Gespür. So warfen Sie öffentlich die Frage auf, ob das Künstlermilieu und Leute wie Serge Tonnar, die sich gegen das Bettelverbot ausgesprochen hatten, nicht am Ursprung dieser inakzeptablen Aktion gegen Ihre Familie stehen würden.

Léon Gloden: Ich wurde gefragt, ob ich glauben würde, dass der öffentliche Druck hier eine Rolle gespielt habe. Heute würde ich mich nicht mehr so ausdrücken.

Lëtzebuerger Journal: Sie scheinen auf jeden Fall ein dickes Fell zu haben. Hatten Sie nicht trotzdem manchmal Lust, angesichts all der Kritik alles hinzuschmeißen, zumal Sie ja in Ihrer Zeit als Abgeordneter und Anwalt als Topverdiener unter den Politiker*innen gegolten haben, das Finanzielle für Sie also keine Rolle spielen dürfte.

Léon Gloden: Dieser Gedanke ist mir nie gekommen, auch wenn meine Frau mich manchmal gefragt hat, ob wir das wirklich nötig hätten. Für mich stand jedoch zu keinem Moment zur Debatte, zu resignieren. Das war auch in der Regierung kein Thema.

Lëtzebuerger Journal: Hat das Bettelverbot denn in Ihren Augen wenigstens was gebracht? Verstöße gegen das Verbot gab es ja bislang nur eine Handvoll, was all den Aufwand ja wohl nicht rechtfertigt.

Léon Gloden: Ich wiederhole mich, aber die Situation hat sich wesentlich verbessert. Die aggressive Bettelei ist weitgehend aus dem Stadtbild verschwunden.

Lëtzebuerger Journal: Seit Mitte des Jahres patrouillieren auch mehr Polizist*innen durch die Hauptstadt und durch Esch/Alzette. Gibt es hier tatsächlich eine Kriminalität, die derartige Maßnahmen erfordert, oder wollen Sie einfach nur das Wahlvolk beruhigen oder vielleicht sogar rechter als die adr sein?

Léon Gloden: Als Innenminister bin ich zuständig für die Sicherheit in diesem Land. Wir haben festgestellt, und hierzu gibt es einen Bericht der Generalinspektion der Polizei, dass die Prävention nur 20 Prozent der Polizeiarbeit ausmacht. Desto mehr Zeit man aber der Prävention widmet, desto weniger Repression braucht es. Im Alltag waren bislang jedoch nicht genug Polizisten "um Terrain" präsent. Auch die lokale Polizei war ein Wahlversprechen der CSV, das in den Koalitionsvertrag Eingang fand, und das jetzt mit den beiden Pilotprojekten in der Hauptstadt und in Esch dabei ist, umgesetzt zu werden. Die großen Volksparteien müssen sich dieser Thematik annehmen und die Bevölkerung ernst nehmen, und das gilt auch für die Immigration, ansonsten es uns hier in Luxemburg eines Tages wie in Deutschland geht, wo 30 Prozent AfD wählen. Auch will ich darauf hinweisen, dass ich in meiner Zeit als Abgeordneter die adr bei entsprechenden Debatten immer in ihre Schranken verwiesen habe, mir also keiner vorwerfen kann, ich würde adr- oder AfD-Politik machen.

Lëtzebuerger Journal: Apropos Polizei: Der frühere Polizeigewerkschafter Pascal Ricquier, der bei den Parlamentswahlen für die CSV angetreten ist, jedoch nicht gewählt wurde, soll ihretwegen aus der CSV ausgetreten sein. Angeblich wurde ihm ein Beraterjob versprochen, aus dem dann ihretwegen nichts wurde. Wollen Sie hierzu was sagen?

Léon Gloden: Von mir bekam der Mann jedenfalls keinen Posten versprochen.

Lëtzebuerger Journal: Islamistische Anschläge wie im Ausland hat es in Luxemburg zum Glück noch nicht gegeben. Wie schätzen Sie die Gefahr ein, dass so was auch hierzulande möglich ist?

Léon Gloden: Was in Deutschland in Solingen passiert ist, ist wirklich schlimm und ein Angriff auf unsere demokratischen Werte. Das müssen aber nicht immer Islamisten sein. Man braucht hier viel Fingerspitzengefühl. Ich habe von Anfang an gesagt, dass wir eine verantwortungsvolle Immigrationspolitik machen. Das heißt, dass diejenigen, die eine Aussicht haben, den Flüchtlingsstatus zu bekommen, aufgenommen werden und nach ihnen geschaut wird, dass sie sich integrieren können, derweil die anderen, die keine Aussicht auf den Schutzstatus haben, so schnell wie möglich abgewiesen werden. Aus diesem Grund wurde jetzt vor einigen Tagen eine neue Struktur eröffnet, die "Maison de Retour", die die Rückführung der Menschen erleichtern soll, deren Asylantrag abgelehnt wurde.

Lëtzebuerger Journal: Entgegen unseren deutschen Nachbarn, die nach dem Messerattentat von Solingen nun deutlich schärfere Maßnahmen anvisieren, plädieren Sie für eine europäische, auf Solidarität aufbauende Lösung.

Léon Gloden: Ich will an dieser Stelle mit aller Deutlichkeit sagen, dass wir nicht jeden aufnehmen können. Als kleines Land sind wir auf unsere europäischen Partner angewiesen. Wir arbeiten daran, die Zusammenarbeit mit den anderen Ländern noch zu verbessern, zum Beispiel was die Rückführungen anbelangt. Was nun die Diskussion um die sicheren Herkunftsländer anbelangt, so habe ich immer gesagt, dass hier nur eine europäische Lösung möglich ist. Es kann nicht sein, dass beispielsweise Deutschland sagt, dieses Land ist sicher, und ein anderes Land nicht. Möglich wäre auch, in großen Ländern wie Syrien einzelne Regionen als sicher zu bezeichnen.

Lëtzebuerger Journal: Und was sagen Sie zu der Forderung der adr-Jugendorganisation, bei den Kriminalitätsstatistiken in Zukunft auch die Nationalität der Straftäter*innen zu verraten?

Léon Gloden: Das ist blanker Populismus.

Lëtzebuerger Journal: Bleiben wir bei Deutschland. Die deutsche Regierung plant, die Grenzkontrollen trotz Schengen-Abkommens zu verlängern. Dass Berlin egal ist, was der kleine Nachbar hierzu sagt, wurde ja auch schon während der Corona-Pandemie deutlich, als die Grenzen ganz geschlossen wurden, und zuletzt während der Fußball-EM, als die Pendler*innen angesichts der Grenzkontrollen tagtäglich lange Staus in Kauf nehmen mussten. Was kann Luxemburg hier ausrichten?

Léon Gloden: Schengen liegt in Luxemburg. Als Regierung drängen wir immer auf die Einhaltung der Schengener Verträge, das heißt eine strenge Kontrolle der EU-Außengrenzen und keine Kontrollen an den innereuropäischen Grenzen. Als Bürgermeister einer Grenzortschaft wie Grevenmacher habe ich während der Pandemie schlimme Situationen gesehen. So etwas will ich nicht mehr erleben. Anlässlich der Grenzkontrollen während der Fußball-Europameisterschaft habe ich bei Nancy Faeser interveniert, und diese hat ja auch reagiert. Wir können und wir dürfen die Grenzen hier in der Großregion, im Herzen Europas, nicht schließen.

Lëtzebuerger Journal: In einem früheren Interview brüsteten Sie sich damit, mindestens 80 Stunden pro Woche zu arbeiten. An Selbstbewusstsein fehlt es Ihnen definitiv nicht. Wie sieht denn jetzt so eine Woche als Minister aus? Einem Werbevideo über Ihre Arbeit zufolge scheinen Sie ja einen Großteil Ihrer Zeit in Ihrer Regierungslimousine zu verbringen.

Léon Gloden: Vor meiner Zeit als Minister hatte ich drei Berufe, und zwar Abgeordneter, Bürgermeister und Anwalt, und ich habe immer gerne und viel gearbeitet. Minister ist man jedoch auch dann noch, wenn man abends ins Bett geht. Ich scheue keine Herausforderung. Hier im Ministerium ist immer Rock'n'Roll.

Lëtzebuerger Journal: Und das Video? War das eigentlich Ihre Idee? Wollten Sie damit etwas Besonderes bezwecken, oder wollten Sie vielleicht einfach nur auf den Spuren Ihrer Vorgängerin im Innenministerium wandeln, die ja ebenfalls eine gewisse Vorliebe für Eigenwerbung auf Social Media hatte?

Léon Gloden: Ich habe mir nichts Schlimmes dabei gedacht, und das tue ich immer noch nicht. Das Video, das von einem meiner Mitarbeiter gedreht wurde, kam zustande, weil mich viele Menschen gefragt haben, wie denn mein Ministeralltag aussieht. Den meisten Leuten hat mein Video gefallen. Einige wenige waren hingegen der Meinung, sie müssten hieraus eine Affäre machen.

Lëtzebuerger Journal: Wie fällt Ihr Fazit nach zehn Monaten im Amt aus?

Léon Gloden: Die Regierung macht das, was sie versprochen hat. Als Innenminister habe ich bereits eine ganze Reihe von Sachen umgesetzt. Es bleibt aber noch viel zu tun, und daran arbeite ich.

Lëtzebuerger Journal: Und was erwartet uns in den nächsten Monaten?

Léon Gloden: Der Platzverweis 2.0 befindet sich auf dem Instanzenweg. Der Fokus liegt in den kommenden Monaten darauf, noch mehr Polizeibeamte zu bekommen und deren Ausrüstung zu verbessern. Vor allem aber liegt der Fokus auch in der administrativen Vereinfachung. Wir arbeiten auch an einem verbesserten Informationsaustausch der Daten zwischen den Verwaltungen sowie ganz intensiv am Dossier der Gemeindefinanzen.

Lëtzebuerger Journal: Trotz Ihres hohen Arbeitspensums bleibt Ihnen aber immer noch Zeit, den Weinfesten an der Mosel beizuwohnen, wie wir Ihrer Social-Media-Präsenz entnehmen.

Léon Gloden: Mein Vater kommt aus einer Winzerfamilie. Ich war zehn Jahre lang Präsident des Festkomitees der Luxemburger Weinkönigin. Meine Schwester war auch schon Weinkönigin, derweil meine Tochter in diesem Jahr Weinprinzessin ist, worauf ich natürlich besonders stolz bin.

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