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Interview mit Serge Wilmes im Lëtzebuerger Journal "Das Glas ist halbvoll"
Interview: Lëtzebuerger Journal (Christian Block, Lex Kleren)
Lëtzebuerger Journal: Herr Wilmes, Sie sind vor etwas mehr als einem Jahr zum ersten Mal zu Ministerehren gekommen. Wie haben Sie das erste Jahr erlebt? Sind Sie nach wie vor motiviert?
Serge Wilmes: Ich denke, es war ja nicht die erste Exekutiv-Erfahrung. Ich war zuvor sechs Jahre lang erster Schöffe der Stadt Luxemburg. In dieser Funktion hatte ich auch schon mit den Themen zu tun, für die ich jetzt als Minister zuständig bin. Unter anderem war ich für die Parks und Grünflächen sowie insgesamt den Urbanismus in der Hauptstadt mitverantwortlich. In der zweiten Mandatsperiode, die für mich zwar nur ein paar Monate gedauert hat, war ich Umweltschöffe, wobei ich natürlich nicht dachte, dass ich vom Umweltschöffen zum Umweltminister benannt werden würde. Eine gute Vorbereitung war es trotzdem. Eine Gemeinde ist natürlich ein begrenztes Territorium, auch wenn es sich um die größte Gemeinde mit den größten Herausforderungen handelt. Der Unterschied besteht darin, dass es jetzt auf lokaler Ebene alle Gemeinden im Land sind, plus die nationale Ebene, die europäische Ebene und die globale Ebene. Das ist natürlich eine ganz andere Herausforderung.
Lëtzebuerger Journal: Sie waren im vergangenen Jahr, wie das bei einem Amtsantritt üblich ist, viel unterwegs. Wie oft mussten Sie bei diesen Gelegenheiten die Aussage von Premierminister Luc Frieden erklären, für eine Umwelt- und Klimapolitik einstehen zu wollen, die "begeistert und nicht nervt"?
Serge Wilmes: So gut wie gar nicht. Weil ich glaube, dass diese Aussage intuitiv von den meisten Mitbürgern verstanden wurde. Ich möchte nicht auf andere Parteien zu sprechen kommen; ich konzentriere mich auf meine eigene Arbeit. Aber die Wahlresultate haben eine klare Sprache gesprochen. Und das hat auch damit zu tun, dass sehr viele Mitbürger und auch ich in meiner Funktion als Schöffe die Erfahrung gemacht haben, mit welcher Haltung Umweltpolitik betrieben wurde. Die Einstellung ist sehr wichtig. Wenn man sagt: Wir wollen keine Klima- und Umweltpolitik, die die Menschen "kujenéiert" oder nerven soll, dann ist das vielleicht hart auf den Punkt gebracht. Aber es bedeutet im Umkehrschluss, dass wir die Menschen begeistern und mitnehmen wollen. Das ist meine Haltung. Ich bin ein grundsätzlich positiv eingestellter, realistisch-optimistischer Mensch. Und das verkörpere ich denke ich mit meiner Person und gebe das weiter an meine Mitbürger, um ihnen zu sagen: Wir können das packen. Das Glas ist halbvoll. Um die Klimapolitik als Beispiel zu nehmen: Wir sind uns, denke ich, alle einig über die Zielsetzungen in der Klimapolitik. Doch es gibt unterschiedliche Wege und Herangehensweisen, um dahinzukommen.
Lëtzebuerger Journal: Von verschiedenen Seiten hört man, dass man Sie nach einem Jahr im Amt noch nicht richtig verorten kann, dass bisher vor allem andere Minister und Ministerinnen im Vordergrund standen und Ankündigungen gemacht haben, auch für den Umweltbereich. Etwas frech gefragt: Hat der Umweltminister in dieser Regierung nicht viel zu vermelden?
Serge Wilmes: Solch provokativen Aussagen beeindrucken mich in keinster Weise. Die Mandatsdauer beträgt fünf Jahre und man muss sich zunächst in sein Amt einarbeiten. Über zehn Jahre waren Minister einer anderen Partei verantwortlich für diesen Politikbereich. Das ändert man nicht radikal binnen eines Jahres. Das geschieht nach und nach und dafür muss man sich Zeit nehmen. Und ich war mir in meinen Mandaten immer klar, dass die Zeit, die man sich zu Beginn nimmt, später gewinnt, weil man sich zunächst Fundamente legen muss. Wenn man mal ganz ehrlich ist und die Provokationen beiseitelegt, sieht man, dass bereits ganz klare Entscheidungen getroffen wurden. Für die Umgehungsstraße Käerjeng ging direkt (Mitte März 2024, d. Red.) die Genehmigung mitsamt den Umweltauflagen raus, die respektiert werden müssen. Wir haben sofort einen "Logementsdësch" einberufen, mit natürlich auch dem Beitrag des Umweltministeriums, unter anderem die "Natur auf Zeit". Wir haben uns auch unmittelbar mit den Subsidien auseinandergesetzt. Wir haben den Landwirtschaftstisch und den Energietisch einberufen. Wir sind unseren internationalen Verpflichtungen nachgekommen und haben den nationalen Energie- und Klimaplan (PNEC) adaptiert. In den vergangenen zwölf Monaten wurde schon an vielen Schrauben gedreht. Und wenn man sich die Präsenz zu diesen Dossiers in den vergangenen Wochen ansieht, dann glaube ich ehrlich gesagt nicht, dass man diese Aussage treffen kann. Aber das ist nicht, was mich bewegt. Mich bewegt, diese Politik nach und nach umzusetzen. Und dafür muss man sich Zeit geben.
Lëtzebuerger Journal: Stichwort Natur auf Zeit und die geplanten Anpassungen am Naturschutzgesetz: Die Eigentümerinnen sollen den natürlichen Bewuchs ihres Grundstücks ohne Kompensierungszwang entfernen dürfen, so lange dieser nicht älter als 15 Jahre ist. Wie soll diese Frist kontrolliert werden? Und wie soll der ökologische Wert und eine Kompensation bemessen werden, wenn ein Bewuchs unter Missachtung der Frist entfernt wird?
Serge Wilmes: Mittels Orthofotos (Luftaufnahmen, d. Red.) auf dem Geoportal, die über die vergangenen Jahrzehnte zurückreichen, können Sie selbst überprüfen, wie Ihr Grundstück vor 15 Jahren ausgesehen hat, wenn Sie das nicht mehr einschätzen können. Man muss unseren Mitbürgern aber auch die Möglichkeit zugestehen, selbst zu wissen, was Sie tun. In den meisten Fällen entstehen auf diesen Grundstücken Vegetationsformen, die, wie beispielsweise die Birke, schnell andere freie Flächen besiedeln. Deswegen sagen wir: Wir können diese Vegetation mit gutem Gewissen entstehen lassen und wieder entfernen, weil sie schnell an anderen Orten entstehen kann und weil wir gleichzeitig dafür sorgen, dass an anderen Orten genügend Pflanzen ("Gréngs") entstehen werden, damit "en continu" sichergestellt ist, dass wir (im urbanen Raum, d. Red.) die Vegetation haben und auch die Arten, die von ihr abhängen. Das ist ein Paradigmenwechsel. Wir sind davon überzeugt, dass dadurch mehr Grün in unseren Gemeinden entstehen wird, als das im Moment noch der Fall ist. Sollte sich auf einem Grundstück ein Tümpel befinden mit Arten, die natürlich nicht so einfach ein anderes Habitat finden, dann ist das eine andere Angelegenheit. Dann kann man beim Förster oder der Gemeinde nachfragen, die sich das anschauen und sagen: Das muss kompensiert werden. Und dann bekommen Sie dabei Unterstützung. Die Evaluierung seitens der Natur- und Forstverwaltung wird zudem bei einem Grundstück von weniger als zehn Ar kostenlos sein.
Lëtzebuerger Journal: Eine Art und Weise, um auf die kritischen Einwände nicht nur von Umweltschützer und Umweltschützerinnen zu antworten, bestünde darin, den Entwurf der großherzoglichen Verordnung, die die "grüne Infrastruktur" auf den Kompensationsflächen für neue Wohnviertel definiert, vorzulegen, noch ehe das Gesetz zur Abstimmung kommt.
Serge Wilmes: Das kommt. Aber das ist ein gutes Beispiel, um zu zeigen, wie jemand (gemeint ist der Mouvement écologique, d. Red.) voreilige Schlüsse zieht und eine vernichtende Kritik anbringen will, anstatt sich einfach mal zu sagen: Wir befinden uns in einer konstruktiven Herangehensweise mit diesem Partner und sehen zu, das zu begleiten und alles zu machen, damit wir zusammen an einem Strang ziehen. Aber Nein. Hier hat wieder jemand die Wahrheit für sich gepachtet. Das ist diese Attitüde, die dazu geführt hat, dass sich bestimmte Wahlergebnisse erklären.
Lëtzebuerger Journal: Kommen wir kurz zum Abfallgesetz. Wenn Verbraucher und Verbraucherinnen im neuen Jahr eine Pizza bestellen, wird diese dann immer noch im Karton geliefert werden können? Es geht natürlich um die Pflicht zur Einführung von wiederverwendbaren Behältern für in Restaurants abgeholten beziehungsweise gelieferten Mahlzeiten.
Serge Wilmes: Ja, das wird der Fall sein. Wir werden zusehen, den Regierungsrat noch im Dezember (das Interview fand am 27. November statt, d. Red.) mit einem Vorentwurf zu befassen, um das Abfallgesetz punktuell abzuändern. Da geht es hauptsächlich um Fristen. Wir wollen am Ambitionsniveau festhalten, es aber realistisch umsetzen können.
Lëtzebuerger Journal: Im Koalitionsabkommen wird die Bürgerbeteiligung großgeschrieben, auch im Kapitel über das Klima. Dennoch hat die Regierung scheinbar auf eine Konsultation der Zivilgesellschaft verzichtet, als sie PNEC in seiner definitiven Version überarbeitet hat. Wäre sich eine solche Konsultation nicht gerade bei einem Regierungswechsel unumgänglich gewesen?
Serge Wilmes: Wir mussten den PNEC binnen einer gewissen Frist in Brüssel abgeben. Weil konform zur Prozedur die Zivilgesellschaft und Mitbürger berücksichtigt wurden (zum Vorentwurf unter der vorigen Regierung, d. Red.), haben wir das als integralen Bestandteil dieses Prozesses gesehen und haben deswegen nicht noch einmal eine zusätzliche Runde gedreht. Danach hat die Europäische Kommission ihr Gutachten geäußert, was wir zum Teil übernommen haben, respektive Elemente aus dem Koalitionsprogramm haben einfließen lassen, die aber jedem bekannt sind und für die wir ja ein Mandat erhalten haben. Die Bürgerbeteiligung wurde berücksichtigt. Natürlich kann man immer fordern, man hätte noch einmal müssen... Für uns war das aber sichergestellt. Wir sind aber dabei, mit der Universität Luxemburg das Konzept der Bürgerbeteiligung im Klimabereich zu überarbeiten.
Lëtzebuerger Journal: Am 22. November hat der Ministerrat einen Gesetzesentwurf zur Vorfinanzierung der Zuschüsse für Photovoltaik-Anlagen angenommen. In der Pressemitteilung war auch von Wärmepumpen die Rede. Was hat es damit auf sich?
Serge Wilmes: Mit der Vorfinanzierung hoffen wir, die Fristen auf drei bis vier Wochen zu kürzen. Das wäre ein enormer Gewinn zu heute, wo es zehn bis zwölf Monate dauert, bis Sie den Zuschuss für die Installation von Photovoltaik-Anlagen erhalten. Das können wir nicht weiter so handhaben. Das Gleiche ist dann auch für Wärmepumpen angedacht. Und dann müssen wir schauen, ob wir es auch für die gesamte energetische Sanierung hinbekommen. Das wird eine größere Herausforderung, weil sie mehrere Maßnahmen umfasst, die umgesetzt werden müssen. Ziel ist es aber, nach und nach den Klimabonus Wohnen als Vorfinanzierung anzubieten, sodass Sie als Mitbürger die Wahl zwischen der klassischen Beantragung des Zuschusses haben, nachdem die Rechnung bezahlt wurde, oder der Vorfinanzierung. Um auf die Kritik unter anderem von déi Lénk einzugehen, die Herabsenkung des Zuschusses bei PV-Anlagen (von 62,5 auf 50 Prozent der Installationskosten zum 1. Oktober, d. Red.) wäre ein Beispiel für mangelnde Ambition: Diese Erhöhung wurde von der vorigen Regierung in einem Krisenkontext im Rahmen einer Tripartite beschlossen. Sie war aber nie darauf ausgelegt, dauerhaft zu sein. Wir stellen fest, dass die Preise für PV-Anlagen in unseren Nachbarländern sinken und niedriger sind als bei uns, was höchstwahrscheinlich auf die hohe Bezuschussung zurückzuführen ist, auf die dann zusätzlich eine Subvention kommt, die von vielen Gemeinden angeboten wird. Das war nicht unbedingt ein Anreiz für viele Unternehmen, um ihre Preise nach unten anzupassen. Trotz Herabsetzung der Subvention sind die 50 Prozent ein hoher Zuschuss. Und mit der Vorfinanzierung erwarten wir uns natürlich, dass noch mehr Menschen darauf zurückgreifen werden.
Lëtzebuerger Journal: Mit der verschärften EU-Energie-Effizienz-Richtlinie wächst die Herausforderung, um Bestandsgebäude energetisch zu sanieren. Wie sollen die Ziele erreicht werden?
Serge Wilmes: Erstens über attraktive Zuschüsse, dann besteht wie gesagt die Herausforderung darin, nach und nach eine Vorfinanzierung in Erwägung zu ziehen, um mehr Menschen dazu zu motivieren, diesen Weg einzuschlagen. Vieles läuft auch über die Beratung der Klima Agentur. Mit "Zesumme Renovéieren" gibt es in Differdingen ein Pilotprojekt, um Stadtviertel oder Straßen mit Häusern eines Typs zu renovieren. Wo man aber noch einmal eine Auswertung machen muss, ob das etwas gebracht hat in dem Ausmaß und der Geschwindigkeit, wie wir und auch die vorige Regierung das gerne gehabt hätten. Dem verschließen wir uns natürlich nicht. Der Staat hat sich auch selbst Ziele gegeben, um seine Gebäude in den kommenden Jahren instand zu setzen. Das wird eine Herausforderung sein, denn sogar, wenn die Bereitschaft und das Geld vorhanden sind, benötigen wir auch die Verfügbarkeit von Ingenieuren, Architekten und der verschiedenen Berufsstände, um in einem bestimmten Rhythmus ans Ziel zu kommen. Und das ist nicht immer gegeben.
Lëtzebuerger Journal: Was werden in den kommenden Wochen und Monaten die "Projekte Wilmes" sein, wie man sie nennen könnte, im Interesse von Klima, Umwelt und Biodiversität?
Serge Wilmes: Zunächst einmal gibt es kein "Projekt Wilmes" sondern nur ein Projekt CSV-DP. Ein wichtiges Projekt ist die Vorfinanzierung der Zuschüsse für den Klimabonus Wunnen, vielleicht auch eines Tages für den Klimabonus Mobilitéit, aber wir wollen jetzt erst einmal anfangen mit der Photovoltaik, um praktischer, pragmatischer und schneller voranzukommen. Beim Energietisch soll, so wie das beim Logements-Tisch der Fall war, in ein paar Monaten herauskommen, welche Prozeduren wir beschleunigen und vielleicht auch, welche administrativen Barrieren wir überwinden können, damit wir unser PNEC-Ziel von 37 Prozent erneuerbaren Energien am Endenergieverbrauch bis 2030 auch erreichen können. Das ist entscheidend, wenn wir unser Klimaziel bis 2030 und darüber hinaus erfüllen wollen. Gegen Jahresende findet noch einmal ein Landwirtschaftsdësch statt, um zu klären, wie Landwirte in Zukunft ihre Ställe oder ihre Wohnhäuser in der Grünzone bauen können, auch auf eine pragmatische Art und Weise, das heißt: im Respekt des Naturschutzes, den Landwirten dabei aber auch zu ermöglichen, ihren Aktivitäten nachzugehen. Im kommenden Jahr möchte ich einen Renaturierungstisch einberufen, um zu schauen, wie wir bei der Renaturierung vor allem von Flüssen und Bächen schneller vorankommen. Das geht nur schleppend voran. Es ist aber eines der entscheidenden Elemente der Anpassung [an den Klimawandel]. Überhaupt wird die Klima Anpassungsstrategie einer der wichtigen Punkte des kommenden Jahres sein, die wir jetzt aktualisieren wollen. Im Januar wollen wir auch alle Akteure, die vom Thema Wald betroffen sind, an einen Tisch bringen, um zu besprechen, wie wir unsere Wälder resilienter machen können.