Interview mit Georges Mischo im Tageblatt "Das Geld liegt auf dem Boden, aber es wird nicht aufgehoben"

Interview: Tageblatt (Christelle Diederich)

 

Tageblatt: Die Einwohnerzahl in Luxemburg steigt, die Bereitschaft, sich langfristig in einem Sportverein zu engagieren, nimmt allerdings ab. Stimmen Sie dieser Aussage zu?

Georges Mischo: Absolut. Das ist keine Panikmache, allerdings müssen wir sowohl parteiintern, regierungsintern als auch draußen in der Gesellschaft darauf aufmerksam machen, dass dieser Sektor in der Krise steckt. Das sehen wir an den Zahlen. Verschiedene Verbände und Vereine haben Probleme und ich möchte verhindern, dass sie aussterben. Einige Klubs sind so aufgestellt, dass sie von der Verfügbarkeit von ein paar Leuten ab hängen. Wenn solche Menschen nach 20 oder 40 Jahren völlig legitim entscheiden, sich zurückzuziehen oder kürzerzutreten, kann der Verein das nur schwer verkraften. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass man beim Basket Esch und beim Handballverein permanent Eltern an spricht - sei es um am Tisch mitzuhelfen, Kuchen zu backen, als Schiedsrichter ein zuspringen oder sonst irgendwo mit an zupacken. Fakt ist nämlich auch, dass die Mitglieder den Verein verlassen, wenn es klubintern nicht richtig läuft.

Tageblatt: Sie haben bereits ein paar Gründe angesprochen. Warum gibt es diese Bereitschaft immer weniger?

Georges Mischo: Langfristig engagiert sich fast niemand mehr. Die Zeit fehlt, da es auch berufliche und familiäre Verpflichtungen zu respektieren gilt. Manchmal liegt es auch einfach nur daran, dass die Kinder die Sportart wechseln - und die Eltern dem Klub auf diese Weise verloren gehen. Eine große Rolle spielt allerdings auch die Identifikation mit dem Verein. Wenn der Großteil der Spieler und Spielerinnen nicht im Verein groß geworden ist - man sieht es teils am Beispiel des Fußballs -, dann ist es schwer, den Freiwilligen ans Herz zu legen, für diese Leute ihre Frei zeit zu opfern. Zudem haben wir heute eine Schnelllebigkeit, die es früher nicht so gab. Wenn man dann Nachrichten hört, wie die von den Zwischenfällen bei diesem Jugendspiel im Basketball, sagt man sich wahrscheinlich auch, dass man keine Lust mehr darauf hat. Letztendlich sind es aber in dividuelle Gründe, die Menschen dazu bewegen, aufzuhören. Deshalb ist es mein großes Ziel als Sportminister, den Vereinen so unter die Arme zu greifen, dass sie es schaffen. Die Vereine und Verbände sind das Rückgrat des Luxemburger Sports und das Ehrenamt ist das Herz. Und wenn das Herz weniger schlägt, dann bekommen wir große Probleme.

Tageblatt: Löst man das Problem, indem man den Menschen mehr Zeit zur Verfügung stellt?

Georges Mischo: Ganz sicher. Zuerst einmal der "Congé sportif". Zudem werden wir in Kürze neue Projekte in die Wege leiten, etwa die Reform des "Subside qualité plus". Der Gesetzestext soll in diesem Jahr noch auf den Instanzenweg gehen. Ich möchte noch mehr Geld in die Vereine bekommen, damit sie sich professionalisieren können. Die Anforderungen im administrativen Bereich sind monströs geworden, teilweise schafft man das neben dem Arbeitsalltag nicht einmal in drei, vier Stunden. Indem wir den "Subside qualité plus" weiter ausbauen, so dass er sich nicht nur auf Jugendliche bis 16 Jahre beschränkt, sondern alle Mitglieder, bis 99 Jahre sozusagen, und alle Sportarten (nicht nur diejenigen, die Wettbewerbe betreiben) einbezieht, er geben sich da große Möglichkeiten. Was ich allerdings nicht verstehen kann, ist die Tatsache, dass von den 1.300 Sport vereinen in Luxemburg 900 keine Formulare für die Zuschüsse eingereicht haben. Das ist mehr als die Hälfte — dabei ist das Geld da. Warum ist das so? Da könnte dann auch schon das nächste Projekt für mehr Informationsfluss helfen, nämlich der Sportkoordinator.

Tageblatt: Wie kann der Sportkoordinator denn konkret eingesetzt werden?

Georges Mischo: Diese Person soll den Vereinen helfen. Es ist nicht so gedacht, dass der Sportkoordinator alle Formulare ausfüllen soll. Aber seine Rolle ist es, in seiner Gemeinde - egal ob klein oder groß - darauf aufmerksam zu machen, dass es diese Subsidien gibt und wie man sie erhält. Wir als Sportministerium müssen gleichzeitig noch weitere öffentliche Versammlungen organisieren, wie wir es auch vor einigen Monaten gemacht haben, um den Sportkoordinator vorzustellen: Es wusste nicht jeder, dass Anpassungen gemacht worden sind. In der Vergangenheit wurden nur während der ersten drei Jahre 50 Prozent des Gehalts vom Staat übernommen. Jetzt sind es während der ersten drei Jahre 80 Prozent und dann geht es degressiv runter von 70 bis auf 20. Das ist für die Gemeinde eine Garantie von zehn Jahren.

Tageblatt: Sollten Gemeinden, die einen "Service des sports" haben, einen Sportkoordinator einstellen?

Georges Mischo: Auf jeden Fall.

Tageblatt: Wie erklären Sie sich, dass über 900 Vereine keine Subsidien beantragt haben?

Georges Mischo: Es ist kein großes Geheimnis: Der Ver ein, dem es am meisten eingebracht hat in diesem Jahr, bekam 105.000 Euro. Da stört es mich wirklich, dass es noch so viele Vereine gibt, die diese finanzielle Entlohnung nicht in Anspruch nehmen. Vielleicht wurde in der Vergangenheit nicht genug kommuniziert.

Tageblatt: Liegt es dann nicht eben genau an den angesprochenen administrativen Hürden?

Georges Mischo: Man muss in der Tat einen kleinen Auf wand betreiben, um etwas zu bekommen. Wir haben uns die Formulare angesehen: Es ist ehrlicherweise nicht in zwei Minuten erledigt, gleichzeitig aber auch kein Ding der Unmöglichkeit. Meiner Meinung nach ist die Sportkoordinierung deswegen so wichtig, um Vereine in ihrer Gemeinde dabei zu begleiten. Das Geld liegt sozusagen auf dem Boden, aber es wird nicht aufgehoben - und dann können wir als Sportministerium auch nicht mehr weiterhelfen. Das ist dasselbe beim Thema Sportkoordinator. Mehr Unterstützung können wir nicht geben. Der Ball liegt jetzt bei den Gemeinden.

Tageblatt: War die Argumentation des Wiltzer Gemeinderats, den Koordinator aufgrund fehlender Erfahrungswerte nicht einzustellen, für Sie persönlich ein Rückschlag?

Georges Mischo: Natürlich. Ich bin aber auch nicht unbedingt naiv und rechne mit 100 neuen Posten. Mehr als informieren können wir ja nicht. Die lokalen Politiker müssen Verantwortung übernehmen und Entscheidungen treffen. Wir haben beispielsweise auch noch einmal erklärt, dass sich mehrere Gemeinden einen Sportkoordinator teilen können. Das gibt es schon in Roeser, Weiler und Frisingen. Es funktioniert. Bei den Informationsversammlungen waren 44 Gemeinden anwesend. Ich kann aber niemanden dazu zwingen, es dann auch zu wagen.

Tageblatt: Sie haben die Professionalisierung in den Vereinen angesprochen. Das kann sich sicherlich der eine oder andere Verband leisten, aber wie macht es der kleinere Sportklub mit seinen 200 Mitgliedern?

Georges Mischo: Eben durch das "Subside qualité plus". In diesem Jahr sind es noch einmal 13,6 Millionen Euro mehr, die im Budget festgehalten sind. Die können dann später in den Vereinen als professionelle Trainer, technische Direktoren, Manager oder Sekretärsmitarbeiter eingesetzt werden. Wenn mehr Geld in den Sektor kommt, kann sich auch ein kleinerer Verein solche Personalien leisten. Wir müssen realistisch sein: Ein kleiner Klub wird sich auch dann keinen hauptamtlichen Trainer leisten können. Aber es ist eventuell eine Initiative, um an einem bestimmten Zeit punkt punktuelle Unterstützung zu haben. Es geht ja im Grunde darum, die Frei willigen bei ihrer Arbeit zu unterstützen.

Tageblatt: Man kann sich gleichzeitig vorstellen, dass nicht jeder Verein diesen Schritt gehen will.

Georges Mischo: Dann muss jeder wissen, was er will. Jeder Vorstand merkt eigenständig, wie viel er schaffen kann. In naher Zukunft es soll durch die IPES-Initiative möglich sein, Leute temporär zu engagieren.

Tageblatt: Gibt es weitere Überlegungen, dass Unternehmen die Möglichkeit bekommen könnten, Steuern abzusetzen, wenn sie Vereine finanziell unterstützen?

Georges Mischo: Vom Ministerium her gibt es zurzeit keine neue Initiative, um jetzt auf große Firmen zuzugehen. Eine Idee, mit der wir uns dagegen beim Inaps beschäftigen, ist eine Art "Treuekarte"-System, wie man sie schon in Leipzig kennt. Wenn man dort x Stunden ehrenamtlich im Einsatz war, wird das auf der Karte vermerkt und man erhält Vergünstigungen bei anderen Veranstaltungen. Wir möchten bei unserer nächsten "Gamechangers"-Veranstaltung im Juni den Fokus auf die Frage legen, welchen Einfluss das Ehrenamt auf die Menschen, ihre Familie und den Beruf hat.

Tageblatt: Apropos Familie. Die Eltern stellen die größte Gruppe an potenziellen Helfern dar. Könnte man nicht den Weg gehen, deren Beiträge zu subventionieren, wenn sie sich engagieren?

Georges Mischo: Das könnte man machen, ja. Es gibt relativ wenig Möglichkeiten, Eltern zu motivieren, wenn sie es nicht von selbst sind. Die meisten können sich den Mitgliedsbeitrag leisten. Es gibt natürlich auch eine ganze Reihe von Leuten, bei denen es nicht der Fall ist. Das ist auch ein Problem, das wir haben. Wenn man dann das Beispiel aus Leipzig nimmt, könnte man sogar versuchen, eine Lösung zu finden und in die Richtung dieser "Payback" Karte zu denken. Das sind alles Ideen, aber wir werden das Rad nicht neu er finden. Das Problem haben nicht nur wir, sondern auch die Kollegen im Ausland.

Tageblatt: Wie viele "Bénévoles" werden in Luxemburg gebraucht?

Georges Mischo: Das kann man so nicht definieren. Ohnehin gibt es im Sport viel zu wenig Zahlen. Ich hatte ein Treffen mit dem Direktor des Statec, um mehr Statistiken über den Sport zu bekommen.

Tageblatt: Wie sieht es beim "Congé sportif" aus - wie oft wurde der Sonderurlaub 2024 im administrativen Bereich beantragt?

Georges Mischo: Wir haben bezüglich des administrativen "Congé sportif" eine Stundenzahl von etwa 800 heraus bekommen - dort ist also noch sehr viel Luft nach oben. 2024 wurden insgesamt 6.425 Tage genehmigt, das ist immerhin eine Steigerung von 2.000 Tagen gegen über 2023.

Tageblatt: Bei 1.300 Vereinen ist das nicht viel.

Georges Mischo: Es ist quasi nichts. Da denke ich erneut, dass nicht ausreichend Informationen im Sektor drin sind. Wir sind jetzt zum Bei spiel darauf aufmerksam gemacht worden, dass kein Sporturlaub für Personen vorgesehen ist, die sich in europäischen Verbänden engagieren. Dabei haben wir ein halbes Dutzend an Schiedsrichtern und Co., die international im Einsatz sind. Es wird 2027 noch eine weitere Reform des Sporturlaubs geben, damit diese Fälle einbezogen werden.

Tageblatt: In der letzten Studie des Statec, die sich auf das Ehrenamt bezieht, wurde der Durchschnitts-"Bénévole" hierzulande als über 60-jähriger Luxemburger Mann beschrieben. Wie kann man andere Gruppen er reichen?

Georges Mischo: Es ist schwierig. Das Ergebnis hat mich nicht gewundert. Wer schon immer im Verein war, bleibt auch dabei. Mittler weile priorisieren viele junge Menschen die Familie. Eine ganze Reihe von Freiwilligen sieht man dagegen überall. Das ist nicht so einfach, um alles unter einen Hut zu bringen.

Tageblatt: Wann ist man in den Augen des Sportministeriums überhaupt "Bénévole"?

Georges Mischo: Wenn man auf irgendeine Art und Weise seinem Verein oder seinem Ver band hilft. Das muss nicht jemand sein, der im Vorstand engagiert ist und alle zwei, drei Wochen in einer Sitzung mit macht. Das sind auch die, die Material abholen, beim Grillen aushelfen oder Werbeplakate aufstellen.

Tageblatt: Gehört ein Jugendtrainer, der 150 Euro pro Monat bekommt, auch dazu?

Georges Mischo: Ja, denn mit 150 Euro läuft man nicht weit. Und deswegen habe ich mich bereits mit der Idee auseinandergesetzt, dass wir die Obergrenze der 5.000 Euro, die steuerlich absetzbar sind, anheben. Es wird nicht auf 50.000 hochgehen, aber vielleicht ja bis zu einer Grenze von 7.500 Euro. Das muss aber wie gesagt noch alles mit dem Finanzminister geklärt werden. Freiwillige sollen laut Definition des Begriffs ja nicht bezahlt werden. Doch sie leisten enorm viel. Selbstverständlich sollte es aus Spaß am Sport gemacht werden, aus Freude, mit Kindern und Jugendlichen zusammenzuarbeiten und ihnen Werte zu vermitteln. Es gibt keine Wunderlösung, um von einem Tag auf den anderen x Freiwillige zu gewinnen. Wenn man als Freiwilliger oder als Trainer auf das Geld schaut, dann ist es ein falscher Weg.

Tageblatt: Wie kann man sich die Zusammenarbeit von Freiwilligen und professionellen Leuten im Ehrenamt vorstellen?

Georges Mischo: Anders als aufgrund von Corona befürchtet, wachsen die Vereine. Zwar ist die Zahl der Klubs niedriger, doch die Mitgliederzahlen höher. Deshalb muss jeder Verein beobachten, was er noch al leine gestemmt bekommt. Die Leute, die professionell im Einsatz sind, sind im Grunde als Accessoire gedacht. Sie helfen mit ihren Kompetenzen, um den Ver ein am Leben zu halten.

Tageblatt: Wie sieht es mit dem "Corporate Volunteering" im Sport aus?

Georges Mischo: Ich habe davon noch nichts gehört. Wir können und sollten immer Wege su chen, um die Leute zu entlasten, auch am Arbeitsplatz. Nicht jeder Arbeitgeber ist begeistert, wenn Angestellte einen Sporturlaub beantragen. Da sollten wir auch Erfahrungen austauschen. Dann erkennt man, an welchen anderen Stellschrauben gedreht werden muss.

Tageblatt: Eigentlich könnten viele Probleme mit einem besseren Informationsfluss behoben werden.

Georges Mischo: Absolut. Manchmal scheitert es aber an kleinen Problemen. Derjenige, der sich im Verein richtig reinkniet, ist der Trainer, der dann keine Zeit für Versammlungen hat. Ich war froh, dass sich 44 Gemeinden für die Informationsversammlung zum Sportkoordinator angemeldet hatten. Andererseits waren 40 nicht da, also fast die Hälfte.

Regierungsmitglied

MISCHO Georges

Organisation

Ministerium für Sport

Thema

Sport