Interview mit Luc Frieden im Télécran "Ich hoffe, dass Trump die Gefühle der Europäer spürt"

Interview: Télécran (Roland Arens/Martina Folscheid)

Télécran: Herr Frieden, Sie haben in den USA studiert und kennen das Land sehr gut. Wie zuversichtlich sind Sie, dass die amerikanische Republik diese zweite Trump-Amtszeit übersteht?

Luc Frieden: Die Entwicklungen rütteln Amerika und die Welt in diesen Tagen stark durcheinander, weil vieles, was Amerika für uns bedeutet, in Frage gestellt wird. Trotzdem glaube und hoffe ich, dass die Vielfalt des amerikanischen Volkes und die Stärke der amerikanischen Institutionen auch diese Turbulenzen überleben werden.

Télécran: Würden Sie denn heute nochmals in den USA studieren?

Luc Frieden: Ein eindeutiges Ja, weil ich die amerikanische Lebensauffassung mag und an die Grundwerte der amerikanischen Verfassung glaube. Amerika ist ein Land, das den Menschen viele Möglichkeiten bietet, das aus der Immigration heraus entstanden ist. Ich glaube, wir sollten die Geschichte nie durch den Blickwinkel von drei Monaten der Amtszeit eines Präsidenten beurteilen, sondern sie aus einer breiteren Perspektive betrachten - auch aus der Sicht Europas und Luxemburgs, da wir den Amerikanern sehr viel zu verdanken haben. Das dürfen wir nie vergessen.

Télécran: Sie saßen auf der Münchner Sicherheitskonferenz in vorderster Reihe, Sie haben auch sehr emotional auf den Eklat im Oval Office mit Wolodomyr Selenskyi reagiert. Was ging Ihnen da durch den Kopf?

Luc Frieden: Diese Bilder haben mich tief getroffen, weil es nicht das Amerika ist, das ich liebe. Das, was ich sah, entspricht nicht der Art und Weise, wie Freunde miteinander umgehen. Ich versuche aus der Emotion heraus dann trotzdem zu sehen, in welchem Kontext sich das abspielt. Ich habe in dem Moment gespürt, und ich spüre noch heute, dass etwas dabei ist, sich fundamental zu ändern, in Amerika und in den Beziehungen zwischen Amerika und Europa. Das macht mir Sorge. Wir wollen einen Kontinent haben, ein Europa, das für Frieden, Freiheit und Wohlstand steht. Und dafür brauchen wir Freunde in der Welt. Und ich möchte, dass zu diesen Freunden auch in Zukunft die Vereinigten Staaten von Amerika gehören.

Télécran: Der deutsche Militärexperte Carlo Masala hat vor Kurzem gesagt, dass Amerika auf absehbare Zeit kein zuverlässiger Werte- und Interessenpartner für Europa sein werde. Stimmen Sie dieser Analyse zu?

Luc Frieden: Ich möchte abwarten, was in den nächsten Wochen und Monaten geschieht. Ich hoffe, dass Präsident Trump und Vizepräsident Vance die Gefühle der Europäer spüren, und dass sie eine globale Sicht auf die Welt bewahren. Ich begrüße deshalb, dass einige meiner Amtskollegen den Kontakt mit dem amerikanischen Präsidenten suchen, um ihm die Sichtweise der Europäer zu erklären.

Télécran: Wie sehr muss man in Ihrem Amt die Faust in der Tasche ballen, wenn Donald Trump zum Beispiel verkündet, dass die Attacken auf Tesla schlimmer seien als die Erstürmung des Kapitols? Wie bewahren Sie Ruhe?

Luc Frieden: Als Mensch fällt einem das manchmal sehr schwer. Aber als Regierungschef hat man eine große Verantwortung. Wir müssen bedenken, dass die Interessen unseres Landes in Europa liegen, aber auch darin, dass Amerika der stärkste Alliierte innerhalb der Nato ist und unser wichtigster außereuropäischer Handelspartner. Ich werde alles tun, damit diese transatlantischen Beziehungen bestehen bleiben. Ich werde aber auch dafür sorgen, dass die Interessen Luxemburgs gewahrt werden, und wir werden nicht zulassen, dass unser Land und unser Kontinent sich zu sehr wegen dem, was in Amerika geschieht, verändern müssen. Das gilt für die Sicherheit, die Werte, die Demokratie.

Télécran: Bei einer Eurobarometer-Umfrage vom Januar sagten mehr als 70 Prozent der Befragten aus, dass die europäischen Länder vor dem Hintergrund aktueller Krisen stärker zusammenarbeiten müssten. Warum tut sich die Politik manchmal so schwer, diesen Schulterschluss hinzubekommen?

Luc Frieden: Europa ist aus dieser sehr schwierigen und ungewohnten Situation heraus viel näher zusammengerückt. Die Regierungschefs treffen sich viel öfter als vorher. Auch die kürzliche Sitzung in Paris zur Situation in der Ukraine und der Sicherheit in Europa war eine historische Sitzung, weil mehr Staaten als nur die Mitglieder der Europäischen Union daran teilnahmen. Wir haben Großbritannien wiedergefunden, wir sitzen an einem Tisch mit Norwegen und Island. Und wir teilen die gleichen Prinzipien, die gleichen Sorgen. Eine erste Schlussfolgerung aus diesen drei letzten Monaten der neuen amerikanischen Administration ist die, dass wir auf eigenen Füßen stehen müssen, auch in puncto Sicherheit, dass wir aber zugleich auch immer wieder den Schulterschluss mit Amerika suchen müssen, und im Übrigen auch mit Asien. Wir müssen neue Allianzen schmieden. Wir arbeiten bereits daran, zum Beispiel mit Großbritannien, Norwegen und Kanada, und auch mit Asien. Deshalb werde ich in den nächsten Wochen Japan einen offiziellen Besuch abstatten.

Télécran: Sie erlebten den Kosovo-Krieg, Nine Eleven und die Finanzkrise in verschiedenen politischen Ämtern mit. Wie unterscheiden sich all diese Krisenzeiten von der jetzigen?

Luc Frieden: Das hier ist keine Krise, sondern ein Wendepunkt in der Geschichte. Ich habe im Parlament meine Rede (am 4. März, Anm. d. R.) mit den Worten begonnen: "Es gibt Momente in der Geschichte eines Kontinents oder Landes, in denen man spürt, dass etwas Fundamentales dabei ist zu geschehen...". Das ist genau das, was ich immer noch empfinde - und andere auch.

Télécran: Wie hoch schätzen Sie kurzfristig die Chancen auf einen Waffenstillstand in der Ukraine ein? Und welche Rolle sehen Sie für Europa danach?

Luc Frieden: Ein Waffenstillstand ohne einen dauerhaften Frieden ist für Europa gefährlich. Ich sehe zurzeit keine Ansätze für einen dauerhaften Frieden, der uns Sicherheit gibt, der der Ukraine und uns allen ein Wiederbeleben des internationalen Rechtes garantiert.

Und deshalb sind Friedensgespräche immer gut. Aber sie haben noch nicht begonnen und ich sehe auch heute nicht, wo sie enden könnten. Vor uns liegt also ein langer, schwieriger Weg, auf dem wir keine vorschnellen Schlüsse ziehen dürfen.

Télécran: Wird es nicht zu spät sein, die militärischen Anstrengungen auf das Jahr 2030 auszurichten - in Anbetracht der Tatsache, dass Russland mit Weißrussland im September eine Übung plant, genau wie kurz vor dem Angriff der Ukraine?

Luc Frieden: Wir sind Mitglied der Nato und wir gehen davon aus, dass im Falle eines Angriffs alle Prinzipien des Nato-Vertrages, also auch die Beistandsklausel von Artikel 5, voll und ganz spielen werden. Wir sind also vorbereitet.

Tatsache ist aber auch, dass Amerika sich nicht mehr in der Art und Weise einbringen wird, wie das in der Vergangenheit der Fall war. Und deshalb müssen wir den Frieden vorbereiten, indem wir uns anders aufstellen, übrigens nicht nur in der klassischen militärischen Verteidigung, sondern auch in allen sicherheitsrelevanten Fragen. Dazu gehören natürlich die Sicherheit im Weltall und auch die Cybersicherheit. Dazu gehört auch der Schutz unserer Infrastrukturen. Es ist ein sehr breites Feld von Sicherheit, an dem wir verstärkt arbeiten müssen. Um den Frieden sicherzustellen, müssen wir uns auf den Krieg vorbereiten.

"Si vis pacem para bellum" (Wenn du Frieden willst, bereite Krieg vor, Anm. d. R.) haben schon die Römer gesagt. Und dieses Prinzip ist heute wichtiger denn je. Die Welt hat sich für Europa fundamental geändert, Russland ist unter Präsident Putin kein Nachbar mehr, dem wir trauen können, er hat in den letzten 20 Jahren mehrmals gezeigt, dass er sein russisches Reich geografisch ausbauen will. Und Amerika ist dabei, eine fundamentale Freundschaft und Werte zu hinterfragen, in einer Art und Weise, wie wir das nie vorher gekannt haben.

Télécran: Wird es denn auf Dauer für Luxemburg reichen, sich auf Cybersicherheit und Satellitentechnik zu beschränken? Muss Luxemburg sich nicht darüber hinaus engagieren?

Luc Frieden: Selbstverständlich. Ein Land allein, auch ein größeres Land, wird nicht stark genug sein. Deshalb ist es so wichtig, dass wir Freunde haben, dass der Außenminister und ich so viele auch persönliche Kontakte mit Regierungschefs und Außenministern in den Nachbarstaaten pflegen. Nur wenn wir zusammen in Europa eine Strategie entwickeln, werden wir stark sein. Mich beeindruckt noch heute, was einige meiner Vorgänger gemacht haben. Premierminister Pierre Dupong und sein Außenminister Joseph Bech, der später Premierminister wurde, haben uns geholfen, dass Luxemburg Teil einer internationalen Gemeinschaft wurde, der Vereinten Nationen, der Nato, der Europäischen Union.

Télécran: Können Sie verstehen, wenn Menschen Angst haben, dass sie oder ihre Kinder einen Krieg erleben werden?

Luc Frieden: Als Regierungschef kann man nicht mit Angst regieren. Ich kenne die Sorgen vieler unserer Mitbürger und mich selbst beschäftigt dieser geopolitische Wandel sehr. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass wir eine Strategie haben, die uns helfen wird, diesen Krieg in Europa zu vermeiden.

Denn Präsident Putin und zum Teil auch Präsident Trump verstehen auch die Sprache der Stärke. Und Stärke heißt, selbstsicher zu sein, zu wissen, was wir machen wollen, um unsere Demokratie zu stärken, und gemeinsam mit unseren europäischen Partnern dafür zu sorgen, dass wir entscheiden, was in Europa geschieht, und nicht andere für uns. Ich glaube, dass beide Präsidenten aus ihren Perspektiven sehr wohl beobachten, was in Europa zurzeit geschieht, wobei ich hinzufügen möchte, dass ich Amerika und Russland nicht auf dieselbe Ebene stelle. Doch es sind zwei Situationen, die dabei sind, sich fundamental zu ändern, und wir stehen in der Mitte. Das, was wir uns am Ende des Kalten Krieges alle gewünscht haben, eine Freundschaft mit Amerika und eine Partnerschaft mit Russland, das ist zurzeit nicht mehr gegeben.

Télécran: Gehört zu dieser Strategie auch die europäische Perspektive für die Ukraine?

Luc Frieden: Selbstverständlich gehört dazu, dass wir uns die europäische Familie in einem neuen geopolitischen Kontext anschauen müssen. Das gilt im Übrigen auch für den Balkan, den wir ein bisschen aus den Augen verloren haben, wo sich China und Russland breit machen. Wir müssen also schauen, wie wir diese Länder an die Europäische Union heranführen können. Vielleicht mit Zwischenstufen, aber uns nicht um sie zu kümmern, wäre ein historischer Fehler. Die aktuelle geopolitische Lage bringt mit sich, dass wir die Erweiterungsdebatte neu führen müssen, um zu vermeiden, dass andere das Vakuum füllen, das zurzeit besteht.

Télécran: Wie kann die europäische Position im Weißen Haus zur Sprache gebracht werden, wenn man hört, dass die Aussagen, die aus der amerikanischen Regierung herauskommen, nicht sehr europafreundlich sind. Gibt es ein Verständnis für europäische Belange?

Luc Frieden: Zurzeit kann man diese Frage nicht sehr positiv beantworten, aber die Beziehungen zwischen Staaten muss man immer längerfristig betrachten.

Wir müssen darauf hinarbeiten, dass die Amerikaner Europa nicht vergessen. Aber das wird sehr schwierig werden, auch angesichts der Zölle und der damit zusammenhängenden Verhandlungen, alles keine einfachen Dossiers. Auch da werden wir mit einer Situation konfrontiert, die zwischen Freunden eigentlich nicht bestehen dürfte und die mich auch sehr traurig macht. Alles, was zurzeit in Amerika geschieht, macht mich traurig, aber man kann weder aus der Angst noch aus der Trauer heraus regieren. Man muss sich immer wieder rückbesinnen auf das, was wir für unseren Kontinent und für das Wohl unserer Bürger erreichen wollen.

Télécran: Geht das denn überhaupt, wenn die Wissenschaft, die Medien, die Justiz angegriffen werden, wenn die größte Demokratie der Welt eigentlich gerade in der Wertefrage ausfällt?

Luc Frieden: Ich bin davon überzeugt, dass das amerikanische Volk dies so nicht hinnehmen wird. Auch weil ich in Amerika studiert habe und verfolge, was sich zum Beispiel an einigen Universitäten in der Debatte bewegt, bleibe ich zuversichtlich, dass sich die Stimmen der traditionellen Werte zum richtigen Zeitpunkt melden werden.

Ich bleibe also ein bisschen optimistisch, auch wenn das manchmal sehr schwer fällt.

Télécran: Viele befürchten, dass Donald Trump dem Drehbuch des "Project 2025" der erzkonservativen "Heritage Foundation" folgt, die einen genauen Zeitplan vorgibt, nach dem der Staat in seiner jetzigen Form zu zerstören ist. Hegen Sie Hoffnung, dass es nicht so weit kommt?

Luc Frieden: Von der Hoffnung lebt der Mensch. Es ist eine sehr schwierige Situation, ich möchte sie nicht kleinreden. Wir sind sicherlich als Luxemburger und auch ich persönlich geprägt von einer tiefen Dankbarkeit gegenüber dem amerikanischen Volk. Ich bin begeistert von vielem, was Amerika fertiggebracht hat. Wir mögen amerikanische Filme und amerikanische Musik, diese "soft power" Amerikas. Aber natürlich muss dies eingebettet sein in ein Umfeld mit Werten, die wir teilen. Und ich mache mir schon Sorgen, wie schnell diese in Frage gestellt werden. Meine Hoffnung basiert jedoch darauf, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass man in einigen Monaten oder einigen Jahren all das über Bord werfen kann, auf das die Vereinigten Staaten von Amerika aufgebaut wurden. Deshalb bleibe ich vorsichtig optimistisch.

Télécran: Wieviel Aufwind bieten die Entwicklungen in den USA den populistischen Parteien Europas?

Luc Frieden: Ich sehe eine große Gefahr auf uns zukommen, weil das aus Russland und Amerika kommende Narrativ der Umdeutung des Begriffs Freiheit sehr wohl dazu führen kann, dass man vieles sagen kann, was sich eigentlich gegen unsere Grundprinzipien und Grundrechte wendet. Unsere Freiheit ist ja nie absolut, sie verlangt den Respekt des Strafgesetzbuches, den Respekt von Minderheiten. Die Freiheit des einen hört dort auf, wo die des anderen beginnt. Dies wird zurzeit schnell über Bord geworfen.

Das stärkt extremistische Parteien und deshalb müssen die Parteien in der Mitte noch stärker ihre Verantwortung übernehmen, weil wir in einem fundamentalen Moment unserer Geschichte stehen. Darum habe ich auch die Führungen aller politischen Parteien in Luxemburg zu Gesprächen empfangen. Und ich habe sehr wohl gespürt, dass die Parteien der politischen Mitte sich der Bedeutung der Situation bewusst sind und sie mit uns zusammenarbeiten wollen, um die Demokratie und die Sicherheit unseres Landes zu stärken.

Dies ist für mich eigentlich ein sehr positiver Ansatz. Dass nicht jeder mitmacht, nehme ich zur Kenntnis, aber mich beruhigt, dass wir in diesem Land in schwierigen Zeiten zusammenstehen, und dafür werde ich mich auch weiterhin einsetzen.

Télécran: Wir sprechen in diesen Zeiten viel über Aufrüstung - aber die von den USA gestrichenen Budgets für die internationale Entwicklungshilfe werden ebenfalls Folgen für die ganze Welt haben. Lässt sich dies gegeneinander aufwiegen?

Luc Frieden: Beides hängt eng zusammen. Wir machen auch kein Aufrüstungsbudget, sondern ein Friedenssicherungsbudget. Und zur Friedenssicherung gehört auch die Entwicklungshilfe.

Und deshalb ist für mich klar, dass wir die Entwicklungshilfe beibehalten müssen, weil wir auch neue Konflikte, die durch den Klimawandel oder durch die Armut in Afrika entstehen, zeitgleich bearbeiten müssen.

Sonst wird die Welt in noch größere Turbulenzen geraten, mit sofortigen Auswirkungen auf Europa.

Télécran: Herr Frieden, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Regierungsmitglied

FRIEDEN Luc

Organisation

Staatsministerium