Zum letzten Mal aktualisiert am
Interview mit Georges Mischo im Tageblatt "Der Code du travail ist vielleicht der beste Kollektivvertrag, den wir haben"
Interview: Tageblatt (Luc Laboulle)
Tageblatt: Herr Mischo, haben Sie am 1. Mai schon etwas vor?
Georges Mischo: Ja, ich habe so einiges vor. Um 10.30 Uhr fahre ich zum LCGB nach Re mich, danach gehe ich auf das Grillfest des Handball Esch und anschließend zum OGBL.
Tageblatt: OGBL und LCGB haben vor sechs Monaten eine Gewerkschaftsfront gebildet. Am 28. Juni rufen sie zu einer großen Protestveranstaltung gegen Ihre Politik und die der gesamten CSV-DP-Regierung auf. Wie fühlen Sie sich bei so viel Widerstand?
Georges Mischo: Ich bin nicht begeistert von dieser Gewerkschaftsfront, weil der Sozialdialog noch immer existiert und nie ganz tot war. Obwohl die Gewerkschaften am 8. Oktober die CPTE-Sitzung verließen, haben wir in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten wie den Problemen bei Liberty Steel, Mylar Specialty Films, Protection Unit und SES weiter zusammengearbeitet. Die Gewerkschaftsfront protestiert ja nicht nur gegen mich als Arbeitsminister, sondern auch gegen die Rentenreform.
Tageblatt: In den vergangenen Monaten haben Sie sich mit den Gewerkschaften angelegt. Sie wollten ihnen das Exklusiv recht absprechen, Kollektivverträge zu verhandeln, und deren Inhalte abschwächen. Ging diese Initiative von Ihnen selbst oder von Premierminister Luc Frieden aus?
Georges Mischo: Diese Initiative steht im Koalitionsabkommen. Als sie ihn gelesen haben, hätten die Gewerkschaften bei einigen Sätzen hellhörig werden können. Auch die Liberalisierung der Sonntagsarbeit steht im Regierungsprogramm. Diese Themen wurden nicht plötzlich aus dem Hut gezaubert. Deshalb hat es mich gewundert, als manche überrascht waren, dass Änderungen kommen würden.
Tageblatt: Im Koalitionsvertrag steht wortwörtlich: "Le Gouvernement s'engage à ce que les horaires de travail puissent être négociés entre salariés et employeurs au sein des entreprises ou dans le cadre d'une convention collective." Direkt geht daraus nicht hervor, dass Sie das Kollektivvertragsgesetz ändern wollen.
Georges Mischo: Es ist eventuell angedacht, dass in kleineren Betrieben die Beschäftigten die Arbeitszeiten direkt mit ihrem Arbeitgeber aus handeln können. Das steht so im Koalitionsvertrag, ohne dass bis lang eine Entscheidung getroffen wurde.
Tageblatt: Die Gewerkschaften haben das CPTE am 8. Oktober verlassen, weil Sie ihnen keine Garantie geben wollten, dass sie ihr Exklusivrecht behalten. War das eine ungeschickte Aktion von Ihnen als Arbeitsminister oder eine Vorgabe des Premierministers an Sie?
Georges Mischo: Ich habe mich lediglich an das Koalitionsabkommen gehalten. In den Sektoren, in denen OGBL, LCGB und auch die Aleba stark vertreten sind, ist die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften nicht infrage gestellt. Der Premierminister und ich haben schon mehrmals bestätigt, dass die Exklusivität nicht zur Debatte steht. Anders könnte es in kleineren Betrieben ohne Gewerkschaftsdelegation sein.
Tageblatt: Welche konkreten Inhalte sollen denn von den Kollektivverträgen ausgenommen werden? Im Koalitionsabkommen steht ausschließlich über Arbeitszeit geschrieben. Wie ist es mit den Löhnen?
Georges Mischo: Die Liste im Gesetz umfasst insgesamt 13 Punkte. An die Löhne wollen wir sicherlich nicht gehen, die sind ja durch den gesetzlichen Mindestlohn fixiert. An die Arbeitszeiten auch nicht.
Tageblatt: Seitdem 2016 das PAN/POT Gesetz zur Regelung der Arbeitszeitdauer nicht nach ihrer Vorstellung ausfiel, stellen die Unternehmerverbände vielleicht mehr als zuvor den Sozialdialog infrage, fühlen sich von Ihren sozialistischen Vorgängern verraten. Wollen Sie dieses Gesetz reformieren, die Referenz- periode, in der die gesetzlich festgelegte Arbeitszeit an einzelnen Tagen und Wochen überschritten werden darf, er höhen?
Georges Mischo: Das ist eine Forderung der Unternehmerverbände, die wir in einer zukünftigen CPTE-Sitzung ansprechen werden. Wir werden dann sehen, wie die Gewerkschaften darauf reagieren und welche Vorschläge auf den Tisch kommen werden. Den Be trieben geht es ja darum, dass die Beschäftigten zu bestimmten Jahreszeiten - etwa wetterbedingt - mehr und zu anderen weniger arbeiten können. Wir haben in allen Wirtschaftszweigen einen Mangel an Beschäftigten. Des halb würde ich allen Patrons raten, ihre Mitarbeiter gut zu behandeln, weil sie sonst weitere Leute verlieren und noch größere Probleme bekommen, neue zu finden. Doch das wissen sie auch selbst.
Tageblatt: Könnte die Regierung nicht zusätzlich auf die Arbeitsbedingungen einwirken, in dem sie beispielsweise An reize zum Abschluss von sektoriellen Tarifverträgen schafft?
Georges Mischo: Das ist ja die große Diskussion. Die Gewerkschaften wollen mehr sektorielle Kollektivverträge, doch das Patronat sagt: "Das kriegen wir nicht hin." Kürzlich hat eine Vertreterin der OECD in der "Chambre des salariés" einen Vortrag gehalten, aus dem hervor ging, dass die kollektivvertragliche Abdeckung in Luxemburg zwischen 1985 und 2024 konstant bei um die 55 Prozent lag. Ich will weder den Gewerkschaften noch meinen Vorgängern einen Vorwurf machen, doch daran erkennt man, wie schwierig es ist, in Luxemburg Kollektivverträge abzuschließen. In Österreich, wo die Abdeckung bei 98 Prozent liegt, gibt es Branchenverbände, die Tarifverträge für ganze Wirtschaftszweige abschließen. In Luxemburg werden Kollektivverträge häufig mit einzelnen Unter nehmen vereinbart, die dann nicht für alle Beschäftigten in diesem Sektor gelten. Manche Unternehmer hierzulande wollen auch gar keinen Kollektivvertrag, weil sie mit ihren Angestellten ohne gut klarkommen.
Tageblatt: In Österreich und auch in den meisten skandinavischen Ländern ist die Abdeckung so hoch, weil der Mindestlohn und andere arbeitsrechtliche Bestimmungen nicht per Ge setz, sondern durch Kollektivverträge festgelegt werden - das Sozialmodell ist ein anderes als in Luxemburg.
Georges Mischo: Der "Code du travail" ist viel leicht der beste Kollektivvertrag, den wir in Luxemburg haben. Er ist extrem gut aufgestellt, ganz wenigen Beschäftigten geht es schlecht wegen des Arbeitsrechts.
Meine Aufgabe als Arbeitsminister ist es, die einzelnen Branchen davon zu überzeugen, dass ein Kollektivvertrag noch bessere Bedingungen bieten kann, doch bei manchen beißt man damit auf Granit. Denn wenn mehr Branchen Kollektivverträge abschließen, steigt wahrscheinlich auch die Abdeckungsrate. Es bleibt noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten.
Tageblatt: Gleich nach dem Eklat am 8. Oktober im CPTE haben Sie den Gesetzentwurf zur Liberalisierung der Sonntagsarbeit in den Regierungsrat ein gebracht. Die Gewerkschaften haben das als weitere Provokation gedeutet. Hätten Sie sich damit nicht noch etwas Zeit lassen können?
Georges Mischo: Ob Sie mir das glauben oder nicht, es war reiner Zufall, dass der Gesetzentwurf zur Sonntagsarbeit mit dem Eklat im CPTE zusammenfiel. Der Entwurf war Anfang Oktober zur Hinterlegung in der Kammer bereit, aber der Eklat am 8. Oktober war ja nicht geplant. Ich konnte nicht wissen, dass die Gewerkschaften die Sitzung verlassen würden.
Tageblatt: Die Gewerkschaften bemängeln auch, dass Sie über die Liberalisierung der Sonntagsarbeit nicht im Vorfeld mit ihnen gesprochen haben.
Georges Mischo: Manchmal wird es so dargestellt, als würde die Regierung jetzt alle Beschäftigten dazu zwingen, sonntags acht Stunden zu arbeiten, am besten noch von 5 bis 20 Uhr. Das stimmt aber nicht. In dem aktuellen Gesetzentwurf habe ich nur eine Zahl geändert: Statt vier darf nun acht Stunden gearbeitet werden. Und das gilt ausschließlich für den Einzelhandel. Zudem wird kein Geschäftsinhaber verpflichtet, sonntags zu öffnen.
Tageblatt: Sonntags acht Stunden zu öffnen, ist bereits heute im Rahmen von Tarifverträgen möglich. Reicht das nicht?
Georges Mischo: Es sind nur sehr wenige Be triebe, die darauf zurückgreifen - ein Einkaufszentrum im Nor den und noch ein paar andere.
Viele Beschäftigte, insbesondere Grenzpendler, bevorzugen es, wegen langer Anfahrtswege sonntags acht statt nur vier Stunden zu arbeiten. Im Gegenzug können sich beispielsweise französische "Frontaliers" am Mittwochnachmittag freinehmen, weil die Kin der in Frankreich dann schulfrei haben.
Tageblatt: Diese Behauptung wird auch oft vom Patronat geäußert. Eine repräsentative Liser-Studie von 2018 hat aber das Gegenteil gezeigt: Viele Beschäftigte im Einzelhandel wollen sonntags nicht arbeiten.
Georges Mischo: Ja, aber ich habe kürzlich auf einem Jobday der ADEM zur Rekrutierung von Supermarktange stellten mit vielen Beschäftigten geredet, die mir ganz klar gesagt haben, sie würden lieber sonn tags acht Stunden arbeiten und an einem Wochentag freinehmen, um sich um die Kinder zu kümmern oder Arzttermine wahrzunehmen.
Tageblatt: Steht die Liberalisierung der Sonntagsarbeit und der Ladenöffnungszeiten, die ebenfalls geplant ist, nicht im Widerspruch zu Ihrem Engagement als Sportminister für das Ehrenamt? Wer abends arbeitet, kann kein Training abhalten. Wer sonntags arbeitet, kann nicht ehrenamtlich auf dem Sportplatz Bier und "Thüringer" verkaufen.
Georges Mischo: Überhaupt nicht, diese Diskussion ist überflüssig. Viele Ehrenamtliche sind berufstätig und gleichzeitig in Vorständen von Vereinen und Verbänden aktiv. Sie kommen vielleicht sonn tags nicht zum Spiel und üben ihr Ehrenamt unter der Woche aus. Die Leute in den Vereinen können sich organisieren. Sonn tags zu arbeiten, ist ja auch keine Verpflichtung. Es ist ja nicht so, dass jetzt alle Beschäftigten jeden Sonntag arbeiten müssen und dadurch der ganze Sportsektor zusammenbricht. Natürlich gibt es im Ehrenamt Probleme, des halb stärke ich die Verbände und Vereine finanziell, damit sie professionelle Verwaltungsmitarbeiter einstellen können. Die größten Herausforderungen für die Vereine stellen sich im administrativen Bereich.
Tageblatt: Nach den Auseinandersetzungen zwischen Ihnen und den Gewerkschaften hat Premierminister Luc Frieden den Sozialdialog zur Chefsache erklärt, einen Sozial tisch sowie informelle Bi und Tripartite-Gespräche an gekündigt. Sind Sie an diesen Gesprächen beteiligt?
Georges Mischo: Als Arbeitsminister bin ich selbstverständlich daran beteiligt, aber über die Fortschritte und Resultate dieser Gespräche informiert der Premier.
Tageblatt: Dass die Gewerkschaften bei den Kollektivverträgen nachgeben, scheint unwahrscheinlich. Die Regierung will das offenbar ebenfalls nicht. Was soll denn überhaupt bei diesen Gesprächen heraus kommen?
Georges Mischo: Ich glaube, dass die Positionen der Gewerkschaften bei den Kollektivverträgen nicht so festgefahren sind, dass sie sich gar nicht bewegen. Es ist ein Geben und Nehmen, wir müssen uns an den Arbeitsmarkt anpassen, der sich rasant verändert. Sorgen macht mir die Schere zwischen der Zahl der Arbeitssuchenden und der der freien Stellen, die immer weiter auseinandergeht. 2021 war diese Schere quasi geschlossen, heute haben wir wesentlich mehr Arbeitssuchende als Jobangebote.
Tageblatt: Der Stein des Anstoßes zwischen Ihnen und den Gewerkschaften war der Aktionsplan zur Umsetzung der EU Mindestlohnrichtlinie, die auch Luxemburg dazu verpflichtet, seine kollektiv vertragliche Abdeckung von 55 auf 80 Prozent zu erhöhen. Bis Herbst müssen Sie diesen Aktionsplan vorlegen. Wie kommen Sie damit voran?
Georges Mischo: Wir arbeiten zwar weiter an dem Aktionsplan, doch ein Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs hat im Januar Einspruch gegen die Mindestlohnrichtlinie ein gelegt, sodass sie im Oktober unter Umständen gekippt werden könnte. Zu gegebener Zeit werden wir den Aktions plan noch einmal im CPTE diskutieren.
Tageblatt: Widerstand gegen Ihre Politik regte sich nicht nur bei den Gewerkschaften und in der parlamentarischen Opposition, sondern auch in Ihrer eigenen Partei. Ist die CSV in arbeitsrechtlichen Fragen gespalten? Gibt es Streit?
Georges Mischo: Es gibt in der CSV-Fraktion unterschiedliche Positionen und Meinungen zu dem Thema. Wenn man 21 Abgeordnete und acht Minister hat, muss man auch mal kritisch und konstruktiv miteinander diskutieren können, ohne dass daraus ein Streit entsteht. Vor zwei Wochen war ich noch mit Fraktionspräsident Marc Spautz eine Pizza essen, ich habe weder ein Problem mit ihm noch mit anderen aus der Fraktion.
Tageblatt: Die Gewerkschaften fühlen sich seit einigen Monaten an vielen Fronten angegriffen: beim Arbeitsrecht, bei den Renten, beim Demonstrationsrecht, bei "Hallef um Terrain". Luc Frieden hat in der Vergangenheit des Öfteren den Luxemburger Korporatismus infrage gestellt. Hat das "Lätzebuerger Modell" Ihrer Ansicht nach ausgedient?
Georges Mischo: Meiner Meinung nach hat das Sozialmodell nicht ausgedient. Vielleicht mussten sich die Sozialpartner erst daran gewöhnen, dass sie mit neuen Leuten in der Regierung und im Arbeitsministerium zu tun haben, die andere Ansichten vertreten als ihre Vorgänger. Komplett abschaffen will den Sozialdialog aber keiner, auch nicht der Premier.
Tageblatt: Marc Spautz war zum OGBL Kongress eingeladen, Sie nicht. Manche Oppositionspolitiker und Gewerkschafter sind der Ansicht, er wäre der bessere Arbeitsminister gewesen. Berühren Sie solche Aussagen?
Georges Mischo: Nein. Es ist wie im Fuß ball: Wie es in Luxemburg 670.000 Trainer gibt, so gibt es auch 670.000 Premiers, Arbeits- und Bildungsminister. Ich war beim LCGB-Kongress, weil ich eingeladen war, habe dort auch eine Rede gehalten. Der OGBL hat mich nicht eingeladen, deshalb bin ich dort nicht hingegangen. Marc Spautz war eingeladen und er hat sich dazu entschieden, hinzugehen. Mehr war es nicht.
Tageblatt: Bei der Regierungsbildung entstand der Eindruck, der Formateur habe Ihnen das Arbeitsministerium quasi als Gegenleistung für das Sportministerium aufgezwungen. Hat es Sie enttäuscht, dass Sie ausgerechnet dieses Ressort übernehmen mussten, nachdem Ihnen schon vor den Wahlen ein arbeitspolitischer Fauxpas auf einer "Table ronde" unterlaufen war?
Georges Mischo: Die "Table ronde" fand 2023 am Ende von zwei langen und anstrengenden Wahlkampagnen statt. Dort ist mir ein Fehler unterlaufen, dazu stehe ich, doch ich finde es etwas komisch, dass diese Suppe immer wieder aufgewärmt wird. Der Premierminister hat entschieden, mir das Arbeitsressort anzuvertrauen. Als Escher Bürgermeister habe ich den Kollektivvertrag für die Angestellten der Südgemeinden mit den Gewerkschaften ausgehandelt. Das war auch manch mal schwierig, aber am Ende muss man einen Zwischenweg finden. Es ist wie beim Sport: Während des Spiels ist man Gegner, doch wenn man sich danach die Hand gibt und "e Patt" zusammen trinkt, ist das für mich in Ordnung. Ich trage den Gewerkschaften nicht nach, dass sie das CPTE verlassen haben, aber statt den Kopf in den Sand zu stecken, müssen wir jetzt zusammen Lösungen suchen.
Tageblatt: Es ist ja nicht nur ein Streit. Wenn bestimmte Ankündigungen umgesetzt werden, könnten die Gewerkschaften dadurch erheblich geschwächt werden und an Einfluss verlieren.
Georges Mischo: Ich verstehe das, doch ich bin überzeugt, dass wir einen gemeinsamen Weg finden werden.