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Interview mit Xavier Bettel im Télécran "Ich will mein Leben nicht verstecken"
Interview: Télécran (Uwe Hentschel)
Télécran: Herr Bettel, ich habe neulich einen Film gesehen, und da habe ich Sie als Interviewpartner vermisst. Wissen Sie, welcher Film das war?
Xavier Bettel: Ich kann mir vorstellen, dass es um den Film geht, auf den mich auch schon viele Leute angesprochen haben (lacht). Sie meinen sicher den Film über die 25 Jahre Großherzog und Großherzogin...
Télécran: Genau. Gab es dafür einen bestimmten Grund?
Xavier Bettel: Nein, also vor zweieinhalb Monaten hatte der Premierminister mir gesagt, dass ein Film gemacht würde über das Jubiläum und dass nicht geplant sei, dass ich ein Interview geben soll, dass er aber gekämpft und es auch fertig gebracht habe - nach langen Verhandlungen - dass ich ins Video kommen soll. Und da habe ich gesagt: Wenn es ein Film ist für den Großherzog und die Großherzogin, und wenn die Großherzogin nicht möchte, dass ich darin vorkomme, dann verzichte ich lieber darauf, dass du kämpfen musst, damit ich dann irgendeine Aussage machen kann. Ich war von den 25 Jahren des großherzoglichen Paares zehn Jahre lang Regierungschef. Aber wenn die es nicht möchten, dann verzichte ich eben darauf. Und dann habe ich den Film gesehen und ich war nur überrascht, als mir nachher gesagt wurde, dass wir als Regierung den Film bestellt und auch bezahlt haben. Und es ist schade, dass es eine französische Produktionsfirma ist, wenn es doch auch Produktionsfirmen in Luxemburg gibt. Mehr sage ich dazu nicht. Aber Reformen sind eben nicht immer populär...
Télécran: Ihr Vorgänger als Außenminister, Jean Asselborn, kam in dem Film zu Wort - und kürzlich auch in einem deutschen Podcast, wo er sich aufgrund seiner Äußerungen zur israelischen Politik im Nachhinein rechtfertigen musste. Sie haben diesbezüglich ja auch schon genügend Erfahrungen gesammelt. Ist man in so einer Situation froh, wenn sich auch mal ein anderer die Finger an dem Thema verbrennt?
Xavier Bettel: Ich kann mich nie freuen, wenn irgendjemand, den ich kenne, einen Shitstorm abbekommt. Schadenfreude habe ich bei keinem. Ich habe den Podcast aber auch nicht gehört, deswegen kann ich mich dazu nicht äußern. Ich finde Shitstorms generell nicht schön, selbst wenn es den politischen Gegner trifft. Heute trifft es ihn und dann morgen vielleicht mich. Ich weiß aus eigener Erfahrung, was ein Shitstorm bedeutet.
Télécran: Bleiben wir noch gerade bei Israel. Sie haben kürzlich in der Diskussion um mögliche Sanktionen gegen Israel in der Chamber gesagt: "Was die EU macht, bringt nichts. Was der Internationale Gerichtshof entscheidet, bringt nichts. Was die UNO in der Generalversammlung entscheidet, bringt nichts. Nehmt es mir also nicht übel, aber das, was wir entscheiden, hat sehr wenig Einfluss." - Das klingt ein wenig resigniert...
Xavier Bettel: Es ist schade, aber es ist leider eine Feststellung, dass heute der Einzige, der wirklich ein Kriegs ende in Israel forcieren kann, der amerikanische Präsident ist. Das ist leider so. Mir wäre es auch lieber, wenn das, was internationale Gerichte entscheiden, auch respektiert würde. Dass im Sicherheitsrat der UN, in dem es 15 Mitglieder gibt, die fünf permanenten Mitglieder mit ihrem Vetorecht alles blockieren können, ist nicht richtig, aber leider Tatsache.
Télécran: Wird da ein kleines Land wie Luxemburg überhaupt gehört?
Xavier Bettel: Es geht darum, dass Europa gehört wird. Ich habe nicht das Ego, um zusagen, dass Luxemburg jetzt die Welt ändert. Aber ich bin überzeugt, dass wir mit Kaja Kallas, der EU-Außenbeauftragten, die Möglichkeit haben, Druck auf Israel zu machen, was die humanitäre Hilfe betrifft und das, was in Gaza passiert. Das können wir als EU aber nur schaffen, wenn wir Einstimmigkeit haben. Und die haben wir leider nicht.
Télécran: Davon weiß Ihr langjähriger Vorgänger auch ein Lied zu singen. Sie selbst sind jetzt anderthalb Jahre Außenminister und Vizepremier, waren davor selbst zehn Jahre Premierminister. Wie lange hat es gedauert, sich in dieser neuen Rolle - und auf Platz zwei - zurechtzufinden?
Xavier Bettel: Also ich habe den Vorteil, dass ich in der Politik immer alles gerne gemacht habe. Ich war gerne Gemeinderat, Ich war gerne Abgeordneter, ich war gerne Beigeordneter, war gerne Bürger meister, Fraktionschef und Regierungschef.
Ich habe immer Freude gehabt an dem, was ich mache. Ich war auch Rechtsanwalt, und es gab keinen Job, von dem ich sagen würde, dass mir das keinen Spaß gemacht hat und bei dem ich morgens nie Lust hatte, aufzustehen und zu arbeiten. Das heißt, die Umstellung, jetzt nicht mehr Regierungschef, sondern Außenminister zu sein, ist nichts, was meinem Ego wehtut. Gauthier (Ehemann von Xavier Bettel, Anm. d. Red.) sagt, ich wäre jetzt auch weniger gestresst - zwar weniger zu Hause, aber eben weniger gestresst. Ich hatte bislang wirklich immer das Glück, einen Job zu haben, der mir viel Freude bereitet.
Télécran: Als Vizepremier sind Sie ja auch in die Verhandlungen mit den Gewerkschaften involviert. Der Premierminister musste da in den letzten Wochen viel Kritik einstecken. Wohingegen Sie und die DP dabei bislang recht unbeschadet wegkamen. Woran liegt das?
Xavier Bettel: Auch wenn wir die Entscheidungen gemeinsam treffen: Derjenige, der in der Vitrine steht, ist auch immer derjenige, der die meiste Kritik abbekommt. Ich kenne das aus meinen zehn Jahren an der Spitze. Es ist völlig normal, dass der Regierungschef und seine Partei dann in erster Linie dafür verantwortlich gemacht werden.
Télécran: Es ist also nicht so, dass Sie eine andere Position vertreten als Herr Frieden?
Xavier Bettel: Nein, überhaupt nicht.
Télécran: Die Wahrnehmung in der Bevölkerung scheint aber eine andere zu sein, wenn sich die Wut vor allem gegen den Premier und die CSV richtet...
Xavier Bettel: Wir sind eine gemeinsame Regierung. Ein Journalist, ein Kollege von Ihnen, hat mich neulich gefragt, wie denn die Stimmung in der Koalition ist. Da habe ich gesagt: Die Flitterwochen sind vorbei, aber die Ehe steht. Und dann haben alle gedacht, dass mit dem Ende der Flitterwochen gemeint sei, dass wir nicht mehr zusammen können. Aber das ist Blödsinn.
Nach 18 Monaten sind die Flitterwochen nun mal vorbei, und aus dem Honeymoon wird dann ein Arbeiten auf Augenhöhe. Es ist keineswegs so, dass Luc oder seine Partei die Entscheidungen alleine treffen. Aber er ist nun mal der, der im Schaufenster steht.
Télécran: Ist damit dann auch zu erklären, dass Sie beim jüngsten Politmonitor am besten abgeschnitten haben, während Luc Frieden nur auf Platz 8 landete?
Xavier Bettel: Ja, wer vorne steht, bekommt immer am meisten ab. Ich hatte als Premier auch viele "Ups and Downs". Sobald man unpopuläre Entscheidungen treffen muss, bekommt man eine Ohrfeige. Und die Rentenreform war noch nie ein populäres Thema. Aber wir wissen alle, dass was passieren muss.
Télécran: Jetzt ist aber erst einmal Sommerpause. Inwieweit haben die Auseinandersetzungen mit den Gewerkschaften Ihre eigenen Urlaubspläne verhagelt?
Xavier Bettel: Bislang haben sich durch die aktuellen Entwicklungen nur meine beruflichen Reisepläne geändert. Meine Ferien sind erst im August, und ich hoffe natürlich, dass sich daran nichts ändert. Ich war vor Jahren mal im Urlaub, als ein Tornado über Luxemburg fegte. Da habe ich meine Ferien natürlich unterbrochen. Wenn es ein Problem gibt, erfordert das eine gewisse Flexibilität. Und das weiß mein Partner auch.
Télécran: Wohin geht es in diesem Urlaub?
Xavier Bettel: Wir sind in Frankreich, in Aix-en-Provence und in Südfrankreich. Und wir fahren alles mit dem Zug, also kein Flieger. Ich sitze genug im Flugzeug. (lacht)
Télécran: Hat man als Außen- und Entwicklungsminister, der ständig in der Welt unterwegs ist, überhaupt noch Lust, im Urlaub viel zu verreisen?
Xavier Bettel: Ich will vor allem Zeit mit meinem Partner verbringen, den ich weniger sehe. Wir haben nicht viel gemeinsame Zeit. Für mich bedeuten Ferien, Zeit mit Menschen zu verbringen, die ich mag, und auch mal ein gutes Buch zu lesen. Ich freu mich einfach auf einen Break mit meinem Ehemann und mit Freunden, die wir treffen.
Télécran: Können Sie im Urlaub gut abschalten?
Xavier Bettel: Ja. Aber ich brauche drei, vier Tage, bis ich richtig abgeschaltet habe. Und ich habe einen Deal mit meinem Ehemann, dass ich versuche, nicht die ganze Zeit auf das Handy zu schauen?
Télécran: Und? Klappt das?
Xavier Bettel: Nein, nicht so wirklich. Ich versuche dann einfach, mein Handy im Zimmer zu lassen, gehe dann heimlich ins Zimmer, gucke schnell und komme dann wieder raus. (lacht)
Télécran: Wann dürfen Ihre Mitarbeiter Sie im Urlaub stören?
Xavier Bettel: Immer. Ich bin 24 Stunden, sieben Tage die Woche erreichbar. Aber wenn wir im Restaurant sitzen oder wenn wir in einem Gespräch sind und dann eine Nachricht kommt, dann kann das ja auch zehn Minuten oder eine Viertelstunde warten. Damit wir das Gespräch auf jeden Fall beenden. Es wäre ja auch respektlos: Wir sehen uns fast nicht und dann klimpere ich auf dem Handy, während Gauthier gerade mit mir redet. Das kann ich nur jedem Paar wirklich empfehlen: Wenn man zu zweit reist, sollte man auch zu zweit sein.
Télécran: Angenommen, Sie würden zwar gemeinsam in den Urlaub fliegen, müssten dabei aber auch auf einem Langstreckenflug zehn Stunden neben einer dieser drei Personen sitzen: Ungarns Staatschef Viktor Orbân, dem slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico oder dem russischen Außenminister Sergei Lawrow. Für wen würden Sie sich entscheiden?
Xavier Bettel: Das ist mir egal. Ich habe ein Prinzip, dass ich, auch wenn es Meinungsunterschiede gibt, mit jedem reden sollte. Sie sind alle drei nicht meine besten Kumpels. Und mit den Dreien habe ich auch schon geredet, und ihnen gesagt, was ich von ihrer Politik halte. Und wenn es zehn Stunden sind, dann glauben Sie mir, dass die drei diejenigen wären, die sich am meisten freuen, wenn wir landen. (lacht)
Télécran: Haben Sie sich mit Blick auf Orbân und Fico, die viele EU-Abstimmungen blockieren, auch schon mal gewünscht, die EU hätte nur 25 statt 27 Mitgliedsstaaten?
Xavier Bettel: Nein, wir sind 27. Das Problem ist aber: Wir wissen, dass wir Regeln haben, wenn alles in Ordnung ist. Wir haben aber keine Regeln, wenn das nicht der Fall ist. Wir haben noch immer das Prinzip der Einstimmigkeit und deswegen sind wir so abwesend in der Außenpolitik. Weil wir immer Einstimmigkeit haben müssen, und dann kommt eben immer das kleinste Gemeinsame dabei raus. Das ist nicht gut.
Télécran: Und man kann ja auch Herrn Orbân wahrscheinlich nicht immer bei schwierigen Abstimmungen vor die Tür zum Kaffeetrinken schicken...
Xavier Bettel: Nein, aber Orbân muss verstehen, dass Europa auch nicht nur eine Kasse ist, aus der man sich bedient. Es sind auch Werte. Es ist ein Friedensprojekt und ein Werteprojekt.
Télécran: Apropos Orbân und Werte: Die ungarische Regierung und weite Teile ihrer Anhänger gelten als homophob und LGBTQI-feindlich. Auch in vielen anderen Ländern werden gleichgeschlechtliche Paare diskriminiert, mitunter sogar kriminalisiert. Wie ist das für Sie in solchen Staaten als Außenminister? Fühlen Sie sich dort auch immer respektiert?
Xavier Bettel: Wenn sie mich nicht respektieren, würden sie mich nicht einladen. Ich war mit Gauthier schon beim Papst, und wenn es selbst der Vatikan akzeptiert, dass ich einen Ehemann habe, dann müssen das vielleicht auch andere Leute verstehen. Ich habe mein Leben und ich will es nicht verstecken, nur damit es irgendeinem Politiker, dem Wähler oder einer Gemeinschaft besser geht.
Télécran: Und wie ist das im Privaten, mit Blick auf mögliche Urlaubsziele? Fallen da bestimmte Destinationen schon von vornherein aus der Auswahl?
Xavier Bettel: Ein solches Land ist dann nie unser Urlaubsziel. Ich muss ja auch nicht, wenn ich weiß, dass es nicht in Ordnung in dem Land ist, Händchen in Händchen durch die Stadt gehen. Es ist jetzt nicht mein Urlaubsziel, dahin zu gehen, wo ich weiß, dass ich die Todesstrafe oder eine Gefängnisstrafe riskiere, weil ich hier mit meinem Mann unterwegs bin. Ich hatte einmal, als ich Abgeordneter war, eine Sitzung im Ausland. Mein Mann war dabei, wir hatten das selbst bezahlt und angemeldet. Und da wurde mir aus dem Parlament geraten, ihn nicht als Partner, sondern als Angestellten anzumelden. Ich fragte: Wieso? Worauf mir gesagt wurde, dass es in dem Land nicht gut angesehen ist, wenn man schwul ist. Und da habe ich gesagt: Ich habe lieber den Ruf, schwul zu sein, als mit meinem Personal ins Bett zu gehen. (lacht) Und dann wurde das auch akzeptiert. A "Ich brauche drei, vier Tage, bis ich richtig abgeschaltet habe.” Rund um die Uhr erreichbar zu sein, ist für den Minister selbstverständlich "Wer vorne steht, bekommt immer am meisten ab.” Xavier Bettel über Premier Luc Frieden und die Kritik an seiner Arbeit.