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Urlaub auf der Haard statt auf Hawaii
Interview mit Martine Deprez im TélécranInterview: Télécran (Sabrina Backes)
Télécran: Frau Deprez, bereits vor Ihrer Legislaturperiode waren Verhütungsmittel kostenlos erhältlich. Darunter fielen aber nie Kondome, da sie nicht als Arzneimittel gelten. Anlässlich des 60-jährigen Bestehens des Planning Familial haben Sie gesagt, dass Sie sich wünschen, dass auch Kondome von dieser Regelung umfasst werden. Wie ist da der Stand?
Martine Deprez: Ich schaue gerade mit verschiedenen Akteuren, wie wir die Kondome mit einbeziehen können. An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass es bereits heute viele Stellen gibt, an denen Kondome kostenlos erhältlich sind, beispielsweise im CHL-Krankenhaus, im Centre LGBTIQ+ CIGALE oder bei der HIV Berodung. Dennoch benötigen wir mehr solcher Stellen. Ich denke da an Frankreich, wo man bis zu einem gewissen Alter Kondome einfach in der Apotheke gratis bekommt. Wir prüfen derzeit, wie wir die Ver teilung organisieren und die Kostenübernahme klären können.
Télécran: Bleiben wir beim Thema: Sexuell übertragbare Krankheiten sind auf dem Vormarsch. Luxemburg verzeichnet sogar die höchste Syphilisrate in Europa. Wie wollen Sie dagegen vorgehen?
Martine Deprez: Wir hatten im Sommer eine Kampagne, in der wir darauf hingewiesen haben, dass das Kondom das sicherste Mittel ist, um sich vor Geschlechtskrankheiten zu schützen, und den Leuten bewusst gemacht haben, dass ein Kondom eben nicht "nur" ein Verhütungsmittel ist. In diesem Sinne arbeiten wir mit der ANIJ (Agence Nationale pour l'lnformation des Jeunes, Anm. d. R.) auch an einer Modernisierungskampagne, um das Image des Kondoms wieder etwas aufzuwerten. Sie heißt "STI Squad" und bezieht auch Ideen von jungen Leuten mit ein.
Télécran: Die Ärzteversorung im Norden des Landes war öfter Thema in der Politik, zuletzt in einer parlamentarischen Anfrage. Dort ist auch die Rede einer zweiten Maison Médicale de Garde im Norden. Wie notwendig ist diese in Ihren Augen?
Martine Deprez: Eine zweite Maison médicale im Norden zu eröffnen, würde wenig Sinn ergeben, wenn man den Ärzten mit den Bereitschaften dann noch mehr Arbeitsaufwand zumuten würde. Aktuell sind wir froh, dass wir die Bereitschaft in einem Zentrum im Norden garantieren können. Anschließend werden wir prüfen, wie wir die Mediziner in ihren Praxen unterstützen können, wenn diese ihre Öffnungszeiten ausweiten. In Luxemburg gibt es die Besonderheit, dass man nicht unbedingt in die Notaufnahme muss, wenn es einem außerhalb der Öffnungszeiten des Hausarztes schlecht geht. Patienten können auch eines der drei Bereitschaftszentren Belval, Strassen oder Ettelbrück aufsuchen. Dennoch sollte der Hausarzt stets die erste Anlaufstelle sein, sofern möglich. Deshalb haben wir die Kampagne "I love my Hausdokter" ins Leben gerufen. Das impliziert allerdings auch, dass jede in Luxemburg lebende Person einen Hausarzt haben sollte. Dieser begleitet einen ein Leben lang, behält dadurch den Überblick und kann stets weiterhelfen und bei Bedarf an die richtige Stelle verweisen.
Télécran: Bleiben wir beim Thema medizinisches Personal: Nicht nur in Luxemburg fehlen Pflegekräfte. Wie kann der Beruf auch für hier Lebende attraktiver gemacht werden?
Martine Deprez: Das Gesundheitspersonal in Luxemburg steht unter Druck, weil an verschiedenen Stellen nicht genügend Personal vorhanden ist. Hinzu kommt, dass die Krankheitsstatistiken immer wieder ansteigen, was wiederum zusätzlichen Druck auf das Personal ausübt. Hinzu kommen die immer umfangreicheren Dokumentationsarbeiten. Das führt dazu, dass Krankenpfleger nicht mehr genügend Zeit haben, ihren eigentlichen Beruf auszuüben, für den sie ausgebildet wurden. Nun gibt es verschiedene Krankenhäuser, die versuchen, diese administrativen Aufgaben abzugeben. Sie stellen jemanden ein, der ausschließlich den Kontakt zur Familie der Patienten organisiert, den Transfer nach Hause usw. Das müssen keine gelernten Krankenpfleger sein.
Télécran: Vor etwas mehr als fünf Jahren hat das Coronavirus die Welt stillgelegt. Im Nachhinein gefragt: Wie notwendig ist ein Pandemiegesetz? Sind wir allgemein gut gewappnet gegen zukünftige Pandemien?
Martine Deprez: Das ist ein großes und weites Feld, auf das ich in den ersten Monaten meiner Amtszeit häufig angesprochen wurde. Das Pandemiegesetz wird ein Kapitel. Da das aber nicht ausreicht, werden wir ein Gesetz zur gesamten öffentlichen Gesundheit machen. Hier wird alles geregelt, vom ersten Infektionsfall bis zum letzten, von der Prävention bis hin zur Nacharbeit. Wir kommen gut voran mit den Arbeiten. Parallel dazu stehen wir auch mit der WHO (Weltgesundheitsorganisation, Anm.d. R.) in Kontakt, um alles aufzuarbeiten, was sich aus der COVID-19-Pandemie ergeben hat.
Télécran: Während der Corona-Pandemie standen manche der Impfung skeptisch gegenüber. Gab oder gibt es in Luxemburg so etwas wie eine "Impfmüdigkeit"?
Martine Deprez: Es ist das Recht eines jeden, über seinen Körper bestimmen zu können. Eine allgemeine Impfmüdigkeit stellen wir in Luxemburg aber nicht fest. Die empfohlenen Impfungen werden von der Bevölkerung gut angenommen. Ich denke, dass jedem, der sich mit dem Thema auseinandersetzt, klar wird, dass Impfungen der Menschheit im Laufe der Zeit dabei geholfen haben, verschiedene Krankheiten auszurotten, die sonst immer noch tödlich wären. Zudem stehen wir bei den Kinderimpfungen gut da. Wir werden sogar von anderen Ländern für unsere hohe Impfquote beneidet. Wenn ich beruflich in einem anderen Land unterwegs bin, werde ich praktisch immer darauf angesprochen und gefragt, wie wir das machen. Dann erkläre ich ihnen, wie unser Gesundheitssystem funktioniert, dass man bis zum Alter von zwei Jahren regelmäßig mit den Kindern zum Kinderarzt geht und dieser entsprechend Aufklärung leistet.
Télécran: Was ist Ihrer Meinung nach mit Blick auf die Zukunft die größte Gefahr für die öffentliche Gesundheit?
Martine Deprez: Der Klimawandel ist ein Risiko, weil er Krankheiten mit sich bringen wird, die wir bisher gar nicht kennen. Wir müssen achtsam bleiben und direkt reagieren können, sobald eine solche Krankheit hier ankommt. Es ist wichtig, dass wir nach dem "One Health"-Ansatz der WHO arbeiten. Dabei berücksichtigen wir neben dem Menschen auch die Tier- und Pflanzenwelt, da auch sie eine Rolle spielen, wenn es um das Aufkommen von Krankheiten geht.
Télécran: Rund ein Viertel der EU-Bevölkerung raucht. Die durch das Rauchen verursachten Krankheiten sind für enorme Kosten verantwortlich. Die EU-Kommission schlägt deswegen eine Erhöhung der Tabaksteuer vor, was halten Sie davon?
Martine Deprez: Wenn es um Steuern geht, dann fällt das in den Zuständigkeitsbereich des Finanzministeriums und dazu kann ich keine Aussage treffen. Als Gesundheitsministerin bin ich jedoch froh, wenn über eine Preiserhöhung diskutiert wird. Die WHO hat nämlich festgestellt, dass der Preis ein wichtiger Faktor ist, um den Tabakkonsum zu reduzieren - vor allem bei Menschen, für die der Preis eine entscheidende Rolle spielt. Es ist also keine alleinige Lösung. Prävention ist unerlässlich. In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Initiative "Génération sans Tabac" der Fondation Cancer hinweisen.
Télécran: Der Gesetzentwurf 8333 soll das Anti Tabak-Gesetz von 2006 ändern, um neue europäische Regelungen einzubeziehen. Sie haben zusätzliche Änderungen vorgeschlagen. Diese gehen der Fondation Cancer jedoch nicht weit genug. Sie kritisiert, dass Einweg-E-Zigaretten im jetzigen Entwurf nicht erwähnt werden. Und das, obwohl diese Produkte vor allem junge Leute anziehen. Wieso?
Martine Deprez: Man kann immer strengere Regeln fordern. Wir bewegen uns aber hier in der Tabakdirektive, das heißt von der EU wird ein Ziel festgelegt, es liegt aber an den Mitgliedern, eigene Rechtsvorschriften zur Verwirklichung dieses Ziels zu erlassen. In Frankreich und Belgien sind dem entsprechende Verbote umgesetzt. Da möchten wir abwarten und schauen, wie es dort weiter geht. Davon unabhängig setzen wir uns aber mit dem Umweltministerium zusammen, um zu schauen, ob wir vor dem Hintergrund der Abfallgesetzgebung nicht eventuell umdenken könnten, damit diese Einweg-E-Zigaretten über diesen Weg verboten werden.
Télécran: Eine Frage zum Thema Rente: Kürzlich haben Sie Folgendes gesagt: "Wir haben das niedrigste Renteneintrittsalter in Europa. Es muss eine Piste sein, dass wir länger arbeiten". Aber auch eine Erhöhung der Rentenbeiträge schließen Sie nicht aus. Können Sie das immer noch so unterschreiben?
Martine Deprez: Was ich vor ein paar Wochen gesagt habe, unter schreibe ich heute immer noch - es sei denn, jemand könnte mich vom Gegenteil überzeugen. Wir diskutieren nach wie vor mit den Sozialpartnern über die erforderlichen Dispositionsänderungen. Im September werden wir in die nächste Runde gehen. Bis dahin kann ich sagen, dass wir das niedrigste Renteneintrittsalter in Europa haben. Unser aktuelles Rentensystem sichert die Menschen gut ab, was auch gut so ist. Aber die Leute, die morgen oder übermorgen anfangen zu arbeiten, müssen wir jetzt schon umdenken lassen und Verantwortung übernehmen, damit sie nicht in die Situation kommen, dass ihnen von heute auf morgen die Rentenbeiträge gekürzt werden. Es handelt sich um ein komplexes System, das von vielen Faktoren abhängt. Deshalb muss ein ganzes Maßnahmenpaket über einen längeren Zeitraum etabliert und dann überwacht werden. Dazu zählen unter anderem die Erhöhung der Rentenbeiträge und die Anpassung der Pensionen. Doch auch von einem individualisierten System für Frauen war die Rede. Hier geht es vor allem darum, dass Frauen die Möglichkeiten der freiwilligen Zusatzversicherung kennen und in Anspruch nehmen können.
Télécran: Sie sind jetzt fast in der Hälfte Ihrer Amtszeit: Was würden Sie sagen, müssen Sie noch erreichen, bevor Ihre Legislaturperiode vorerst auf ein Ende geht?
Martine Deprez: Sehr viel. Unter anderem wollen wir das Krankenhausgesetz von 2018 reformieren. Aktuell haben wir in Luxemburg immer noch eine relativ krankenhauszentrierte Medizin. Auch hier gibt es Überlegungen, verschiedene Aktivitäten aus dem Krankenhaus auszulagern. Weitere Details dazu folgen im Herbst. Das soll aber nicht so laufen wie beim Centre Médical Potaschbierg, das ein weiterer Standort des CHL-Krankenhauses ist. Ein Paradebeispiel wäre, dass die Ärzte in einem Zentrum ihre Geräte benutzen und diese auch dem Krankenhaus im Notfall zur Verfügung stellen, aber sonst allein über die Ausstattung verfügen. Deswegen benötigen wir ein Gesellschaftsrecht für die Ärzte und parallel dazu eine Gesetzgebung, damit sie unabhängig arbeiten können, ohne an ein Krankenhaus gebunden zu sein. Die Regierung setzt sich auch für die Förderung präventiver Medizin ein. Ich denke dabei an die "Prescription d'activité physique", bei der ein Arzt etwa Bewegung verschreiben kann.
Télécran: Frau Deprez, wo verbringen Sie gerne Ihren Urlaub und wieso?
Martine Deprez: Ich mache gerne Urlaub zu Hause. Dann bin ich flexibler: Bei schönem Wetter fahre ich zum Stausee, bei schlechtem Wetter gehe ich mit meinem Hund im Wald spazieren. Wir waren aber auch schon mit dem Hund an der belgischen Küste, was uns ebenfalls sehr gut gefallen hat. Ich fahre nicht gerne lange. Durch meinen Job habe ich nicht mehr das Bedürfnis, weiter weg zu reisen.
Télécran: Auf die Gesundheit bezogen: Treffen Sie vor jedem Urlaub gesundheitliche Vorkehrungen?
Martine Deprez: Ich habe drei Kinder. Von klein auf haben wir immer darauf geachtet, dass wir auf Reisen das Nötigste dabei haben. Eine Reiseapotheke wurde uns damals von der Kinderärztin empfohlen. Darin sind Mittel gegen Fieber und Magen-Darm-Beschwerden sowie Sonnencreme und Pflaster enthalten. Doch auch am Urlaubsort treffe ich Vorkehrungen. Ein Buffet bedeutet für mich immer zu viel Essen. Aus diesem Grund verzichte ich lieber darauf. Ich nutze lieber die Gelegenheit, kleine, lokale Restaurants mit frischen Produkten der Saison zu entdecken. Das ist für mich der wahre Urlaubsgenuss. Ich bin gerne unterwegs und erkunde die Gegend daher lieber zu Fuß, anstatt meine Tage am Strand zu verbringen.
Télécran: Sie haben sich die "Haard" in Düdelingen als Interview-Location ausgesucht. Was gefällt Ihnen hier so gut?
Martine Deprez: Ich komme aus dem Ösling. Düdelingen habe ich durch meinen Mann entdeckt. Mich fasziniert, dass die alte Industrie noch immer präsent ist, die Natur sich aber viel zurückerobert hat. Das fasziniert mich jeden Tag, wenn ich hier in der Minett-Region unterwegs bin.
Télécran: Frau Deprez, ich danke Ihnen für das Gespräch.