Interview von Claude Meisch im Tageblatt

"Wir haben viel erreicht"

Interview: Tageblatt (René Hoffmann)

Tageblatt: 2018 kam es zu einer Reform des Abschlussexamens im klassischen Sekundarunterricht. 2019 ist das "Enseignement secondaire général dran. Was sind Ihre Erwartungen an die Reformen? 

Claude Meisch: Die Reform hatte viele Ziele. Eines davon war es, das Niveau der Ausbildung hochzuhalten, indem mehr gute "mentions" verliehen werden. Die Konkurrenz im Ausland schläft nämlich nicht. Dort besteht das Abschlussexamen zwischen vier und sechs Tests, hierzulande waren es bisher zwischen acht und zwölf. Die Schüler in Luxemburg hatten dementsprechend nicht so viel Zeit, sich eingehend mit dem Lernstoff zu beschäftigen. 
Im Abschlussjahr des klassischen Sekundarunterrichts müssen die Schüler immer noch dieselbe Zahl an Fächern erfolgreich absolvieren. Wir haben aber die Anzahl der Examensfächer reduziert. Wir wollen nicht das Niveau des Sekundarunterrichts nach unten schrauben. Man muss immer noch sein Jahr und die Examen erfolgreich abschließen. Unser Ziel ist es jedoch, die Anzahl der guten Resultate zu erhöhen. Und das haben wir geschafft. Schlossen im letzten Jahr 100 Schüler mit der "mention excellent" ab, so sind es in diesem Jahr bereits 139. Dass aber die "1re" nicht einfacher wurde, sieht man an der Tatsache, dass die globalen Resultate leicht unter dem Niveau derer von 2017 liegen (78% gegenüber 80%). 
Im Schuljahr 2018/2019 wird eine solche Reform auch im "enseignement secondaire général" durchgezogen. Und das Ziel ist das gleiche wie beim klassischen Sekundarunterricht. 

Tageblatt: Wie sehen Sie den Stellenwert des Luxemburger Abschlussdiploms im Vergleich zum Ausland? 

Claude Meisch: Das luxemburgische Abschlussdiplom ist etwas wert, im internationalen Vergleich. Wir beschränken uns ja hier nicht nur auf die Wissensvermittlung in einigen Fächern, sondern vermitteln den Jugendlichen auch eine humanistische Bildung, bereiten sie also auf das Leben vor. In diesem Sinne kann man hierzulande neuerdings auch verschiedene außerschulische Aktivitäten oder Kurse zertifizieren lassen wie z.B. ein Erste-Hilfe-Kurs, ein Volontariat, Sprachkurse usw. 
Im Ausland bereitet das französische oder belgische "Baccalauréat" oder das deutsche Abitur die Schüler auf die Hochschulstudien in den jeweiligen Ländern vor. Das ist bei uns hier anders, weil immer noch die Mehrzahl der Luxemburger ihre Studien im Ausland fortsetzt. Mit unserem Abschlussexamen kann man sich in Belgien, Deutschland, Frankreich, England oder auch anderen Ländern auf einer Universität einschreiben. Dadurch dass wir während des Jahres mehr Fächer auf dem Lernplan haben als im Ausland, besitzen die Luxemburger Studenten meist ein gutes Allgemeinwissen, das ihnen bei ihren Universitätsstudien zugutekommt. Ich rate auch allen luxemburgischen Studenten, im Ausland zu studieren. 
Die Entdeckung eines anderen Landes, einer anderen Kultur usw. ist eine Erfahrung, von der sie später profitieren können. 
Wie die Präsenz der vielen ausländischen Mitbürger, Studenten und Pendler trägt das auch zur "Offenheit" des Landes und seinem multikulturellen Charakter bei. 

Tageblatt: Bei Studien im Ausland sind die Sprachkenntnisse wichtig. Sind sie immer noch eine Priorität des Luxemburger Bildungswesens? 

Claude Meisch: Ja, durchaus. Aber die Sprachkenntnisse sollen nicht mehr die Erfolgschancen eines Schülers in Gefahr bringen. Wir benötigen Sektionen, die den Talenten, dem Wissen und den Ansprüchen der Schüler entsprechen. Im Luxemburger Schulsystem sind drei Sprachen die Regel. Nun müssen wir aber, wie ich vorher bereits gesagt habe, dem Nachwuchs die Möglichkeit bieten, mit weniger Sprachkenntnissen in einer Sprache trotzdem seinen schulischen Parcours zu bewältigen. Darum werden von jetzt an im allgemeinen Sekundarunterricht zwei Sprachenniveaus, ein "Cours de base" und ein "Cours avancé" angeboten. Z.B. die Kinder von Einwanderern oder Flüchtlingen sollen dieselben Aussichten auf eine erfolgreiche Ausbildung bekommen wie die anderen Jugendlichen. Deshalb kann im Rahmen der Schulautonomie der Sprachunterricht, wie alle anderen Fächer auch, den Schülern angepasst werden. 

Tageblatt: Wo liegen in der Sekundarschule die Prioritäten, u.a. was das notwendige Wissen und die Kompetenzen anbelangt?

Claude Meisch: Es gibt jetzt viele Möglichkeiten bei der Fachgestaltung. Man kann die Schwerpunkte individuell anpassen. In diesem Sinne werden auch neue Sektionen geschaffen — auch im "Enseignement général", wo man sich u.a. in der Architektur, im Hotelgewerbe oder in Umwelt/nachhaltige Entwicklung spezialisieren kann. Das Ziel sind vielfältige Lyzeen, wo jeder Schüler optimal auf seine Zukunft vorbereitet wird. 

Tageblatt: Welche Bereiche werden, neben der Sprachen, gefördert? 

Claude Meisch: Es wird viel Wert auf den Informatikunterricht gelegt. Bisher existierte hier eine "informatische Wüste". Das soll sich ändern. Deshalb haben wir u.a. eine "I"-Sektion im klassischen Lyzeum eingeführt. Die Inhalte der Kurse müssen auch permanent überarbeitet werden. Parallel ist es wichtig, die Kodierung bereits in den Grundschulen zu fördern. 
Bei den Naturwissenschaften geht es vorrangig darum, den Kindern und Jugendlichen die verschiedenen Disziplinen näher zu bringen, und das bereits in jungen Jahren. Das Gleiche gilt für die technischen Berufe wie das Ingenieurwesen und das Handwerk. Das "Luxembourg Science Center" in Differdingen spielt z.B. in diesem Zusammenhang eine bedeutende Rolle. Die Förderung der wissenschaftlichen Aktivitäten ist wichtig. Ich erinnere daran, dass das Großherzogturn zu einem Wissenschaftsstandort und einem Datacenter werden soll. Da brauchen wir genügend Fachkräfte. 
Im Augenblick gibt es aber z.B. mehr Psychologiestudenten als Biologiestudenten. Kunst wird öfters studiert als Informatik. Auch ist die Zahl der Ingenieurstudenten ist zu niedrig. 

Tageblatt: Früher war der klassische Sekundarunterricht besser angesehen als der allgemeine. Hat sich das geändert? Was ist der Unterschied zwischen klassischer und technischer Sekundarschule? 

Claude Meisch: Den Unterschied gibt es noch, er ist aber weniger ausgeprägt, weil man inzwischen die verschiedenen "Filières" wechseln kann. Die Priorität wird aber oft noch dem klassischen Sekundarunterricht zugemessen. Das Angebot des allgemeinen Sekundarunterrichts ist aber breiter. Alles hängt aber schlussendlich von der Wahl des Schülers ab. Er kann ab der 10e oder 4e seine Sektion wählen. Aber egal in welchen Bereich des Sekundarunterrichts man geht, das Ziel ist immer, ein Maximum an Wissen zu vermitteln. Die Tendenz auf dem Arbeitsmarkt geht nämlich immer weniger in Richtung "Fachspezialisten". 

Tageblatt: Eltern und Lehrer sollen eine Bildungsgemeinschaft bilden. Kann es da nicht zu Interessenkonflikten kommen, u.a. was die schulische Zukunft des Nachwuchses nach der Sekundarschule anbelangt? 

Claude Meisch: In der Sekundarschule spielt das quasi keine Rolle, weil der Schüler erwachsen ist. Er entscheidet, was er tun will. Beim Übergang von der Grundschule in die Sekundarschule kam es in der Vergangenheit zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Lehrkräften und Eltern. Das ist jetzt aber nicht mehr so oft der Fall. In über 98 Prozent der Fälle sind sich Eltern und Lehrer einig, wo das Kind weiter in die Schule gehen soll. Sind sie es nicht, entscheidet ein Ausschuss. Darin sind neben den Eltern und den Lehrern auch Psychologen und Professoren der Sekundarschule vertreten. Sie analysieren zusammen die Stärken und Schwächen des Schülers und orientieren ihn dann dorthin, wo er die meisten Zukunftschancen hat. In diesem Kontext ist jedoch auch der permanente Kontakt mit der Berufswelt von großer Bedeutung. 

Tageblatt: Die Wahlen stehen vor der Tür. Wenn die DP noch einmal Mitglied einer Regierungskoalition wird, stehen Sie dann noch einmal für den Posten des Unterrichtsministers zur Verfügung? 

Claude Meisch: Die Entscheidung nach den letzten Wahlen 2013, Bildungsminister zu werden, war eine Herzenssache. Ich habe mich immer für die Schule und die Zukunft der Kinder interessiert. In den letzten fünf Jahren wurde eine "richtige" Reform durchgeführt. Ich glaube, wir haben viel erreicht. Ich brenne dann auch nach wie vor für das Thema und bin nicht abgeneigt, sollte das Wahlresultat und etwaige Koalitionsgespräche es ergeben, in diesem Ministerium weiterzumachen. 

 

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