"Steuerliche Entlastung bedeutet bis zu 15 Prozent mehr Netto"

Interview: Luxemburger Wort (Michéle Gantenbein)

Luxemburger Wort: Luc Frieden, die Regierung sorgte gleich zu Beginn der Legislatur mit dem umstrittenen Bettelverbot für Aufruhr in der Gesellschaft und wurde als herzlos bezeichnet. Würden Sie das aus heutiger Sicht noch einmal genau so machen?

Luc Frieden: Es war notwendig, dass beim Thema Sicherheit mehr passiert. Der Innenminister hat sich der Sache sofort angenommen. Deshalb war das, was er gemacht hat, sicherlich richtig. Aber wenn das Bettelverbot in Verbindung mit anderen Themen gestanden hätte, wäre es sicher kohärenter rübergekommen. Wenn ich auf das zurückliegende Jahr zurückblicke, bin ich sehr zufrieden mit dem, was wir erreicht haben. Wir haben die Kaufkraft der Menschen und die Wettbewerbsfähigkeit gestärkt, wir haben uns dem Thema Armutsbekämpfung und erneuerbare Energien gewidmet und wir haben uns um die Sicherheit gekümmert. Betrachtet man das alles zusammen, dann versteht man besser, dass man nicht einen Punkt allein hervorheben kann, sondern alles zusammen betrachten muss. In all diesen Punkten sind wir ein gutes Stück weitergekommen.

Luxemburger Wort: Auch in der Bewältigung des Caritas-Skandals musste die Regierung sich Kritik anhören und wieder hieß es, Sie seien herzlos. Trifft Sie das?

Luc Frieden: Es macht mich immer traurig und ich weiß, dass das weder in der Handlung, noch in meinen Gedanken dem entspricht, was ich bin. Im Gegenteil. Es macht mich sehr betroffen, dass die Kinderarmut in den vergangenen Jahren gestiegen ist, doch vorher wurde niemandem vorgeworfen, ein kaltes Herz zu haben. Wir haben uns um das Problem gekümmert und erste substanzielle Maßnahmen ergriffen, um die Kinderarmut zu reduzieren: Wir haben die Teuerungszulage erhöht und dafür gesorgt, dass bedürftige Familien sie automatisch bekommen, wir haben die Energieprämie erhöht. Ich werde weiter dafür sorgen, dass es den Menschen in diesem Land besser geht. Die Stärkung der Kaufkraft beispielsweise zeigt, dass wir eine Politik mit Herz und Verstand betreiben, und ich werde mich nicht irreführen lassen von denen, die das Argument des kalten Herzens benutzen, um die Person anzugreifen, wenn es inhaltlich nichts zu kritisieren gibt. Mein ganzes Leben habe ich mich für andere eingesetzt. Das ist auch der Grund, warum ich Politik mache. Und ich werde das mit Begeisterung, mit Leidenschaft und mit Herz und Verstand weitermachen, so wie meine Regierungskollegen auch.

Luxemburger Wort: Die Caritas-Mitarbeiter sind quasi alle in der neuen Struktur HUT untergekommen. Wie zufrieden sind Sie mit dem, was die Regierung zusammen mit dem Krisenkomitee erreicht hat?

Luc Frieden: Es ist sehr schlimm, was mit der Caritas passiert ist und es tut mir leid für die Mitarbeiter, dass die Organisation und der Ruf so dramatisch zerstört worden sind. Aber ihre Arbeit bleibt sehr wertvoll. Ich bin sehr zufrieden, dass es uns gelungen ist, innerhalbkurzer Zeit durch eine exzellente Teamarbeit in der Regierung drei Ziele zu erreichen. Die Aktivitäten zu Gunsten der Schwächsten der Gesellschaft konnten aufrechterhalten bleiben, die Mitarbeiter konnten weiter beschäftigt werden und es ist uns gelungen, zu verhindern, dass öffentliche Gelder in einem Loch verschwinden. Ich bin sehr stolz auf das Krisenmanagement.

Luxemburger Wort: Einige EU-Länder haben temporäre Grenzkontrollen eingeführt, darunter auch Deutschland, um den Sicherheitsbedenken der Menschen Rechnung zu tragen. Ist das der Anfang vom Ende des freien Personenverkehrs in der EU?

Luc Frieden: Es ist zumindest besorgniserregend und ich werde weiter dagegen protestieren. Die Antwort der Innengrenzkontrollen ist keine Antwort auf das Problem einer unkontrollierten Migration. Das ist eine Scheinlösung. Die richtige Lösung besteht darin, die Migration an den Außengrenzen durch eine bessere Koordination in den Griff zu bekommen. Wenn wir an den europäischen Binnenmarktglauben, ist es wichtig, dass Schengen bestehen bleibt. Was jetzt passiert, ist hoffentlich von vorübergehender Natur und schlecht für das gemeinsame Europa.

Luxemburger Wort: In vielen Arbeitsbereichen fehlt es an Fachkräften. Die Copas hat jüngst darauf hingewiesen, dass in der Pflege in fünf Jahren über4.000 Krankenpfleger fehlen werden. Steht Luxemburg kurz vor einem Kollaps, insbesondere im Gesundheitssektor?

Luc Frieden: Der Fachkräftemangel ist eine enorme Herausforderung. Wir haben nicht genügend Fachkräfte, um die Posten in der Pflege und im Gesundheitssektor zu besetzen. Deshalbmüssen wir eine ganze Reihe von Pisten ausloten, vor allem in der Aus- und Weiterbildung. Wir brauchen einen breiteren Zugang zu den Berufen, wir müssen auf die Berufe aufmerksam machen und für gute Rahmenbedingungen sorgen. Es wird sehr schwersein, genügend Fachkräfte zu finden und deshalb müssen wir noch über andere Wege nachdenken. Es gibt keine einfache Antwort auf diese enorme Herausforderung.

Luxemburger Wort: Die Regierung hat eine große Steuerreformangekündigt. Ziel ist es, die Steuerklassen abzuschaffen. Können Sie schon heute sagen, dass bei dieser Reform niemand benachteiligt werden wird?

Luc Frieden: Wir stehen am Anfang der Ausarbeitung der Reform. Unser kurzfristiges Ziel war, und das haben wir gemacht, die Kaufkraft der Menschen substanziell zu erhöhen. Für viele Menschen bedeutet die steuerliche Entlastung ab 2025 zehn bis 15 Prozent mehr Netto vom Brutto als 2023. Zudem haben wir die Betriebsbesteuerung aus Wettbewerbsgründen reduziert. Die Individualbesteuerung wird erst zum Ende der Legislaturperiode kommen und erst dann kann man die Frage, die Sie gestellt haben, beantworten. Diese Reform bedeutet eine enorme Umstellung und das ist auch der Grund, warum sie von den Vorgängerregierungen trotz vieler Versprechen nicht gemacht worden ist. Wir werden Optionen präsentieren und 2026 eine breite Konsultierung darüber lancieren.

Luxemburger Wort: Wird die Steuerreform noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden?

Luc Frieden: Das kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen.

Luxemburger Wort: Die Rentendebatte ist lanciert und es liegen schon viele Vorschläge auf dem Tisch. Was ist eigentlich die Position der CSV in der Frage, wie die Renten langfristig abgesichert werden sollen?

Luc Frieden: Wir haben eine Arbeitsgruppe eingesetzt, so wie andere Parteien auch. Sie steht erst am Anfang ihrer Arbeiten. Die Positionen der Parteien werden wie die der Arbeitgeber, der Gewerkschaften und das allgemeine Feeling der Bürger in die Überlegungen und den Vorschlag einfließen, den die Regierung 2025präsentieren wird. Wir brauchen zunächst einen Konsens darüber, dass eine Reformnotwendig ist. Zweitens möchte ich eine Spaltung der Gesellschaft in dieser Frageverhindern. Also ist es wichtig, eine Lösung zu finden, die vom Großteil der Bevölkerung getragen wird. Wir tun das, damit die jungen Menschen, die heute ins Berufsleben einsteigen, wissen, was sie später im Rentenalter erwartet. Das sind wir ihnen schuldig. Für diejenigen, die schon länger im Arbeitsprozess sind, ist das Thema weniger relevant, denn sie werden von Änderungen kaum bis gar nicht betroffen sein.

Luxemburger Wort: Sollte es einen Konsens darüber geben, dass eine Reform notwendig ist, können Sie dann ausschließen, dass es zu einer Erhöhung der Rentenbeiträge kommen wird?

Luc Frieden: Da wir alle Pisten diskutieren, werde ich zu diesem Zeitpunkt weder etwas Positives noch etwas Negatives ausschließen.