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Interview: Luxemburger Wort (Florian Javel)

Luxemburger Wort: Martine Hansen, Bauernproteste sorgten zu Beginn des Jahres für Verkehrsunfälle, Sachbeschädigungen – in Frankreich hat es sogar einen Toten gegeben. Sind die

Landwirte mit ihren Protesten zu weit gegangen?

Martine Hansen: Diese Bauern sicherlich. Es gab aber auch viele Bauernproteste, die friedlich abgelaufen sind. Ich war im Januar bei der Grünen Woche in Berlin. Dort haben Passanten die Traktoren mit Applaus begleitet. In Brüssel gab es aber Demonstrationen, die unruhiger abgelaufen sind. Es wurde so manches verbrannt und Dreck hinterlassen. Das muss nicht sein. Sie haben eben auf ihre Unzufriedenheit aufmerksam gemacht. Gewalt kann man aber nie akzeptieren, das geht zu weit.

Luxemburger Wort: Ist es wirklich akzeptabel, mit einem Traktor auf die Straße zu gehen und die Politik zu erpressen?

Martine Hansen: Die Politik hat sich nicht erpressen lassen. Die Vereinfachungen, die im Zuge der Proteste entschieden wurden, waren gut – aber es gibt noch Luft nach oben. Es wird nicht immer alles bis zum Schluss gedacht, was anfänglich gut gemeint war. Oft wird die praktische Umsetzung nicht bedacht. Oder ist etwas schlicht nicht umsetzbar, weil es mit einem zu hohen administrativen Aufwand verbunden ist und kleine Betriebe darunter leiden.

Luxemburger Wort: In Luxemburg hat es keine Proteste von Landwirten gegen Ihre Agrarpolitik gegeben. Würden Sie Ihre Hand ins Feuer legen, dass es bis Ende Ihrer Legislaturperiode keine Proteste geben wird?

Martine Hansen: Ich kann nur versprechen, dass ich mein Bestes geben werde, um den Dialog zu fördern. Ich bin fest davon überzeugt, dass es wichtig ist, miteinander zu reden. Wir haben erst kürzlich den zweiten Landwirtschaftsdësch geführt. Wir haben darüber geredet, das nächste Agrargesetz jetzt schon vorzubereiten – und nicht ein halbes Jahr davor. Wir müssen von Anfang an mit den Bauern und ihren Vertretungen eine Lösung suchen. Es ist schließlich nicht so, als würde der Sektor keine Lösung finden wollen. Man muss auf sie hören und nach vorn schauen.

Luxemburger Wort: In Schengen haben Jungbauern aus der Grenzregion gegen die EU-Politik demonstriert. Auch Luxemburger waren dabei. Haben Sie sich von ihrer Teilnahme an der Demo als Ministerin angegriffen gefühlt?

Martine Hansen: Nein, sie haben für Inhalte demonstriert, die ich nachvollziehen kann: für Gerechtigkeit und administrative Vereinfachungen, damit sie wieder richtig produzieren können. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir im Land die Landwirtschaft und die Lebensmittelproduktion brauchen. Ohne die Bauern wären wir arm dan. Sie haben auf die Bedeutung der Lebensmittelproduktion hingewiesen. Die Demonstration war für mich in Ordnung.

Luxemburger Wort: Dass Bauern unter der EU-Bürokratie zu leiden haben, ist nicht neu. Wie erklären Sie, dass gerade dieses Jahr den Bauern der Kragen geplatzt ist?

Martine Hansen: Es hat sich einfach vieles aufgestaut. Es sind einzelne Kleinigkeiten, die das Fass zum Überlaufen gebracht haben, wie die Preissteigerungen aufgrund der geopolitischen Lage.

Luxemburger Wort: Während Bauern sich dieses Jahr Gehör verschafften, ist es Umweltorganisationen nicht gelungen, von Ihnen zum Landwirtschaftsdësch eingeladen zu werden. Was müssten sie machen, um auch von Ihnen gehört zu werden?

Martine Hansen: Umweltschützer waren auch nicht beim Logementsdësch oder beim Energiedësch eingeladen. Beim Landwirtschaftsdësch war jedoch der Umweltminister vertreten, um über das Bauen in der Grünzone zu sprechen. Soweit ich mich erinnern kann, saßen auch nie Umweltschützer bei der letzten Regierung am Landwirtschafts- oder am Wasserdësch.

Wir hören die Probleme der Umweltschützer. Ich kriege viele Briefe geschickt, die ich alle lese. Wenn wir aber über spezifisch landwirtschaftliche Dossiers reden, dann höre ich auf den Sektor. Bei der Konsultierung zum nächsten Agrargesetz werden wir die Diskussionskreise breiter aufstellen, so wie beim letzten Mal. Sie werden auch um ihre Meinung gefragt werden.

Luxemburger Wort: Beim ersten Landwirtschaftsdësch haben Sie über das Bauen in der Grünzone geredet. Das geht auch den Umweltschutz etwas an.

Martine Hansen: Umweltschützer sind wie der Konsumentenschutz: Sie könnten sich in jedes Thema

einmischen. Wenn jetzt eine Entscheidung getroffen wird, ein Fenster um einen Quadratmeter zu vergrößern, dann hat es keinen großen Einfluss auf die Umwelt. Es gibt aber auch Umweltorganisationen, die der Meinung sind, dass kleinere Änderungen erlaubt werden sollen. All diese Punkte behalten wir im Hinterkopf. Der Landwirtschaftsdësch beschäftigt sich aber mit Fragen, die spezifisch die Landwirtschaft angehen. Deswegen habe ich mich an die Vertretung der Bauern gewendet.

Luxemburger Wort: Der Höhepunkt der Bauernproteste ist nun ein Jahr her. Wie gut ist heute die Stimmung im Landwirtschafts-Sektor?

Martine Hansen: Wir sind im ständigen Dialog und führen diesen weiter. Ich habe das Gefühl, dass der Kontakt gut ist. Die Stimmung ist etwas anderes. Es gibt nicht genug Bauern, die Betriebe weiterführen. Deswegen müssen wir den Beruf des Landwirts wieder attraktiver gestalten. Wir haben bereits einen nationalen Aktionsplan für den Generationenwechsel in landwirtschaftlichen Betrieben angekündigt. Im Frühjahr soll es einen Kick-off-Workshop dazu geben. Wie lange die Erstellung des Plans brauchen wird, hängt wiederum ab von dem Rahmen, den uns die EU gibt.