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Interview: Tageblatt (Sidney Wiltgen)

 

Tageblatt: Sie sind derzeit auf Dienstreise im Nahen Osten. Wie hat sich die Lage seit Ihrem vergangenen Aufenthalt im Oktober verändert?

Xavier Bettel: Es hat Friedensverhandlungen gegeben und es gibt mittlerweile eine Waffenruhe in Gaza. Das ist eher positiv zu sehen. Ich habe von vielen Seiten die Befürchtung gehört, dass der Waffen stillstand nicht halten soll und der Konflikt wieder anfangen wird. Wie lange das aber andauern wird, weiß natürlich keiner. Es scheint aber, als wollten die Israelis die erste Phase weiter in die Länge ziehen und eine ganze Reihe an Geiseln frei bekommen. Auf der anderen Seite sind die Geiseln — und ich weiß, es ist sehr zynisch und „ruckelzeg“, was ich jetzt sage — die Lebensversicherung der Hamas. Sowohl Palästinenser als auch Israel wollen die Hamas loswerden. Letzten Endes blicken einige Parteien sehr optimistisch, andere wiederum sehr fatalistisch auf die Situation.

Tageblatt: Eine Waffenruhe, die Israel mit der Blockade der Wasser- und Stromzufuhr wieder aufs Spiel setzt?

Xavier Bettel: Ich habe die Israelis darauf aufmerksam gemacht, dass das nicht geht. Wenn in wenigen Tagen kein Kraftstoff mehr für die Generatoren da ist, werden die Menschen in den Krankenhäusern anfangen zu sterben. Das habe ich den israelischen Autoritäten auch mitgeteilt. Ich bin "nur" Luxemburgs Außenminister und kann nicht wie die Außenminister anderer Länder etwas aufzwingen. Ich denke aber, dass die Message im Gespräch mit den Israelis angekommen ist.

Tageblatt: Wie verhält sich Israel all gemein nach dem Amtsantritt von Trump?

Xavier Bettel: Das entscheidende Wort ist: Unvorhersehbarkeit. Vergangene Woche wären die Israelis wohl noch selbstsicherer gewesen. Jetzt, wo die USA direkt mit der Hamas diskutieren, sind schon gewisse Zweifel aufgekommen. Diese Unvorhersehbarkeit wird aber auch noch die kommenden vier Jahre andauern. Ob der amerikanische Präsident Trump heißt oder nicht: Wenn mit ihm eine Waffenruhe gewähr leistet werden kann... Die Hamas hat ja auch Geiseln auf Androhung des US-Präsidenten freigelassen.

Tageblatt: Wie haben die Palästinenser auf Trumps Vorschlag reagiert, den Gazastreifen in eine Riviera um wandeln zu wollen?

Xavier Bettel: Ich habe erstmals Garantien bekommen, dass keine Palästinenser den Gazastreifen verlassen müssen. Das war eine Information, die ich bisher nicht hatte. Der israelische Minister für strategische Aufklärung, Ron Dernier, hat mir gegenüber an gemerkt, dass der gesamte Gaza streifen auch bei einem Verbleib der Palästinenser "tabula rasa und neu aufgebaut" werden muss. Insgesamt konnte ich über alle Themen mit den israelischen Autoritäten reden, weswegen diese Arbeitsvisite so wichtig war.

Tageblatt: Sie haben 2024 angekündigt, zwischen mehreren Ländern eine Dynamik zur Anerkennung Palästinas entfachen zu wollen. Diese Dynamik scheint etwas abgeflacht zu sein.

Xavier Bettel: Das ist in der Tat etwas abgeflacht, weil in anderen Ländern auch nur sehr wenig Interesse daran besteht. Ich hatte in dem Kontext auch Treffen mit mehreren Ländern, es gibt aber derzeit keine Initiative mehr.

Tageblatt: Sie haben zum gleichen Zeit punkt gesagt, dass Sie den Luxemburger Weg ankündigen werden, falls Sie keine koordinierte Lösung vorlegen können.

Xavier Bettel: Luxemburg braucht einen Friedensplan und eine Autorität, an die wir uns in der Folge wenden können. Wir werden Palästina nicht anerkennen, um dann die Hamas als Ansprechpartner zu haben. Damals war der Waffenstillstand noch keine Realität. Die Lage hat sich seit dem geändert. Ich will mich nicht zu sehr auf einen bestimmten Zeit rahmen einengen lassen. Zudem halte ich mich an die von der Chamber gestimmte Motion: Die Geiseln der Hamas müssen erst einmal frei kommen.

Tageblatt: Sie haben in dem Kontext eine Reform der Vereinten Nationen erwähnt. Gibt es einen konkreten Luxemburger Vorschlag?

Xavier Bettel: Nein, wir sind lediglich der Meinung, dass die afrikanischen Länder unterrepräsentiert sind. Ich bin auch nicht dafür, dass einige wenige Län der mit einem Veto alles blockieren können. Man könnte vielleicht eine Formel finden, dass eine 3/4- oder 2/3-Mehrheit ein Veto wieder überstimmen kann.

Tageblatt: Mittlerweile gibt es eine Waffen ruhe in Gaza, jedoch ist die israelische Armee vermehrt im Westjordanland und in Syrien tätig...

Xavier Bettel: Das Problem ist, dass keiner so richtig weiß, was genau in den Ge bieten vorfällt. Ich kenne aber die ständigen Provokationen durch israelische Siedler. In Syrien sehen wir uns mit einer undurchsichtigen Situation konfrontiert. Wir wussten alle ganz genau, wer al-Assad war. Den neuen Machthaber al-Scharaa kenne ich nicht. Das sind jedoch frühere Terroristen. Da gibt es keinen Schalter im Gehirn, den man einfach so umlegt. Nur weil er sich eine Krawatte umbindet, macht ihn das noch lange nicht zu einem Diplomaten.

Tageblatt: Wie bewerten Sie die arabische Initiative zur Verwaltung des Gazastreifens?

Xavier Bettel: Ich habe diese Initiative direkt begrüßt und bin der Meinung, dass wir das auch auf europäischer Ebene tun sollten. Wir brauchen wie gesagt einen Ansprechpartner, dem wir vertrauen können und der das Vertrauen der Einwohner genießt.