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Interview: Luxemburger Wort (Thomas Berthol und Julien Carette)

Luxemburger Wort: Gilles Roth, im vergangenen Juli haben Sie die Grundzüge der Steuerreform vorgestellt, die auf die Einführung einer einheitlichen Steuerklasse für natürliche Personen abzielt. Wie weit sind Sie heute damit?

Gilles Roth: Gemeinsam mit den Mitarbeitern des Ministeriums haben wir uns ein klares Ziel gesetzt: Wir wollen den Gesetzentwurf bis Ende des Jahres fertigstellen. Auch wenn es bis dahin noch einige Monate dauert. Wir dürfen nicht vergessen, dass es sich hierbei nicht um ein gewöhnliches Gesetz mit ein paar Artikeln, sondern um ein um fassendes Projekt handelt. Ich werde nun eine letzte Konsultationsphase mit den im Parlament vertretenen Parteien einleiten. Bisher war ihr Feedback sehr konstruktiv und ich habe versucht, ihre Rückmeldungen so weit wie möglich in dieses Reformprojekt einzubeziehen.

Luxemburger Wort: Ist es immer noch Ihr Ziel, dass die Reform im Jahr 2028 in Kraft tritt?

Gilles Roth: Ja, idealerweise soll das Gesetz Ende 2026 vom Parlament verabschiedet wer den, sodass die am Gesetzgebungsprozess beteiligten Instanzen noch knapp ein Jahr Zeit hätten, um ihre Stellungnahmen abzugeben. Danach benötigen wir noch ein Jahr, um die Reform in der Verwaltung umzusetzen. Dies würde also zu einem In krafttreten am 1. Januar 2028 für das dann beginnende Steuerjahr führen. Die Auswirkungen auf den Haushalt werden ab 2029 sichtbar. Letztere werden nach wie vor auf jährliche Kosten von 800 bis 900 Millionen Euro für den Staat geschätzt.

Luxemburger Wort: Was sind die größten Schwierigkeiten, auf die Sie bei dieser Reform stoßen?

Gilles Roth: Wir müssen ein Steuersystem finden, das an die heutige luxemburgische Gesellschaft angepasst ist. Das derzeitige Modell mit seinem Splittingmechanismus, der vor allem verheiratete Paare mit einem einzigen Einkommen begünstigt, ist ein Erbe aus den 1960er-Jahren. Damals durfte eine Frau ohne die Zustimmung ihres Mannes kein Bankkonto eröffnen und Ehebruch wurde immer noch strafrechtlich verfolgt. Die Gesellschaft hat sich jedoch grundlegend verändert. Heute liegt die Beschäftigungsquote des zweiten Ehepartners, der in der Vergangenheit nur wenig oder gar nicht gearbeitet hat, bei 67 Prozent. Die Ehe hat sich verändert, ebenso wie die Ge setze, die ihr zugrunde liegen. Heute en den zwei von drei Ehen mit einer Trennung, während sich immer mehr Menschen für ein Konkubinat entscheiden, oh ne jemals zu heiraten. Vor diesem Hintergrund ist es nicht mehr wirklich angebracht, Personen allein aufgrund ihrer Ehe einen Steuervorteil zu gewähren. Es ist daher an der Zeit, zu einer Individualisierung der Steuer überzugehen, damit jeder unabhängig von seinem Familienstand gleichmäßig besteuert wird. Diese Idee ist nicht neu. Die Vorgängerregierung hatte sie beispielsweise bereits vorgeschlagen. Auch die CSV hatte sie in ihr Wahlprogramm aufgenommen.

Luxemburger Wort: Kann der Übergang zur Individualisierung nicht auch spezifische Schwierigkeiten mit sich bringen?

Gilles Roth: Das ist richtig. Sobald die neue einheitliche Steuerklasse in Kraft tritt, gilt sie direkt für Steuerpflichtige der derzeitigen Steuerklassen 1 und 1A sowie für Paare, die neu verpartnert oder verheiratet sind. Rund 85 Prozent der Steuerzahler wer den ein großes Interesse daran haben, sich dieser neuen Steuerklasse anzuschließen. Die Individualisierung bietet ihnen nämlich eine steuerlich vorteilhaftere Situation. Es bleiben somit etwa 15 Prozent der Steuerzahler übrig, die weniger Interesse daran haben, diesem neuen System beizutreten. Es handelt sich um bereits verheiratete oder in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebende Paare, bei denen einer der Partner mehr als 75 Prozent des Haushaltseinkommens erwirtschaftet. Sie können nicht von heute auf morgen zum neuen System wechseln. Deshalb wird ihnen eine Übergangsfrist von 20 Jahren ein geräumt, in der sie ihre derzeitigen Bedingungen beibehalten können.

Luxemburger Wort: Viele Rentner stellen sich die Frage, was nach dieser Übergangszeit passieren wird.

Gilles Roth: Ich kann zwar nicht in die Zukunft sehen. Aber ich denke, dass es interessant sein wird, diese lange Übergangsphase zu nutzen, um Anreize zu schaffen, damit diejenigen, die noch im alten System verblieben sind, zum neuen System überwechseln. Man muss jedoch bedenken, dass es nach Abschluss dieses Übergangs kein Zu rück mehr gibt.

Luxemburger Wort: Es gibt also auch Vorteile, die sich aus der Reform ergeben?

Gilles Roth: Natürlich gibt es Vorteile. Das gilt zum Beispiel für den Fall einer Scheidung. Wenn dies heute geschieht, ändert sich die Steuerklasse des Ex-Ehepartners in den folgenden Jahren. Das kann mitunter kompliziert zu verarbeiten sein. Bei der Individualisierung bleibt das Steuersystem, dem man unterliegt, vor, während und nach der Ehe dasselbe. Außerdem könnte es einige Neuerungen geben. So könnte man einem verheirateten Paar, bei dem sich ein Ehepartner dafür entscheidet, zu Hause zu bleiben, erlauben, weiterhin Beiträge für den betreffenden Ehepartner in das gesetzliche Rentensystem einzuzahlen. Dadurch würde sichergestellt, dass diese Jahre bei der Berechnung der künftigen Rente berücksichtigt werden. Es wäre sogar denkbar, diese Regelung mit einem Steuerfreibetrag zu verknüpfen, um die Paare dazu zu bewegen, sich für diese Lösung zu entscheiden. Dies ist die typische Art von Mechanismus, die ich nach den Beratungen, die ich durchführen werde, vorschlagen könnte.

Luxemburger Wort: Sie haben betont, dass diese Reform darauf abzielt, die mit dem Ehestatus verbundenen Privilegien zu beseitigen. Einige werden je doch weiterhin bestehen bleiben. Ein Bei spiel ist die Befreiung von der Erbschaftssteuer in der direkten Linie. Denken Sie dar an, dies zu ändern?

Gilles Roth: Sie haben recht. Und ich gebe zu, dass es ein Problem ist. Die Erbschaftssteuer zwischen zwei nicht miteinander verwandten Personen kann bis zu 48 Prozent betragen (wenn der Wert der Übertragung 1,7 Millionen Euro übersteigt). Und das so gar, wenn es sich um zwei Personen handelt, die ihr ganzes Leben lang als Paar gelebt haben. Abgesehen davon hat sich die Regierung klar dazu verpflichtet, keine Erbschaftssteuer auf direkte Nachkommen einzuführen. Und wir werden diese Verpflichtung einhalten.

Luxemburger Wort: Vor einigen Tagen hat Luxemburg einen Kredit in Höhe von 2,5 Milliarden Euro aufgenommen, wodurch die Gesamtverschuldung auf 24,4 Milliarden Euro bzw. 27,2 Prozent des BIP gestiegen ist. Wir nähern uns langsam der 30-Prozent-Marke. Ist die se Grenze immer noch eine rote Linie?

Gilles Roth: Die Anleihe war geplant. Sie soll uns mittelfristig ein Liquiditätspolster verschaffen, insbesondere um ein Haushaltsdefizit zu decken, das bis Ende 2025 entstehen könnte. Um Ihre Frage zu beantworten: Die 30 Prozent-Grenze ist keine rote Linie. Sie steht nicht in unserem Regierungsprogramm. Was jedoch darin steht, ist unser fester Wille, das Triple-A-Rating des Lan des zu erhalten. Und nur weil wir diese Marke vorübergehend überschreiten würden, würden uns die Ratingagenturen nicht automatisch herabstufen. Die geopolitische Lage hat beispielsweise zu einem deutlichen Anstieg der Verteidigungsausgaben geführt (auf ein Niveau, das vor zwei Jahren kaum vorstellbar gewesen wäre). Wir sind bestrebt, unsere Schulden so niedrig wie möglich zu halten, ohne je doch die für das Land notwendige öffentliche Politik zu gefährden. In wirtschaftlicher, steuerlicher und sonstiger Hinsicht. So müssen konsequente Investitionen möglich sein und die Bürger müssen eine angemessene Kaufkraft behalten können. Die aufgestellten Haushalte müssen all dies berücksichtigen. Ich bin Finanzminister und kein Buchhalter. Auch wenn mittelfristig ein angemessenes Gleichgewicht zwischen der Verschuldung und den wirtschaftlichen und sozialen Notwendigkeiten gefunden werden muss.

Luxemburger Wort: Sie haben bereits erklärt, dass die Aufstellung des Haushalts für das Jahr 2026 eine Herausforderung darstellt - insbesondere angesichts der Erhöhung des Verteidigungshaushalts und den staatlichen Anteil an der Erhöhung der Rentenbeiträge zu decken. Werden Steuererhöhungen oder Kürzungen von Sozialleistungen in Betracht gezogen?

Gilles Roth: Steuererhöhungen sind derzeit ausgeschlossen, und es wird keine Kürzungen bei den Sozialleistungen geben. Ich bin Finanzminister und kein Buchhalter. Ich muss also die Realitäten, die uns betreffen, berücksichtigen und diese Zwänge gewichten. Wir müssen ein moderner Staat sein, der den Bedürfnissen der Zeit, den sozialen Bedürfnissen gerecht wird und gleichzeitig eine wichtige wirtschaftliche Antriebskraft darstellt - in einer Zeit, die ich nicht als Rezession, sondern als wirtschaftliche Verlangsamung bezeichnen würde. Und wenn man eine langsame Erholung nicht bremsen will, kann man die Steuerlast nicht erhöhen.

Luxemburger Wort: Wie finanzieren Sie diese neuen Ausgaben?

Gilles Roth: Ich bin auch der Minister eines Finanzplatzes, der 25 Prozent zu unserem BIP beiträgt. Es ist also ein Wachstumssektor, in dem ich versuchen kann, einen Großteil der zusätzlichen Einnahmen, die wir brauchen, zu erzielen. Sie werden bald feststellen, dass die Einnahmen aus der Körperschaftssteuer (Anm. der Redaktion: auch IRC, eine spezifische proportionale Steuer, die auf die Bereicherung erhoben wird, von der bestimmte Gruppen, darunter Kapitalgesellschaften, im Laufe des Jahres profitiert haben) gut laufen.

Luxemburger Wort: In puncto Rentenreform haben Sie bereits die Einführung steuerlicher Maßnahmen er wähnt, um Menschen dazu zu bewegen, länger zu arbeiten. Wie sehen diese Maß nahmen konkret aus?

Gilles Roth: Wir werden einen Freibetrag von 750 Euro für jeden zusätzlichen Beitragsmonat über die gesetzliche Beitragsdauer von 40 Jahren hinaus für Arbeitnehmer im Alter von 57 Jahren einführen. Wenn eine Person also 41 Jahre lang arbeitet, kann sie für ihr 41. Arbeitsjahr oder ihr 41. Beitragsjahr einen Steuerfreibetrag von 9.000 Euro in Anspruch nehmen. Derzeit finalisieren wir einen entsprechenden Gesetzentwurf. Wenn das Parlament ihn verabschiedet, tritt er am 1. Januar nächsten Jahres in Kraft. Das Ziel ist natürlich nicht, die Menschen zu zwingen, länger zu arbeiten, sondern ihnen einen Anreiz zu geben, der sie dazu motiviert. Damit soll das tatsächliche Renteneintrittsalter (60 Jahre) an das gesetzliche Renteneintrittsalter (65 Jahre) angeglichen werden.

Membre du gouvernement

ROTH Gilles

Date de l'événement

17.09.2025