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Interview: Luxemburger Wort (Thomas Berthol)
Luxemburger Wort: Yuriko Backes, seit der Schaffung des MEGA hat sich die Gleichstellungspolitik stark verändert. Was ist aus Ihrer Sicht die größte Errungenschaft und was hat bisher noch nicht funktioniert?
Yuriko Backes: In den vergangenen 30 Jahren ist sehr viel passiert. In einer perfekten Welt wür den wir das Ministerium nicht mehr benötigen. Doch von dieser Welt sind wir noch sehr weit entfernt. Im Gender Equality Index 2025 sehen wir, dass Luxemburg über dem EU-Durchschnitt liegt. Das ist auch gut. Es wurden sehr viele Fortschritte er zielt. Wir sehen eine Verbesserung der Gleichstellung von Frauen und Männern, beispielsweise bei den Einkommensunter schieden. Dennoch gibt es zahlreiche Herausforderungen, die Luxemburg noch bewältigen muss, etwa beim Renten-Pay-Gap. Andererseits wurde dieses Jahr der Aktionsplan für die Gleichstellung von Frau en und Männern angepasst und die Umsetzung von der Regierung beschlossen. Zum ersten Mal in der Geschichte Luxemburgs wurde zudem ein Aktionsplan gegen geschlechtsbasierte Gewalt aufgestellt. Dennoch bleibt das immer noch ein großes Thema in unserer Gesellschaft. Zudem wurde eine gesetzliche Grundlage für die Beobachtungsstelle für Gleichstellung geschaffen. Es ist wichtig, dass wir eine datenbasierte Politik betreiben. In unserer Gesellschaft gibt es noch sehr vie le Stereotype, die es abzubauen gilt. Mit akkuraten Zahlen können wir dagegen gezielter handeln.
Luxemburger Wort: Im März haben Sie bei einer Pressekonferenz davor gewarnt, dass die Gleichberechtigung in Gefahr sei. Was sind die Gründe dafür - politische Gegenbewegungen, Online-Hass oder alte Rollenbilder?
Yuriko Backes: Es ist ein wenig von allem. Es gibt nach wie vor Stereotypen, die besagen, dass Mädchen für bestimmte Dinge nicht geeignet seien. Ein Beruf hat kein Geschlecht. Frauen können einen Beruf genauso gut ausüben wie Männer. Andererseits gibt es die "Tradwife"-Bewegung, die fordert, dass Frauen zu Hause bleiben und sich um Haushalt und Kinder kümmern sollen. Auch in der digitalen Welt gibt es also eine Bewegung, deren Diskurse man ernsthaft infrage stellen muss.
Luxemburger Wort: In seinem Gastbeitrag im Wort hat ihr Parteikollege Gérard Schockmel den heutigen Feminismus als Ideologie beschrieben, die unter anderem die Gesellschaft spalte. Die se Aussagen sind auf viel Widerspruch gestoßen. Sind solche Wortmeldungen der Be weis dafür, dass Luxemburg auch nach 30 Jahren noch ein Gleichstellungsministerium braucht?
Yuriko Backes: Genau so ist es.
Luxemburger Wort: Ist Feminismus eine "Ideologie", die die Gesellschaft spaltet?
Yuriko Backes: Nein, definitiv nicht. Mein Verständnis von Feminismus ist, sich dafür einzusetzen, dass alle Menschen - unabhängig vom Geschlecht - die gleichen Rechte und Chancen haben. Es geht nicht um Sonderbehandlungen, sondern um Gleichstellung. Und Gleichstellung liegt im Interesse unserer Gesellschaft - sowohl für Frauen als auch für Männer. Davor muss niemand Angst haben. Hier geht es eigentlich um den gesunden Menschenverstand, der in unserer Gesellschaft bei solchen Beispielen leider oft nicht vorhanden ist. Deswegen bleibt Feminismus relevant. Es gibt da andere Dinge, die eine viel größere Gefahr für die Demokratie darstellen. Und dazu gehört der Feminismus definitiv nicht.
Luxemburger Wort: Was möchten Sie, dass junge Frauen und queere Jugendliche heute über Gleichstellung lernen, was Ihre Generation nicht hatte?
Yuriko Backes: Wenn wir heute Dinge sehen, von denen wir wissen, dass sie falsch sind, und wir mit Diskriminierung oder Gewalt, und es gibt sehr viele Formen von Gewalt, konfrontiert werden, dann müssen wir das klar benennen und offen anprangern. Es muss darüber geredet werden und wir dürfen nicht alles akzeptieren und so tun, als wäre alles in Ordnung. Man weiß, dass noch heute in unserer Gesellschaft inakzeptable Dinge unter den Teppich gekehrt werden. Früher wusste man nicht unbedingt, an wen man sich wenden konnte. Heute ist das jedoch eine andere Sache. Es gibt Gleichstellungsbeauftragte, es gibt Hilfestellen, und seit diesem Jahr auch eine nationale Anlaufstelle für Opfer von Gewalt. Diese Einrichtung steht allen Menschen offen, egal ob Mädchen oder Jungen, Frauen oder Männern - oder non-binären Personen. Auch in unserer Gesellschaft - ob in Wirtschaft oder Politik - gibt es Situationen, in denen Frauen mehr Verantwortung angeboten bekommen, diese aber nicht übernehmen, weil sie glauben, nicht gut genug zu sein, weil sie es sich selbst nicht zutrauen. Meine Botschaft ist daher eindeutig: Habt den Mut! Es liegt natürlich an allen Frauen und Männern, sie zu unterstützen.