Interview mit Claude Turmes im Luxemburger Wort

"Für diesen Winter sind wir wohl über den Berg"

Interview: Luxemburger Wort (Thomas Klein)

Luxemburger Wort: Claude Turmes, vor etwas mehr als einem Jahr verdichteten sich die Anzeichen, dass Russland ernst macht mit dem Angriff auf die Ukraine. Wann dachten Sie, dass das Ihnen in Ihrer Rolle als Energieminister auf die Füße fallen könnte?

Claude Turmes: Ich kann nicht behaupten, dass ich da schon den Krieg vorausgesehen habe, aber ein Alarmsignal war für mich, als ich gemerkt habe, dass Gazprom die Speicher nicht füllt in Deutschland und in Osterreich. Gazprom war 35 Jahre lang verlässlich und hörte dann plötzlich auf, ein vertrauenswürdiger Partner zu sein.

Luxemburger Wort: Im Rückblick kann man annehmen, dass das schon Teil der russischen Kriegsstrategie war?

Claude Turmes: Ja, heute würde ich sagen, dass das ganz klar Strategie war. Das hat vor allem zu diesem Zeitpunkt schon dazu geführt, dass der Gaspreis gestiegen ist und dadurch Putin in diesen Monaten schon über Gazprom zusätzliches Geld in seine Kriegskasse bekommen hat.

Luxemburger Wort: Jetzt hat die Europäische Union beschlossen, die Großhandelspreise für Gas künftig bei 180 Euro pro Megawattstunde zu deckeln. Was versprechen Sie sich von der Maßnahme?

Claude Turmes: Zunächst ist wichtig, dass man diesen Beschluss einordnet in die ganze Reihe von Maßnahmen, die bisher ergriffen wurden.

Die EU hat beispielsweise ein Gesetz beschlossen, das besagt, dass die Gasspeicher obligatorisch gefüllt werden müssen. Das hat zu den hohen Füllständen geführt, die wir jetzt sehen. Daneben wurde das Ziel definiert, 15 Prozent Gas einzusparen. Tatsächlich kann man in der Statistik ablesen, dass wir im Schnitt in Europa sogar 20 Prozent Ersparnis erreichen.

Außerdem wurde der gemeinsame Einkauf von Erdgas ebenso beschlossen wie die Beschleunigung der Verfahren bei der Verbesserung der Energieeffizienz und dem Ausbau der Erneuerbaren Energien. Der Preisdeckel soll nun eine Preiskorrektur im Falle von einem spekulativen Ausreißer vom Gasmarkt bewirken, wie das im August der Fall war, als der Preis mal bei 370 Euro lag.

Luxemburger Wort: Was ist die Grundlage dafür, die Grenze gerade bei 180 Euro pro Megawattstunde zu ziehen?

Claude Turmes: Bei der Maßnahme war es wichtig, ein Gleichgewicht zu finden und auch nicht zu stark in den Markt einzugreifen. Die Gaslieferungen aus Russland machten ja vor dem Krieg 40 Prozent des europäischen Marktes aus. Das ist nicht vollständig durch Pipeline-Gas zu ersetzen aus Norwegen, Algerien oder der Nordsee. Deshalb sind wir auf den internationalen Flüssigerdgasmarkt angewiesen. Und da stehen wir in Konkurrenz mit Asien und müssen aufpassen, dass dieses Instrument nicht dazu führt, dass die Schiffe mit dem Erdgas noch bei uns ankommen und nicht zum Beispiel nach Tokio fahren, weil der Preis bei uns zu niedrig ist.

Diese Grenze ist keine exakte Wissenschaft, sondern das Ergebnis von Verhandlungen zwischen den Mitgliedsländern. Die Länder, die diesen Preismechanismus gefordert haben, wollten auf 160 Euro oder noch niedriger. Unsere Vorstellung war eher bei 200 Euro. Da ist 180 dann eben die Mitte.

Luxemburger Wort: Inzwischen liegt der Preis eher bei 100 bis 110 Euro. Gleichzeitig sind die Gasspeicher überdurchschnittlich gut gefüllt. Sind wir für diesen Winter über den Berg?

Claude Turmes: Wir sind für diesen Winter wohl über den Berg, es sei denn, es wäre jetzt zwei Monate so kalt wie in der vergangenen Woche. Man kann daher zu diesem Stadium noch keine Entwarnung geben. Wenn wir einen überdurchschnittlich kalten Winter hätten, dann könnte das noch mal knapp werden. Aber weil wir die richtigen politischen Entscheidungen getroffen haben, Gas einsparen und massiv Erdgas einkaufen, haben wir die Möglichkeit, dass wir aus diesem Winter rauskommen mit Gasspeichern, die relativ gut gefüllt sind.

Und das ist eigentlich auch die beste Voraussetzung für den nächsten Winter. Von daher möchte ich einen großen Dank sagen an alle, die auch in Luxemburg mitgeholfen haben, 30 Prozent an Gas einzusparen. Das ist eine gesellschaftliche Kraftanstrengung. Und die ist nicht nur von der Industrie gemacht worden, sondern kommt nachweislich auch von den Bürgern. Das zeigt auch, dass die Menschen in Luxemburg ein anderes Bewusstsein entwickelt haben beim Thema Energieverschwendung. Darauf kann man längerfristig aufbauen.

Energie sparen muss nicht mit Einbußen bei der Lebensqualität einhergehen. Und es macht gleich mehrfach Sinn: Es reduziert unsere Abhängigkeit, stärkt unsere Versorgungssicherheit und ist aktiver Klimaschutz.

Luxemburger Wort: Wie sieht es für das kommende Jahr aus?

Claude Turmes: Der internationale Flüssigerdgasmarkt wird wahrscheinlich dieses Jahr enger sein, wenn sich die chinesische Wirtschaft erholt und mehr einkauft. Es hängt viel davon ab, ob wir aus diesem Winter mit höheren Füllständen bei den Gasspeichern kommen und wir den Gasverbrauch weiterhin runterbringen.

Daher ist die Beschleunigung der Verfahren bei der Installation von Wärmepumpen, bei der Fotovoltaik und bei der Windkraft, die wir diese Woche auf EU Ebene beschlossen haben, extrem wichtig, weil wir damit strukturell aus dem Gas aussteigen und die Nachfrage nachhaltig reduzieren. Auch in Luxemburg sehen wir eine hohe Dynamik beim Ausbau der erneuerbaren Energien.

Luxemburger Wort: Der Staat hat relativ viel gemacht, um die Folgen der Energiekrise abzufedern. Besteht nicht die Gefahr, dass dadurch der Anreiz zum Sparen wegfällt?

Claude Turmes: Nein, diese Gefahr sehe ich nicht. Die Zahlen bestätigen uns, dass es richtig war, diese Maßnahmen zu ergreifen. Die Menschen sparen trotzdem, weil sie wissen, dass es Sinn macht. Die Hilfen trugen dazu bei, dass wir in Luxemburg den Zusammenhalt in der Gesellschaft und den sozialen Frieden aufrechterhalten haben. Das war ja auch nicht einfach in diesen extremen Zeiten, wo der Index-Mechanismus eben überhitzt wäre, wenn wir nicht so massiv eingegriffen hätten.

Luxemburger Wort: Beschlossen wurde jetzt auch ein gemeinsamer europäischer Einkauf von Erdgas. Die Idee ist, die gemeinsame Marktmacht zu nutzen, um günstigere Konditionen auszuhandeln. Die ersten Verträge sollen bis zum Sommer unterzeichnet sein. Wie wird das in der Praxis aussehen?

Claude Turmes: Die EU-Kommission wird das koordinieren und wir als Mitgliedsländer müssen die Mengen melden, die wir über diesen gemeinsamen Einkauf beschaffen wollen. Wir sind jetzt schon im Gespräch mit den Luxemburger Versorgern, um zu sehen, welche Mengen eingekauft werden sollen. Es sollen ja mindestens 15 Prozent des Bedarfs über diesen Weg beschafft werden.

Wenn man alle 27 Mitgliedstaaten zusammenrechnet, dann kommt da eine große Menge zusammen. Die Kommission wird eine Ausschreibung machen, welcher professioneller Trader den Einkauf dann im Namen der EU koordinieren wird.

Luxemburger Wort: Seit Anfang Dezember ist auch das Embargo gegen Erdöl aus Russland in Kraft. Kann man schon abschätzen, welche Effekte das auf die Versorgung in Luxemburg hat?

Claude Turmes: Im Moment sieht es bisher so aus, als wenn das relativ problemlos über die Bühne geht. Man muss die Entwicklung aber im Auge behalten. Der hohe Anteil von russischem öl in den Raffinerien in Antwerpen und in Rotterdam scheint zurzeit ersetzt zu werden durch Öl aus anderen Ländern.

Man muss wissen, dass eine Raffinerie ausgelegt ist auf eine gewisse Qualität des Öls. Das heißt, russisches Öl kann ich zum Beispiel nicht durch Saudi Light ersetzen, sondern muss es ersetzen durch Ölarten, die ähnliche Charakteristika haben. Es gibt aber gute Signale von den Raffineriebetreibern, dass das gelingt. Natürlich erfordert das eine Kraftanstrengung für alle, die im Dieselhandel tätig sind.

Es gibt aber durchaus Analysen, die davon ausgehen, dass der Markt Anfang des Jahres angespannt sein wird.

Man muss davon ausgehen, dass dieser Markt nicht so liquide sein wird wie vor dem Krieg. Es scheint aber zurzeit so zu sein, dass die Einkäufer es hingekriegt haben, russisches Erdöl zu ersetzen.

Luxemburger Wort: Der dritte Problemfall in der ganzen Energiefrage ist die Stromversorgung. Ein wichtiger Teil der französischen Atomkraftwerke ist ja weiterhin vom Netz. Gibt es hier bereits neue Erkenntnisse, wie es um die Versorgungssicherheit im Rest des Winters bestellt ist?

Claude Turmes: Luxemburg wird ja überwiegend über die deutschen Netze versorgt. Deutschland hat einen Stresstest gemacht und demnach sieht die Lage für Luxemburg und den benachbarten Teil Deutschlands gut aus. Vielleicht wird es ein bisschen schwieriger in Bayern und Baden-Württemberg. Angespannter ist die Situation in Frankreich.

Dennoch haben die Franzosen es selbst in der letzten Woche, in der es extrem kalt war, hingekriegt.

Das aber auch, weil in Frankreich mittlerweile deutlich weniger Strom verbraucht wird. Dort haben sie eine massive Kampagne gestartet, um die Bürger und auch die Industrie dazu zu bewegen, sparsamer zu sein.

Luxemburger Wort: Aber wenn das jetzt überall so schnell erfolgreich Energie gespart wird, hätte man das nicht schon vor ein paar Jahren machen können?

Claude Turmes: Ja, vor allem in der Industrie schauen sie bei den Preisen mal ein bisschen genauer hin. Dadurch stellen sie fest, dass viele kleine Effizienzverbesserungen schnell zu enormen Einsparungen führen, einfach, indem sie eine technische Optimierung machen, über den Einsatz von LED oder die korrekte Einstellung der Belüftung oder der Heizung. Da hat sich gezeigt, dass man zehn, 15 oder 20 Prozent Einsparungen fast überall hinkriegt.

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