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Interview mit Yuriko Backes
Interview: Forum
Forum: Frau Ministerin, Luxemburg hat der Ukraine beträchtliche Hilfe zukommen lassen, darunter fast 70 Millionen Euro an Militärhilfe für 2024. Wie bewerten Sie Luxemburgs Beitrag im Vergleich zu anderen EU- und NATO-Verbündeten?
Yuriko Backes: Dieses Jahr hat die luxemburgische Verteidigung bereits mehr als 70 Millionen Euro in die militärische Unterstützung der Ukraine investiert. Das bilaterale Sicherheitsabkommen, das am Rande des NATO-Gipfels in Washington von Präsident Selenskyj und Premierminister Frieden unterschrieben wurde, sieht eine Unterstützungsleistung von mindestens 80 Millionen Euro für 2024 vor. Das Wichtigste ist, dass alle Partner der Ukraine, deren Verteidigungsminister sich regelmäßig im Rahmen der sogenannten Ramstein-Kontaktgruppe unter US-Führung treffen, die ukrainischen Streitkräfteentsprechend ihren Mitteln bestmöglichunterstützen. Es geht nicht darum, einen Vergleich zu anderen EU- und NATO-Verbündeten zu ziehen. Es geht darum, die Ukraine dazu zu befähigen, dass sie sich weiter gegen Russlands illegitimen und grausamen Angriffskrieg verteidigen kann. Wir dürfen die Ukraine nicht sich selbst überlassen. Das wäre ein folgenschwerer Fehler.
Forum: Welche spezifischen Arten von militärischer Ausrüstung, abgesehen von Munition und Drohnen, plant Luxemburg in naher Zukunft an die Ukraine zu liefern?
Yuriko Backes: Seit Beginn des russischen Angriffskrieges am 24. Februar 2022 haben wir kontinuierlich Waffen, Munition, militärische Fahrzeuge, Nachtsichtgeräte, Aufklärungsdrohnen und vieles mehr an die Ukrainegeliefert. Wir sind an verschiedenen internationalen Koalitionen, wie der IT-Koalition, Air-Force-Koalition oder der Artillerie-Koalition beteiligt und wir nehmen an der tschechischen Initiative für Artilleriemunition teil. Diese Bemühungen werden wir fortführen, solange es nötig ist. Dabei bleiben wir aber unserer Linie treu: Wir kommunizieren erst über Lieferungen, wenn diese auch tatsächlich in der Ukraine angekommen sind. Transparenzbezüglich unserer militärischen Unterstützung ist mir wichtig, aber wir werden nichts ankündigen, bevor wir nicht hundertprozentig sicher sind, dass die Lieferung erfolgreich war.
Forum: Da Luxemburg eine Schlüsselrolle in der IT-Koalition zur Unterstützung der Ukrainespielt, könnten Sie erläutern, wie diese Initiative die militärische Effektivität der Ukraine, insbesondere in Bezug auf Cybersicherheit und Kommunikation, stärkt? Wie könnte diese IT-Koalition unter Berücksichtigung von Luxemburgs Satellitenkapazitäten noch effektiver gestaltet werden?
Yuriko Backes: Ein Krieg im 21. Jahrhundert wird nichtallein durch Feuerkraft und Personalstärke entschieden. Moderne Waffensysteme sind vernetzt, ohne sichere und stabile Kommunikation funktionieren diese nicht effizient. Eine ungesicherte Kommunikation an der Front und von der Front zur Kommandozentrale kann verheerende Folgen für die eingesetzten Truppen haben. Gesicherte, schnelle und stabile Kommunikation ist ein Game Changer mit direkten Auswirkungen auf die Einsätze. Die IT-Koalition, die mittlerweile 15 Mitgliederzählt, liefert dringend benötigtes IT-Material, Hardware und Software an das ukrainische Verteidigungsministerium und die ukrainischen Streitkräfte. Bis heute wurde schon Material im Wert von über9,6 Millionen Euro geliefert, es laufen Bestellungen für über 50 Millionen Euro. Luxemburg hat als Lead Nation insgesamt17,5 Millionen Euro zur IT-Koalition beigetragen. Auch Satellitenkapazitäten machen einen bedeutenden Unterschied, sei dies, um die Kommunikation zu verbessern oder um Bilder zur Lageanalyse auszuwerten.
Forum: Einige Länder, hauptsächlich Politiker der extremen Rechten, haben begonnen, langfristig über eine Reduzierung der Militärhilfe für die Ukraine zu diskutieren. Wie stark ist Luxemburg in seinem Engagement für eine anhaltende militärische Unterstützung der Ukraine im Jahr 2025 und darüber hinaus?
Yuriko Backes: 2022 und 2023 hat die Verteidigungsdirektion eigene Projekte verschoben, um so Haushaltsmittel freizumachen, welche für die militärische Unterstützung der Ukraine genutzt werden konnten. Wir können diese jedoch nicht ewig aufschieben, sodass die Regierung für2024 entschieden hat, eine spezielle Haushaltslinie für die militärische Unterstützung der Ukraine im Budget der Verteidigungsdirektion festzulegen. Auch 2025 wird die militärische Unterstützung der Ukraine über eine separate Haushaltslinie laufen. So können wir die Höhe der militärischen Unterstützung entsprechend der Entwicklung des Krieges und der Bedürfnisse der Ukraine anpassen. Luxemburg steht weiter felsenfest hinter der Ukraine. Eine Investition in ihre Wehrtüchtigkeit ist eine Investition in unsere eigene Sicherheit. Die künftige Schaffung einer speziellen Haushaltslinie spiegelt diese Überzeugung wider.
Forum: Es gibt eine kleine Debatte in Luxemburg über die Wiedereinführung des obligatorischen Wehrdienstes. Könnten Sie Ihre Position dazu darlegen und wie wahrscheinlich ist es, dass die Wehrpflichtgesetze wieder eingeführt werden? Ist dies eine Antwort auf die Bedrohung Europas durch Russland?
Yuriko Backes: Zum Thema der Wehrpflicht gibt das Koalitionsabkommen mir kein Mandat und es besteht auch derzeit keinerlei Plan, diese wieder einzuführen. Das Thema wird aber in vielen NATO-Ländern diskutiert, und ich denke, dass diese Debatte auch irgendwann in Luxemburg ankommt. Die Umsetzung eines solchen Vorhabens wäre auch nicht ohne größere Anstrengungen, ohne Anpassung des Rechtsrahmens und dem Bau geeigneter Infrastrukturen möglich. Meine Ambition ist es, die Armee und unsere Verteidigung in ihrer aktuellen Form zu stärken. Daran arbeite ich mit der Verteidigungsdirektion und der Armee zusammen. Luxemburg ist heute schon ein verlässlicher, solidarischer NATO-Alliierter, der seinen Teil zur kollektiven Abschreckung und Verteidigung beiträgt. Wir investieren in unser Personal, wir investieren in unsere Fähigkeiten, wir stellen weiter Truppen für gemeinsame Missionen. Darauf kommt es an, denn die Bedrohung durch Russland ist durchaus real.
Forum: Derzeit ist bekannt, dass mindestens ein luxemburgischer Staatsbürger in der Internationalen Legion der ukrainischen Streitkräfte eingeschrieben ist: Würde ein solcher Einsatz als Luxemburger in den ukrainischen Streitkräften den Weg versperren, sich später als Soldat in Luxemburg zu bewerben?
Yuriko Backes: Rechtlich gesehen ist ein solcher Einsatzkein Ausschlusskriterium, um den luxemburgischen Streitkräften beizutreten. Alle Soldaten und Soldatinnen der luxemburgischen Armee müssen eine Musterung und eine viermonatige Grundeinführung in den Militärdienst bestehen. Hier werden nicht nur physische, sondern auch psychische und moralische Qualitäten bewertet.
Forum: Luxemburg hat keine eigene bzw. nur eine sehr unbedeutende Verteidigungsindustrie. Gibt es Pläne oder Ideen, weiter in diesen Sektor zu investieren? Könnte dies eine neue Nische für die luxemburgische Wirtschaft sein?
Yuriko Backes: Luxemburg will bis 2030 die NATO-Richtlinie der 2 % Verteidigungsinvestitionen erreichen. Konkret bedeutet dies, die Verteidigungsausgaben von heute— 696 Millionen Euro jährlich — auf rund 1,4 Milliarden Euro zu verdoppeln. Wenn wir so viel investieren, dann ist es für mich selbstverständlich, dass wir dabei darauf achten, dass auch luxemburgische Unternehmen daran teilhaben können. Entsprechend habe ich eine interministerielle Arbeitsgruppe zusammengesetzt, welches ich diesem Thema annimmt. Auch auf EU- und NATO-Ebene wird mehr investiert. Die europäische und transatlantische Rüstungsindustrie soll gestärkt werden. Wir müssen Luxemburgs Unternehmen dabei helfen, sich in die Lieferketten dieser Industrie zu integrieren und somit einen ökonomischen Teilrückfluss unserer Ausgaben zu erreichen.