"Ich sehe das patientenbezogen"

Interview: d'Lëtzebuerger Land (Peter Feist)

d'Land: Frau Ministerin, im Wahlkampf 2023 hatte die CSV eine neue Gesundheitspolitik versprochen. "Freiheit für die Privatinitiative" stellte der gesundheitspolitische Sprecher Claude Wiseler in Aussicht und "Schluss mit sozialistischer Planwirtschaft". Es scheint aber, Sie machen weiter, wo Paulette Lenert aufgehört hatte.

Martine Deprez: Zunächst musste ich den Gesundheitsbereich kennenlernen. Ich kannte ihn nur aus dem Blickwinkel eines Staatsratsmitglieds, von der juristischen Seite her, im Zusammenhang mit dem Gutachten zum Gesetzentwurf über den "virage ambulatoire" [womit vor allem die Bildung von Krankenhaus-Antennen gemeint war, die zum Beispiel IRM-Apparate betreiben könnten, Anm. d. Red.]. Ich habe mir die vergangenen zwölf Monate Zeit genommen, um das ganze Gesundheits-Ökosystem zu verstehen und meine Ideen zu entwickeln.

d'Land: Wird es einen Bruch geben mit 20 Jahren LSAP im Gesundheitsministerium?

Martine Deprez: (lacht) Dass nun jemand anderes dort sitzt, ist schon mal ein kleiner Bruch. Die Akteure im Gesundheitswesen schätzen, dass ich zuhöre und wirklich alle frage, wo das System ihrer Ansicht nach dran ist. Natürlich warten sie nun auf konkrete Aktionen. Die werden wir in den nächsten Monaten in die Wege leiten.

d'Land: Bald nach der Regierungsbildung gab es einen Logementsdësch, einen Landwirtschaftsdësch, aber keine Fortsetzung des Gesondheetsdësch. Hatte der unter Ihrer Vorgängerin lange genug getagt?

Martine Deprez: Was mir zugetragen wurde, ging nicht in die Richtung "Hurra, wir machen noch einen Gesundheitstisch!" Aus dem unter Paulette Lenert erwuchs im Juni 2023 der Plan national de santé. Den haben wir mit dem verglichen, was im Koalitionsvertrag der CSV-DP-Regierung steht.

Ein Akzent, der in beiden übereinstimmt und sich relativ schnell umsetzen lässt, ist die Präventionspolitik.

Darin war ich voriges Jahr schon ganz aktiv. In den nächsten drei Jahren werden wir eine Strategie zur Gesundheitsförderung vorlegen, zu Bewegung, gesunder Ernährung, Tabak, Alkohol und so weiter. Hauptziel der öffentlichen Gesundheit muss ja sein, dass die Leute gesund bleiben. Weniger Krankheiten heißt auch weniger Kosten für unser Gesundheitssystem.

d'Land: Auch die LSAP hatte darin viel vor. Als Mars Di Bartolomeo Gesundheitsminister geworden war, sagte er dieser Zeitung: "Ich möchte die Gesunderhaltung der Bevölkerung an den Anfang meiner Überlegungen stellen. Es ist ein Paradigmenwechsel, den diese Regierung vollziehen will." Das war 2004.

Martine Deprez: Das Paradigma, das ich vorfand, bestand darin, eine Kampagne hier zu machen, eine Kampagne dort. Es gab nicht viel Koordination. Ich möchte den Präventionsgedanken überall verankern. Bei der médecine scolaire, die wir neu aufstellen wollen, fängt es an. Eigentlich schon in der Familie, aber wenn die Eltern noch nicht in der Logik von gesunder Lebensweise unterwegs sind, müssen die Schulen helfen. Das entspricht ihrem öffentlichen Auftrag.

d'Land: Sie sagen, Prävention spart Kosten. Aber die Krankenversicherung kosten die sechs letzten Lebensmonate eines Menschen am meisten. Leben wir dank Prävention länger und werden in der Zwischenzeit immer wieder krank, verursacht das umso mehr Ausgaben.

Martine Deprez: Die letzten sechs Monate hängen auch davon ab, ob man Mehrfacherkrankungen hat. Wenn wir alle im Schnitt 80 Jahre alt werden und gesünder leben, lassen sich internationalen Studien zufolge 30 Prozent aller Krebserkrankungen vermeiden. Auch laut unseren nationalen Daten sind 30 Prozent durch Tabak, Alkohol, zu wenig Bewegung, sowie durch zu viel und ungesundes Essen bedingt. Die neuen Krebsmedikamente sind extrem teuer. Dass man nichts sparen würde, ist mir zu simplistisch gedacht. Außerdem kann krank arm machen und arm krank.

d'Land: Dann müsste Prävention vor allem für Arme konzipiert werden oder je nach sozialen Schichten?

Martine Deprez: Ich meine, die Schulen sind der wichtige Ausgangspunkt.

Sie müssen mehr Bewegung anbieten, könnten nachmittags gemeinsames Kochen organisieren, und so fort. Tabak und Alkohol sind in meinen Augen unabhängig von sozialen Schichten. Es gibt reiche Leute, die ganz viel rauchen, und Arme, die nicht rauchen.

d'Land: Als Frankreich und Großbritannien nach der Jahrtausendwende begannen, die Tabakpreise zu erhöhen fingen arme Raucher an, am Essen zu sparen.

Martine Deprez: Da sehen Sie, wie komplex die Zusammenhänge sind.

d'Land: Am Ende ist ein auskömmlicher Mindestlohn die beste Prävention.

Martine Deprez: Einen Mindestlohn haben wir Gottseidank. Ob er auskömmlich ist, hängt von der jeweiligen Lebenssituation ab.

d'Land: Was genau bedeutet die neue médecine scolaire?

Martine Deprez: Es soll darum gehen, für jedes Kind herauszufinden, ob es gut betreut ist, ob es gesundheitliche Probleme hat. Im Grunde geht es um "alles". Mit der Direction de la santé und dem Schulministerium sind wir dabei, einen Plan aufzustellen. Der Schularzt, der die Kinder sieht, kann ja nur Momentaufnahmen machen. Es soll ein ganzes Prozedere entwickelt werden. Jedes Kind soll dasselbe Angebot erhalten.

d'Land: Es gab bisher schon Aktionspläne zur Gesundheitsförderung. Wurde je ermittelt, was die gebracht haben?

Martine Deprez: Es wurde ermittelt, ob gemacht wurde, was im Plan stand.

Für jeden Plan gab es ein Steuerungskomitee. Aber es sitzen zum Teil dieselben Leute in drei, vier oder fünf Komitees und produzieren drei, vier oder fünf Dokumente. Ich meine, das ist Zeit- und Ressourcenvergeudung. Wir müssen gezielter vorgehen und für mehr Zusammenarbeit zwischen den Aktionen sorgen. Einzelne Aktionen waren vielleicht gut, etwa der Aktionsplan Gesond iessen, méi beweegen in den Maisons Relais. Aber was dort geschah, hing davon ab, ob jemand zuständig war. Das wollen wir in der Strategie regeln, die wir ausarbeiten, und ich meine, dass ein Gesetz nötig ist, aus dem formal hervorgeht, wie Präventionsziele erreicht werden sollen und wer zuständig ist.

d'Land: Lassen Sie uns zurückkommen auf die CSV-Wahlkampfaussage "Schluss mit der sozialistischen Planwirtschaft". Das Gegenteil wäre Marktwirtschaft. Wird also das System geöffnet?

Martine Deprez: Bei meinen bisherigen Treffen mit den Akteuren wurde dieses Thema nicht direkt angesprochen. Angesprochen wurde das Antennen-Gesetz. Verschiedene Spitäler haben dazu Ideen entwickelt. Dem Ministerium liegt aber bisher keine förmliche Anfrage vor.

d'Land: Keine Anfrage für eine Radiologie mit IRM und Mammografie in Cloche d'Or, Junglinster, Mondorf?

Martine Deprez: Nur Andeutungen, kein Dossier. Ich denke, die Akteure warten ab.

d'Land: Ich meine mit Marktwirtschaft mehr als Radiologie außerhalb der Spitäler, sondern ein richtig marktbasiertes System. War das ein Thema in den Koalitionsgesprächen?

Martine Deprez: Das lese ich aus dem Koalitionsvertrag nicht heraus. Aufgemacht werden soll das System insofern, als die exklusive Stellung der Spitäler eventuell in Frage gestellt werden soll.

Aber nicht in Richtung totaler Marktwirtschaft im Gesundheitswesen. Lesen Sie das aus dem Koalitionsvertrag heraus?

d'Land: Nein. Deshalb meine ich ja, es scheint weiterzugehen wie bisher.

Martine Deprez: Große Systeme kann man nicht plötzlich umschalten. Und was brächte zum Beispiel eine Liberalisierung der Mammografen - über die in den letzten Monaten diskutiert wurde? Wenn jeder Arzt sich einen kaufen kann und eine Betriebsgenehmigung der Strahlenschutzbehörde bekommt, wie würde es dann weitergehen? Wie ist dieser Arzt vernetzt, wenn er bei einer Mammografie etwas entdeckt? Gibt er das Resultat ins digitale Patientendossier ein und ein Spital sucht sich die Bilder? Vielleicht hätte dieser Arzt gar keine Möglichkeit, mit einem Spital zusammenzuarbeiten.

d'Land: Der Koalitionsvertrag kündigt eine Strategie an, deren Basis eine "Vision" sein soll. Was für eine Vision ist das?

Martine Deprez: Eine, die vom Patienten ausgeht. Ihn interessiert nicht, wie ein Spital finanziert wird, er will wissen: Wo gehe ich hin, wenn mir morgens plötzlich mein Bein weh tut? Hat er einen Hausarzt, geht er zu ihm. Ist der Hausarzt nicht da, arbeitet aber in einer Gruppenpraxis, könnte ein Kollege einspringen.

Aber kommt dieser Arzt ans Dossier des Patienten? Das müssten wir informatisch garantieren. Anschließend: Braucht der Patient eine Röntgen-Untersuchung? Wo bekommt er die? Hat der Arzt Verbindungen zu einem Spital und kann den Patienten dorthin schicken? Kommt der Patient dort gleich dran oder muss er warten? Wie lange? Liegen die Röntgenbilder vor, stellt sich die Frage, muss der Patient ins Spital oder nicht? Verbunden damit künftig noch: Was können wir außerhalb der Kliniken machen?

d'Land: Wissen Sie das schon?

Martine Deprez: Wir sind dabei, ein Inventar zu erstellen. Operationen am Auge zum Beispiel könnte man vielleicht auch außerhalb eines Spitals vornehmen. Eingriffe auf der Haut auch.

Haben wir das Inventar, brauchen wir Normen, um es außerhalb der Kliniken organisieren zu können. Das ist durchaus aufwändig.

d'Land: Gibt es für mehr Aktivitäten außerhalb der Kliniken genug Ärzte?

Martine Deprez: Unser akuteres Problem sind die Pflegeberufe. Es gibt vielleicht in verschiedenen Arzt-Spezialitäten ein Rekrutierungsproblem und wir brauchen definitiv mehr Generalisten. Vor allem aber sind Krankenpfleger, spezialisierte Pflegerinnen und aides-soignants knapp. Eine Herausforderung bei den Ärzten wird noch sein, medizinische Aktivität mit Forschungsaktivität verbinden zu können.

Das müssen wir klären, wenn die Uni einen Medizin-Master anbieten soll.

d'Land: Der Begriff "Uniklinik" fällt immer wieder. Müssten die Spitäler auch als Betriebe anders funktionieren, wenn dieser Studiengang kommt? In Belgien sind die Krankenhausärzte wie bei uns meist Freiberufler. An den Universitätskliniken aber sind sie fest angestellt.

Martine Deprez: Sobald ein Arzt aus den Behandlungen am Patienten nicht mehr genug Einkommen erzielt, sind wir in dieser Diskussion. Forschung bedeutet Beratungen mit Kollegen, Exposés zu schreiben, an Kolloquien im Ausland teilzunehmen und so weiter. Das bildet die Gebührenordnung der Ärzte nicht ab. Über die Funktionsweise der Spitäler als Betrieb müssen wir auch unabhängig von dem Medizin-Master nachdenken.

d'Land: Wie meinen Sie das?

Martine Deprez: 2018 wurde das Spitalgesetz reformiert. Wie es sich in der Praxis bewährt, wurde noch nicht evaluiert. Die Frage stellt sich, wie die Direktionen mit den Ärzten klarkommen.

Wie die Conseils médicaux funktionieren, die Interessenvertretungen der Mediziner an den Kliniken. Und ob die Spitäler optimal arbeiten oder nicht.

d'Land: Zweifeln Sie daran?

Martine Deprez: Der Ärzteverband AMMD schießt oft auf die Spitäler: Sie würden rund ein Drittel der Ressourcen der Krankenversicherung verschlingen, aber brächten nicht genug. Der Krankenhausverband FHL wiederum behauptet, viele Ärzte seien an der Mitbestimmung im Spital nicht interessiert und würden sich nicht in die Conseils médicaux einbringen wollen. Ich denke, dass es eine Schnittmenge gibt, in der mehr ineinandergreifen kann. Freiberufliche Ärzte erwirtschaften ihr Einkommen über das Volumen dessen, was sie in Rechnung stellen. Ob sie Zeit haben, sich darüber hinaus noch weiter einzubringen, weiß ich nicht.

Manche Ärzte aber überbrachten mir Dinge, aus denen ich schließe, dass sie die Entscheidungsstrukturen ihrer Klinik nicht kennen. Das gibt mir zu denken.

d'Land: Eigentlich gibt es an allen Spitälern médecins-coordinateurs pro Fachdienst, als Bindeglieder zwischen Ärzten und Direktion.

Martine Deprez: Ja, aber wie arbeiten sie? Halten sie die Verbindung zu den Ärzten? Eine Institution ist ja nur so gut wie ihre funktionale Struktur. Das darf nicht von Personen abhängen, es muss klare Mandate geben. Das wird ein wichtiger Punkt in der Evaluierung des Krankenhausgesetzes sein. Aufgemacht werden muss dieses Gesetz ohnehin: Wir wollen unter anderem die Bettenzahl aktualisieren. Ich möchte aber wissen, wie jeder einzelne Artikel dieses Gesetzes funktioniert.

d'Land: Im Gegensatz zum Kliniksektor ist der extrahospitalier nicht geplant und nicht reguliert.

Martine Deprez: Ja, der Arzt lässt sich nieder, rechnet bei der CNS ab und das war's. In manchen Ländern bestehen auch für diesen Sektor Regeln. Ich möchte keine Festlegungen treffen wie: "In der Stadt Luxemburg soll es nur so und so viele Ärzte dieser und jener Fachrichtung geben." Ich sehe es patientenbezogen: Wir müssen ein System um die Patienten schaffen und nicht die Patienten ihren Weg durchs System finden lassen. Gehe ich zu meinem Hausarzt und der meint, ich stehe kurz vor einem Herzinfarkt, dann muss er mich binnen einer Viertelstunde dort haben, wo ich hin muss.

Im extremen Notfall ruft er natürlich den Notdienst an, aber im Idealfall kann er auf eine direkte Verbindung mit dem INCCI oder der Kardiologie eines Spitals zählen, bevor der akute Notfall eintritt. Wo der Hausarzt abklären kann, ich sofort empfangen werden müsste und kann. Das ist kein Ansatz hospitalier gegen extrahospitalier, sondern ein Ansatz santé publique. Im Moment habe ich Eindruck, die Spitäler haben ihr Gesetz, die FHL kümmert sich um die Interessen der Spitäler, aber weiter ist nichts geregelt.

Das geht nicht, das geht schon lange nicht mehr. Weil so viele Akteure aufgetaucht sind, Labors, Kinés, Altenheime, Pflegenetze: Sie alle brauchen Verbindungen mit den Spitälern, doch die sind zurzeit nicht formal aufgezeichnet.

d'Land: Lassen Sie analysieren, ob es territoriale Unterschiede in der Versorgung gibt, die behoben werden müssten?

Martine Deprez: Wir brauchen sicher nicht in jeder Gemeinde ein Spital.

d'Land: Nein, aber Sie haben zum Beispiel Gruppenpraxen von Allgemeinmedizinern erwähnt.

Martine Deprez: Wir brauchen ein großes Netz von Generalisten! Wo der Patient am besten schon um 7 Uhr morgens auftauchen kann und bis 21 Uhr abends. Plus vielleicht eine Konsultation per Telefon. Außerdem muss in die Tarife der Generalisten der Faktor Zeit einbezogen werden. Das soll unter anderem ermöglichen, dass sie die Patienten regelmäßig über ihre Gesundheit beraten - auf der Grundlage eines strukturierten Ansatzes, wie ich ihn in der Prävention überhaupt will. Und die Kommunikation ist wichtig.

Den Menschen klarzumachen: Der Generalist ist euer erster Ansprechpartner! 30 Prozent der Patienten in den Notaufnahmen der Spitäler haben keinen Hausarzt. Luxemburg hat pro Kopf, abgesehen von ein paar Disziplinen, einen überdurchschnittlich hohen Anteil von Spezialisten.

Der Generalisten-Anteil ist unterdurchschnittlich. Bedenken müssen wir auch, dass wir ein Einzugsgebiet mit zehn bis fünfzehn Prozent Grenzpendlern haben, die in Luxemburg vielleicht eher zu Spezialisten gehen, weil ihr Generalist an ihrem Wohnort sitzt, aber mittelfristig werden sie auch Generalisten hier aufsuchen. Wir müssen verstärkt in die Generalisten investieren.

d'Land: Wieviele Praxen mit erweiterten Öffnungszeiten morgens und abends gibt es schon?

Martine Deprez: Ich habe rund ein halbes Dutzend gezählt. In Hosingen, Differdingen und Fouhren zum Beispiel. Junge Ärzte sind eher geneigt, sich zusammenzutun. In Hosingen hat die Gemeinde die Initiative ergriffen, ein Ärztehaus zu bauen, und nimmt eine erschwingliche Miete. Sie hat verstanden: Wenn wir das nicht machen, kommt kein Arzt mehr nach Hosingen, sondern alle lassen sich um die Spitäler nieder.

d'Land: Haben Sie Mittel, um Anreize zu geben?

Martine Deprez: Im Moment gibt es nur eine Subvention, die vor Jahren geschaffen wurde, 10.000 Euro pro Gruppenpraxis. Das reicht nicht weit und entspricht auch nicht unbedingt den Erwartungen. Zurzeit nehmen die Gemeinden Geld in die Hand. Merken die jungen Ärzte, dass es eine Struktur gibt, gehen sie auch dahin. Für die, mit denen ich gesprochen habe, war das nicht der einzige ausschlaggebende Punkt, aber er hat die Entscheidung wesentlich erleichtert. Die Generalisten benötigen, wie ich schon sagte, vernetzte Strukturen und direkte Ansprechpartner, um ihre Patienten bestmöglich zu versorgen.

d'Land: Die Regierung setzt stark auf die Digitalisierung. Ihre Vorgängerin präsentierte noch das Konzept für ein Health Information System Luxembourg, aber das bezieht sich vor allem auf die Vernetzung der Spitäler, richtig?

Martine Deprez: Das ist das HISL. Dazu gab es im Juni 2023 eine Note an den Regierungsrat. Danach geschah weiter nichts mehr.

Als ich im November 2023 ins Amt kam, wurde ich gefragt: Setzen wir das jetzt um?

d'Land: Es gibt ja eine Ausschreibung dafür.

Martine Deprez: Nein.

d'Land: Paulette Lenert hatte das zwei Wochen vor den Kammerwahlen in einer RTL-Debatte gesagt.

Martine Deprez: Dann müssen Sie Paulette Lenert fragen, wo die Ausschreibung ist. Ich habe keine gefunden. Genauso wenig wie übrigens einen fertigen Entwurf für ein Pandemiegesetz.

d'Land: Lassen Sie das Projekt ausschreiben?

Martine Deprez: Mit der digitalen Vernetzung der Spitäler wäre noch nicht viel erreicht. Die Daten des Patienten vom Hausarzt betrifft das nicht. Kommt der Patient in eine Notaufnahme und die Daten vom Hausarzt sind nicht da, fängt die Notaufnahme von vorne an, und das macht sie auch! Die Notaufnahmen haben ja keine Daten, und hat der Patient kein DSP-Dossier, haben sie überhaupt nichts. Und sie hätten gar keine Zeit, im DSP nachzuschauen, denn das DSP ist vom Zugang her äußerst kompliziert und überhaupt nicht strukturiert. Deshalb haben wir vor vier Wochen sämtliche Akteure zusammengerufen, um zu zeigen, was wir gerne hätten. Zupass kam uns, dass auf EU-Niveau der European Health Data Space eingerichtet werden muss. In Zukunft müssen wir garantieren, dass Daten einer Behandlung eines EU-Ausländers in Luxemburg in dessen Wohnsitzland zugänglich sind. Weil es Unsinn wäre, das nur für Ausländer zu machen, machen wir es für jeden. In Dänemark funktioniert das schon. Da sieht man, welche Behandlung wann erfolgte. Verschriebene Medikamente sind aufgeführt, und wenn ich zum Häerzdokter muss und war vorher beim Nierendokter, dann sieht der Kardiologe, ob sein Kollege mir etwas verschrieben hat, was vielleicht mit Herzmedikamenten auf bedenkliche Art zusammenwirkt. Ohne dass ich ihn darauf aufmerksam machen muss, dass da womöglich etwas zu berücksichtigen wäre, was ich als Patientin gar nicht überblicken kann. Da wollen wir hin.

Die Spitäler wollen wir dabei nicht vergessen. Aber die haben schon IT-Systeme. Wir können nicht einfach abschalten, was es gibt, und etwas Neues hinsetzen. Das war mit dem HISL für 400 Millionen Euro angedacht. Unser Ansatz ist, die Spitäler zu vernetzen, den außerklinischen Bereich zu vernetzen und anschließend eine Ebene zu schaffen, auf die sämtliche Akteure Zugang haben und dort die Daten finden, die sie brauchen. Dazwischen würde die Agence eSanté stehen, die ein DSP 2.0 entwickeln soll. Ein DSP, das benutzerfreundlicher ist und das ich sogar auf meinem Handy installieren kann.

d'Land: Gehen Sie prinzipiell davon aus, dass die Gesundheitsversorgung auch auf Grenzpendler und über sie mitversicherte Familienangehörige ausgerichtet werden muss, also auf wesentlich mehr Patienten, als allein die in Luxemburg ansässigen?

Martine Deprez: Mittelfristig müssen wir das berücksichtigen, und das Observatoire de la santé hat das klar gezeigt. Insbesondere rund um die Pädiatrie haben wir schon zwölf Prozent frontaliers, die mit ihren Kindern hier in Konsultationen kommen. Mit den Nachbarregionen müssen wir aber auch politische Gespräche über ein "Wer macht was und wo?" führen. Darauf wurde ich schon mehrfach bei internationalen Begegnungen angesprochen. Wir ziehen aus den Nachbarländern Arbeitskräfte ab; irgendwann geht das nicht mehr. Manche Länder passen schon ihre Gehälter an. Das Centre Baclesse in Esch zum Beispiel könnte auch Patienten aus Nancy empfangen. Während in Nancy vielleicht etwas eingerichtet würde, was unseren Leuten zugute käme. Die bisherigen Gespräche drehten sich aber eher darum, dass wir Arbeitskräfte abziehen. Das müssen wir bedenken.

Membre du gouvernement

DEPREZ Martine

Date de l'événement

10.01.2025