Zum letzten Mal aktualisiert am
Zwischen Bergen und Budget
Interview mit Gilles Roth im TélécranInterview: Télécran (Anna-Lena Würz)
Télécran: Herr Roth, wenn Sie Ihren Sommerurlaub wie einen Staatshaushalt planen müssten, wo würden Sie investieren und wo sparen?
Gilles Roth: Investieren in etwas Ruhezeit, weniger ausgeben bei unnötigem Luxus - also Dinge, bei denen das Preis-Leistungs-Verhältnis nicht passt.
Télécran: Wie verändert sich Ihr Blick auf Geld im Urlaub? Lassen Sie eher los oder bleiben Sie im Kopf immer der Finanzminister?
Gilles Roth: Im Urlaub sitzt das Geld vielleicht etwas lockerer, das ist Auszeit. Aber für den Rest bin ich immer auch Finanzminister.
Télécran: Gibt es auch eine Sonderausgabe im Sommer, wo Sie sich bewusst mal etwas gönnen?
Gilles Roth: Ja, das kommt schon mal vor. Beim Abendessen trinke ich gelegentlich einen guten Wein.
Télécran: Wenn ich das Wort Sommer sage, woran müssen Sie unweigerlich denken?
Gilles Roth: Da würde ich sagen: Sand, Meer und Berge.
Télécran: Und welchen Urlaub bevorzugen Sie? Eher Berge, Meer oder Städtetrip?
Gilles Roth: Wir verbringen eigentlich immer eine Woche in den Bergen und einige Tage am Meer. In diesem Sommer geht es sicher eine Woche nach Serfaus in den österreichischen Alpen, und dann noch eine Woche ans Meer nach Süditalien, Mallorca oder auf die Kanarischen Inseln. Städteurlaub mag ich weniger, das ist hektischer.
Télécran: Wie schalten Sie denn im Urlaub ab?
Gilles Roth: Ganz abschalten kann und darf ich nie - ich muss mich schon erkundigen, was in Luxemburg los ist, und flexibel genug sein, dass ich darauf reagieren kann. Das Amt des Finanzministers, was ich sehr gerne mache, ist schon auch physisch belastend. Aber wer von den damit verbundenen Sorgen gar nicht abschalten oder deswegen nicht schlafen kann, der hört besser auf. Ich habe den Vorteil, dass ich in der Regel sechs Stunden tief schlafen kann, das ist sehr wichtig.
Télécran: Sie haben den Großteil Ihrer beruflichen Laufbahn im Finanzministerium verbracht. War es schon immer Ihr Ziel oder Ihr Traum, Finanzminister zu werden?
Gilles Roth: In der Politik kann man nichts planen. Aber ich habe die Politik eigentlich von der Pike auf gelernt: Ich war zuerst im Gemeinderat, dann Bürgermeister der Gemeinde Mamer, dann Abgeordneter und erst dann Finanzminister. Und ich habe im Laufe meiner politischen Laufbahn auch sehr viel gelernt, um mit diesem verantwortungsvollen Posten umzugehen und Projekte voran zu bringen. Denn wir werden als großer Finanz- und Bankenplatz natürlich sehr genau vom Ausland beobachtet. Wenn es dem Finanzplatz gut geht, dann geht es dem Land auch gut. Und das zu vereinbaren, ist eigentlich meine Herausforderung.
Télécran: Mit Ihrem ersten Übergangsbudget 2024 zeigten Sie sich zuversichtlich, die Tendenzen der letzten Jahre umkehren zu können. Ist Ihnen das seit dem letzten Jahr gelungen?
Gilles Roth: Wir haben richtigerweise bereits seit Beginn meiner Amtszeit Akzente gesetzt. Gleich zu Anfang haben wir die Steuertabelle um vier Indextranchen angepasst. Ab dem 1. Januar 2025 folgte eine weitere Steuerentlastung, sodass die Menschen nun deutlich mehr Netto vom Brutto haben. Das macht insgesamt eine Anpassung um 6,5 Indextranchen. Und wir haben besonders Alleinerziehende steuerlich entlastet. Den Mindestlohn haben wir von der Steuer befreit neben einem gesamten Maßnahmenpaket im Interesse der Wirtschaft und des Finanzplatzes. Wir haben das Jahr 2024 mit einem gesamtstaatlichen Überschuss abgeschlossen. Ich bin mir aber bewusst, dass in Luxemburg die Bäume nicht in den Himmel wachsen. 2026 wird eine Herausforderung.
Télécran: Inwiefern?
Gilles Roth: Einiges kommt hier zusammen: die Stärkung unserer Militärausgaben, die Erhöhung unserer Sozial- und Investitionsausgaben und weitere steuerlichen Maßnahmen. Wir wollen auch weiterhin den Bürgern mehr Kaufkraft geben. Das sind Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen, auch im Sinne der aktuellen geopolitischen und geoökonomischen Lage. Und dazu müssen wir natürlich auch ein moderates Haushaltsdefizit hinnehmen - das ist bewusst einkalkuliert. Aber ich gehe diese Herausforderungen mit Optimismus an. Denn unser aktueller Schuldenstand des Gesamthaushalts liegt bei unter 25 Prozent. Wir sind da fast Spitzenreiter in der EU.
Télécran: Die Schere zwischen Arm und Reich wird jedoch auch in Luxemburg immer größer. Wie gehen Sie mit der Herausforderung um, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit in Einklang zu bringen?
Gilles Roth: Beides geht nur zusammen. Sie sind kein Gegensatz. Die Wirtschaft stärken heißt auch, mehr Attraktivität für den Standort Luxemburg zu erreichen - und das bedeutet, die nötigen Mittel zu haben, die in den Sozialstaat fließen können.
47 Prozent unserer Ausgaben im Staatshaushalt sind Sozialausgaben. Und daran wird nicht gerüttelt. Denn als Regierungsmitglied bin ich für das ganze Land zuständig, aber ich bin auch Mitglied der Chréschtlech-Sozial Vollekspartei, der CSV, und das S steckt in der DNA der Partei und auch in meiner persönlichen DNA. Deshalb bin ich überzeugt, dass wir die Kaufkraft der Leute, besonders der breiten Mittelschicht, weiter stärken müssen, und dazu darf es keine Kürzungen der Sozialleistungen geben. Auch für den vom Premierminister angekündigten Armutsbekämpfungsplan werden die nötigen Haushaltsmittel bereitgestellt, damit wir die Ärmsten der Gesellschaft vermehrt unterstützen können. Armut ist für mich inakzeptabel. Die Stärke Luxemburgs liegt zudem in einem gesunden Sozialdialog - und ich bin zuversichtlich, dass wir trotz der schwierigen Tripartite-Verhandlungen im frühen September zu einem Ergebnis kommen werden.
Télécran: Am 27. Juni haben Sie Ihre Pläne zur Individualisierung des Steuersystems vorgestellt, und sich in diesem Kontext gegen eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes oder eine Vermögenssteuer ausgesprochen. Warum?
Gilles Roth: Die Individualbesteuerung ist nicht nur ein steuerliches, sondern ein gesellschaftspolitisches Vorhaben. Wir brauchen ein Steuersystem, das 60 Jahre nach der Einführung des aktuellen Steuersystems der Gesellschaft von heute Rechnung trägt. Das heißt, ob Menschen verheiratet sind, in einer offiziellen Partnerschaft oder einfach so zusammenleben, darf nicht zu einem Steuervor oder -nachteil führen. Das ist die wesentliche Prämisse. Wir müssen den jungen Leuten mehr Perspektiven geben, denn wenn sie nicht bereits in frühen Jahren verheiratet sind oder in einer Partnerschaft leben, zahlen sie ab dem Eintritt in das Berufsleben direkt höhere Steuern. Deshalb bin ich sehr froh darüber, dass wir bis jetzt einen überparteilichen Konsens gefunden haben, und dass auch die Oppositionsparteien die Herangehensweise begrüßen. Es gibt aber noch einige Details zu klären. Wir arbeiten daran.
Télécran: Welche denn genau?
Gilles Roth: Zum Beispiel, wie man verstärkt den Kindern Rechnung trägt. Und man muss auch Eheleute berücksichtigen, die entscheiden, dass ein Partner teilweise oder ganz zu Hause bleibt.
Wenn ein Partner berufstätig ist und 100.000 Euro pro Jahr verdient, zahlt er im aktuellen System 21.000 Euro Steuern. Wenn er heiratet, zahlt er nur 9.000 Euro. In den Sechzigerjahren war das richtig, weil die Ehe damals strafrechtlich wie auch zivilrechtlich geschützt war. Die Menschen haben früher geheiratet und meistens ist die Frau zu Hause geblieben und hat sich um den Haushalt und die Kinder gekümmert. Wenn der Mann sich später getrennt hat, saß die Frau ohne eigenen Rentenanspruch da. Heute werden zwei von drei Ehen geschieden. Ich kann also nicht mehr einen Steuervorteil erlangen, alleine weil ich heirate oder in einer Partnerschaft bin. Aber es gibt neue Ansätze. Der erwerbstätige Ehepartner kann zum Beispiel für den anderen eine Altersversicherung abschließen. Diese könnte dann steuerlich absetzbar sein. Ich bin eigentlich zuversichtlich, dass wir nach den Gesprächen zeitnah und mit größtmöglichem Konsens die Individualbesteuerung im Parlament verabschieden werden.
Télécran: Aber was spricht gegen eine Vermögenssteuer - also den Gedanken, Menschen mit Spitzengehältern etwas wegzunehmen, um es den Ärmeren in der Gesellschaft zu geben?
Gilles Roth: Mit dem „Entlaaschtungs-Pak" haben wir besonders Personen, die in der heutigen Steuer klasse 1 A sind, wesentlich entlastet. Vor allem Alleinerziehende, die besonders armutsgefährdet sind. Das haben wir seit dem 1. Januar 2025 hingekriegt. Ein zweiter Schritt liegt auch darin, dass mit der Individualbesteuerung diejenigen mit Mindesteinkommen und niedrigem Einkommen - ich spreche da von einer Bandbreite zwischen 50.000 bis 75.000 Euro im Jahr - überproportional entlastet werden. Und ich möchte auch daran erinnern, dass wir heute einen Spitzensteuersatz haben, der bei 42 Prozent liegt. Wenn Sie dann noch die Solidaritätssteuer hinzuschlagen, dann sind Sie bei über 45 Prozent - ohne Sozialbeiträge. Ich finde, dass mit diesem Spitzensteuersatz ein Sozialausgleich erreicht wird.
Télécran: Was Sie meinen, ist, dass man auch den ärmeren Mitgliedern der Gesellschaft etwas geben kann, ohne anderen etwas wegzunehmen?
Gilles Roth: Ja. Darüber hinaus wurde die Vermögenssteuer für Privatpersonen in der CSV-LSAP Regierung 2005 abgeschafft und das jetzige Regierungsprogramm - der Rahmen unserer Gestaltungsmöglichkeiten -sieht weder eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes noch eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer für Privatpersonen vor.
Télécran: Die Armutsbekämpfung ist oberste Priorität der Regierung. Derzeit ist eines von vier Kindern in Luxemburg armutsgefährdet. Wie wollen Sie dagegen vorgehen?
Gilles Roth: Da wurden schon mehrere Maßnahmen getroffen, zum Beispiel hat Familienminister Max Hahn die Teuerungszulage erhöht. Es wurde auch von mehreren Parteien, nicht nur von der Mehrheit, sondern auch von der Opposition zu Recht gefordert, dass Kinder im Rahmen der Individualbesteuerung verstärkt berücksichtigt werden, gegebenenfalls über das Kindergeld. Und man darf auch nicht die Leistungen im Rahmen der Betreuungsstrukturen vergessen. Gerade im reichen Luxemburg dürfen wir es nicht zulassen, dass Kinder unter der Armutsgrenze leben müssen. Aber diese Regierung hat unter dem Vorsitz des Premierministers viel getan und sich das Bekämpfen der Kinderarmut als Ziel gesetzt. Und was wir steuerlich oder haushaltspolitisch da zusätzlich leisten können, ist, glaube ich, nicht nur eine Herausforderung, sondern eine Selbstverständlichkeit. Die beste Armutsbekämpfung ist Wachstum, das bei allen Menschen ankommt.
Télécran: Schon bis Ende des Jahres will das Großherzogtum seine Militärausgaben auf zwei Prozent erhöhen. Sie haben betont, dass die Aufrüstung nicht etwa zu höheren Steuern oder einem Sozialabbau führen soll. Woher kommt dieses Geld also?
Gilles Roth: Zusätzlich zu den 800 Millionen Euro, die bereits heute im Haushalt vorgesehen sind, müssen wir dieses Jahr 400 Millionen Euro zusätzlich aufbringen. Ich glaube, dass man das auf drei bis vier Säulen basieren kann: Erstens heißt das, dass ein Teil direkt über den Haushalt finanziert werden muss, was natürlich auch zu moderaten Schulden führt. Ein zweiter Teil kann aber auch durch eine Neu-Priorisierung der Investitionsausgaben erwirtschaftet werden. Das heißt nicht, dass Investitionsausgaben nicht getätigt werden, aber man muss im Haushalt genau sehen, welche Ausgaben im Haushaltsjahr in welchem Umfang auch wirklich realisiert werden können. Ich kann für einen Straßenabschnitt 100 Millionen Euro einberechnen, aber wenn die Planung noch nicht fertiggestellt ist, dann weiß ich, dass das Geld in dem Jahr nicht anfällt.
Durch eine verstärkte Haushaltsdisziplin kann ich also das nötige Geld als eine höhere Summe einplanen, um so einen Teil der zusätzlichen Militärausgaben zu finanzieren. Die dritte Säule betrifft andere alternative Finanzierungsmöglichkeiten: Das könnte eine Zusammenarbeit mit der Europäischen Investitionsbank sein oder ein Fonds, den wir mit der nationalen Kredit- und Investitionsgesellschaft SNCI auflegen. Oder ein Bürgerfonds, bei dem Bürger zum Beispiel in Satellitenbetriebe, Drohnen oder Cybersicherheit investieren können und im Gegenzug einen steuerlichen Vorteil erhalten.
Télécran: Ich habe die KI gefragt, wie man Ihre Politik in drei Worten beschreiben könnte. Und die meinte: sozial, ...
Gilles Roth: Ah, das ist schon gut.
Télécran: ... solide und strategisch. Mit welchen Worten würden Sie Ihre Politik beschreiben?
Gilles Roth: Sozial, solide und innovativ. Das liegt nicht so weit von der KI weg. Wir müssen Luxemburg voranbringen und der Zeit anpassen - das können Sie strategisch nennen, aber ich finde innovativ etwas bescheidener.
Télécran: Herr Roth, ich danke Ihnen für das Gespräch.