Mehr Französisch, weniger KI

Interview mit Claude Meisch in der Revue

Interview: Revue (Frank Goebel)

Revue: Herr Meisch, wie wollen Sie das neue Schuljahr prägen?

Claude Meisch: Unser Motto für diese Rentrée ist ja „Zusammenwachsen"! Denn wir sehen, dass das Schul system zu einem Auseinanderdriften führt. Vor allem Kinder von Eltern, die noch nicht so lange im Land sind oder selbst keinen höheren Schulabschluss haben, trennen wir von jenen, bei denen das anders ist, und zwar sehr früh: Schon mit sieben, acht Jahren gibt es Rückstände, die oft nicht mehr aufgeholt werden. Ein Schulsystem muss aber jedem immer wieder eine Chance geben. Darum wollen wir entgegensteuern, auch mit einer anderen Sprachen politik in unseren öffentlichen Schulen.

Revue: Was ist die wichtigste Stellschraube?

Claude Meisch: Das ist natürlich unser Projekt „Alpha", das die französische Alphabetisierung fest in das nationale Schulsystem integriert. Die Pilot projekte haben klar gezeigt: Wenn ich Lesen, Schreiben und Rechnen in einer Sprache lerne, die mir näher liegt, die vielleicht meine Muttersprache ist, dann klappt der Schulstart besser, und die weitere Schulkarriere ist wahrscheinlich erfolgreicher. 

Revue: Es gibt Zahlen, wonach ein Drittel der Lehrer im Burn-Out ist oder kurz davor. Und die sollen jetzt noch „Alpha" stemmen?

Claude Meisch: Ich bin da aufgrund der Erfahrungen in den Pilotschulen optimistisch. Das geht ja alles schrittweise. Es fängt an im Zyklus 1.2 mit einem Jahrgang und so geht es jedes Jahr weiter, bis 2032 alle Zyklen durchgelaufen sind. Parallel werden neue Lehrmaterialien erstellt und die Lehrer entsprechend begleitet. Ich glaube, ein Drittel der Grundschullehrer hat schon entsprechende Weiterbildungen wahrgenommen. Den Raumbedarf schätzen wir übrigens über sechs Jahre verteilt auf 150 Klassensäle in 100 Ge meinden - also anderthalb Säle pro Gemeinde. Daran wird das Projekt nicht scheitern.

Revue: Also machen die Lehrer das so nebenbei?

Claude Meisch: Wir rechnen mit 25 Prozent weniger Verlänge rungen des Zyklus, weil es weniger „Durchfaller" gibt: Wenn sich das bestätigt, hieße das ja auch, dass wir insgesamt weniger Schüler haben.

Revue: OK, aber die Alphabetisierung auf Französisch kann wohl kaum alle Missstände auffangen?

Claude Meisch: Nein, sie erreicht natürlich nicht die ganze Schulbevölkerung, die ja sehr atypisch ist. Ungefähr ein Drittel spricht zu Hause Luxemburgisch oder Deutsch, ein weiteres Französisch oder Portugiesisch - und das letzte hat fast jede denkbare Sprache als Hintergrund. Da merken wir, dass auch die englische Sprache von großer Bedeutung in der Bildung sein kann.

Revue: In der man ja auf den Europaschulen unterrichtet werden kann...

Claude Meisch: Genau. Wir müssen eben unser traditionelles Schulsystem transformieren, um etwa jenen Schülern mit frankophonem Hintergrund reellere Chancen zu bieten. Aber auch das Angebot der öffentlichen Europaschulen kann eine richtige Antwort sein.

Revue: Wieso werden die Vorzüge der Europaschule nicht einfach ins traditionelle System übertragen? Man könnte ja etwa auch Deutsch als Fremdsprache in der Grundschule unterrichten, um die spätere Nutzung im Unterricht zu erleichtern.

Claude Meisch: Wir sollten die Erfahrungen mit dem europäischen Schulsystem nutzen und uns das eine oder andere abschauen - zum Beispiel, was die Bewertung angeht. Ich habe das Observatorium für Schulqualität gebeten, dazu einen Bericht zu erstellen. Aber ich finde, es sollte keine Fusion geben oder eine genaue Kopie: Denn es wird immer sehr unterschiedliche Schülerinnen und Schüler geben - und für die brauchen wir auch unterschiedliche Schulangebote!

Revue: Aber was macht das langfristig mit der Gesellschaft, wenn sich hier parallele Schulgesellschaften verfestigen?

Claude Meisch: Ich habe grundsätzlich Verständnis für diese Frage. Aber ich finde auch, dass wir eher heute schon die Gesellschaft spalten, worauf die öffentlichen Schulen noch keine richtige Antwort gefunden haben. Wenn etwa in manchen Gemeinden, wie der Stadt Luxemburg, fast die Hälfte der Schüler auf eine Privatschule geht, kann man eigentlich nicht mehr von der öffentlichen Schule als gemeinsamen Vektor reden, über den die Ge- sellschaft zusammenwachst. Darum ist mein Hauptanliegen, die öffentlichen Schulen eben auch über neue Angebote zu stärken: damit die Schüler nicht weiter in Privatschulen ab driften oder gar auf eine Schule im Ausland gehen müssen.

Revue: Kommen wir noch einmal auf das Wohlbefinden der Lehrer. Offenbar ist verfehlte Inklusion ein wichtiger Faktor.

Claude Meisch: Ich verstehe jeden Lehrer, der vielleicht nicht überfordert ist, aber doch ständig an seine Grenzen geht, wenn er Tag für Tag durch Schüler mit spezifischen Bedürfnissen heraus gefordert ist und das Gefühl hat, nicht gesehen zu werden. Hier müssen wir noch stärker unterstützen.

Revue: Wie?

Claude Meisch: Wir haben die Zahl der professionellen, meist hoch ausgebildeten Begleiter in der Inklusion mehr als verdoppelt über die vergangenen Jahre, aber sehen auch, dass der Bedarf immer schneller steigt. Ich finde übrigens, dass wir uns als Gesellschaft auch mal fragen müssen: Wie kommt das, dass unsere Gesellschaft so viele Kinder zum Beispiel mit erheblichen emotionellen Defiziten hervorbringt? Ich finde, das können wir nicht einfach beiseiteschieben und ständig nur neue Posten schaffen und da Personal draufstellen.

Revue: Vorerst wird Ihnen wohl nichts anderes übrigbleiben, oder?

Claude Meisch: Natürlich. Wir wollen den Lehrern weitere Hilfslehrer, Sonderschullehrer und so weiter zur Seite stellen und auch die speziellen Kompetenzzentren regionalisieren - um zusätzliche Plätze zu schaffen, aber auch die Zusammenarbeit zwischen Schule und Kompetenzzentrum zu vereinfachen. Viele Eltern sind, verständlicherweise, nicht einverstanden damit, dass ihr Kind stundenlang im Bus sitzt, um in einem Kompetenzzentrum betreut zu werden.

Revue: Im vergangenen Jahr ist ja das Handyverbot in den Schulen in Kraft getreten. Sind Sie zufrieden, wie das gelaufen ist?

Claude Meisch: Es gab großen Zuspruch, dass wir das Thema aufgegriffen haben. Von den Eltern, den Lehrern und Schulleitern - und zum Teil auch von den Schülern, die selber gesagt haben: So kann es nicht weitergehen!

Revue: Wir haben gehört, dass manche Schüler so schlecht damit klarkommen, dass sie ihren Frust abreagieren - mit Vandalismus und Gewalt. Haben Sie entsprechende Rückmeldungen bekommen?

Claude Meisch: Ich habe aus Schulen mit umfassendem Handyverbot eher gehört, dass Gewalt viel weniger Thema ist. Viele aktuelle Phänomene sind ja mit dem Handy und Social Media verbunden, wie Cybermobbing oder Dinge, die gefilmt oder inszeniert wurden, um Eindruck zu machen. Und wenn es tatsächlich Jugendliche gibt, die das so gar nicht aushalten, zeigt das umso mehr, wie richtig es war, zu handeln. Die Geräte und Algorithmen werden ja gezielt entwickelt, dass man möglichst lange online bleibt. In einem Schulprojekt haben Jugend liche ihren Konsum gemessen und festgestellt, dass sie sechs Stunden am Tag mit dem Handy beschäftigt sind! Dabei ist längst erwiesen, wie schlecht das für die Psyche ist. Dass mentale Gesundheit auch bei jungen Menschen ein großes Thema ist, wundert da nicht.

Revue: Und jetzt wollen Sie die nächste Technik-Sorge adressieren?

Claude Meisch: Ja, das Thema der Künstlichen Intelligenz. Da haben wir eine ähnliche Haltung wie beim Smartphone. Das ist eine Realität, die längst genutzt wird, von Lehrern wie von Schülern und wir wollen auch dazu einige Richtlinien erlassen: keine KI in den Grundschulen. Dann lehren wir etwas über KI in den ersten drei Jahren der Sekundarschule, damit jeder damit grundsätzlich umgehen kann, aber auch die Risiken kennt. Erst danach soll es auch selbst angewendet werden.

Revue: Keine Angst, dass man Sie als rückwärtsgewandt ansieht?

Claude Meisch: Das halte ich aus. Umso mehr, da wir ja beim Smartphone die richtige Balance gefunden haben. Wir wollen ja auch sinnvolle Tools für den Einsatz empfehlen - in der Klasse oder etwa auch für die Vorbereitung des Unterrichts. Ich mache mir große Sorgen über eine kognitive Verarmung der gesamten Bevölkerung und der künftigen Generation. Die Schule hat die Verantwortung, alles, was KI jetzt auch schon kann, wie Lesen, Schreiben, Rechnen, weiterhin als zutiefst menschliche Kulturtechnik zu vermitteln. Damit wir weiter der KI die Anweisungen geben und nicht umgekehrt.

Revue: Denken Sie auch daran, mit Tools etwa Hausarbeiten stärker auf XI-Einsatz zu prüfen?

Claude Meisch: Wir sind da keine Freunde von. Wenn ein Tool eine Manipulation behauptet, aber vielleicht nur zu 95 Prozent sicher ist, werden fünf von 100 Schülern zu Unrecht beschuldigt. Ich denke, wir müssen aber darüber nachdenken, wie wir gewisse Leistungen bewerten. Die schriftliche Hausarbeit wird vielleicht nicht mehr die Zukunft sein. Da könnte man etwa eine mündliche Verteidi gung der Arbeit hinzufügen - um zu sehen, ob sie wirklich auf eigener Leistung beruht. Weniger Deutsch Die Alphabetisie rung auf Französisch soll mit dem Schuljahr 2026/2027 in allen Grundschulen ein geführt werden — und das kommende für die weitere Vor bereitung genutzt werden. Auch an einigen Lyceen (für Schüler der 7. Klas sen) oder in der Be rufsvorbereitung (für Optiker, Tischler und Tätowierer) gibt es jetzt Französisch als Unterrichtssprache.

Membre du gouvernement

MEISCH Claude

Date de l'événement

17.09.2025