Von der Hausärztin zur Hightech-Ministerin: Obertins digitale Mission

Interview mit Stéphanie Obertin im Lëtzebuerger Journal

Interview: Lëtzebuerger Journal (Pascal Steinwachs, Lex Kleren )

 

Lëtzebuerger Journal: Sie machen Ihre Arbeit derart diskret, dass es bestimmt Leute gibt, die noch nie von Ihnen gehört haben. Unter all den Minister*innen dürften Sie die große Unbekannte sein.

Stéphanie Obertin: Vielleicht liegt das auch an meinen Ressorts, die ja eher diskret sind. Mit meinen Themen stehe ich nicht gerade in der Schusslinie, was aber nicht bedeutet, dass sie weniger wichtig sind.

Lëtzebuerger Journal: Das mag stimmen, aber bei offiziellen Auftritten und auf Fotos wirken Sie oft, als sei Ihnen die Öffentlichkeit eher unangenehm. Sie sind auf jeden Fall keine Natural-Born Politikerin, so wie beispielsweise ihr Parteikollege Xavier Bettel, denn solche Leute suchen ja in der Regel das Rampenlicht und können gar nicht genug Aufmerksamkeit kriegen.

Stéphanie Obertin: Xavier Bettel macht schon sein ganzes Leben Politik, derweil ich nun erst seit zwei Jahren richtig dabei bin. Auch hatte ich vorher als Ärztin einen Beruf, der eher diskret ist.

Lëtzebuerger Journal: Macht Ihnen die Regierungsarbeit denn überhaupt Spaß?

Stéphanie Obertin: Es macht mir sogar sehr viel Spaß. Es ist eine Herausforderung, auch mal was anderes zu machen, und ich lerne jeden Tag hinzu – nicht nur was meine Ressorts betrifft.

Lëtzebuerger Journal: Und die Politik, macht Ihnen die auch Spaß?

Stéphanie Obertin: Ich glaube schon, auch wenn ich bis jetzt noch nicht alle Facetten erlebt habe, aber was ich bis jetzt gesehen habe, das hat mir gefallen.

Lëtzebuerger Journal: Das heißt, dass Sie Politikerin bleiben würden, wenn Sie denn wiedergewählt werden?

Stéphanie Obertin: Wenn es so weit ist, dann muss man ja auch wieder von seiner Partei aufgestellt werden. In erster Linie aber hängt es vom Wählerwillen ab.

Lëtzebuerger Journal: Sie haben den Wechsel von einer beliebten Allgemeinmedizinerin in Bonneweg hin zu einem Regierungsamt also bislang noch nicht bereut?

Stéphanie Obertin: Nein, absolut nicht. Das Ganze hat mich natürlich aus meiner Komfortzone rausgenommen, war ich zuvor doch fast 20 Jahre in der Medizin tätig, so dass sich eine gewisse Routine eingeschlichen hatte. 

Lëtzebuerger Journal: Was hat Sie seinerzeit überhaupt dazu bewogen, sich politisch zu engagieren, und warum ausgerechnet in der DP?

Stéphanie Obertin: Als Verwaltungsratsmitglied und spätere Präsidentin des Cercle des Médecins Généralistes war ich im Gesundheitsbereich ja bereits gewerkschaftlich tätig, wo ich mich für Verbesserungen im Gesundheitsbereich eingesetzt habe. Unser Gesundheitssystem ist gut, kann aber natürlich noch verbessert werden. Das hat mich dann auch dazu bewogen, mich politisch zu engagieren.

Lëtzebuerger Journal: Und warum die DP?

Stéphanie Obertin: Weil diese diejenigen Werte verkörpert, mit denen ich mich identifizieren kann.

Lëtzebuerger Journal: Bei den letzten Parlamentswahlen landeten Sie auf der Zentrumsliste Ihrer Partei auf dem elften Platz, wurden aber trotzdem vom Delegationschef Ihrer Partei, Xavier Bettel, gefragt, ob Sie Ministerin werden wollen. Wie kam er ausgerechnet auf Sie, die Sie ja dann doch irgendwie zu Ihrem Job gekommen sind wie die Jungfrau zum Kind, nach zwei Jahren aber inzwischen natürlich Ihre politische Jungfräulichkeit verloren haben?

Stéphanie Obertin: Ich war ja bereits bei den Parlamentswahlen von 2018 DP-Kandidatin …

Lëtzebuerger Journal: … wo Sie auf einem 17. Platz landeten …

Stéphanie Obertin: Ja, aber ich war auch damals schon während den Koalitionsverhandlungen Mitglied der Arbeitsgruppe Gesundheit.

Lëtzebuerger Journal: Wäre es denn nicht logischer gewesen, Sie als Ärztin hätten das Gesundheitsressort übernommen? Warum wird bei einer Regierungsbildung immer noch mehr auf den Parteienproporz geschaut als auf die eigentliche logische Kompetenz?

Stéphanie Obertin: An den Gesprächen über die Verteilung der Ministerien war ich nicht beteiligt, glaube aber zu wissen, dass die CSV das Gesundheitsministerium für sich beansprucht hat. Das Ministerium wurde ja dann auch mit einer kompetenten Frau besetzt. Mit meinen beiden Ministerien, die sehr gut zu mir passen, bin ich sehr zufrieden.

Lëtzebuerger Journal: Wie haben Ihre früheren Erfahrungen als Ärztin Ihren Blick auf Digitalisierung, Forschung und Hochschulwesen geprägt?

Stéphanie Obertin: Die Soft Skills spielen hier eine Rolle, zum Beispiel Ruhe bewahren. Auch habe ich im Forschungs- und Hochschulministerium indirekt die Aufgabe, ein vollständiges Medizinstudium zu ermöglichen, was mir natürlich liegt.

Lëtzebuerger Journal: Und was war Ihre größte Herausforderung beim Antritt dieses Amts?

Stéphanie Obertin: Da ich aus einem liberalen Beruf komme, musste ich mich erst einmal im Staatsapparat zurechtfinden.

Vor allem aber musste ich mich in meine Ressorts einarbeiten, ist so was wie die Digitalisierung doch äußerst technisch. Natürlich musste ich mich ebenfalls intensiv mit dem Forschungs- und Hochschulwesen auseinandersetzen.

Lëtzebuerger Journal: Wie vereinbaren Sie Ihre verschiedenen Ressorts? Wo sehen Sie Synergien, wo Konflikte?

Stéphanie Obertin: Meine Ressorts passen extrem gut zusammen. Es geht bei meinen Ministerien vor allem um Innovation sowie um die Zukunftsfähigkeit des Landes.

Lëtzebuerger Journal: Finden Sie sich selbst eigentlich in der digitalen Welt zurecht?

Stéphanie Obertin: Ich habe mich hier immer schon zurechtgefunden und bin sogar der Meinung, dass die Digitalisierung in der Medizin nicht genug genutzt wird. Die Ärzte kommunizieren untereinander weiterhin mit Faxgeräten.

Lëtzebuerger Journal: Unvorstellbar, aber wir haben das selbst schon erlebt …

Stéphanie Obertin: Da ist noch ganz viel Luft nach oben. Das ist wirklich nicht mehr zeitgemäß.

Lëtzebuerger Journal: Dabei könnte sich Luxemburg als kleines Land einen Namen als digitaler Vorreiter machen …

Stéphanie Obertin: Das sehe ich auch so, aber die Digitalisierung des Gesundheitswesens gehört leider zum Gesundheitsministerium.

Lëtzebuerger Journal: Wie ist denn Ihr Verhältnis zur Gesundheitsministerin?

Stéphanie Obertin: Sehr gut.

Lëtzebuerger Journal: Ein zentrales Thema Ihrer Digitalisierungspolitik ist das Once-Only-Prinzip, also Verwaltungsvorgänge nur einmal zu melden. Wie weit sind Sie mit der Umsetzung?

Stéphanie Obertin: Der entsprechende Gesetzesentwurf befindet sich bereits seit eineinhalb Jahren auf dem Instanzenweg, liegt derzeit beim Staatsrat, auf dessen Gutachten wir warten. Wenn das Gesetzprojekt verabschiedet ist, sind wir aber direkt bereit, das Once-Only-Prinzip umzusetzen.

Lëtzebuerger Journal: Welche Rolle spielt die Künstliche Intelligenz (KI) in Luxemburgs Digitalstrategie, und wie stellen Sie sicher, dass ethische und datenschutzrechtliche Aspekte berücksichtigt werden?

Stéphanie Obertin: Der Datenschutz steht immer an erster Stelle. Die Regierung hat ja vor einiger Zeit ihre Strategien zur KI, zu den Daten und zur Quantentechnologie vorgestellt, die transversal miteinander verbunden sind. Mein Ministerium hat vor allem an der Datenstrategie gearbeitet, ist ohne Daten doch keine KI möglich. Auch wollen wir damit die Dienstleistungen für die Bürger verbessern, dass der Staat proaktiver wird.

Lëtzebuerger Journal: Für viele Menschen ist mit Digitalisierung auch die Sorge vor Arbeitsplatzverlusten verbunden. Wie begegnen Sie dieser Befürchtung, und wie sehen Sie die Rolle des Staates in der digitalen Transformation der Arbeitswelt?

Stéphanie Obertin: Die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz und der neuen Technologien ist nicht aufzuhalten, so dass wir sie sowieso bestmöglich begleiten müssen. Zu Beginn der Industrialisierung wurde ja auch ein Verlust von Arbeitsplätzen befürchtet, was aber nicht geschehen ist. Der Mensch kann sich immer wieder anpassen, und das wird auch hier passieren. Es wird natürlich Berufe geben, die vielleicht eine neue Wendung bekommen, was eine ständige Weiterbildung voraussetzt, aber das ist ein progressiver Werdegang. Man sollte also keine Angst vor der KI haben, aber wir müssen die Menschen in diesem Prozess begleiten.

Lëtzebuerger Journal: Vor allem die älteren, nicht so technikaffinen Leute …

Stéphanie Obertin: Das Digitalisierungsministerium widmet sich unter anderem der digitalen Inklusion, und bietet auch entsprechende Fortbildungen an. Ende des Jahres soll ein diesbezüglicher Aktionsplan vorgestellt werden. Zudem bauen wir die persönliche Beratung vor Ort aus: Neben dem Schalter in der Rue Notre- Dame werden wir den Bürgern bis Ende nächsten Jahres auch regionale Anlaufstellen im Norden, Westen, Osten und Süden zur Verfügung stehen.

Lëtzebuerger Journal: Kommen wir zum Thema Cybersicherheit: Wie muss Luxemburg als kleiner, aber international ausgerichteter Staat seine digitale Souveränität sichern?

Stéphanie Obertin: Für das ganze Land zuständig ist das beim Staatsministerium angesiedelte Hochkommissariat für nationale Sicherheit, derweil mein Ministerium für die Cybersicherheit beim Staat zuständig ist. Wir sind da inzwischen sehr gut aufgestellt.

Lëtzebuerger Journal: Es ist also nicht mehr so, dass es Beamte gibt, deren Passwort 1 2 3 4 ist?

Stéphanie Obertin: Bestimmt nicht. Die Passwörter werden regelmäßig gewechselt.

Lëtzebuerger Journal: Welche Maßnahmen verfolgen Sie, damit Luxemburg ein noch attraktiverer Forschungsstandort wird? Wie zieht man internationale Talente nach Luxemburg an? Ein Mann wie Donald Trump, der gegen die Wissenschaftsfreiheit an den US-Universitäten kämpft, dürfte Ihnen ja da in die Karten spielen.

Stéphanie Obertin: Ich glaube, dass unsere Forschungsinstitute gut aufgestellt sind, und dass wir sehr attraktiv sind – mit stark ausgebauten Infrastrukturen und klarem Profil in Schlüsselbereichen. Zu diesen zählen personalisierte Medizin, Space, AI, Daten, Quantentechnologien, neue Materialien, aber auch zeitgenössische Geschichte, um nur diese zu nennen. In diesen Bereichen genießen die drei öffentlichen Forschungszentren sowie die Universität hohes internationales Ansehen.

Lëtzebuerger Journal: Wenn die Forscher*innen aus nicht europäischen Ländern denn ein Visum bekommen und sich nicht durch die hohen Wohnungspreise abschrecken lassen …

Stéphanie Obertin: Das mag stimmen, dafür bieten wir in Luxemburg kurze Wege, exzellente Ausstattung, ein internationales Umfeld und einen klaren politischen Willen, die Forschung weiter auszubauen.

Lëtzebuerger Journal: Was macht eigentlich der Weltraumsektor? Seit Etienne Schneider, der leicht größenwahnsinnige Initiator des Space Mining, nicht mehr Minister ist, fristet der Weltraum aus luxemburgischer Sicht ja eher ein ruhiges Dasein.

Stéphanie Obertin: Das sehe ich anders. Die Weltraumforschung ist immer noch ein Hauptstandbein unserer Wirtschaft. Wir bauen ja sogar einen Roboter, der auf dem Mond spazieren soll. Gut aufgestellt sind wir natürlich auch, was unsere Satelliten anbelangt.

Lëtzebuerger Journal: Werden die Frauen in der Wissenschaft stärker als die Männer gefördert? Die adr hat sich ja vor kurzem darüber beschwert, dass die Universität Luxemburg einige Professuren nur für Frauen ausgeschrieben habe.

Stéphanie Obertin: Wir haben mit Sicherheit ein großes Defizit, was Frauen in den sogenannten STEM-Karrieren anbelangt, also in Berufen in den Bereichen Wissenschaft, Technologie, Ingenieurwesen und Mathematik. Das Anne- Beffort-Programm (Anne Beffort war eine wegweisende Pädagogin und leidenschaftliche Verfechterin der Bildung von Frauen, die eine wichtige Rolle bei der Förderung der Gleichstellung der Geschlechter im universitären und kulturellen Leben spielte, d. Red.) der Universität Luxemburg soll dem entgegenwirken. Dies, indem zeitweise, in diesem Fall für sechs Monate, vier Stellen als Assistenzprofessorinnen ausgeschrieben wurden. Danach werden die Stellen natürlich für jeden ausgeschrieben.

Lëtzebuerger Journal: Wie beurteilen Sie die Situation für Medizinstudent*innen in Luxemburg? Es fehlt ja auch hierzulande an Ärzt*innen, wobei es aktuell aber hierzulande nur einen Bachelor-Studiengang gibt. Welche Schritte sind geplant, um einen vollwertigen Medizin-Master anzubieten?

Stéphanie Obertin: Wir haben tatsächlich einen Mangel, was die medizinischen Berufe anbelangt, was auch für die Krankenpfleger gilt, arbeiten aber intensiv an Lösungen. Der Medizin-Master soll in Zusammenarbeit mit den vier Spitälern - Centre Hospitalier de Luxembourg, Centre Hospitalier du Nord, Hôpitaux Robert Schuman, Centre Hospitalier Emile Mayrisch - angeboten werden, die dann als eine Uniklinik angesehen werden. Neben der Allgemeinmedizin, der Onkologie und der Neurologie soll späterhin auch die spezialisierte Ausbildung in der Pädiatrie und der Psychologie hierzulande angeboten werden, was unseren Bedürfnissen in Luxemburg entspricht. Natürlich müssen die Studenten aber auch weiterhin ein oder zwei Semester im Ausland absolvieren.

Lëtzebuerger Journal: In Sachen Verteidigung starteten Sie und Verteidigungsministerin Yuriko Backes sowie Wirtschaftsminister Lex Delles direkt am Anfang der Legislatur einen gemeinsamen Aufruf für Forschungs- und Entwicklungsprojekte.

Stéphanie Obertin: Wir haben mittlerweile den insgesamten dritten Aufruf für Forschungsprojekte im Verteidigungsbereich lanciert. Die entsprechenden Projekte haben wir als Dual-Use-Initiative gestartet – Forschung mit möglicher ziviler und militärischer Nutzung. Aufgrund der geopolitischen Entwicklung liegt der Akzent derweil aber verstärkt auf der militärischen Nutzung. Zusätzlich zu unseren Aufgaben der internationalen Solidarität ist das Ziel der Initiative die Stärkung beziehungsweise die Weiterentwicklung der nationalen und europäischen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie.

Lëtzebuerger Journal: Seit einiger Zeit wird immer lauter über eine Regierungsumbildung spekuliert. Dabei ist auch Ihr Name gefallen. Sie haben bestimmt davon gehört …

Stéphanie Obertin: Ich kann mich daran erinnern, dass mein Name in diesem Zusammenhang vor einem Jahr gefallen ist, mehr kann ich ihnen dazu nicht sagen. Von meiner Seite gibt es aber keinen Grund, das Ganze an den Nagel zu hängen.

Lëtzebuerger Journal: Politik ist eben ein schmutziges Geschäft …

Stéphanie Obertin: Die Ellbogen sind spitz, wenn ich das so sagen kann…

Lëtzebuerger Journal: Wie ist denn die allgemeine Stimmung in der Regierung? Sie sagen jetzt bestimmt gut …

Stéphanie Obertin: (lacht) Die ist sehr gut …

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OBERTIN Stéphanie