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Jean-Claude Juncker. Discours à l'occasion de la remise du Franz-Josef-Strauß-Preis, Munich
Sehr verehrter Hans Zehetmair,
Lieber Erwin Huber,
Lieber, spätberufener, Edmund Stoiber,
Lieber Freund Theo,
Herr Erzbischof Max, mein Freund, den Sie aus der gesegneten Grenzregion Trier-Luxemburg nach München entführt haben, und mit dem wir in Luxemburg viel Freude hatten, und Sie werden auch Ihre Freude an Ihm haben, das kann ich Ihnen jetzt schon sagen,
Königliche Hoheit,
Exzellenzen,
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Ich habe immer ein mulmiges Gefühl wenn ich Preise entgegen nehme, weil immer Menschen auftreten, Freunde im Regelfall, die so über mich reden, als ob ich nicht mehr selbst dabei wäre, sondern sich ins Nekrologische versteigen. Deshalb darf ich zur Enttäuschung einiger Luxemburger, und zu Ihrer Beruhigung sagen: ich mache weiter. Es lohnt sich für die Sache der Menschen weiter zu machen, so wie es sich für die Sache Europas lohnt, das ist das gleiche.
Ich hätte eigentlich zu dem, was gesagt wurde vieles anzufügen und müsste diese Lobeshymnen etwas zurecht stutzen. Aber, weil Sie schon so lange hier sitzen, lasse ich das Lob einfach einmal so stehen. Und so direkt fällt mir eigentlich auch nichts massiv Einschränkendes ein.
Ich darf heute den Franz Josef Strauss-Preis in Empfang nehmen, und bin Hans, Erwin und den anderen Freunden dafür dankbar. Es ehrt mich auch sehr, weil ich an Franz Josef Strauss Jugenderinnerungen habe.
Das, was er in Santiago de Chile gesagt hat, hätte ich so nicht gesagt, und das habe ich ihm auch gesagt. Das, was er als Finanzpolitiker, begeisterter Finanzpolitiker, getan, gesagt und geschrieben hat; das, was er als einsatzfähiger, und einsatzbereiter Europapolitiker immer wieder massiv unter Beweis gestellt hat, indem er an der richtigen Stelle das richtige Wort zu führen verstand, das hat mich immer sehr beeindruckt, sogar streckenweise begeistert.
Was ich an der Strauss’schen Finanzpolitik mochte war, dass die Strauss’sche Haushalts- und Finanzpolitik keine Politik war, die versuchte Zustimmung zu erheischen. Finanzminister mögen, können und sollen populär sein, sehr beliebt sein dürfen sie nie. Du darfst Dich nicht zu sehr erschrecken Erwin, Du bist eine Ausnahme, aber Theo Waigel weiss, wovon ich rede.
Ich bin ja auch Finanzminister, nicht nur im Nebenjob, sondern Premierminister und Finanzminister zugleich. Das allerdings aus Gründen der Faulheit, weil ich aus vielen Gesprächen mit meinen Finanzministerkollegen weiss, dass die sich immer über ihre Regierungschefs und deren Unvernunft ärgern, und dass die Regierungschefs sich immer über die Sturheit ihrer Finanzminister ärgern. Um das alles zu vermeiden trage ich das lieber mit mir selber aus. Ich setze mich auch meistens in diesem heftigen Dialog durch.
Man muss in der Finanzpolitik kämpfen. Wer den Leuten immer nur nachläuft, wer den Menschen immer nur nachrennt, der kommt mit den Menschen nie richtig ins Gespräch, weil er sie immer nur von hinten sieht. Und diese Art, sich verständlich zu machen, ist eine Ausgangslage, die nicht unbedingt die angebrachteste ist.
Strauss, von dem man manchmal liest, er wäre Neo-Keynesianer gewesen, brachte hier in der Bundesrepublik eine antizyklische Konjunkturpolitik, eine konjunktur-gerechte, die Konjunktur lenkende, und konjunktur-gelenkte Finanzpolitik in die Umlaufbahn, nach dem Motto – es täte der europäischen Finanzpolitik gut, wenn es heute auch noch umgesetzt würde – konjunkturelle Ausgaben runter, innovative Investitionen nach oben.
Das hat er auch gemacht, zum Guten der Republik, und damit auch Entscheidendes beigetragen zum Werner-Plan, der zur europäischen Wirtschafts- und Währungsunion geführt hat, was die Gesamtausrichtung europäischer öffentlicher Finanzen sein sollte.
Ich glaube, Franz Josef Strauss hat sich um Europa verdient gemacht, weil er sehr früh beides, was ihn im Leben antrieb, die deutsche Wiedervereinigung und der europäische Zusammenschluss als – wie Konrad Adenauer sagte und wie Helmut Kohl immer wieder wiederholte – zwei Seiten einer Medaille begriff. Die westeuropäische Einigung, auf wirtschaftlichen Fundamenten aufsetzend, empfand er nie als ein endgültiges Projekt. Es gibt Zitate zu Hauf von ihm, wo er darauf hinweist, dass dies nur der Beginn sein kann, und dass wir eine gesamteuropäische Föderation mit den Staaten in Mittel- und Osteuropa anstreben müssen.
Insofern fand er Anschluss in dem, was er dachte, sagte, fühlte und vorausahnte, an das, was Churchill, der grosse Churchill, 1948 anlässlich des ersten Kongresses der Pan-europäischen Bewegung in Den Haag sagte. Dies war, nachdem die Sowjetunion ihren – von ihr so betrachteten und von uns nie so gesehenen – Satellitenstaaten den Zugang zum Marshall-Plan verweigert hatte, und auch nicht wollte, dass diese grossen Nationen aus der Mitte und aus dem Osten Europas Mitglieder des Europarates werden könnten. Damals sagte Churchill den Satz: "Wir fangen heute im Westen an, was wir eines Tages im Osten zu Ende führen wollen." Ein grosser Mann – ein grosses Wort.
Genau dort sind wir angekommen, aber wir sind nicht mehr stolz darauf, weil wir Europäer, auch unter dem Eindruck weit grassierender deutscher Larmoyanz, auf nichts mehr stolz sein können. Wir sollten stolz auf Europa sein. Wir haben nämlich für die Menschen in Europa viel erreicht, und die Tatsache, dass der europäische Kontinent ein Friedenskontinent geworden ist, ist die grösste Leistung zu der die Menschen in ihrer Geschichte je fähig waren.
Auf diesem europäischen Kontinent nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, mit so viel Leid, mit so vielen Toten, mit so vielen Märtyrern, denen das Leben schlimm zugesetzt hatte, eine Atmosphäre zu schaffen, in der Millionen Menschen aller Völker sich auf den Weg machten um sich die Hand zu geben, nachdem sie Wochen vorher noch aufeinander geschossen hatten, dies ist eine sehr beeindruckende Lebensleistung der Kriegsgeneration. Und wir, wir sind eigentlich nur sehr schwache und sehr bescheidene Erben des grossen Lebenswerkes der Generation unserer Eltern.
Dass die Generation unserer Eltern aus diesem ewigen Nachkriegssatz "Nie wieder Krieg" ein politisches Programm entwickelte, an dessen Umsetzung wir heute noch immer arbeiten, sollte uns dazu anspornen das Erreichte zu bewahren und das zu Erreichende gezielt anzustreben. Wir haben Frieden und Wohlstand – aber nicht Wohlstand für alle auf dem europäischen Kontinent – sesshaft gemacht, und ihnen eine Wohnung zugewiesen.
Wir waren im Stande den europäischen Binnenmarkt auf die Beine zu stellen, was kein kleines Unterfangen war, und was immer noch nicht vollständig zur vollen Reife gelangt ist, unter anderem, weil diesem europäischen Binnenmarkt – und das hat mit dem Europa der Menschen zu tun – der soziale Geruch fehlt. Man kann Europa nicht gegen die Menschen machen, man kann Europa nicht gegen die Mehrheit der Menschen machen, und das sind nun einmal die arbeitenden Menschen.
Wir brauchen auch in Europa eine sozialpolitische Dimension. Nicht jedoch in der Gestalt, dass wir eine europäische Sozialunion wollen, oder in dem Sinne, dass wir jetzt unsere Sozialversicherungssysteme vereinheitlichen wollen. Europa darf nie ein Schmelztiegel werden und darf sich nicht übernehmen.
Aber wir müssen jungen Menschen die keine Arbeit haben, Europäern die in Armut leben, die gibt es nämlich in grosser Zahl, Menschen die verzweifeln, weil sie ihre Chance in der Zukunft nicht erblicken, auch europäische Antworten anbieten. Nur so können wir auch anderen Teilen in der Welt, ausgehend von der katholischen und christlichen Soziallehre, an die ich glaube, zeigen, dass es Möglichkeiten für jeden gibt, und dass Politik darin besteht, niemanden am Wegesrand stehen zu lassen, weder Völker noch Einzelne. Wenn wir das auch zu einer europäischen Botschaft machen könnten, dann würden die Menschen nicht so sehr an Europa verzweifeln wie sie dies manchmal tun.
Wir sind auch ungenügend stolz darauf, dass wir in Europa fähig waren die europäische Wirtschafts- und Währungsunion zu gestalten. Ein in der Welt unerreichtes Unterfangen, von niemandem sonst versucht. Dass wir das geschafft haben, obwohl alle dachten wir könnten es nicht schaffen; obwohl amerikanische Politiker und deutsche Wirtschaftsprofessoren bis zum heutigen Tag denken sie würden träumen, wenn sie den Euro in den Händen halten, weil sie dies für ein unmögliches Unterfangen hielten, das zeigt ja, dass wir als Europäer zu Grossem fähig sind, wenn wir uns grossen Anstrengungen unterwerfen.
In diesem Kontext muss ich auch daran erinnern, dass mein Freund und Bruder Theo Waigel einer der grossen Euromacher war. Sogar der Name "Euro" ist seiner Phantasie entsprungen, und er erinnert mich immer wieder daran, dass ich den Namen überhaupt nicht hören wollte. Ich war damals auch deutlich jünger und sagte: "Das klingt absolut nicht erotisch, Dein Euro". Und dann hat Theo Waigel sagte: "Hauptsache ist er bleibt hart, und er wird so hart wie die Deutsche Mark." Deshalb haben wir den Stabilitätspakt dann auch aus der Taufe gehoben, was allerdings eine etwas fromme Beschreibung für diesen Kraftakt ist, den wir uns damals zumuteten.
Ich habe mit meinem Freund Edmund Stoiber manchmal sehr kontrovers über Euro und europäische Wirtschafts- und Währungsunion geredet. Nicht, weil ich ihn für einen nicht genügend inspirierten Europäer gehalten hätte, das habe ich nie so gesehen, sondern weil ich mich mit Argumenten, mit Sachargumenten auseinandersetzen wollte. Dass Edmund heute bekennt er wäre ein Spätberufener, macht so einem jungen Menschen wie mir natürlich doppelt Freude. Und, Herr Erzbischof, wenn es in der katholischen Kirche so viele Spätberufene gäbe wie beim Euro, dann müssten Sie jedes Wochenende zwei Seminare einweihen.
Franz Josef Strauss hat sich stets um die deutsch-französische Freundschaft bemüht, von der ich immer noch glaube, dass sie ein essentielles Fundament europäischer Integration und europäischen Zusammenwachsens ist, obwohl Europa grösser und mitgliederstärker geworden ist. Man vergisst sehr oft, dass in den letzten 400 Jahren Deutsche und Franzosen im Schnitt alle 15 Jahre Krieg gegeneinander führten. Nur seit Ende des Zweiten Weltkrieges ist das nicht mehr passiert. Das hat mit der inspirierenden Wirkung von Konrad Adenauer und Charles de Gaulle zu tun, aber das ist auch auf die Handreichungen kleinerer Nationen, kleinerer Länder die es in Europa gibt, zurückzuführen.
Man sollte sich nicht der Illusion hingeben es gäbe wirklich noch grosse europäische Länder. Es gibt sie nicht. Luxemburger sind Leute die wissen, dass sie in einem kleinen Land leben. Andere wissen nicht, dass auch sie in kleinen Ländern leben, wenn man sich die Weltkarte vor Augen führt. Am Anfang des 20. Jahrhunderts machten die Europäer, im weitesten Sinne des Wortes, 20% der Erdbevölkerung aus, am Anfang dieses Jahrhunderts werden sie 11%, in 50 Jahren 9%, und am Ende dieses Jahrhunderts 4% ausmachen.
Es macht also wenig Sinn, Europa kleinzureden. Sehr viel Sinn macht es, aus Europa eine einflussreiche Makroregion unseres Planeten zu machen und dafür zu sorgen, dass wir uns für unsere Werte, die in Europa so herangewachsen und herangereift sind, in anderen Teilen der Welt einsetzen. Dies setzt allerdings voraus, dass wir die Werte der anderen Völker dieses Planeten nicht nur respektieren, sondern auch versuchen das davon aufzunehmen, was unsere Werte noch wertvoller machen könnte.
Man soll sich nicht über den Fortschritt in der Welt beklagen. Das ist überhaupt meine Definition von bürgerlich-konservativer Politik. Bürgerlich-konservativ ist dann gut, wenn sie ein Synonym für Fortschritt ist. Und bürgerlich-konservative Politik, so wie von Edmund geschrieben und von vielen hier im Lande vorgelebt, ist und war immer fortschrittliche Politik. Deshalb sollte man sich über viele Fortschritte nicht beklagen.
Wieso also klagt man darüber, dass China jetzt den Weg auf die Weltkarte gefunden hat? Wieso klagt man darüber, dass die Inder sich jetzt plötzlich einbilden, sie hätten auch ein Recht, eine Mahlzeit am Tag einzunehmen? Wieso regt man sich darüber auf, dass, wenn jeder Chinese zwei Tomaten am Tag essen würde, dass wir 2,6 Milliarden Tomaten mehr pflanzen müssten, als wir heute in unseren Gärten stehen haben? Wir sollten froh sein, dass die Welt ein bisschen gerechter geworden ist, auch wenn wir noch weit von dem entfernt sind, was ich mir unter einer gerechten Welt, und unter einer gerechten Weltwirtschaftsordnung vorstelle.
Wir müssen uns als Europäer in dieses Weltgefüge einbringen. Es reicht nicht, nur an Europa zu denken. Die dritte Welt, die gibt es. Die vierte Welt, die gibt es. Viele Millionen Menschen haben keinen direkten Zugang zu Wasser. 2 Milliarden Menschen leben mit weniger als einem Dollar pro Tag. Ja, denken wir Europäer, wir wären mit unserer Zukunftsaufgabe fertig, wenn wir uns nicht mit diesen Aufgaben beschäftigen? So lange 25.000 Kinder jeden Tag an Hunger sterben, so lange hat Europa nicht ausgedient, sondern steht die grösste Herausforderung noch vor Europa, weil wir auch eine Verantwortung in der Welt und für die Welt haben.
Ich plädiere deswegen gegen einen europäischen Egoismus. Ich plädiere für ein ökonomisch-soziales europäisches Weltbürgertum, weil nichts von dem, was auf der Welt schief geht, schief gehen dürfte, so lange Europa seine Ansprüche an sich und an andere stellt.
Ich mache mir deshalb aber, bei aller Begeisterung, über Europa keine Illusionen, und sei es auch nur, weil ich nun definitiv keine Lust habe Illusionen zu verlieren. Es ist besser man macht sich keine Illusionen über Europa, sondern man begreift Europapolitik, so wie jedes anspruchsvolle menschliche Tun, als das ständige Bohren dick gewordener Bretter: man muss jeden Tag neu ran.
Deshalb macht es auch wenig Sinn, bei allem Ärger über das, was in Europa schief läuft – und Gott weiss, dass vieles in Europa, wie woanders auch, schief läuft – sich nur über Europa zu ärgern, oder von Europa ein Bild zu entwerfen, das keinerlei Wirklichkeit entspricht. Mich ärgert nichts mehr als Regierungschefs, Präsidenten, Finanzminister, andere, die aus Brüssel mit zerknirschter Miene zurückkommen, und sagen: "Die anderen sind nicht so vernünftig wie wir, deshalb haben wir das nicht so hingekriegt, wie wir eigentlich gedacht haben, dass es gemacht werden müsste."
Europa ist doch kein Boxkampf. Es ist doch kein Kampf derer, die siegen möchten gegen die, die denken sie könnten eventuell verlieren. Wir arbeiten doch in Europa an einem grossen Werk im Auftrage derer, die die europäische Idee geboren haben. Und wer an einem grossen Werk arbeitet soll sich nicht dauernd beklagen.
Es gibt die schöne Anekdote, wo ein Mann in der Kölner Altstadt jemanden trifft, der nicht sehr glücklich aussieht, und der am Kölner Dom arbeitet. Er fragt ihn: "Was ist denn los?" Und der antwortet: "Ich habe so viel Arbeit, ich muss hier dauernd als Steinmetz in Köln arbeiten." Dann geht er 10 Meter weiter und trifft jemanden, der über das ganze Gesicht strahlt, und sagt: "Und wieso geht es Ihnen so gut?" – "Ich arbeite am Kölner Dom." Europa ist jeden Tag am Kölner Dom arbeiten.
Ich danke für Ihre Geduld.