Jean Asselborn orateur au deuxième "Berliner Kongress"

Sehr verehrte Frau Dr. Köppen,
Sehr verehrte Damen und Herren,
Liebe Teilnehmer,

Die Weltwirtschaft steckt heute in der größten Krise seit 1929. Aus der Immobilienkrise in den Vereinigten Staaten wurde eine globale Finanzkrise, dann eine planetare Wirtschaftskrise, die sich als allumfassend und tief erweist. Allumfassend, weil sie alle Länder und alle Bereiche betrifft. Tief, weil in einem erheblichen Masse Vertrauen fehlt, sowohl auf den Finanzmärkten wie unter den Unternehmern und Verbrauchern.

Diese Krise ist nicht allein Folge von Fehleinschätzungen und Fehlentwicklungen des Marktes oder einer Überhitzung der Finanzmärkte. Sie ist auch das Ergebnis der Ideologie einer zügellosen Marktwirtschaft. "Mehr Rendite, schnellere Rendite, höhere Rendite", das war der Schlachtruf der Gierigen in Banken und Börsen. Diese Einstellung wurde schleichend zum überwiegenden Credo des wirtschaftlichen Handelns, eine Degenerierung der sozialen Marktwirtschaft, hin zum wilden Kapitalismus. Einem Kapitalismus der glaubte, dass es Aufgabe der wirtschaftlich Fähigen ist, die Unfähigen aus dem Geschäft zu drängen. Das ist ökonomischer Kannibalismus, und der hat mit demokratischen Idealen wenig zu tun. Wettbewerb ohne soziales Ziel dient nicht dem Allgemeinwohl. Er ist nicht nur egoistisch, sondern auch schädlich.

Es wurden Risiken genommen, die heute nicht nur die Banken, sondern die ganze Gesellschaft vor ernste Probleme stellen. Von der nach oben schnellenden Arbeitslosigkeit geht die Gefahr auch einer sozialen Krise aus. 8,9% der aktiven Bevölkerung in der Eurozone sind arbeitslos, das sind mehr als 14 Millionen Menschen. Leider sind es, wie so oft, die sozial schlechter gestellten Menschen, die am schlimmsten unter den Konsequenzen der Sorglosigkeit und der Habgier leiden. Solche Auswüchse müssen in Zukunft verhindert werden. Die grenzenlose Profitmaximierung als vermeintliche Triebfeder menschlichen Fortschritts darf nicht weiter die ultima ratio der Wirtschaft bleiben.

Nicht nur Banken und Unternehmen haben an der Verwurzelung dieser neoliberalen Ideologie mitgewirkt, auch die Politik hat das Allgemeinwohl zu häufig dem Markt untergeordnet. Jetzt gilt, aus den Fehlern zu lernen, uns auf ethische, gesellschaftsverantwortliche und soziale Werte zurückzubesinnen: Transparenz, Solidarität, verantwortungsvoller Umgang mit Ressourcen. Die Politik muss wieder die Rolle spielen, welche ihr zusteht. Sie muss, dank neuer Ideen für das Zusammenwirken von Politik und Ökonomie, der sozialen Marktwirtschaft wieder Geltung verschaffen. Dazu muss neues Vertrauen geschaffen, Angst und Apathie überwunden werden. Wir brauchen frisches Denken, das Gefühl, dass Leute ans Ruder kommen die langfristigen Ideen den Vorrang geben.

Heute sind wir uns wieder bewusst, dass die Wirtschaft sich zuerst am Menschen orientieren muss. Der "Rheinische Kapitalismus" ist kein Wirtschaftsmodell von gestern. Die soziale Marktwirtschaft, maßgeblich geprägt durch die Sozialdemokratie, Gewerkschaften und verantwortungsvolle Unternehmerpersönlichkeiten, hat immer den sozialen Frieden gefördert. In der Friedrich-Ebert Stiftung im November 2008, sagte ich, und ich wiederhole: "Die Einsicht, dass man die Finanzmärkte nicht allein der von den neoliberalen Wirtschaftspropheten so oft beschworenen unsichtbaren Hand überlassen soll, entspricht einer kontinental-europäischen Grundeinstellung, die die Marktwirtschaft immer im Dienste des Menschen versteht" (Ende Zitat). Das ist der Kern der europäischen Idee. Der soziale Gedanke der die EU politisch mitbegründet hat, ist die beste Voraussetzung für eine Erneuerung des Systems.

Wenn wir in einer humaneren Gesellschaft zusammenleben wollen, müssen wir unsere Werte in gemeinsamen Regeln ausdrücken. Wir sollten jedem die Aufgabe zuteilen, die ihm zusteht. Die Aufgabe der Finanzinstitutionen ist es, dafür zu sorgen dass die Realwirtschaft reibungslos läuft, indem sie die Versorgung mit Kapital gewährleistet und den Menschen sichere Spar- und Anlageformen für Altersvorsorge und wichtige Investitionen bereitstellt. Mehr nicht. Es geht um die Realwirtschaft, die steht im Vordergrund, nicht die Banken und nicht die Börsen. Die Zeit der laschen Finanzpolitik, in der nur noch mit Geld gehandelt wird, auch mit Geld das es gar nicht gibt, muss vorbei sein. Die Wirtschaft hat, genau wie die Politik, auf Nachhaltigkeit zu achten. Was heißt Nachhaltigkeit? Sie drückt sich aus in einer Politik, die langfristige Ziele verfolgt: Wirtschaftlichkeit, aber auch Sozialverträglichkeit, Umweltverträglichkeit, und das auch auf der internationalen Ebene. Luxemburg hat als EU-Ratsvorsitz aktiv dazu beigetragen, dass auf dem europäischen Rat im Juni 2005 eine Erklärung mit Leitlinien zur nachhaltigen Entwicklung von allen Mitgliedsstaaten angenommen wurde. Dieses Prinzip ist übrigens auch im EUVertrag verankert.

Nachhaltige Politik ist, zu erkennen, dass Wachstum kein Selbstzweck ist, sondern eine Voraussetzung für die Wahrung und Vermehrung des Wohlstands in Europa und somit für den Erhalt und die Verbesserung unseres Sozialmodells. Darauf kommt es an, dies sollte das Ziel der Politik sein. Die Ausarbeitung eines effizienteren Sozialmodells muss auch im Rahmen der europäischen Union geschehen. Zu verwoben sind die Mitgliedsstaaten, als dass sie alleine das optimale soziale Wohl ihrer Einwohner gewähren könnten. Nur gemeinsam können wir eine auf Solidarität und soziale Gerechtigkeit ausgerichtete Gesellschaft weiterentwickeln, um die Verbesserung der Lebensqualität der Menschen ins Zentrum der Politik zu rücken. Der Vertrag von Lissabon sieht vor, der europäischen Sozialcharta endlich den gleichen juristischen Stellwert zu geben als dem übrigen Vertragswerk. Darüber hinaus besagt die neu im Lissabon-Vertrag verankerte horizontale Sozialklausel, ich zitiere:

"Bei der Festlegung und Durchführung ihrer Politik und ihrer Maßnahmen trägt die EU den Erfordernissen im Zusammenhang mit der Förderung eines hohen Beschäftigungsniveaus, mit der Gewährleistung eines angemessenen sozialen Schutzes, mit der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung sowie mit einem hohen Niveau der allgemeinen und beruflichen Bildung und des Gesundheitsschutzes Rechnung" (Ende Zitat).

Dies wird ein Schritt weiter sein auf dem Weg, den sozialen Rechten den gleichen Rang zu geben als den wirtschaftlichen Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarktes. Die soziale Balance darf nicht in die Schieflage geraten, auch nicht durch Urteile des europäischen Gerichtshofs. Dieser hat in den Fällen Laval, Viking und Rüffert der Dienstleistungsfreiheit als eine der vier Grundfreiheiten den Vorrang vor sozialen Rechten gegeben. Ich plädiere im Gegenteil dafür, soziale Rechte weiter auszubauen, so wie die Einführung eines europäischen Mindestlohns. Löhne von 3,50 Euro die Stunde und weniger sind keine Seltenheit mehr. Auch wenn in Deutschland in verschiedenen Sektoren ein Mindestlohn eingeführt worden ist, müssen immer noch deutschlandweit 4,5 Millionen Arbeitnehmer für weniger als 7,50 Euro die Stunde arbeiten! Das ist sehr wenig. Wer Vollzeit arbeitet, muss davon in Würde leben können! Ein Europa in dem niedrige Sozial- und Arbeitsstandards Wettbewerbsvorteile sind, lehne ich ab, ich plädiere auch hier für Qualität. Das Argument, wonach Armutslöhne den Abbau von Arbeitsplätzen verhindern, hat keinen Bestand. Eine solche Politik ist nicht nur menschenverachtend. Sie ist auch negativ für die Produktivität unserer Volkswirtschaft. Mindestlöhne setzen dem Wettlauf um die niedrigste Entlohnung ein Ende. In Großbritannien und Irland wurden erst vor wenigen Jahren Mindestlöhne eingeführt. Der von vielen Wirtschaftsinstituten angekündigte Anstieg der Arbeitslosigkeit ist jedoch nicht eingetreten; durch die vermehrte Kaufkraft haben sich vielmehr positive Beschäftigungseffekte ergeben. Sicher, ein einheitlicher Mindestlohn in ganz Europa wird nicht funktionieren, dazu ist die wirtschaftliche Situation in den 27 EU-Mitgliedsstaaten zu unterschiedlich. Vielmehr sollte das Ziel sein, dass in allen Mitgliedsstaaten eine Lohnuntergrenze von über der Hälfte des jeweiligen nationalen Durchschnittslohnes gilt. Das kann sowohl über den Gesetzesweg als im Einvernehmen mit Sozialpartnern umgesetzt werden.

Die soziale Schere darf sich nicht noch mehr weiten. In dem Sinne begrüße ich hier die Initiative der EU-Kommission, die Gehälter der Topverdiener zu regulieren. Die Gehaltpolitik sollte den Vorstand dazu anhalten, die Entwicklungsstrategie der Firma auf Langfristigkeit zu überprüfen. Das pay for performance-Prinizip sollte allerdings nicht zu einer größeren Risikobereitschaft führen, sondern zu mehr Transparenz, und zu einer besseren Einbindung aller Stakeholders. Auch hier geht es um verantwortliches Handeln und nachhaltiges Denken.

Langfristiges Handeln nährt sich auch von neuen Ideen. Der Kern der heutigen Problematik ist, auf europäischer Ebene eine langfristige Strategie des Wandels zu verfolgen, die auf Innovation basiert. In dem Sinne ist die Lissabonstrategie, die 2000 vom europäischen Rat beschlossen wurde, heute wichtiger denn je. Ich will kurz das Ziel der Strategie für soziale und wirtschaftliche Entwicklung in die Gedächtnisse rufen: nämlich das Ziel, bis 2010 die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Die Strategie wurde 2005 unter Luxemburger EU-Ratsvorsitz geprüft und überarbeitet. Neben großen Fortschritten im Bereich Internetvernetzung oder wissenschaftliche Exzellenz-Netzwerke wurden Schwächen festgestellt, die vor allem den Bereich Innovation betrafen, sowie Weiterbildung und Reformen im Sozialbereich. Gegen den Trend der Zeit hatten wir erreicht, den sozialen Pfeiler der Strategie zu stärken. Auch heute gilt es, mehr denn je, weitere Fortschritte im Rahmen einer erneuerten Strategie anzustreben.

Im Mittelpunkt der nachhaltigen Innovation stehen nicht nur verbesserte Produkte oder Verfahren. Nein. Innovation betrifft nicht nur den traditionellen Produktionsfaktor Technik und Sachkapital. Zwei andere Produktionsfaktoren, die in der Vergangenheit zu oft vernachlässigt worden sind, spielen eine wesentliche Rolle: der Produktionsfaktor Arbeit (human capital) und der Umgang mit natürlichen Ressourcen. Es gilt, aus Europa einen attraktiveren Standort zu machen, durch neue Ideen, die: verantwortliches Handeln begünstigen, demokratische und transparente Entscheidungsfindung anregen, hochqualifizierte Arbeitskräfte hervorbringen, langfristige Ressourcenplanung fördern. Dies alles wird von der Lissabonstrategie begünstigt, indem sie zum ersten Mal Europa mit einem Paket von Leitlinien für Wirtschafts- und Sozialpolitik ausstattet. Darüber hinaus bietet sie einen innovativen Rahmen für deren Umsetzung: nationale Maßnahmen, gemeinsame Ziele sowie gemeinsames Auswerten der Resultate unter Leitung der Kommission. Unternehmen sind Schlüsselakteure der Lissabonstrategie. Weder die europäische Union, noch die Nationalstaaten können allerdings die Betriebe zu mehr zwingen als zum Einhalten der sozialen Mindeststandards. Neben dem langwierigen Ausbau der Gesetzgebung können sie allerdings Unternehmen dazu ermutigen, das Ihrige zu tun, um zur Nachhaltigkeit des europäischen Sozial- und Wirtschaftsmodells beizutragen. Für Unternehmen heißt dies, wirtschaftliche Effizienz zu verbinden mit sozialer Verantwortung und umweltverträglichem Wirtschaften. Auch sie dürfen ihre Verantwortung nicht scheuen und sollten Ausdruck eines Europas sein, das nach vorne schaut.

Ich muss hier, unter Experten, nicht länger auf die Details nachhaltigen Wirtschaftens und der corporate governance eingehen. Feststellen aber kann ich, dass unternehmerische Nachhaltigkeit erst seit einigen Jahren in den Vordergrund getreten ist, nachdem man zum Beispiel merkte, dass die besten Unternehmen des Dow Jones Index diejenigen waren, die nachhaltig wirtschafteten. Erst vor kurzem hat sich die Wiederentdeckung der beiden Produktionsfaktoren Human- und Sozialkapital angebahnt, und die Einsicht, dass der Aufbruch in eine Wissensgesellschaft nur mit hochqualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu leisten ist.

Die Aufgabe des Staates, was übrigens auch die Lissabon-Strategie unterstreicht, ist es also, die Unternehmen von den Vorteilen zu überzeugen die ihnen nachhaltiges und ethisches Wirtschaften bringt. Unternehmen, welche die Qualität ihrer Standards hochhalten und bereit sind, sich an Legitimitätskriterien statt nur an Legalitätskriterien messen zu lassen, reduzieren ihre Rechts- Finanz- und Imagerisiken. A propos Image. Hier möchte ich die Gelegenheit nutzen um auf eine Debatte einzugehen, die auch Luxemburg betrifft, nämlich bezüglich des Bankgeheimnis und unseres Finanzplatzes. Die Luxemburger Regierung hat, zusätzlich zu der erneuerten europäischen Finanzarchitektur die wir zusammen mit unseren EU-Partnern ausarbeiten und anwenden werden, auch eine Redefinition unseres Bankgeheimnisses angekündigt. Zusätzlich zum bereits bestehenden Regelwerk im Rahmen der europäischen Zinsbesteuerungsrichtlinie haben wir den OECD-Standard beim Informationsaustausch im Rahmen von Doppelbesteuerungsabkommen angenommen. Damit haben wir der Steuerhinterziehung einen Riegel vorgeschoben. Dieser bereits im März angekündigte Schritt hievt uns auf das gleiche Niveau wie alle anderen OECD-Mitgliedsstaaten. Dass sich das OECD-Sekretariat trotzdem im Auftrag von verschiedenen G20-Mitgliedern missbrauchen ließ, um Luxemburg auf eine anschwärzende Liste zu stellen, ohne uns als Gründungsmitglied der OECD zu konsultieren, ist in der Methode inakzeptabel. Wenn unser Finanzplatz mit Hilfe der deutschen Sprache systematisch schlecht gemacht wird, so will ich hier in Berlin unterstreichen, dass dessen Erfolg keineswegs auf Steuerhinterziehung zurückzuführen ist. Dies ist eine populistische Ausnutzung eines hochkomplexen Themas. Hier stellen sich grundsätzliche Fragen des Umgangs zwischen den Mitgliedstaaten der EU.

Wie wäre es zum Beispiel, Listen aufzustellen von Ländern, die Exportweltmeister in Waffenlieferungen sind? Neuesten Statistiken zufolge ist die Bundesrepublik mit einem Marktanteil von rund 10% der drittgrößte Rüstungsexporteur der Welt, nach den USA und Russland. Gustav Heinemann, ein auch im Ausland sehr angesehener deutscher Bundespräsident sagte einmal, ich umschreibe: Wenn du mit dem Finger auf jemanden zeigst, vergiss nicht dass drei Finger derselben Hand auf dich selber zeigen.

Fakt ist auch, dass 5% der Ausfuhren des Exportweltmeisters Deutschland nach Ländern gehen, die in großem Stil Menschenrechte nicht respektieren. Auf jeden Fall stellt sich die Frage, welche Investoren noch bereit sind, ihr Geld in waffenexportierende Firmen zu stecken, in einer Zeit in der das Label "Ethisch Investieren" zusehends an Bedeutung gewinnt. Tatsächlich werden Unternehmen deren gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein als mustergültig gilt, bei sonst gleicher Performance, zunehmend von Investmentberatern und ethisch sensiblen Kunden bevorzugt.

Ich will Ihnen kurz von den Erfolgen in Luxemburg in diesem Bereich berichten. Im Jahre 2003 kamen, als Reaktion auf den Aktionsplan für corporate governance der europäischen Kommission, Vertreter großer Firmen zusammen, um unter der Leitung der Luxemburger Börse die 10 Prinzipien des Kodex der corporate governance auszuarbeiten, so zum Beispiel die Verpflichtung des Vorstands, im sozialen Interesse zu handeln und auf eine nachhaltige Entwicklung des Unternehmens zu achten. Andere Prinzipien betreffen zum Beispiel die Transparenz der Unternehmensführung, die Gewähr einer hohen Qualität der Arbeit des Vorstands durch eine adäquate Gehaltpolitik die den langfristigen Interessen des Unternehmens entspricht, den Respekt strikter Regeln in den Bereichen finanzielle Berichterstattung, interne Kontrolle und Risikomanagement, sowie den Respekt der Rechte der Aktionäre und die Definition einer aktiven Kommunikationspolitik letzeren gegenüber. Der auf freiwilliger Basis applizierte Kodex unterliegt momentan einer Überarbeitung, die auf den positiven Erfahrungen der letzten Jahre fundiert. Dieser Fortschritt zeigt deutlich die Tendenz zu einer größeren sozialen Verantwortung. Wer entsprechend handelt, ist zwar nicht unbedingt erfolgreicher als die Konkurrenz. Aber er minimiert sein Risiko. Besserer Arbeitsschutz sowie zufriedene Mitarbeiter senken die Gefahr, dass ein Glied der eigenen Wertschöpfungskette ausfällt. Möglicherweise ergeben sich dann auch Wettbewerbsvorteile.

Das zeigt sich auch bei den Investmentfonds. Die Nachfrage nach sozial, ökologisch oder ethisch geprägten Fonds ist spürbar. Hier hat sich die Finanzkrise ganz deutlich als Hebeleffekt erwiesen: mehr und mehr Investoren sehen sich veranlasst, ihre Prioritäten bezüglich der notwendigen Rentabilität, den Risiken und der Transparenz der Produkte zu überprüfen. Die meisten Akteure des sozialverantwortlichen Investment in Luxemburg können seit September 2008 eine starke Zunahme der bei ihnen platzierten Einlagen verzeichnen, wie die Initiative mit dem zutreffenden Namen Etika feststellt. Diese Zunahme zeigt, dass die Begriffe Transparenz und Verantwortung wieder aktuell geworden sind.

Auch Rating-Agenturen haben den Trend erkannt. Da gibt es allerdings noch einiges zu tun, Rating-Agenturen müssten sich verpflichten, den - weiter zu entwickelnden - IOSCO Code of Conduct anzuwenden. Außerdem sollte die Errichtung einer europäischen Rating-Agentur als Gegengewicht zu den bislang alleine in den USA existierenden Agenturen geprüft werden.

Ich bin der Überzeugung, dass es möglich ist, Wirtschaft und Anthroposophie miteinander zu verbinden. Der Schlüssel dazu ist wiederum Qualität, als Garant für Konkurrenzfähigkeit, als Garant für Dauer: ein "gutes Produkt": gut für die Produzenten, gut für die Kunden - aber auch gut für die Firmenkasse, denn ohne Gewinn lässt sich auch das beste Konzept nicht umsetzen. Wichtig ist, die Lissabonstrategie nicht auf technische Innovationen zu reduzieren. Innovation ist auch im sozialen und ethischen Kontext zu verstehen. Innovation geht ebenfalls nicht nur aus dem Unternehmensbereich hervor. Wir brauchen neue Konzepte, kreative, umfassende Konzepte, bei den Banken, bei den Politikern, bei den Medien, bei der Wissenschaft. Auf der anderen Seite sollte sich die europäische Debatte über nachhaltige Entwicklung nicht überwiegend auf die sozialen und umweltpolitischen Aspekte konzentrieren. Synergien zwischen den drei Komponente der Lissabonstrategie müssen optimal ausgeschöpft werden- wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, soziale Einbeziehung und Umweltschutz. Ich bin der Überzeugung, dass nach dem größten Erfolg der EU, nämlich Frieden auf dem Kontinent zu gewähren, unsere nächste große Herausforderung ist, unseren Kindern die sozialen Lebensbedingungen zu gewährleisten, die zum Kern des europäischen Modells gehören. Nach den Phasen der Entstehung der EU im Rahmen der deutsch-französischen Versöhnung, dann der Erweiterung im Nachspann des Mauerfalls in 1989, geht es meines Erachtens in einer dritten wichtigen Periode darum, soziale und ökologische Errungenschaften abzusichern und zu gewährleisten. Mit meinem Kollegen Frank-Walter Steinmeier bin ich einer Meinung wenn er sagt: "Europa steht besonders in der Pflicht als größter Binnenmarkt der Welt und als Verkörperung einer politischen Idee, für die Wohlstand und sozialer Zusammenhalt keine Gegensätze sind". Europa muss eine Vorreiterrolle spielen im Bereich governance, im Bereich soziale Standards und demokratische, transparente Entscheidungsprozesse, aber auch im Bereich innovativer Transformation vor allem bezüglich erneuerbarer Energien und Klimaschutzpolitik. Wir können das in Europa, wenn wir zusammenhalten. Wenn wir dem Risiko widerstehen, aus dem Nachbarn den Sündenbock zu machen, wenn wir uns mit Respekt und Achtung begegnen- dann können wir es vielleicht besser als jede andere Region. Dazu braucht es politischen Willen und Zusammenarbeit. Die grundlegende Ratio von Lissabon ist gültiger denn je: keine europäische Nation kann auf sich allein gestellt im weltweiten Wettbewerb erfolgreich agieren. Nur zusammen können wir eine zukunftsfähige Gesellschaft gestalten, in der das Wohl aller Menschen im Mittelpunkt steht. Auf sich gestellt ist das größte Land der europäischen Union zu klein und ebenso unfähig, sich in der globalisierten Welt zu behaupten als das kleinste Land unter den Mitgliedsstaaten. Die Zukunft Luxemburgs ist Funktion der zukünftigen Stärkung der EU. Aber auch die Zukunft Deutschlands ist abhängig vom Integrat der EU, denn je stärker die Europäische Union, umso stärker sind alle, ob große oder kleine Mitgliedsstaaten. Diese weitsichtige Mentalitätseinstellung der langfristigen Optionen der EU ist im Grunde genommen der Schlüssel des Ausbaus der ethischen Wertegesellschaft.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.