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Jean-Claude Juncker au sujet de la proposition franco-allemande de modifier les traités européens
DIE WELT: Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle macht sich "ganz große Sorgen um Europa". Geht Ihnen das auch so?
Jean-Claude Juncker: Wann immer es ernst wird, muss Europa sich entscheiden. Zwischen nationalen Alleingängen - auch wenn sie im Duo vorgeführt werden - oder dem europäischen Weg. Es reicht nicht, sich Sorgen zu machen, wir müssen handeln. Wer für einen starken Euro plädiert und für zusätzliche Stabilität in Europa, der muss dafür auch eintreten.
DIE WELT: Aber das passiert doch. Die Finanzminister der 16 Euro-Länder haben unter Leitung von EU-Ratspräsident van Rompuy einen Vorschlag zur Überarbeitung des Stabilitätspaktes vorgelegt. Außerdem haben Berlin und Paris in Deauville eine Sondervereinbarung zur Reform der Euro-Zone geschlossen.
Jean-Claude Juncker: Es hat dabei wichtige Fortschritte gegeben. Aber ich hätte mir gewünscht, dass der Stabilitätspakt noch mehr gestärkt worden wäre. Das ist nicht in vollem Umfang geschehen, weder durch die Vorschläge der Van-Rompuy-Gruppe, der ich auch angehöre, noch durch die deutsch-französische Erklärung von Deauville. Ich furchte, dem Pakt wird künftig die absolute Bissstärke fehlen.
DIE WELT: Warum?
Jean-Claude Juncker: Es wäre gut, wenn die Sanktionen früher kämen und weniger abhängig wären vom politischen Ermessensspielraum. Die Hürden für Strafen sind zu hoch, weil vor Eintritt in die eigentliche Sanktionsprozedur der Ministerrat zuerst mit qualifizierter Mehrheit das Fehlverhalten eines Mitgliedsstaates feststellen muss. Ich hätte es vorgezogen, dass diese Feststellung den Weg zu Sanktionen eröffnet und für die Euro-Länder mit umgekehrter qualifizierter Mehrheit hätte getroffen werden können.
DIE WELT: Immerhin soll es Strafen geben. Deutschland fordert, Defizitsündern die Stimmrechte zu entziehen.
Jean-Claude Juncker: Was nützen Strafen, wenn sie viel zu spät kommen?
Es macht wenig Sinn, mit der Sexualaufklärung im hohen Alter zu beginnen. Ich bin sehr dafür, dass man das in der präpubertären Zeit macht, da kann man besser zuhören, und dann ist das Thema auch interessanter.
DIE WELT: Haben Sie Klärungsbedarf ?
Jean-Claude Juncker: Ich werde die Einigung zwischen Deutschland und' Frankreich über die Reform des Stabilitätspaktes beim Gipfeltreffen in Brüssel zum Thema machen. Diese Einigung ist so nicht hinnehmbar, weil sie keinen strikten Stabilitätskurs und keinen Stabilitätspakt mit Biss garantiert. Und sie ist politisch nicht realistisch, weil ein Stimmrechtsentzug für Defizitsünder niemals die Zustimmung aller Beteiligten finden wird. Es gibt keine einstimmige Mehrheit dafür, darum sollten wir beim Gipfel auch nicht in epischer Breite über diese Frage diskutieren.
DIE WELT: Was haben Sie bloß gegen die Aussetzung von Stimmrechten?
Jean-Claude Juncker: Wer Verstöße gegen den Stabilitätspakt wirksam bestrafen will, der sollte auf frühe Strafen setzen und nicht, wie Deutschland, auf einen Stimmrechtsentzug, den es wenn überhaupt - erst am Ende eines sehr langen Defizitverfahrens geben würde. Ich habe auch prinzipielle Einwände: Es gibt in Artikel 7 im neuen EU-Vertrag einen Passus, der vorsieht, einem Mitglied die Stimmrechte zu entziehen, wenn es gegen Menschenrechte verstößt. Es geht absolut nicht, dass man versucht, Haushaltsverfehlungen auf die gleiche Sanktionsebene wie Verstöße gegen die Menschenrechte zu hieven. Um es klar zu sagen: Stimmrechtsentzug für Haushaltssünder ist kein gangbarer Weg, und ich schließe in dieser Frage jede Änderung des EU-Vertrags aus.
DIE WELT: Der 500 Milliarden Euro schwere EU-Rettungsfonds für Pleiteländer läuft bis 2013. Was kommt dann?
Jean-Claude Juncker: Wir sind uns alle einig darüber, dass wir künftig eine strukturelle Antwort auf Krisenfälle wie Griechenland brauchen. Ein permanenter Krisenmechanismus für Länder in Zahlungsschwierigkeiten, der aber nur für die Euro-Zone gilt, ist notwendig. Falls für die Einrichtung eines permanenten Krisenmechanismus eine Änderung des EU-Vertrags nötig ist, dann sollten wir diese Änderungen schnellstmöglich vornehmen. Ich unterstütze dies. Ich könnte mit einer minimalen Vertragsänderung für den Krisenmechanismus leben, einer Änderung light sozusagen.
DIE WELT: Wird das denn notwendig sein?
Jean-Claude Juncker: Die Frage, ob für die Einrichtung eines permanenten Krisenmechanismus Vertragsänderungen nötig sind, muss geklärt werden. Das hängt davon ab, wie das Kriseninstrument am Ende aussieht. Man sollte nicht von vornherein so tun, als ob es ohne Vertragsänderungen nicht ginge.
DIE WELT: Das sieht Berlin aber so.
Jean-Claude Juncker: Die EU-Kommission sollte beauftragt werden, einen Mechanismus gegen künftige Finanzkrisen auszuarbeiten. Und wenn man dann in Zusammenarbeit mit den Regierungen feststellt, dass eine Vertragsänderung notwendig ist, dann sollte man das machen.
DIE WELT: Wie sollte der Hilfsmechanismus für Länder in Not aussehen?
Jean-Claude Juncker: Er darf das sogenannte Bail-out-Verbot, das die Haftung eines Landes zugunsten eines anderen EU-Staates verbietet, nicht infrage stellen. Der Krisenmechanismus darf aber auch nicht dazu führen, dass Länder munter drauf los wirtschaften und sich hoch verschulden, weil sie um das Auffangnetz der Partnerländer wissen.
DIE WELT: Berlin will private Gläubiger künftig an den Kosten von Krisen beteiligen.Was halten Sie davon?
Jean-Claude Juncker: Unter bestimmten Bedingungen neige ich durchaus dazu zu sagen, dass Gläubiger in Haft genommen werden sollten. Ich habe aber große Schwierigkeiten damit, schon im Voraus festzulegen, dass eine Beteiligung privater Gläubiger, wie Banken und ganz normalen Privatanleger, immer und zwingend Teil einer Krisenlösung sein muss. Das mag zwar den Risikowillen einiger Gläubiger begrenzen. Aber es kann vor allem dazu fuhren, dass sich Anleger in Europa beim Kauf von Staatsanleihen nicht mehr engagieren, weil ihnen das Risiko zu hoch ist, dass sie im Fall einer Staatsinsolvenz zur Kasse gebeten werden, indem sie beispielsweise auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten müssen. Wir können die Anleger nicht ex ante in ein neues europäisches System einpferchen, das mehr Risiken für sie birgt als in anderen Teilen der Welt - dann laufen sie weg.
DIE WELT: Waren Sie in die Vereinbarung zwischen Deutschland und Frankreich eingebunden?
Jean-Claude Juncker: Nein.
DIE WELT: Das hätten Sie als Chef der 16 Euro-Länder aber erwarten können.
Jean-Claude Juncker: Das denke ich auch.
DIE WELT: Wie empfinden Sie diesen Stil?
Jean-Claude Juncker: Der Stil ist schlicht unmöglich.
DIE WELT: Kohl und Mitterand haben auch Alleingänge gemacht.
Jean-Claude Juncker: Das stimmt. Aber damals war erkennbar, dass alle Vorschläge Europa immer zuträglich waren und weitgehend fernab von innenpolitischen Erwägungen getroffen wurden. Aber es geht mir vor allem um die Frage des Stils, des Umgangs miteinander.
DIE WELT: Ist die EU heute ein Klub von 27 Egoisten?
Jean-Claude Juncker: Es hat sich etwas Grundlegendes verändert. Wenn Regierungen bis etwa Mitte der Neunzigerjahre vor der Frage standen, ob sie eine nationale oder eine europäische Streckenführung wählen sollten, dann nahmen sie im Zweifelsfall die europäische - trotz aller innenpolitischen Widerstände. Heute ist es sehr oft so, dass Regierungschefs die nationale Route nehmen, weil sie einfacher zu Hause zu erklären ist.
DIE WELT: Sie sind seit 15 Jahren Premierminister von Luxemburg. Wollen Sie der nächste Präsident der EU-Kommission und damit Nachfolger von Jose Manuel Barroso werden?
Jean-Claude Juncker: Ich habe das 2004 trotz einhelliger Einladung abgelehnt. Man sollte nie etwas tun wollen, das man einmal abgelehnt hat. Wer einmal Nein sagt, der hat für immer Nein gesagt.
DIE WELT: Aber die Kommission ist mit dem neuen Lissabonner Vertrag doch immer mächtiger geworden.
Jean-Claude Juncker: Ich stelle fest, dass sie an Einfluss verliert. Das bedaure ich sehr. Man versucht zunehmend, die Kommission nicht voll am europäischen Gestaltungsprozess teilhaben zu lassen. Das macht mir größte Sorge. Man wird erst in zehn oder 15 Jahren die negativen Folgen dieser Entwicklung verstehen.