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"Kultur sind auch unsere Volksfeste"
Interview mit Eric Thill im TélécranInterview: Télécran (Martina Folscheid)
Télécran: Sie haben das Schiefermuseum als Ihren Lieblingsort ausgewählt. Was verbinden Sie mit ihm? Heimatgefühle?
Eric Thill: Ja, schon. Es ist ein einmaliger Ort, den ich sehr gerne auch privat aufsuche. Das hier ist Teil der Luxemburger Geschichte. Das Industrieerbe, die Arbeit in den Minen mit dem Schiefer haben lange Zeit auch das Luxemburger Land geprägt, die gesellschaftliche Kohäsion, das gesellschaftliche Leben. Das finde ich sehr interessant. Man darf als Land nie vergessen, wo man herkommt. In diesem Sinne habe ich meiner Ansicht nach als Kulturminister auch eine große Verantwortung, das Wissen darüber, unter welchen Bedingungen damals gearbeitet wurde, aufrechtzuerhalten und den nächsten Generationen zur Verfügung zu stellen. Deswegen finde ich es toll, was das INPA (Institut national pour le patrimoine architectural, Anm. d. R.) hier realisiert hat, wie hier investiert wurde. Ein interessanter Ort mitten in der Natur, und rundherum Wanderwege und Fahrradwege.
Wir werden hier auch noch weiter investieren, unter anderem in ein Restaurant und Konferenz räume in der alten Kantine, in der Villa Rother (das Haus des ehemaligen Besitzers, Anm. d.R.) wird es Fotoausstellungen geben. Dieser Ort liegt mir am Herzen. Ein Ort, den es so in ganz Luxemburg und auch in der Großregion meiner Ansicht nach so nicht noch einmal gibt. Darum haben wir auch angefangen, ein Dossier aufzubauen, um uns dafür zu bewerben, dass das Schiefermuseum Unesco-Weltkulturerbe wird.
Télécran:Bei der Studie "La vie culturelle au Luxembourg" von Ilres kam heraus, dass ein Drittel der Befragten sich nicht ausreichend über das kulturelle Angebot informiert fühlt, dicht gefolgt von einem Viertel, die sagen, das Angebot interessiere sie nicht. Bemängelt wurde auch, dass der Zugang zum Angebot nicht für alle gleich sei und es im Norden und Osten Defizite gäbe. Sie wollen den Zugang verbessern, Barrieren abbauen. Wie viel niedrigschwelliges Angebot wollen Sie haben und wie viel Hochkultur soll bleiben?
Eric Thill: Sehr gute Frage! Ich möchte zunächst kurz auf die Studie eingehen: Positiv für mich ist, dass 82 Prozent angegeben haben, Kultur sei in ihrem Alltag wichtig bis sehr wichtig. Das zeigt, dass wir ein Land sind, dass kulturell interessiert ist. Es gibt drei Herausforderungen: die Erreichbarkeit des Angebots in den verschiedenen Regionen.
Nachholbedarf gibt es auch bei der Information über das Angebot. Drittens gibt es immer noch gewisse soziale Barrieren, und auch sprachliche Barrieren. Dagegen müssen wir angehen. In einem multikulturell geprägten, mehrsprachigen Land kann es nicht sein, dass ein Großteil des kulturellen Angebots nur auf Luxemburgisch stattfindet. Das sind drei Erkenntnisse. Um konkret auf Ihre Frage zu antworten: Ich habe das von Anfang an gesagt und ich stehe auch dazu: Kultur wird nicht nur in der Stadt Luxemburg gelebt, nicht nur in der Philharmonie, im Mudam oder im Nationalmuseum. Das sind unsere Aushängeschilder und sie sind überaus wichtig. Aber Kultur ist auch dieser Ort hier. Kultur sind auch unsere Volksfeste, unsere Traditionen, unsere Fanfaren, unsere Theatergruppen auf dem Land. Kultur ist das, was wir in unseren regionalen Kulturzentren und Museen erleben. Und auch dort muss Kultur den Stellenwert erhalten, den sie verdient.
Télécran: Betrachten Sie denn den Kultursektor auch als wichtigen Wirtschaftsfaktor, in dem Sinne, dass Kultur auch Arbeitsplätze schafft beziehungsweise unterhält?
Eric Thill: Wirtschaftsfaktor, zum Teil ja. Wir reden von Tausenden Arbeitsplätzen, wenn wir uns den gesamten Sektor anschauen. Wichtig ist aber immer zu sagen, und das ist ein großer Unterschied: Kultur ist nicht da, um Profit zu machen. Ein kulturelles Angebot darf nie daran gemessen werden, ob es Profit bringt oder nicht. Gerade in diesen Zeiten geopolitischer Spannungen, in denen wir im Ausland sehen, wie an vielen Stellen an der Kultur gespart wird, empfinde ich das als Katastrophe. Das machen wir hier in Luxemburg nicht. Wir wollen den Akteuren "auf dem Terrain" die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen, dass sie kreativ arbeiten können, hinterfragen können, was sich gesellschaftlich tut, informieren können, der Politik kritisch gegenüberstehen können.
Gerade in dieser Zeit, wo in vielen Ländern die Meinungsfreiheit, die künstlerische Freiheit eingeschränkt wird, werde ich alles dafür tun, dass es in Luxemburg so bleibt, wie es ist. Aber, dazu stehe ich, dazu braucht es auch vom Staat die notwendige finanzielle Unterstützung. Die Kulturschaffenden müssen ihrer Arbeit anständig nachgehen können, abgesichert sein, damit sie sich auf ihre Passion konzentrieren können. In diesem Punkt ist der Staat in der Verantwortung, den nötigen finanziellen Rahmen zur Verfügung zu stellen, um Arbeitsplätze zu sichern und weitere zu schaffen. Vor allem auch, und das finde ich als junger Kulturminister ebenfalls wichtig, jungen künstlerisch und kulturell interessierten Menschen eine Perspektive zu bieten, dass sie in Luxemburg Kultur schaffen und von der Kultur leben können. Weil wir solche Menschen hier brauchen, weil dies eine Gesellschaft bereichert. Daran arbeiten wir, um dem gesamten Sektor eine Garantie zu geben, dass es hier in Luxemburg trotz unter anderem hoher Wohn- und Mietpreise Perspektiven gibt. Als Gesellschaft brauchen wir eine Kultur, die vielfältig ist, die eine gewisse Kompetenz hat. All das haben wir in Luxemburg, und da sind wir stolz drauf.
Télécran: Aber das ist oft das Problem bei jungen Menschen. Ich habe viele Musiker interviewt, die fast immer parallel noch einen Job als Musiklehrer hatten, weil sie ein weiteres Standbein brauchten...
Eric Thill: Diese Fälle gibt es. Es gibt aber auch ganz viele in Luxemburg, die allein von ihrer kulturschallenden Arbeit leben können. Die Möglichkeiten, das muss man auch sagen, in Luxemburg Aufträge zu kriegen, sind aufgrund der Größe des Landes begrenzt. Darum ist es wichtig, Kulturschaffende zu ermutigen, das kreative Schaffen, die kulturelle Identität auch nach außen zu tragen. Ich finde, dass wir sehr viel zu zeigen haben. Vor ein paar Jahren ist Kultur LX gegründet worden, die Agentur, um Luxemburgs Kultur im Ausland zu fördern. Wir versuchen so gut wie möglich zu helfen bei der Selbstständigkeit.
Télécran: Sie wollen beim kulturellen Angebot auch verstärkt auf Inklusion achten. Könnte dies in der Folge zukünftig eine entsprechende Quote bedeuten, in dem Sinne, dass zum Beispiel Theater eine bestimmte Anzahl an inklusiven Stücken in ihr Programm integrieren sollen?
Eric Thill: Inklusion ist ein weiter Begriff. Es geht zum einen in puncto Zugang zum Angebot darum, körperliche Barrieren abzubauen, Menschen, die körperlich oder mental beeinträchtigt sind, einzubinden, diesen Ängste zu nehmen, ob sie an dem Angebot teilnehmen können, ihnen zu vermitteln, wie sie hinkommen können, wo sie empfangen werden, dass wir Personal haben, das auf ihre speziellen Bedürfnisse eingehen kann. Dann muss man aber natürlich auch ein Angebot für diese Menschen bereitstellen, wohlwissend, dass die Erfahrung zeigt, dass Menschen mit Beeinträchtigungen ein Teil des Ganzen sein und nicht in die Ecke gestellt werden wollen. Dies alles gilt es also bei der Erstellung von Angeboten zu bedenken. Aber, und das sage ich auch immer, es ist natürlich an den Häusern selbst, ihr Programm zu erstellen. Und darum ist es wichtig, in unserem nationalen Aktionsplan die Etablissements publics, die Kulturhäuser, die Institutionen mit einzubinden. Sie sind ein sehr wichtiger Teil des Prozesses, die Kultur als Inklusionsfaktor zu sehen. Es wird schon sehr viel getan in den letzten Jahren. Es gibt schon viele Häuser, die spezifisch für die Inklusion Personal einstellen. Jetzt geht es darum, den Aktionsplan umzusetzen, indem wir alle Informationen sammeln und schauen, was schon gut läuft und was man noch besser machen kann. Niemand sollte Angst haben, am kulturellen Angebot teilzunehmen.
Télécran: Sind diese Ängste denn verbreitet?
Eric Thill: Es gibt Ängste, das höre ich oft. Ängste, nicht so informiert zu sein, Ängste, wie man hinkommt. Vielleicht ist man jemand, der nicht schon seit Jahren kulturelle Veranstaltungen besucht, man hat vielleicht nicht das kulturelle Wissen und fürchtet, etwas nicht zu verstehen. Das finde ich nicht gut. Kultur ist für jeden da, auch für die, die vielleicht nicht fünf Jahre Kulturgeschichte studiert haben. Aber gegen die Ängste gilt es über den Weg der Information, der Kommunikation, über gute Programme gemeinsam anzugehen. Das ist die Idee des Aktionsplans, dies zusammen mit den Häusern anzugehen - wohlwissend, dass es ist nicht Sache des Kulturministers ist zu sagen, das machen wir, oder das machen wir nicht. Das obliegt der Kreativität der Häuser.
Télécran: Also mit anderen Worten: Die Kulturfreiheit, die Freiheit der Häuser, über ihr Programm zu bestimmen, ist nicht in Gefahr?
Eric Thill: Nein. Es ist nicht Sache des Kulturministers zu sagen, dass jetzt mehr Inklusion betrieben werden muss. Das ist Sache der Häuser. Da sind wir im Dialog, in einem guten offenen Austausch. Es ist nicht an der Politik, sich in die Programmplanung der Häuser einzumischen. Dazu stehe ich. Das habe ich vor 18 Monaten gesagt und das werde ich in den nächsten drei Jahren auch noch sagen.
Télécran: Der Fall Gerson Rodrigues hat für viel Aufsehen gesorgt, in der Folge erhielt der Fußballverband FLF die "Nation Branding" Subvention nicht. Müssten solche Maßstäbe, also die Streichung von Subventionen, Ihrer Ansicht nach auch im Kultursektor gelten, zum Beispiel auf Basis der seit 2022 geltenden Deontologie-Charta?
Eric Thill: Haben Sie ein konkretes Beispiel vor Augen?
Télécran: Nein, ich meine das generell.
Eric Thill: Generell ist es für mich wichtig - sei es ein Nationalspieler im Fußball, sei es eine Person des öffentlichen Lebens, egal in welcher Branche - dass diese Person eine Vorbildfunktion hat. Man repräsentiert schließlich nicht nur sich selbst als Privatperson, sondern das ganze Land. Man hat eine Vorbildfunktion, in der Hinsicht was man sagt, was man macht, wie man sich gibt. Gerade in den heutigen Zeiten ist dies eine hohe Verantwortung. Das ist in der Kultur nicht anders. In der Kultur herrscht Meinungsfreiheit bezüglich des kreativen Denkens und Schaffens, was sehr wichtig ist. Aber man hat als Person eine Vorbildfunktion, dies gilt es zu respektieren.
Télécran: Das heißt, Sie könnten sich so eine Handlung durchaus auch im Kultursektor vorstellen, wenn jemand wegen eines strafbaren Verhaltens verklagt wird? Also in dem Sinne, dass auch Kultureinrichtungen eine Vorbildfunktion einnehmen und mit Bezug auf die Deontologie-Charta solche Schritte eingeleitet werden könnten?
Eric Thill: Wenn Kulturschaffende als Privatperson etwas tun, was nicht richtig ist, kann ich das nicht gut heißen. Wobei sich da dann die Frage stellt, was zum Verantwortungsbereich des Kulturministers gehört und was nicht. Aber wenn Menschen, die im Kultursektor tätig sind und von öffentlichen Geldern bezahlt werden, sich nicht an Gesetze halten, Fehler machen, von der Justiz verurteilt werden, dann werde ich mich als Kulturminister dazu ganz klar positionieren. Und mich ganz klar davon distanzieren.
Télécran: Wäre dies dann auch verbunden mit dem Streichen von Konventionen?
Eric Thill: Das hängt davon ab, was schlussendlich passiert. Ich kann das jetzt nicht generell sagen, aber wenn es sich um gesetzeswidrige Dinge handelt, infolgedessen Personen angeklagt werden, und es geht um öffentliche Gelder, und es ist Betrug im Spiel, dann muss man schauen. Wenn Fehler passieren, dann ist es am Kulturministerium, dem Kulturminister und auch den anderen Regierungsmitgliedern, dies klar zu analysieren, zu hinterfragen und gegebenenfalls Entscheidungen zu treffen und einen klaren Schnitt zu machen.
Télécran: Wie hat sich Ihr Blick auf das kulturelle Angebot Luxemburgs gewandelt, seitdem Sie Kulturminister sind?
Eric Thill: Wenn man Kulturminister sein darf, was eine große Ehre ist, dann sieht man die gesamte Bandbreite, die kulturelle Diversität, über die Luxemburg verfügt. Dazu zählen neben dem Industrieerbe wie zum Beispiel an diesem Ort die Archäologie, Musik, Tanz, Theater, Kunst, Fotografie, Film, die Luxemburger Sprache, die Literatur... Jetzt habe ich bestimmt noch ganz viele Bereiche vergessen, deswegen zähle ich sie eigentlich nicht gerne auf. (lacht) Aber es ist ein fach beeindruckend, was wir in all den Bereichen zu bieten haben. Es ist eine große Freude, all das jeden Tag mehr und mehr im Detail kennenlernen zu dürfen und daran zu arbeiten, diese Bereiche so gut wie möglich zu unterstützen. Und man lernt sehr engagierte Leute kennen, die für die Sache leben, mit Passion, mit Herz und Seele.
Télécran: Welche Rolle spielt denn Kultur in Ihren Urlauben? Sind Sie eher ein Sightseeing Junkie oder jemand, der sich mit einem Buch in die Sonne oder in den Schatten legt?
Eric Thill: Beides. Das Thema Kultur begleitet mich auch im Urlaub, ich reise gern ins Ausland, um andere Kulturen zu erleben. Ich schaue mir vieles an, was die verschiedenen Länder und Städte zu bieten haben, auch aus Sicht meines Amtes als Kulturminister. Aber auf der anderen Seite ist Urlaub auch da, um abzuschalten. Ich versuche das Handy, wenn es geht, zur Seite zu legen, höchstens morgens und abends mal einen Blick drauf zu werfen. Ich lese ein bisschen, allerdings muss ich dazu sagen: Im Alltag lese ich so viel, von Dokumenten über Gesetze, darum probiere ich im Urlaub auch einfach nichts zu tun, Musik zu hören, auszuruhen. Das mache ich dieses Jahr zum Teil im Ausland, aber danach komme ich zurück nach Luxemburg, um eine Woche Vakanz zuhause zu machen. Luxemburg hat da sehr viel zu bieten. Ich stelle gerade einen Plan auf, was ich alles entdecken möchte in den sieben Tagen. Museen zum Beispiel: Man läuft bei offiziellen Anlässen schnell durch, aber man hat halt nie die Zeit, mal ein, zwei Stunden in Ruhe durchzugehen.
Télécran: Der Urlaub im Ausland steht also noch bevor? (Das Interview wurde vor dem Urlaub geführt, Anm. d. R.)
Eric Thill: Ja.
Télécran: Verraten Sie uns denn, wohin Sie reisen?
Eric Thill: Es geht nach Serfaus in die Berge mit der Familie, mit den Kindern meiner Schwester. Natur ist mir wichtig, Fahrradfahren, Mountainbiken, Sport treiben, gut essen, Zeit mit der Familie verbringen. Ich mache meinen Job gerne, aber man ist den ganzen Tag von morgens bis abends unterwegs, auch am Wochenende, und sieht viel, arbeitet viel. Da kommt der Kontakt zu den Liebsten, meiner Partnerin, oder der Familie, meiner Schwester mit den Kindern, zu kurz. Das ist so. Das weiß man aber. Und das versucht man dann im Urlaub zu kompensieren.
Télécran: Herr Minister, ich danke Ihnen für das Gespräch.