"Kindheitsorientierte Didaktik der Bewegungserziehung? Eine Bewegungserziehung vom Kinde aus"

Vom 9. bis zum 11. Oktober 2000 diskutieren 38 deutschsprachige Experten  der „Sport“- didaktik im Vor- und Grundschulbereich  auf Einladung ihrer Fachkollegen vom ISERP auf Schloss Münsbach und, für die Postershow und den praktischen Teil, in den neuen Sportanlagen des ISERP in Walferdingen, Fragen der  Didaktik der Bewegungserziehung  in der Vor- und Primärschullehreraus- und Fortbildung.

Die Teilnehmer dieser 6. internationalen Expertengespräche kommen vorwiegend aus den deutschsprachigen europäischen Ländern , demnach aus Deutschland, Oesterreich und der Schweiz, aber auch aus Belgien, Dänemark, Holland, Norwegen, Polen, Schweden und Luxemburg. Erstmalig wurden diese Gespräche 1989  in Köln auf Anregung des Instituts für Sportdidaktik der Deutschen Sporthochschule durchgeführt. Dabei ging und geht es noch immer um die Frage, wie Lehramtsstudierende mit der Vielzahl von Informationen aus den verschiedenen Wissensdisziplinen später in der Praxis sinnvoll umgehen können. Die Zentralfrage heisst ganz einfach: „Wie kommt man zu einer guten Theorie, die die Unterrichtspraxis in ihren komplexen Zusammenhängen abbildet und damit praxisrelevante Hilfen bietet?“ Die Antwort darauf ist: „Sie muss interdisziplinär und integrativ sein“. Die konkrete Realisierung bereitet aber erhebliche Schwierigkeiten.

 

Was die Didaktik der Bewegungserziehung im Vor- und Grundschulbereich betrifft, so kommen dazu noch konzeptuelle Probleme. Allein für Deutschland lassen sich folgende idealtypische sportdidaktische Grundkonzepte unterscheiden:

-         das an der Sportkultur orientierte Konzept der Sporterziehung

-         das an der kindlichen Entwicklung  orientierte Konzept der psychomotorischen Erziehung

-         das an der Bewegungshandlung orientierte Konzept der Bewegungserziehung.

  Die Sporterziehung  ist vor allem eine Erziehung zur sportlichen Bewegung. Bewegung kommt vor allem als sportliches Bewegungskönnen in den Blick.  Psychomotorische Erziehung ist vor allem Erziehung durch Bewegung. Sie wird vorwiegend als Entwicklungsförderung verstanden. In der Bewegungserziehung soll die Balance zwischen einer Erziehung zum Bewegen und einer Erziehung durch Bewegen gewahrt werden. Erziehung wird dabei nicht nur als Entwicklungsförderung verstanden, sondern als Hilfe auf dem Weg zur Mündigkeit. Dazu kommt noch, für die Kinder im Spielschulalter und in den ersten Jahren der Primärschule, die wichtige Rolle der Bewegung  und des Spiels beim Erlernen von Schultechniken wie Lesen, Schreiben und Rechnen, wobei die ganzheitliche Wahrnehmung mit allen Sinnen, bewusst oder unbewusst, eine grosse Rolle spielt. Das Kind greift, fasst, um zu begreifen, zu erfassen. In der modernen, „aktiven“, „bewegten“ Schule ist das Kind nicht mehr Objekt, sondern Subjekt seiner Erziehung und Bildung. Zahlreiche Schriften und Entwürfe weisen auf die Notwendigkeit hin, dass Schüler, besonders im Vor-und Grundschulalter, mehr Bewegung im Schulalltag brauchen. Zahlreiche Schriften deuten auf die unterschiedlichsten Bewegungsmangelerscheinungen z. B. durch falsche Sitzmöbel. Immer öfter wird auf die Notwendigkeit einer Veränderung der Unterrichtsgestaltung durch Bewegung aufmerksam gemacht.

 

LERNEN IST BEWEGUNG – BEWEGUNG IST LERNEN

 

Kinder lernen, wie es der Pädagoge Andreas Flitner formuliert, in der eigenen Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt. Im Spiel entdeckt, erforscht und erkundet das Kind seine Umwelt und lernt seine Möglichkeiten und  Grenzen kennen. Beobachtet man spielende Kinder, so kann man ihre Konzentration, ihre Geduld, ihren Ernst und ihre Selbständigkeit bewundern. Der Körper ist, wie es eine der Teilnehmerinnen an den Expertengesprächen, Frau Prof. Dr. Eva Bannmüller, formuliert, das eigentliche Lernorgan. Sich bewegen ist per se ein Lernergebnis. Man hört immer, mit dem Eintritt in die Schule verändere sich das Neugierverhalten der Kinder und es wird „ernst“. Stillsitzen, Zuhören, Nachmachen, sich Einordnen, Vorstellungen von aussen, Lerninhalte von aussen werden dominant. Immer noch stehen Stoffvermittlung, Lerninhalte, demnach Sachen im Vordergrund  und weniger der Schüler, der sich mit der Sache auseinandersetzen soll. Hier stellt sich die Frage: „Wie steht es eigentlich in der Schulpraxis mit dem „schülerzentrierten“ oder, besser, „kindheitsorientierten“Unterricht“?

Es ist nun mal eine Tatsache, dass Kinder sich ihre Welt über Bewegung aneignen. Sich bewegen macht Spass, sich bewegen ist lustvoll, macht neugierig und regt die Phantasie an. Die fundamentale Voraussetzung für jedes kindliche  Lernen ist der Körper als Organ des Erkundens, Erfahrens, des Sich-einlassens auf den Anspruch des konkreten Umgangs mit dem materialen und  personalen Lebensumfeld. In der Gesamtanlage des Lernenden ist die Motorik auf Lernen hin angelegt. Die Schule hat diese Erkenntnis verdrängt. Lernen findet nur im Kopf statt. Es gilt demnach, Lernformen zu finden, in denen die Motorik stärker einbezogen ist, in der ein ununterbrochener, lebendiger und dynamischer Dialog mit der Umwelt stattfindet.Der Mensch als Erwerbsmotoriker ist im Aneignen von Können und Wissen diesem dynamischen Vorgehen ausgesetzt (Bannmüller).

 

Die „Münsbacher“  Expertengespräche befassen sich demnach nicht nur mit gängigen Themen der  Sport- und/oder Bewegungserziehung und der (Sport)-Didaktik, den (erziehungs)wissenschaftlichen Unterlagen dieser Erziehung. Sie werden sich auch u.a. mit  dem mobilen Klassenzimmer, mit der Schaffung und Gestaltung von Spielräumen, sowie von Organisations- und Unterrichtsformen befassen, die, mit Bewegungserfahrungen als Ausgangspunkt, Reflexion und Bewusstmachung initiieren,und die, auch innerhalb der Bewegungs- oder Leibeserziehung, zu einem thematischen Unterricht und zu fächerübergreifenden Projekten führen. Das alles wiederum führt zur Frage des mit diesem aktiven, kindorientierten Unterricht zu betrauenden Lehrers. Soll  in der  Vor- und Grundschule ein Spezialist mit dem Fach  „Bewegung, Spiel und Sport“, letzterer  im weiten Sinne des Worte, betraut sein , oder aber weiterhin der Generalist, der Klassenlehrer, wie wir ihn haben,  der auch einen fächerübergreifenden, inter-disziplinären Unterricht im neuen „Lebensraum Schule“ effizient entwerfen und gestalten kann?

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