Jean-Claude Juncker hält Grundsatzrede zur europäischen Integration vor der Konrad-Adenauer-Stiftung

"Wenn wir jetzt nicht die Chance der Erweiterung nach Mittel- und Osteuropa nutzen, wird sich diese einzigartige Gelegenheit nicht mehr wieder bieten"

Auf Einladung des Brüsseler Europabüros der Konrad-Adenauer-Stiftung hielt Premierminister Jean-Claude Juncker am 9. Oktober 2002 als Ehrengast und Festredner eine mit "Wir wachsen mit Europa" betitelte Grundsatzrede zur europäischen Integration.


Premierminister Juncker während seiner Rede

Vor rund 600 geladenen Gästen, darunter Persönlichkeiten wie Jacques Santer, ehemaliger Kommissionspräsident und Vertreter des Premierministers im EU-Konvent, Wilfried Martens, ehemaliger belgischer Premierminister, Hans-Gert Pöttering, Vorsitzender der EVP-ED Fraktion im Europäischen Parlament und Christian Wulff, stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU, ließ Premierminister Jean-Claude Juncker im Ballsaal des Brüsseler Concert Noble, einem 1785 vom Erzherzog Albert von Saxen-Teschen und Marie-Christine von Österreich gegründeten Treffpunkt für den Adel, die aktuellen europäischen Themen, EU-Erweiterung, Euro, Wirtschafts- und Währungspolitik sowie EU-Konvent Revue passieren.

In Anspielung auf die am gestrigen Tage von der EU-Kommission angenommenen Fortschrittsberichte zur EU-Osterweiterung begann Jean-Claude Juncker seine Rede mit einer Würdigung des ehemaligen Kommissionspräsidenten Jacques Santer als jemand der "größeres Verdienst am Zustandekommens dieses epochalen Schrittes" hatte. Winston Churchills bedeutsamen Satz zitierend "Wir fangen das im Westen an, was wir im Osten aufhören werden", wies der Premierminister auf die historische Wichtigkeit des gestrigen Tages hin.

"Wachsen mit Europa", so Juncker, heiße nicht nur zur einer künftigen größeren territorialen Einheit von 455 Millionen Einwohnern zu gehören, sondern bedeute weitaus mehr. Daher die Warnung des Premierministers: "Wenn wir jetzt nicht die Chance der Erweiterung nach Mittel- und Osteuropa nutzen, wird sich diese einzigartige Gelegenheit nicht wieder bieten". Er bedauerte ebenfalls, dass die Erweiterung derzeit von einer Nettozahlerdiskussion begleitet wird. "Was ist der Kostenpunkt einer Stunde Krieg und einer Stunde Frieden?", hielt er entgegen.


Jean-Claude Juncker zusammen mit Jacques Santer und Nicolas Schmit

Jean-Claude Juncker nannte den Euro als identifikationsstiftendes Element, das zu einem größeren Zusammenwachsen in Europa diene, bedauerte aber gleichzeitig dass es niemand in Europa auf sich nehme, den Menschen die wahren Vorzüge der Einheitswährung zu erklären. "Wieso lassen wir zu, dass der Euro zum Teuro wird", fragte Jean-Claude Juncker, "wohlwissend, dass der Euro eine der größten Erfolgsgeschichten der Nachkriegszeit ist?".

Mit Bezug auf die derzeit geführte Debatte über den Stabilitäts- und Wachstumspakt bedauerte der Premierminister, dass einige Staaten "einen sehr leichtfertigen Umgang mit dem Stabilitätspakt" hätten. "Der Stabilitätspakt ist kein Spielzeug!", warnte Jean-Claude Juncker. Nichtsdestotrotz könne er sich mit dem Vorschlag der EU-Kommission bezüglich der Verschiebung des Termins für den Haushaltsausgleich von 2004 auf 2006 anfreunden, weil für ihn nicht die verlängerte Frist ausschlaggebend sei, sondern die von der EU-Kommission eingebrachte Forderung, die Haushaltsdefizite pro Jahr um wenigstens 0,5 Prozentpunkte vom BIP zu verringern. Bedauerlich sei jedoch, dass Frankreich sich diesem Schritt erst 2004 anschließen werde, während die anderen Mitgliedstaaten dies ab 2003 tun werden. Bedauerlich sei auch, dass gerade jene Mitgliedstaaten, die über Jahre tugendhaftes Finanzgebahren eingefordert haben, jetzt zu den Untugendhaften gehörten. "Wenn wir wirklich vorankommen wollen, müssen wir bei der Geld- und Wirtschaftspolitik zu einer stärkeren Koordination kommen", mahnte der Luxemburger Premier- und Finanzminister, stellte aber gleichzeitig klar, dass die von Frankreich bevorzugte Idee einer "Wirtschaftsregierung" kein gangbares Konzept mehr in einer globalisierten Welt sei.

"Europa braucht alle zehn Jahre ein neues Projekt um weiter wachsen zu können", so Juncker. Deshalb sei nach der Euro-Einführung und der EU-Osterweiterung die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) das große Projekt der EU-Politik der nächsten zehn Jahre. Jean-Claude Juncker plädierte dafür, die GASP, insbesondere die Entwicklungshilfe, zur Herzenssache zu machen, was es auch erleichtern würde, junge Europäer mit der europäischen Idee zu versöhnen. Daher mache es Sinn im Konvent "mit dezidierten Schritten in Richtung Vergemeinschaftung der GASP" zu gehen. "Ich wehre mich gegen das Diktat des Intergouvernementalen. Intergouvernemental heißt auf Dauer Immobilismus!", mahnte der Premierminister. Ohne mehr Vergemeinschaftlichung laufe Europa Gefahr, sich zu einer Freihandelszone zurück zu entwickeln.


Premierminister Juncker und Christian Wulff von der CDU

Mit Bezug auf die Reform der EU-Institutionen und die derzeitigen Arbeiten im EU-Konvent über die Zukunft Europas, warnte Jean-Claude Juncker: "Institutionen sind kein Selbstweck, sondern haben politischen Zielen zu dienen!". Die Frage, wie die einzelnen Institutionen besser untereinander funktionieren könnten, sollte daher eher in der Schlussphase des Konvents geregelt werden. Der Premierminister warnte ebenfalls vor einer Großstaaten-Kleinstaaten-Diskussion im Konvent. "Es täte dem europäischen Kontinent gut, wenn sich große und kleine Staaten in die gleiche Richtung bewegten", so Juncker.

Abschließend meinte Jean-Claude Juncker, die europäische Agenda werde derzeit von einer Existenzangst beherrscht dass, "wenn wir es jetzt nicht richten, werden wir es in einer immer größer werdenden EU nicht mehr schaffen".

Das Europabüro der Konrad-Adenauer-Stiftung veranstaltet seit nunmehr drei Jahren eine jährlich stattfindende Reihe "Europarede", bei denen namhafte Persönlichkeiten vor einem ausgewählten Teilnehmerkreis zu aktuellen Themen Stellung nehmen. Der frührere Bundespräsident Roman Herzog, der spanische Premierminister José Maria Aznar und die CDU-Vorsitzende Angela Merkel waren in den letzten drei Jahren Ehrengast und Festredner dieser Europareden.

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