Premierminister Juncker als Gastredner beim diesjährigen Zurich Churchill Symposium

"Die Wiedervermählung europäischer Geographie und europäischer Geschichte als Chance begreifen"

Im Rahmen des Churchill-Symposiums, das alljährlich an die Zürcher Europa-Rede des ehemaligen britischen Premierministers erinnert, sprach Premierminister Jean-Claude Juncker am 10. Oktober 2002 im Zunfthaus "zur Meisen" in Zürich zum Thema "Scheidewege in Europa". Neben dem Schweizer Bundesrat Joseph Deiss, dem serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic und Lord Jenkins fungierte der luxemburgische Premierminister als Ehrengast und Hauptfestredner dieses Abends.


Jean-Claude Juncker während seiner Rede im Zunfthaus "zur Meisen" in Zürich

Seit 1996 veranstaltet das Europa-Institut Zürich, in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Institut für Internationale Studien und der britischen Botschaft in Bern, das Zurich Churchill Symposium, bei dem namhafte Persönlichkeiten vor einem ausgewählten Publikum zur Zukunft Europas sprechen. Der frühere deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl, der frühere französische Präsident und jetzige Vorsitzende des Konvents Valéry Giscard d’Estaing, sowie namhafte britische und Schweizer Politiker waren in den vorigen Jahren Festredner dieser Veranstaltung.

In seiner berühmten, an der Universität Zürich gehaltenen Rede "Let Arise Europe" trat Winston Churchill vor 56 Jahren, im September 1946, für eine europäische Einheit in Freiheit und Frieden ein.

"Diejenigen die geträumt haben und stark genug waren Perspektiven zu entwerfen sind letztendlich die wahren Realisten gewesen.“ Mit dieser Aussage, die an Helmut Kohls Feststellung erinnert, dass die Visionäre sich immer als die wahre Realisten erwiesen, eröffnete Jean-Claude Juncker seine Rede, in der er eingehend "die perspektivistische Kraft" des ehemaligen britischen Premierministers Winston Churchill würdigte.


Premierminister Juncker im Beisein von Bundesrat Joseph Deiss und dem serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic

Mit der Idee der Schaffung eines Europarates und der Auslegung des notwendigen und harmonischen Miteinanders zwischen Großen und Kleinen sei Churchill, so Jean-Claude Juncker, "eine wichtige Station auf der Entdeckungsreise in die europäische Zukunft“. Dabei erinnerte Premierminister Juncker insbesonders an die 1947 in Den Haag gehaltene Rede Churchills, in der er schon damals prophezeite, dass das, was zu der Zeit in Westeuropa begonnen habe, auch späterhin in Osteuropa weitergeführt werde.

Lob gelte jedoch nicht nur den Staatsmännern dieser Zeit, sondern auch ganz besonders den Menschen dieser Kriegsgeneration, denen die heutigen jüngeren Generationen dankbar sein sollten. "Wir sind heute Erben einer Arbeit, die andere für uns geleistet haben“, unterstrich Juncker.

Im Hinblick auf die Osterweiterung der Europäischen Union, mahnte Juncker, dass man angesichts der früheren Wirren auf dem europäischen Kontinent die "aktuelle europäische Zusammenführung“ als "kontinentalen Genuss der wiedergefundenen Einigkeit“ erfassen sollte, weil die "europäische Zukunft heute fröhlicher gestaltbar“ sei. "Zudem führen wir nicht nur Staaten zusammen, sondern auch Menschen, mit ihren Biographien, ihren Träumen und Hoffnungen“.

Man solle sich des historischen Momentes bewusst werden anstatt sich in geldtechnischen Diskursen über die Kosten der Erweiterung zu verlieren. "Wenn es darum geht Geschichte zu machen, darf man nicht in Meinungsumfragen blättern“, sagte Jean-Claude Juncker angesichts der nicht immer sehr großen Popularität des Erweiterungsprojektes in manchen EU-Mitgliedstaaten.

"Wer aber glaubt mit einfachen Parolen und Instrumenten die europäische Friedensordnung aufrecht erhalten zu können, der irrt sich“, so der luxemburgische Premierminister weiter. Dabei beanstandete er auch "eine gewisse Hochnäsigkeit“, mit welcher einige EU-Mitgliedstaaten den Kandidatenstaaten entgegenzutreten pflegen. “Die Wiedervermählung europäischer Geographie und europäischer Geschichte müssen wir als Chance begreifen“.

Angesichts dessen sei es auch im Interesse sowohl der EU als auch der Schweiz selbst, dass das Land bald Mitglied der Europäischen Union werde. "Mein Wunsch wäre es, dass die Schweiz eines Tages Mitglied der EU wird“, bemerkte Jean-Claude Juncker vor dem erlesenen Schweizer Publikum. Er wolle jedoch der Schweiz in diesem Kontext keine klugen Ratschläge erteilen, da er aus eigener Erfahrung heraus wisse, dass solche Ratschläge oder Lektionen in kleineren Ländern nur "Unverständnis" hervorrufen. Nichtsdestotrotz sei es, heute, da sich die Schweiz sowieso "im edlen Wettbewerb der Eurokompatibilität" an einen grossen Teil der EU-Entscheidungen anzupassen habe, einfacher "mit am Verhandlungstisch zu sitzen, als nur von den Zuschauerrängen zusehen zu können.“

Viel Applaus erntete der luxemburgische Premierminister schließlich mit seiner Warnung vor jedem Versuch, zukünftigen Mitgliedstaaten Lektionen erteilen zu wollen oder diesen gar mit Sanktionen zu drohen: "Ich werde mich mit allen Mitteln dagegen wehren“. Sanktionen, so Jean-Claude Juncker nach dem Vortrag gegenüber der Schweizer Presse, seien sowohl "ein Unwort“, weil man so unter Freunden nicht rede, als auch eines "Unding“, da es nicht zu den traditionell guten EU-Schweizer Beziehungen passe, sich in "derartiger Radikalrhetorik“ zu unterhalten. "Man kann die Schweiz nicht so behandeln als sei dieses europäische Land ein kontinental weit entfernter Staat". Man müsse vielmehr "ein intensives Aufeinanderzugehen“ schaffen, damit auch in Steuerfragen eine Lösung gefunden werden könne.

Am Rande dieser Veranstaltung kam Premierminister Jean-Claude Juncker auch mit dem Schweizer Bundesrat und Außenminister Joseph Deiss zusammen. Auf der Tagesordnung standen bilaterale Fragen und ein Gedankenaustausch zu aktuellen europäischen und internationalen Themen.

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