"Finanzmarktforum 2001" de la Deutsche Bank à Luxembourg

Rede von Herrn Premierminister Juncker anläßlich des Luxemburger Finanzmarkt-Forums 2001 am 11. Oktober 2001

Guten Morgen, meine sehr verehrten Damen und Herren,

Der Euro wird sehr bald kommen und ich sage, Gott-sei-Dank kommt der Euro und ich sage, Gott-sei-Dank ist der Euro schon da. Weil wenn wir nach dem 11. September den Euro nicht gehabt hätten, hätten auch diejenigen, denen zum Euro nichts argumentativ Positives einfällt, seine Abwesenheit sehr zu beklagen gehabt. Weil hätte es den Euro zum 11. September noch nicht gegeben, dann hätten wir genau das erlebt, was wir in den letzten 30, 40 Jahren in Europa erlebt haben, wenn es weltweit oder in Europa selbst zu krisenhaften Erscheinungen kam oder wie in diesem Fall zu einer echten Krise. Wir hätten ein unwahrscheinliches Währungsdurcheinander in Europa gehabt. Das europäische Währungssystem wäre – so sehe ich das – bis zum Bersten leer geworden an dem Tag, weil auch schon zu Zeiten, da es sowohl der europäischen Wirtschaft als auch der Weltlage wesentlich besser ging, ging es denen, die zu den Lokomotivwährungen im europäischen Währungssystem gehörten, so schlecht, daß sie dasselbe verlassen wollten. Niemand weiß ja heute noch, daß Deutschland und die Niederlande im August 1993 aus dem europäischen Währungssystem aussteigen wollten, was damals eigentlich am Widerstand von Großbritannien und Luxemburg scheiterte. Aber unabhängig von diesen anekdotischen Vorgängen, von denen es aber gut ist zu wissen, daß es sie mal gab, sind wir jetzt in der Lage, daß wir in einigen Wochen in den materiellen Euro eintreten. Und das ist schon besorgniserregend, daß nur 80 % der Europäer wissen, daß es den 1. Januar 2002 währungspolitisch geben wird. Es ist ein erstaunlicher Vorgang, daß 20 % der Europäer – man hat ja gehört, wir würden die Zivilisation darstellen – nicht wissen, daß dies passiert und schon kritisiert man Regierungen, daß sie ihre Informationsarbeit nicht korrekt gemacht hätten, Zentralbanken auch. Dabei gibt es Mitteilungen und Informationsmaterial zuhauf, Fernsehen, Rundfunk, Presse. Zeitungen berichten regelmäßig davon - berichten im übrigen auch, daß Luxemburg das Land wäre, was am besten vorbereitet wäre auf die Euroeinführung, sagt die europäische Kommission, die nicht immer so wahrheitsgenau argumentiert, wenn es um Luxemburg geht wie in dem Zusammenhang - aber 20 % haben davon noch nichts gehört. Das wird wohl so sein müssen, daß Finanzminister demnächst auch in Diskotheken auftreten müssen, um ihre Ware zu verkaufen, weil wer keine Zeitung liest, wer nicht fernsieht und wer des Rundfunkhörens nicht mächtig ist, jedenfalls nicht, wenn dort nur geredet wird und keine Nebengeräusche zu vernehmen sind, der kann nicht in Erfahrung gebracht haben, daß es den Euro am 1. Januar geben wird. Problem ist ja, daß die Ereignisse des 11. September eigentlich den Blick jetzt versperren auf das, was bis zum 1. Januar 2001 auch von der Politik her noch zu leisten sein wird. Und deshalb muß man wohl trotzdem jetzt, um das mal salopp auszudrücken, in die Vollen gehen, damit man die verbleibenden Tage noch nutzen kann, um das Informationslevel dorthin zu bringen, wo es sein müßte, was einigermaßen schwierig ist, weil europaweit eigentlich nur einer von vier – also nur 25 % der mittelständigen Betriebe – sich wirklich vorbereitet haben auf den Euroübergang. Und ich glaube, da wird es schon in einigen Landstrichen böses Erwachen geben, wenn wir am 1. Januar 2002 mit dem Euro da sind. Und der Euro kommt, Gott-sei-Dank, und er ist schon da, Gott-sei-Dank, und die Frage ist ja, was nun und was dann?

Man kann eigentlich nicht an der Tatsache vorbeisehen, daß wir jetzt die Euroeinführung zu einem Konjunkturaugenblick erleben, der nicht zu den überaus günstigen gehört. Wobei ich mir diesen Satz, daß nach dem 11. September alles anders geworden ist, eigentlich nicht so sehr zu eigen machen möchte. Weil vor dem 11. September war die Welt auch schon anders als wir dachten, daß sie es wäre. Auch vor dem 11. September sind Tag für Tag 24.000 Menschen weltweit an Hunger gestorben. Und ohne hier via Zahlenmaterial relativierend in eine dramatische Debatte eingreifen zu wollen – das sind viermal mehr pro Tag, also an einem Tag in New York. Nur sieht man die nicht jeden Tag aus den Bildern, die die Welt beherrschen, deshalb vergißt man das.

Ich sage auch nicht, das eine und das andere hat miteinander zu tun. Völlig fremd von der Natur her sind Vorgänge dieser Art allerdings nicht. Und auch vor dem 11. September hat sich die europäische Konjunktur auf deutlicher Talfahrt befunden, bewirkt nicht nur, aber auch, durch die konjunkturelle Abschwächung, was ja eine zärtliche Beschreibung des Gesamtvorganges ist, die es in den Vereinigten Staaten von Amerika gibt. Und in dem Zusammenhang muß man einfach feststellen, daß wir uns fundamental geirrt haben, was die mögliche Impaktbildung des amerikanischen Downturns auf die europäische Ökonomie wäre. Wir haben vor 8,9 Monaten noch wie Herren der Welt in Brüssel zusammengesessen und haben erklärt, Finanzminister, Staats- und Regierungschefs, daß der Durchschlag der amerikanischen Wachstumskrise auf Europa keine verheerenden Folgen hätte. Alle haben das gesagt, die Europäische Zentralbank, der Rat der Weisen hat festgestellt, die Handelsvolumina mit den USA sind nicht so, daß es hier zu einer Ansteckungsgefahr in Europa kommen könnte. Die Regierungschefs und die Finanzminister haben genau das gleiche gesagt. Wir haben darauf verwiesen, daß bruttosozialproduktmäßig betrachtet der Anteil des europäisch-amerikanischen Handels eigentlich verschwindend gering ist, in Luxemburg sind das 1,3 % des Bruttoinlandproduktes, in Großbritannien und Irland sind das allerdings deutlich über 10 %. Wir haben ohne jeden Zweifel neben der psychologischen Großwetterlage, in die uns das amerikanische Konjunkturklima hineingeführt hat, die Übertragungseffekte unterschätzt, die es ohne jeden Zweifel in Europa gegeben hat. In Luxemburg hat man das ein bißchen früher gemerkt, nicht weil wir besonders klug sind, sondern weil wir besonders klein sind. Wenn man feststellt, daß amerikanische Chemiekonzerne oder amerikanische Reifenkonzerne, die ihre europäische Niederlassung in Luxemburg haben, in ihren in Luxemburg ansässigen Forschungseinheiten Investitionen kürzen, merkt man das. Die Amerikaner sind so wie wir auch, nämlich, wenn es krisenhafte Erscheinungen gibt, dann spart man zuerst bei den anderen. Und das machen die amerikanischen Großunternehmen selbstverständlich auch, und deshalb die Wirkung in allen Teilbereichen europäischer Volkswirtschaft. Wir haben uns jetzt mit der Frage zu beschäftigen: Was tun die Europäer jetzt angesichts der weltweiten Wachstumskrise? Ich glaube, das erste, was wir tun müssen, ist uns einmal vor Augen zu führen, daß wir als Europäer an der Wachstumsbelebung, die es über die letzten 2 Jahre weltweit gegeben habe, eigentlich keinen so irrsinnig großen Anteil hatten. Der Welthandel ist 1999/2000 um 17 % nach oben geschnellt und das hatte nun wirklich kaum etwas zu tun mit europäischer Einwirkung. Wir haben aber in vollem Maße von diesem massiven Anstieg des Welthandels profitiert. Ich nehme luxemburgische Beispiele, die sind einsichtiger: Wir haben ein Wachstum im Jahre 2000 von 8,5 % erreicht und wir kommen jetzt im Jahre 2001 auf 4,2 % - ist also genau eine Halbierung der Wachstumsprozesse über ein Jahr – und das zeigt ja eigentlich, daß wir in sehr hohem Maße abhängig sind von dem, was weltweit passiert und eigentlich kaum eigene Energien aufstellen können, um korrektiv in diesen Prozeß eingreifen zu können.

Deshalb wird jetzt die Frage gestellt, was machen europäische Volkswirtschaften, was macht die europäische Geldpolitik, was soll die europäische Politik tun? Und hier sieht man sofort, wenn es sich zuspitzt, finden wir zu den alten Debatten zurück, von denen wir immer gedacht haben, es gäbe sie nicht mehr. In Deutschland hat man sich vorgenommen, jedenfalls nichts zu tun, was falsch wäre. Das sollte eine ruhige Hand tun, nichts Falsches tun. Das ist das Tun einer ruhigen Hand. In Frankreich reden der Premierminister und der Finanzminister, davon, daß man jetzt Konjunkturprogramme auflegen müßte. Das nennen sie nicht so, das klingt auch nicht so, ist aber genau das. Und diese Konjunkturprogramme sollen jetzt europaweit den idealen Zuschnitt erfahren, weil doch jeder weiß, daß nationale Konjunkturprogramme am Anfang des 21. Jahrhunderts keine wirklichkeitsresistentere Wirkung haben könnten, als die Konjunkturprogramme der 70er Jahre, die man in der Bundesrepublik seinerzeit auf den Weg gebracht hat. Und die Geldpolitik tut auch was und hat nach dem 11. September eigentlich wider Erwarten äußerst erfolgreich, wie ich finde, wirken können, weil es der Europäischen Zentralbank in Zusammenarbeit mit anderen gelungen ist, die Liquiditätsversorgung sicherzustellen. So selbstverständlich, wie einem dies heute erscheinen mag, war das damals ohne jeden Zweifel nicht. Und es hat eine konzertierte Zinsbewegung zwischen der Federal Reserve und der Europäischen Zentralbank gegeben, dadurch, daß 50 Basispunkte nach unten in Bewegung gerieten. Ich werde einen kurzen Moment bei diesem Vorgang bleiben. Es ist zum ersten Mal, daß es angesichts einer derartigen Katastrophe – weil um eine solche hat es sich ja gehandelt – die Geldpolitik schnell und konzertiert und wie voll durchtrainiert auf eine derartige Lage reagiert hat. Erstaunlich an dem Vorgang ist allerdings die Begründung, die die Europäische Zentralbank diesem Zinsschritt gegeben hat. Weil zum allerersten Mal erschien nicht mehr das Stabilitätsziel, die Preisstabilität, die allein selig machende Inspiration zu sein der Europäischen Zentralbank, sondern es war das bewußte Antizipieren wirtschaftlicher Folgen, die man erwarten konnte nach den Attentaten in New York und Washington. Das heißt, die Europäische Zentralbank hat sich für einen Moment jedenfalls aus der geldpolitischen Orthodoxie ausgeklemmt, in der sie sich selbst eingesperrt hatte in den Vormonaten und Vorjahren. Nun wird man sehr genau prüfen müssen, ob die Europäische Zentralbank jetzt neben dem Imperativ der Preisstabilität auch jenes der vorauseilenden Konjunkturgegenbewegung übernehmen wird oder ob dies eine Eintagsfliege war. Ich weiß eigentlich nicht, was besser wäre, ob es bei der bisherigen Praxis der Geldpolitik bliebe, daß man vor allem Preisstabilität im Auge hat oder ob weltkonjunkturstützende geldpolitische Zusatzelemente auch in den Kreis der Instrumentarien der Europäischen Zentralbank aufstoßen würden. Das wird man in den nächsten Monaten sehr intensiv beobachten müssen. Allerdings würde der zinspolitische Schritt doch ermöglicht dadurch, daß es - was Inflation und Preisauftrieb anbelangt - deutliche Zeichen dafür gibt, daß wir im Jahre 2002 wieder unter die 2 % Korridorzielmarke zurückfallen. Insofern hat der zinspolitische, nach 11. September-Schritt der Europäischen Zentralbank keine stabilitätsgefährdenden Folgerungsschritte nach sich gezogen. Obwohl man sehr genau wird darauf achten müssen, ob jetzt die Europäische Zentralbank durch diesen absolut richtigen und gerechtfertigten Zinsschritt in der zweiten Septemberhälfte nicht unter Druck derer kommt, die eigentlich die Geldpolitik dauernd überfordern möchten. Wenn es jetzt aus völlig andersartigen Gründen als die, die am 11. September zu diesem Zinsschritt tendiert haben, zu einer Wirtschaftslage in der Europäischen Union kommen würde, und davon sind wir nicht sehr weit entfernt, werden die politischen und gewerkschaftlichen Ideengeber sich das als Chance nicht entgehen lassen und die Europäische Zentralbank wird dann daran erinnert werden, dass es dam schon einmal einen Präzedenzfall gab.

Aber zurück zum Euro. Was wir jetzt tun müssen in Europa ist, daß wir die Debatte auf den Punkt bringen und schnellstens reagieren. Wir haben ein deutlich abgeschwächtes Wirtschaftswachstum in der Eurozone 2,8 %. Das war die Prognose, die wir im Frühjahr hatten, das haben wir im Sommer überprüft und in Richtung 2,5 % korrigiert und jetzt ist in Europa ein großes Rätselraten ausgebrochen, ob das Wachstum zwischen 1,5 % und 2 % im Jahre 2001 sein wird oder ob es nicht doch zielgenau auf 1,7 % oder 1,8 % landen wird. Wachstum wird also hier deutlich unter 2 % sein. Der Chefvolkswirt der Dresdner Bank hat errechnet, daß es genau 1,75 % sein werden - ich lasse das inspirierend auf die europäische Politik wirken. Auf jeden Fall ist die Prognose nicht falscher als die der Finanzminister von vor 3 Monaten – da waren es noch 2,8 % - insofern äußere ich mich nicht despektierlich über derartige Weitsicht, weil ich schon oft genug Opfer eigener Kurzsichtigkeit geworden bin, wenn es um das exakte Prognostizieren des ohnehin zu Geschehenden handelt. Ich warne davor, daß wir jetzt den Stabilitätspakt ins Gerede bringen. Die Frage ist überhaupt nicht, ob wir uns jetzt vom Maastrichter Vertrag verabschieden. Ich verstehe diese Diskussion im übrigen nicht. Auch in der deutschen Fachpublizistik gibt es einige, die schreibend fragen, ob wir jetzt den Maastrichter Vertrag noch respektieren müssen? Gilt der Maastrichter Vertrag? Aber das ist doch ein unglaublicher Vorgang. Es ist doch nicht so, daß 2 oder 3 plötzlich entscheiden, dass es den Vertrag nicht mehr gibt. Also ist die Frage überhaupt nicht, ob der Maastrichter Vertrag heute zur Anwendung gelangt, die Frage ist nur, wie wir ihn zur Anwendung bringen. Aber es kann nun ernsthaft niemand sagen, daß wir jetzt in einer derartigen Notsituation wären, daß wir jetzt die öffentlichen Defizite so nach oben schnellen lassen müssen, daß das 3 %-Limit des Maastrichter Vertrages verletzt würde. Die Gefahr sehe ich nicht. Wir haben ein durchschnittliches Haushaltsdefizit in der Eurozone von 1 % in diesem Jahr. Nur das durchschnittliche Defizitziel kann uns eigentlich als Mittelwert interessieren, nicht aber als Zielvorgabe, weil der Stabilitätspakt – nicht der Vertrag nur –Land für Land analysiert werden muß, um festzustellen wie es mit der Defizitgestaltung aussieht. Und dann gibt es dort einige, die halt Überschüsse in ihren öffentlichen Haushalten ausweisen können. Und es gibt einige, die das nicht können. Jetzt haben wir uns darauf verständigt, dass dort, wo Haushaltsüberschüsse vorhanden sind, die automatischen Stabilisatoren ohne Problem zur Anwendung gelangen können, aber daß dort, wo es keine Überschüsse gibt, die automatischen Stabilisatoren eben nicht in vollem Umfang wirken können. Der gesunde Menschenverstand wäre dann mit sich selbst zufrieden, wenn es ihm gelänge, jetzt festzustellen, wie weit dürfen automatische Stabilisatoren dort spielen, weil es keine Haushaltsüberschüsse gibt. Weil es reicht ja nicht, dass die Europäische Politik nur dauernd sagt, in Deutschland, in Frankreich, in Italien und in Portugal dürfen sie nicht so viel spielen, wie in Luxemburg und in Irland. Ich glaube nicht, dass das eine aufklärende Wirkung hat, wenn man diesen Satz dauernd wiederholt. Ich bin überhaupt nicht der Meinung im Gegensatz zu einigen, von mir hoch geachteten Kommentatoren in der überregionalen deutschen Presse, dass man jetzt punktgenau in der Bundesrepublik dort landen muss, wo der vor einem Jahr eingereichte Stabilitätsplan dachte, dass die Bundesrepublik landen möchte. Die Bundesrepublik Deutschland ist davon ausgegangen, dass der Bundeshaushalt im Jahr 2001 eine Defizitlücke von 1,5 % hat und wird wahrscheinlich höher liegen. Ist das nun wirklich das Ende der Welt? Wichtig ist doch, dass wir mittelfristig an den Stabilitätszielen festhalten, dass wir so schnell wie möglich wieder in die Zielzonen der eingereichten Stabilitätspläne zurückkommen. Aber wer jetzt sagt, es muss im deutschen, im französischen, im italienischen Haushalt so eingespart werden, dass wir zielgenau dort landen wo wir Anfang des Jahres dachten landen zu können, dann passiert etwas, was der Europäischen Konjunktur nicht gut tun wird. Wer jetzt in die europäische Pflicht genommen wird, auf der Ausgabenseite der Haushalte Disziplin in höchstem Maße walten zu lassen, der wird nicht im Konsumbereich einsparen. Der wird – weil das ist einfach - im Investitionsbereich einsparen. Und das Schlimmste, was jetzt der Europäischen Volkswirtschaft passieren könnte, wäre, wenn in den großen Flächenstaaten der Eurozone jetzt Investitionshaushalte – sofern sie öffentlich finanziert werden – gekürzt würden. Es muss so sein, dass die geplante Investitionsleistungen auch vorgenommen werden, weil die sind ja eigentlich die Sprungfeder, die es uns in spätestens der zweiten Hälfte des Jahres 2002 erlauben wird, wieder zu einem schnelleren Konjunkturrhythmus zu kommen. Also keine Einsparungen bei Investitionen, große Disziplin bei Konsumausgaben und den Versuch starten, mit der Europäischen Zentralbank in ein dann eben informelles Gespräch darüber zu kommen, dass die Geldpolitik jetzt die Spielräume ausnutzt, die sie noch hat. Und sie hat noch welche. Und dass im Gegenzug dazu Regierungen jetzt ihre öffentlichen Defizite nicht ins Unvorstellbare abgleiten lassen.

Ich bin allerdings nicht dagegen, daß wir den Versuch starten, nicht ein europaweites oder ein pan-europäisches Konjunkturprogramm aufzulegen, aber im Rahmen der Koordinierung der europäischen Wirtschaftspolitik den Versuch zu wagen, uns jetzt mal gemeinsam die Frage zu stellen, was können wir in Europa, je nach Land, tun? Es müsste ja eigentlich so sein, dass für uns auch nach der G7 Sitzung, die Frage stellen, was wir jetzt in Europa mit den Investitionen machen? Es wäre auch ein Signal für die Amerikaner und für andere, wenn wir jetzt die Aussage machen würden: Es bleibt bei den Investitionsvorhaben, die wir hatten, sofern sie öffentlich finanziert werden und wir bewegen uns jetzt in Sachen Absenkung der Steuerniveaus in der Europäischen Union. Es sind ja einige Steuerreformen unterwegs oder verabschiedet. In Deutschland ist dies ja der Fall. Andere Länder werden sich hinzugesellen. Und bei diesen steuerreformerischen Unterfangen wäre es jetzt eigentlich im Moment angesagt, dass wir uns auch der besonderen Unterstützung der von der Privatwirtschaft zu tätigen Investitionsvorhaben annähern würden. Es würde jetzt Sinn machen, eingedenk der Tatsache, dass es beim Haushaltskonsolidierungskurs bleiben muss, dass wir mittelfristig Stabilitätsziele erreichen müssen, wenn wir jetzt die Investitionstätigkeit auch steuerlich stärker abstützen würden als dies geplant wäre. Luxemburg nimmt zum 1. Januar 2002 eine Steuerreform im Unternehmensbesteuerungsbereich vor. Wir senken unseren Körperschaftsteuersatz von heute 30 % auf dann 22 %. Wir wollten die Gewerbesteuer abschaffen. Das ist an der geballten Unvernunft der luxemburgischen Kommunen gescheitert. Jetzt wird sie abgesenkt, und zwar so, dass wir jetzt auf eine durchschnittliche Besteuerung der Betriebe von 30 % kommen, während wir zur Zeit 37,49 % als Mittelwert haben. Also eine deutliche Absenkung und eine großzügige Steuervergünstigung für Investitionen, die ausgedehnt wird auf immaterielle Wirtschaftsgüter, was vor allem für Banken nicht uninteressant ist. Und damit nutzen wir eigentlich die Margen, die wir als ein Land mit Haushaltsüberschüssen zur Zeit haben, während andere nicht über diese Margen verfügen. Dies erklärt, wieso sie weder steuerpolitisch noch sonst wie adäquat auf die gegenwärtigen Herausforderungen reagieren können. Wir befinden uns ja auch in einer völlig anderen Lage als die Amerikaner, die – eben weil wir Haushaltsüberschüsse haben – auch ohne größeres Problem ein 75 Milliarden-Dollar-Programm jetzt auflegen können, was sie nicht notwendigerweise in die Defizitfalle locken wird. Sie werden sich nahe an Haushaltsdefizite heranbewegen, aber dies wird problemlos machbar sein. Das wiederum zeigt, dass wir in den Zeiten, wo es selbst konjunkturell exzellent ging – 1999, 1999, 2000 - eigentlich auch haushaltspolitisch in einigen größeren Flächenstaaten der Eurozone eben nicht das getan haben, was wir hätten tun müssen, und im übrigen auch größere Strukturreformen unterlassen haben.

Ich rede nicht von den Strukturreformen am Arbeitsmarkt, das Flexibilitätsgesäusel das beeindruckt mich von Tag zu Tag weniger. Ich glaube nicht, dass man nur dadurch, dass man die Flexibilität der Arbeitnehmer jetzt anmahnt, aus der Konjunkturdelle sich wird herausbewegen können, da braucht es ganz anderes Zupacken als nur diesen permanenten Hinweis auf Flexibilität. Nicht nur Arbeitnehmer müssen flexibel sein, andere auch, und zwar die, die Arbeit geben. Aber Strukturreformen im Bereich der Altersversorgung sind ohne jeden Zweifel sinnvoller als kurzatmiges Herumfummeln am Arbeitsrecht, das man nicht rigider gestalten sollte, als es ist, aber dem man auch die Schutzfunktion nicht einfach entziehen sollte, die das Arbeitsrecht auch nicht nur für die, die arbeiten, sondern auch für die, die Arbeit geben, beinhaltet. Also Strukturreformen kann man nicht so behandeln, als ob wir sie schon gemacht hätten. Wir müssen einige wirklich jetzt unternehmen.

Nun ist das ja auch im Zusammenhang mit den Attentaten vom 11. September, wie zu erwarten, zu einigen Überreaktionen gekommen, deren genaues Ausmaß man noch nicht festlegen kann. Ich bin jetzt dabei, im Detail mir anzusehen, was denn die Pläne des deutschen Bundesfinanzministers in punkto finanzieller Rasterfahndung alles beinhalten. Ich bin prinzipiell der Meinung, dass man sich mit dem Thema Finanzierung des Terrorismus sehr ernsthaft auseinandersetzen soll. Ich mache keine billigen Witze zu dem Thema. Ich wehre mich nur dagegen, dass man so tut, als ob es nur dort, wo es ein Bankgeheimnis gibt, Finanzierung des Terrorismus gegeben hätten. Wir haben hier sehr intensiv geprüft und bis zum jetzigen Zeitpunkt nichts gefunden, bis auf eine verdächtige Kontobewegung. Aber die wurde dann halt sehr, sehr gründlich überprüft, auch in Zusammenarbeit mit den Amerikanern und mit anderen. Gestern hat die Staatsanwalt ein Konto gesperrt. Also ich habe kein erotisches Verhältnis zum Bankgeheimnis, weil es auch in Fällen schwerster Kriminalität und Terrorismus kein Bankgeheimnis gibt. Insofern kann hier ermittelt werden auf Verdacht, ohne dass das Bankgeheimnis dem Staatsanwalt, dem Gericht oder sonst wem entgegengehalten werden könnte. Wir haben gestern ein Konto, wie gesagt, gesperrt. Im übrigen bei einer amerikanischen Bank. Und das kann auch sein, dass in den nächsten Tagen Gelder auftauchen, Kontobewegungen oder Kontostände, die dann unter das Freezing - Kommando der Amerikaner fallen müssen. Aber Bankgeheimnis und Terrorismusfinanzierung sind zwei Paar Schuhe. Bankgeheimnis schützt keinen Terroristen und deshalb ist das eine Debatte, die es eigentlich nicht geben dürfte. Ich habe schon den Eindruck, kann das nur nicht beweisen, dass man jetzt die Gunst der Stunde nutzt, um in Sachen Bankgeheimnis zu der richtigen Aufräumarbeit kommen zu können. Für uns bleibt es in diesem Zusammenhang bei dem, was wir immer zum Ausdruck gebracht haben: Wir sind mit dem Informationsaustausch einverstanden, wenn ab 2010, 2011, 2012, die Gesamtumstände das erlauben, d.h. also auch die Drittstaaten außerhalb der Europäischen Union und die assoziierten und abhängigen Territorien innerhalb der Europäischen Union sich zu diesem Schritt entschließen können.

Was die Bemühungen der britischen Regierung bei den dem europäischen Festland zwischengelagerten Inseln, die sich in einer bestimmten Abhängigkeit zu einer dem europäischen Kontinent in gewisser Distanz gelegenen größeren Insel befinden, anbelangt, sind diese pädagogischen Erfolge noch nicht von erkennbarem Erfolg gekrönt. Insofern sind wir da ganz ruhig – ruhige Hand. Aber ruhige Hände kann man nicht forcieren. Das muss man auch wissen.

Was jetzt die Pläne des deutschen Finanzministers anbelangt, sage ich nicht prinzipiell, dass das so nicht geht. Man muss das wohl sehr im Detail studieren und man muss sich mit der Frage beschäftigen, wie die europäischen Staaten - und nicht nur die EU-Staaten - in Sachen Finanzierung des Terrorismus zu einer intensiveren und intimeren Zusammenarbeit kommen könnten. Wir haben in Brüssel vorgeschlagen, dass die Behörden, die zuständig sind für das Geldwäschegesetz, insgesamt auch zuständig wären für den Informationsaustausch im Bereich Finanzierung des Terrorismus. Dies wurde so vom Europäischen Rat und vom Rat der Justiz- und Innenminister zurückbehalten. Bei der Umsetzung stellt sich jetzt heraus, dass das nicht so einfach ist. Wir sind jedenfalls bereit, das zu tun. Weil Terroristen wissen müssen, dass Finanzplätze nicht für sie erfunden worden sind. Ich erlaube mir nur den Hinweis darauf, dass die Konten, die bis jetzt aufgetaucht sind, dort aufgetaucht sind, wo es kein Bankgeheimnis gibt. Und dort, wo es ein Bankgeheimnis gibt, wenige aufgetaucht sind. Was die Gegner des Bankgeheimnisses natürlich nutzen, um zu sagen, das ist das ja, was wir kritisieren. Es gibt einige Dinge, gegen die kann man sich in letzter Analyse nicht wehren. Dies gehört dazu. Jedenfalls darf ich den Satz sagen, dass die Abwesenheit eines Bankgeheimnisses jedenfalls nicht sicherstellt, dass es keine Finanzierung des Terrorismus an diesen Finanzplätzen gibt.

Vielleicht einen Satz noch zur Richtlinie über Geldwäsche, die wir jetzt in einem Konzertierungs- und Ermittlungsverfahren mit dem Europäischen Parlament als Finanzmittel der Europäischen Union behandeln. Wir sind nachdrücklich der Auffassung, dass Anwälte, Notare und andere Berufe in den Anwendungsbereich dieser Richtlinien gehören. Ich war sehr überrascht, im Rat der Finanzminister feststellen zu müssen, dass einige, die sehr intensiv mit Luxemburg sich im Gespräch befinden um das Bankgeheimnis abzuschaffen, sehr dagegen waren, dass Anwälte, Notare und andere in dem Anwendungsbereich der Richtlinie fallen sollten. Ich war nicht lange Anwalt. Deshalb habe ich keine Erfahrung in dem Bereich. Aber ich war lange Jahre Finanzminister und mir ist immer aufgefallen, auch im Gespräch mit vielen ausländischen Kollegen, dass Geldwäsche eigentlich nicht beim Friseur oder im Krämerladen stattfindet. Anwälte haben da wirklich, ohne dass man die jetzt pauschalisierend hier verurteilen würde, mehr Geschick und mehr Anlass, dies zu tun. Wenn Banker Rechenschaft ablegen müssen, muss man das auch von Anwälten, von Notaren und von allen anderen möglichen, professionell in dem Bereich Tätigen, verlangen dürfen.

Am 11. September hat sich die Welt geändert. Ich glaube nicht, dass sie sich so sehr verändert hat, weil sie sah vorher schon sehr anders aus als wir dachten. Es ist alles eigentlich nur noch schlimmer geworden. Ich staune eigentlich als Fernsehzuschauer, dass große Teile der deutschen Unternehmerverbände jetzt Konjunkturprogramme einfordern. Einige Vernünftige sagen, das geht nicht. Wäre eine Regierung auf die Idee gekommen, vor einem Jahr zu sagen, wir machen ein Konjunkturprogramm, dann hätte es also einen ordnungspolitischen Aufschrei gegeben, der die das Republik erfasst hätte. Jetzt, wo es schlechter geht, gibt es viele auch im Bereich der deutschen Arbeitgeberverbände, die dem Staat suggerieren, doch jetzt endlich etwas zu tun. Ein erstaunlicher Vorgang. Man hat überhaupt nach dem 11. September den verschollen geglaubten Staat wiederentdeckt, weil man ihn für viele überraschend über Nacht hat auferstehen lassen. Also diejenigen, die sowieso immer alles besser wissen als diese Politiker, die sich ja eigentlich an die Macht geputscht haben, diejenigen, die immer schon wussten, wie die Welt regiert werden muss, sind jetzt plötzlich die, die sich mit zerknirschtem Gesichtsausdruck und Tränen in den Augen jetzt an den Staat wenden. Ich habe dies mit größter Genugtuung zur Kenntnis genommen und werde das auch nicht vergessen für die Zeit, in der es wieder besser gehen wird. Weil die Marktwirtschaft, von der ich immer gerne hätte, dass sie sozial bleibt, und das wohl auch fast überall in Europa geblieben ist, ist am 11. September an ihre Grenzen gestoßen. Mich hat das weniger überrascht als die, die sich jetzt an den Staat wenden.

Ich bedanke mich und werde Sie nächstes Jahr, wenn ich wieder eingeladen werde, weitere Beispiele der direkten Umsetzung dieser nicht sehr alten Erkenntnis lehren.

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