Le Premier ministre Jean-Claude Juncker au "Finanzmarktforum" de la Deutsche Bank à Luxembourg

TEXTFASSUNG DER FREI GEHALTENEN REDE - NUR DAS GESPROCHENE WORT GILT

Meine sehr verehrten Damen, meine Herren,

Es ist mir wie jedes Jahr um diese Jahreszeit eine angenehme Freude hier am Finanzmarkt-Forum der Deutschen Bank teilzunehmen. Als wir das Thema für den heutigen Vortrag aussuchten, haben wir wie immer vorsichtig formuliert und einfach neutral gesagt "der Euro vier Jahre danach". Mir wird klar, es sind noch keine 4 Jahre, aber das Thema schien mir so flexibel zu sein, daß da alles hineinpassen würde. Und so ist es auch. Und deshalb kann ich vom Titel unberührt zur Tat schreiten.

Zur Zeit reden wir ja sehr kontrovers über den Euro und das ihn begleitende Instrumentarium des Stabilitätspaktes und wir reden fast so kontrovers über den Euro als wir über ihn redeten, als er von der Vorbereitungsphase her betrachtet in Angriff genommen wurde. Der Euro hatte sich der politischen Kontroverse einigermaßen entzogen in den letzten 2-3 Jahren, weil auch diejenigen, die als Bedenkensträger die Öffentlichkeit manchmal erheiternd durchkreuzt hatten, sich sehr schnell nicht nur mit dem Euro abgefunden hatten, sondern es auch geschickt verstanden den Eindruck zu erwecken, als ob sie immer schon für den Euro gewesen wären. Ich glaube, ich habe letztes Jahr hier gesagt, daß es um die katholische Kirche gut bestellt wäre, wenn sie so viele Spätberufene hätte wie der Euro. Aber die Spätberufenen werden jetzt wieder etwas nervös und beschäftigen sich weniger mit dem Euro als mit der von Ihnen zur Zwangsjacke umdefinierten Stabilitätskanalsystematik. Für mich ist klar, daß – ich sage dies in Anwesenheit meines Freundes Jürgen Stark, der damit auch mehr als nur einiges zu tun hatte – der Stabilitätsauftrag und die Stabilisierung der Europiste nicht nur mit Wiegenromantik des Euros zu tun hatte. Es war damals so, daß die Befürchtung bestand, es könne nach Inkrafttreten des Maastrichter Vertrages und nach intensiven Vorbereitungen der Mitgliedstaaten auf den Euro, zu einer Abkehr von der langsam sich breit machenden Stabilitätskultur in Europa kommen. Und die Befürchtung, die viele umtrieb, besonders die deutschen Freunde, war die, daß wir nach Eintritt in die dritte Stufe des Euros uns von den Stabilitätspfaden wieder wegbewegen würden und in die alten Fehler der letzten 30 Jahre zurückfallen würden. Das war damals die Idee, vor allem von meinem Freund Theo Waigel gepusht, dem Vertragsinstrumentarium noch einen zusätzlichen Stabilisierungskanal beizufügen und deshalb der Stabilitäts- und Wachstumspakt. Er wurde 1996 in Dublin prinzipiell beschlossen nach massivem Hin und Her zwischen deutscher und französischer Delegation. Und ich hatte damals auch zu vermitteln zwischen Deutschen und Franzosen in Sachen Stabilitätspakt. Heute braucht man da nicht mehr zu vermitteln, die haben sich ja geeinigt, daß das flexibler gehandhabt werden muß.

Ich möchte dazu einige einfachen Sätze sagen, weil ich den Eindruck habe, mit komplizierten Sätzen kommt man überhaupt nicht mehr weit. Also ich sage einfache Sätze, nicht weil ich denke, Ihnen wären komplizierte nicht zuzumuten, sondern weil ich denke, daß man kompliziert denken muß und einfach reden muß statt kompliziert zu reden und einfach zu denken. Die Menschen haben, als sie sich auf den Euroweg machten, und letztendlich vor allem in der Bundesrepublik Deutschland auch den Euro, wenn auch nicht begeisternd, so doch aber minimal zustimmend begleitet. Die Menschen haben sich darauf verlassen, daß der Euro so stark werden soll wie die Deutsche Mark war. Er ist das im übrigen auch die letzten Jahre über geblieben, und die Menschen haben sich auf das Politikerwort von der Stabilität verlassen. Und ich glaube nicht, daß die Menschen diese Debatte, die wir zur Zeit führen, sehr genießen, weil sie finden sie als sich im Gegensatz zu dem bewegend, was vor der Euroeinführung gesagt wurde. Weil der Stabilitätspakt wurde vor allem auch in der deutschen Öffentlichkeit hier als supplementäre Garantie für Stabilität präsentiert und die flexibilisierende Approach, die zur Zeit herumgereicht wird als der Weisheit letzter Schluß, mag vielen vorkommen als entspräche dies nicht genau dem, was vor der Euroeinführung gesagt wurde.

Nun hat der Kommissionspräsident Herr Prodi befunden, der Stabilitätspakt wäre dumm. Ich möchte ihn auf diese Vokabel nicht festnageln, weil mir wurde erklärt von Semantikern, die man in der europäischen Politik ja immer stärker in Anspruch nehmen muß, stupido wäre nicht sinnmäßig total gleichbedeutend mit stupid und stupid auch nicht mit dumm. Dumm war es trotzdem von stupido zu reden. Aber man hat diesem Interview von Herrn Prodi in « Le Monde » trotzdem eine Überinterpretation zukommen lassen, die die Aussagen, die er dort getätigt hat, so nicht verdienen. Das ändert nichts daran, daß man intelligente Instrumente nicht als dumm bezeichnen soll, hat aber mich nicht dazu gebracht zu denken, Prodi hätte völlig Abschied genommen vom Stabilitätsgedanken. Daran würde ihn denke ich auch der Währungskommissar Herr Solbes hindern und er hat sich ja für einen Politiker etwas nuancenreicher zu der gesamten Sachlage geäußert als sein Chef.

Wir haben in der Europäischen Union die Debatte, ob wir in die Art und Weise, wie wir den Stabilitätspakt zur Anwendung bringen, konjunkturpolitische Beurteilungselemente einfließen lassen oder ob wir diesen Stabilitätspakt strikt zur Anwendung kommen lassen. Es überrascht und stört mich ein bißchen, daß in der Kommission zur Zeit viele denken und sagen, auch der Außenhandelskommissar Lamy - der hat sich noch deftiger zu der Geschäftslage geäußert als Herr Prodi - der Stabilitätspakt dürfe nicht automatisch ausgelegt werden. Ich war der Meinung seit langem, aber die Kommission war dieser Meinung nie, weil die Kommission hat ja auch vor einigen Monaten - im Februar war das wohl – der deutschen Finanzpolitik mit einem blauen Brief gedroht. Und ich habe zu denen gehört, obwohl das Ordnungspolitiker zum Schaudern gebracht hat, die sich gegen diesen blauen Brief an die deutsche Adresse aussprachen, weil es sich dabei wirklich um eine rein automatische Anwendung einiger Elementarprinzipien des Stabilitätspaktes handelte. Die Kommission hatte einfach festgestellt, daß die deutsche Haushaltslage sich im Verhältnis zum von Deutschland eingereichten Stabilitätsprogramm sehr divergierend entwickelte und nahm dies allein zum Anlaß, um mit einem blauen Brief zu drohen unter der ausdrücklichen Maßgabe – und das stand im in Vorschlag gebrachten Text – daß die deutsche Finanz- und Haushaltspolitik sehr in Ordnung wäre. Nun mag es mir nicht einleuchten, daß man jemanden warnt und ihm gleichzeitig attestiert, daß er alles richtig macht. Wenn dieser Ansatz der Kommission zielführend gewesen wäre, hätte dies auch bedeutet, daß wenn Luxemburg beispielsweise sich im Verhältnis zu dem von ihm eingereichten Stabilitätsprogramm um einige Stellen hinter dem Komma bei der Vorlage endgültiger Haushaltszahlen divergierend verhalten hat, daß dann Luxemburg auch einen blauen Brief kriegt, obwohl wir Haushaltsüberschuß hätten und obwohl wir einen öffentlichen Verschuldungsstand von etwa 4-5 % des Bruttosozialproduktes hätten. Das wäre dann eine technokratische, automatische Anwendung des Stabilitätspaktes gewesen, hätte man diesen Brief der Kommission an die deutsche Adresse so passieren lassen, wie er in Vorschlag gebracht wurde.

Daß Romano Prodi jetzt vor dem Europäischen Parlament sich darüber beklagt - er, der für mehr Flexibilität eintritt - die Finanzminister hätten diese Early warning procedure an die deutsche Adresse gekippt, ist schon in höchstem Maße erstaunlich und wirklich antinomisch in der gesamten Verhaltensweise der Kommission.

Nun bin ich nachdrücklich der Auffassung, daß der Stabilitätspakt auf die eingetretene konjunkturelle Lage Rücksicht nehmen muß und auch lagekonform reagieren muß. Ich bin allerdings auch der Auffassung, daß der Stabilitätspakt alle Elemente enthält, die es erlauben, adäquat auf die Konjunkturlage zu reagieren. Ich bin überhaupt nicht der Auffassung, daß es ein dramatischer Vorgang ist, daß die Kommission jetzt vorgeschlagen hat, ausgeglichene Haushalte müssten statt im Jahre 2004 im Jahre 2006 erreicht werden. Die Aussage der Kommission kann eigentlich nur den überraschen, der sich nicht intensiv um die Dinge kümmert. Daß wir jetzt auf 2006 ausweichen, halte ich für kein übermäßig großes Problem angesichts der aktuellen Konjunkturlage, wenn der zweite Teil des Kommissionsvorschlages wirklich ernsthaft in Angriff genommen wird und den halte ich für wesentlich wichtiger und auch insgesamt für zielorientiert und der besteht darin, daß die Eurostaaten sich verpflichten, pro Jahr ab 2003 das strukturelle Defizit um 0,5% Bruttosozialprodukt-Prozentpunkte nach unten zu korrigieren, daß man also versucht, selbst dort, wo es eigentlich nicht angebracht wäre aufgrund einschlägiger Vertragsbestimmungen - nämlich in den Defizitländern - die automatischen Stabilisatoren wirken zu lassen. Das Recht haben eigentlich nur die Staaten, deren öffentliche Finanzen in Ordnung sind. Das sind immerhin acht von zwölf und die vier Defizitländer dürften eigentlich die automatischen Stabilisatoren nicht in vollem Umfange wirken lassen. Daß man jetzt eine Zusatzstrecke einlegt, auf der auch Defizitstaaten automatische Stabilisatoren zumindestens teilweise zur Wirkung kommen lassen, halte ich für keine Katastrophe und auch für keine Verirrung auf dem Stabilitätsweg, wenn ernst gemacht wird mit der Begradigung der Strukturdefizite, was ja während seiner Begradigung keine konjunkturhemmende Auswirkungen hat. Nun haben wir das Problem, daß wir uns dauernd mit Zahlenmaterial herumplagen müssen, von dem wir nicht wissen, ist das dann das richtige Zahlenmaterial. Ich bin ein großer Anhänger der noch immer klein gebliebenen Koordinierung der Wirtschaftspolitik in der Europäischen Union, aber es ist sehr schwierig, das Stabilitätsinstrumentarium für die gesamt Eurozone zufriedenstellend zu aktivieren, wenn man sich auf das vorgelegte Zahlenmaterial nicht verlassen kann. Wir haben erlebt, das halte ich für einen erstaunlichen Vorgang in der Eurosolidargemeinschaft, daß die Vorgängerregierung der jetzigen portugiesischen Regierung uns mitgeteilt hat und die Kommission hat das auch mit Stempel von Herrn Prodi attestiert, daß das Haushaltsdefizit sich deutlich für das Jahr 2001 unter 3% bewegen würde, 2,6%, wenn meine Erinnerung richtig ist. Es tritt eine neue Regierung an und man teilt uns mit, nein, das Haushaltsdefizit für 2001 ist 4,1%. Und die Kommission teilt uns wieder mit, ja, das ist so. Wobei, um das auch einmal zu sagen - weil dies einige voreilige Eindrücke über die Seriosität der handelnden Akteure zurechtrückt - auch der Präsident der portugiesischen Zentralbank hat alle Schwüre der Welt geschworen, daß es 2,6% wären. So daß nicht nur die Stabilität manchmal hinterfragt werden muß, sondern auch die Unabhängigkeit einiger Zentralbanker, um hier mal todsündenartig mich auf gefährlichem Weg zu machen.

Die deutsche Bundesregierung war unfähig, uns bis zum 21. September die Haushaltszahlen für das Jahr 2002 – die vorläufigen – mitzuteilen und weil Wahlnächte besonders kurz sind, man also nicht viel schlafen muß aber viel arbeiten kann, konnte man dienstags nach der Wahl erfahren, daß es 2,9% wohl wären. Dann kam die Koalitionsverhandlung und plötzlich nach einer etwas kürzeren Nacht wird uns dann mitgeteilt, das 3 %-Limit ist nicht zu halten und jetzt beginnt ein großes Rätselraten darüber, ob es 3,2, 3,4 oder 3,7% sind. Es sind jedenfalls mehr als 3%. Aber wir haben uns eine relativ lange Zeit auf Zahlen basiert, die nicht die endgültigen Zahlen waren und auch nicht die voraussichtlich endgültigen Zahlen. Man hätte das auch ein bißchen genauer wissen können.

Die französische Regierung legt einen Haushalt vor, der für das Jahr 2003 das exakt das gleiche Defizitvolumen vorzeigt als für den Haushalt 2002. Das war ein klarer Verstoß gegen die Abmachung, daß man sich in puncto Defizitbegradigung langsam auf close to balance or surplus, wovon die weit entfernt sind, zubewegen sollte, wenn man 2003 dasselbe Defizit zeigt als im Jahre 2002. Dann hat man jedenfalls der eigentlichen Logik des Stabilitätspaktes nicht Genüge getan. Was mich stört, nicht nur an der französischen Haltung, die sich einfach hinwegsetzt über getroffene Abmachungen, ist, daß die Kommission dieses Verschieben von 2004 auf 2006 zwei Tage vor der Vorlage des französischen Haushaltes in Vorschlag bringt, weil sie sehr genau wußte, egal was wir über 2004 sagen, die Franzosen legen einen Haushalt 2003 vor, der den Abmachungen für 2004 überhaupt nicht Rechnung trägt. Und um nicht den Eindruck zu erwecken, die Kommission würde hinter einigen großen Mitgliedstaaten herrennen, schaltet die Kommission ihre Mitteilung über diesen Stabilitätsverschiebebahnhof 2004 und 2006 einfach vor. Das ist das Gegenteil von koordiniertem und konzertiertem Vorgehen und hat deshalb auch einige Finanzminister sehr überrascht. Daß jetzt die Franzosen auch nach einer Euroratssitzung hier in Luxemburg erklären, nachdem alle erklärt haben 2003 mit der Begradigung des Strukturdefizits anzufangen, sie würden aber erst im Jahre 2004 damit beginnen ist insofern störend, weil man nicht weiß, ob das denn nicht doch heißen müßte, daß dann die französische Regierung in den Jahren 2004 und 2005, wenn wir in 2006 bei ausgeglichenen Haushaltssituationen angekommen sein sollen, mehr als 0,5% Strukturdefizitbegradigung leisten will. Mein Eindruck ist, daß die Franzosen das nicht so sehen. Ich könnte damit leben, daß man 2003 weniger macht, dann aber 2004 und 2005 so viel mehr macht, daß das Ziel 2006 voll umfänglich erreicht werden kann. Diese französische Zusage gibt es bis zur Zeit noch nicht, weil die Franzosen auch darauf aufmerksam machen, daß sie im Verteidigungshaushalt einige Korrekturen nach oben vornehmen müssen, weil die Vorgängerregierung zu viele Korrekturen nach unten vorgenommen hat übrigens auch um einigen Auflagen, die sich aus der Stabilitätszielzone ergeben, gerecht werden zu können. Wenn ich mit dem französischen Präsidenten über diesen Themenkomplex Stabilitätspakt rede, macht er mich immer wieder darauf aufmerksam, daß ich als luxemburgischer Premier wohl mit Verteidigungsausgaben nicht so sehr geplagt wäre wie er. Das hat ja auch zur Folge, daß ich mit Waffenverkäufen weniger geplagt bin als der französische Präsident. Insofern ist die Leidenslage erträglich für den, der hier steht.

Mein Punkt ist, daß wir den Stabilitätspakt haben, daß wir aber keine Koordinierung der Wirtschaftspolitik und keine adäquate Koordinierung der Haushaltspolitik haben. Wir wußten, als wir den Vertrag in Maastricht verabschiedeten, und wir wußten auch, als wir den Stabilitätspakt dichteten, daß dies eine Schwachstelle im gesamten Euroinstrument ist, Der politische Teil des Gesamtinstrumentariums ist völlig unterentwickelt und diese Koordinierung der Wirtschaftspolitik und die Koordinierung der Haushaltspolitik findet nicht statt. Der Vertrag sagt, Wirtschaftspolitik ist in gemeinschaftlichen Interesse zu führen, was nicht heißt, daß wir hier im Harmonisierungsvollzug uns von der Stelle bewegen könnten. Nun halten wir es auch für schwierig, Wirtschaftspolitik und Haushaltspolitik zu vergemeinschaften. Dies wird nicht gehen. Die Vorstellung, daß es keine Nationalstaaten in Europa mehr gäbe oder daß die im Verschwinden begriffen wären, ist eine abenteuerliche Vorstellung, der man nicht Folge leisten sollte, wenn es um die Architektur des zukünftigen Europas geht. Nein, Nationalstaaten haben noch ihre Bedeutung und haben positive und negative Auswüchse für jedwedes europäisches Unterfangen. Aber daß wir jetzt feststellen 4 Jahre nach Eurobeginn, daß wir in wirtschafts- und haushaltspolitischen Fragen eine höchst gefährliche Renationalisierung der Verhaltensweisen erleben, das hatte ich in dem jetzt eingetretenen Umfang eigentlich für nicht denkbar gehalten, weil ich doch die Hoffnung hegte, alle hätten verstanden, daß das gemeinsame Geld auch gemeinsame Solidarität und zwischenstaatliches solidarisches Verhalten in der Eurozone begreifen würde. Wenn wir die Politikbereiche, von denen ich rede, Wirtschafts- und Finanzpolitik besser koordinieren würden, wäre es für mich durchaus vorstellbar, daß man einem Land, zwei Ländern, vielleicht sogar drei Ländern vorübergehend erlaubt, aus konjunkturpolitischen Erwägungen heraus sich nicht an ihr Stabilitätsprogramm sklavisch zu halten, daß man sogar die Vorstellung haben kann, einem Land muß es vorübergehend gestattet sein wegen dessen binnenwirtschaftlicher Lage das 3%-Limit zu übersteigen. Der Stabilitätspakt sieht vor, daß man das tun kann bei einem Rückgang von 2% BIP in einem Jahr. In dieser Lage befindet sich kein Land. Aber daß man abmachen würde in konsequent geführten Vorgesprächen, Deutschland und Frankreich beispielsweise können vorübergehend das 3%-Ziel verlassen unter der Bedingung, daß das Strukturdefizit d.h. das langfristig wirksame Aggregat nach unten korrigiert wird, während die Nicht-Defizitländer sich an der close to balance or surplus-Regel ausrichten müssen, dies wäre für mich hinnehmbar, wenn dies eine Entscheidung aller 12 Euroländer wäre und nicht nur eine unilaterale Entscheidung der zwei größeren Euroländer Frankreich und Deutschland. Und dann hieße dies noch, daß dann alle 12 miteinander darüber reden müssen, daß diese Auswucherung des Haushaltsdefizits mit erheblichen Kürzungen der konsumtiven Ausgaben verringert werden müsste und nicht durch Streichungen bei den Investitionsausgaben, was konjunkturhemmende Wirkungen hätte. Aber daß jetzt das 3 %-Limit nicht respektiert wird ohne irgendeine Form der Konzertierung sondern einfach nur, weil es so ist, das halte ich für der Glaubwürdigkeit abträglich und deshalb kann es nicht anders sein, daß jetzt Frankreich und Deutschland, aber im besonderen Falle Deutschland, weil dort die Zahl als deutlich über 3 für das Jahr 2002 einzuschätzen ist, unter die 3%-Marke für das Jahr 2003 zurück müssen unter gleichzeitiger Begradigung der Strukturdefizite um 0,5%. Wenn Koordinierung und Konzertierung so wären, wie ich eben beschrieben habe, dann ließe sich der Vorstoß des Kommissionspräsidenten, der Pakt müsse mit erhöhter Flexibilität angewandt werden, auch mit einem Vorschlag verbinden, der das Gesamtinstrumentarium in seiner Glaubwürdigkeit rettet und in seiner Effizienz steigert dadurch, daß er zusätzliche Konzentrierungs- und Koordinierungsinstrumente beinhaltet. Es reicht nicht zu sagen, die Kommission muß exklusiv koordinieren dürfen. Dies ist keine Aufgabe für die Mitgliedsstaaten. Nein, es heißt jetzt Wege zu zeigen, wie man dies tun könnte. Dabei wäre es sehr von Hilfe, wenn wir aus der informellen Eurogruppe eine formale Formation des Ministerrates der Europäischen Union machen würden. Es macht wenig Sinn, daß die 12 Eurofinanzminister hinter vorgezogenen Vorhängen tagen und sich praktisch das Wort geben müssen, nur niemandem zu sagen, was sie da beredet haben, weil wir zuerst noch die 3 Nichteuromitglieder im Ecofin-Rat informieren müssen und daß dann die 15 wirtschaftspolitische Entscheidungen treffen, die eigentlich die 12 in die Pflicht nehmen, deren Bedürfnisse durchaus anders gelagert sein könnten als die Bedürfnisse der Nichteuromitglieder. Das ist zur Zeit kein Riesenproblem. Das wird aber binnen kürzester Frist ein Problem werden, wenn wir 25 Mitgliedsstaaten in der Europäischen Union haben. Es wird ja dann so sein, daß 13 der 25 Mitgliedsstaaten keine Euroländer sind und 12 sind Euroländer. Und ich mag nicht einsehen, wieso 25 Finanzminister über die wirtschaftspolitischen Leitlinien der Europäischen Union und ergo der Eurozone befinden, wenn die Zwänge und Notwendigkeiten in der Eurozone völlig anders liegen könnten mithin anders bewertet werden müßten und anders in Angriff genommen werden müßten. Es kann uns auch passieren, daß die Länder, die sich erklärtermaßen auf den Euro zubewegen möchten, das heißt alle Beitrittsstaaten, Dänemark und Schweden und Großbritannien befinden sich ja nicht in einer anderen Lage als die 10 Neuen, daß die durchaus Vorgaben formulieren könnten, die Anwendung zu finden hätten in der Eurozone, weil diese noch nicht sich in der Eurozone befindlichen Staaten gerne eine langsamere Gangart einlegen müssen, um bestimmten Auflagen, die den Eurozutritt möglich machen sollen, etwas angenehmer für sie zu gestalten. Ich halte dies für einen Zielkonflikt. Dies ist eine Vorstellung, der ich mich so nicht anschließen kann und deshalb bin ich der Meinung, daß das Europäische Konvent und auch die sich daran anschließende Regierungskonferenz diesen Punkt neu in Angriff nehmen muß, nicht um das Gesamtinstrumentarium Euro- und Währungsunion in Bestandteile zu zerlegen, sondern um die logischen Konsequenzen aus den bisher gemachten Erfahrungen ziehen zu können.

Also im Resümee: es muß sichergestellt werden, daß Stabilität weit davon entfernt ist, nur Wiegenromantik gewesen zu sein. Es muß klar gemacht werden, daß Stabilität das System immanente Verhaltensprinzip aller Euromitgliedsstaaten sein muß. Es muß deutlich gemacht werden, daß man nicht im Nachhinein nach konstatiertem Fehlverhalten einiger größerer Mitgliedsstaaten die Regeln ändert, sondern auch die größeren Mitgliedsstaaten müssen sich in ein zu verstärkendes Stabilitätsinstrumentarium einbinden, das wesentlich größeres Gewicht auf vorbereitende Koordinierung und in Kauf genommene Konzertierung gemeinsamen Vorgehens legen muß. Nun haben wir die erstaunliche Erfahrung gemacht, daß 11 Euromitgliedsstaaten erklärt haben, sie würden im Jahre 2003 das Ziel struktureller Defizitbegradigung ernst nehmen, gemeint sind damit eigentlich nur die Defizitländer, die dies tun müssen. Und daß der französische Kollege erklärt hat, er sehe das nicht so. Wäre ich Kommissionspräsident, hätte ich mich mal mit diesem Vorgang sehr intensiv beschäftigt. Weil wer für sich in Anspruch nimmt, anstelle der Regierung Wirtschaftspolitik zu koordinieren und den wirtschaftspolitischen Marsch in Europa zu blasen, der dürfte es eigentlich nicht hinnehmen, daß jemand sich an das Regelwerk nicht hält. Und anstatt das Regelwerk zu kritisieren, hätte ich es für die Glaubwürdigkeit des Kommissionspräsidenten erträglicher gehalten, daß er zuerst einmal die kritisiert, die sich nicht an das europäische Recht halten. Weil um einen solchen Vorgang handelt es sich nämlich.

Aber mich hat die Formel, die wir gewählt haben, sehr inspiriert. Weil da steht im Beschluß der Eurofinanzminister: all ministers but one did agree. Und ich habe die Kollegen sofort darauf aufmerksam gemacht, dies wäre eine gefährliche Formulierung, besonders wenn man vor Jahresende noch eine Einigung in Sachen Kapitalertragssteuer unbedingt haben möchte. Und wenn dies jetzt die agreierte Form ist, wie man ausscheren kann, ohne eigentlich der Verachtung der heulenden Wölfe ausgesetzt zu sein, dann ist dies schon eine Formel, von der ich sage, die darf nicht nur von großen Staaten der Europäischen Union gebraucht werden. Da müssen kleine auch einmal semantisch vielleicht die Dramatik etwas verschärfend deutlich machen, daß man sich in einer derartigen Semantik auch mit sich selbst im Reinen fühlen könnte.

Wir haben ja das Steuerthema auf der Agenda stehen. Dies muß vor Jahresende geregelt sein. Ich habe auch Hans Eichel am Sonntagabend bei Frau Christiansen sagen hören: "Diese europäische Zinsrichtlinie, also die machen wir, das haben wir in der Koalitionsrunde entschieden." Tja, wir haben in unserer Koalitionsrunde das Gegenteil entschieden. Nicht, weil wir diese Zinsrichtlinien prinzipiell ablehnen würden, sondern weil die Vorbedingungen, die ihr Inkrafttreten bedingen, nicht erfüllt sind. Das war immer unsere Ansicht, daß wir hier mit der Schweiz eine Verständigung über den Eintritt in den Informationsaustausch ab 2011 erreichen müßten. Die Schweiz verweigert sich diesem Schritt, möchte stattdessen eine Quellensteuerregelung und wenn dies so bleibt - und dies wird so bleiben - dann wird Luxemburg im Eintritt in den Informationsaustausch ab 2011 eben nicht zustimmen – all ministers but one, was mich sehr ärgern würde, weil ich nachdrücklich der Auffassung bin, daß wir eine minimale Angleichung der Besteuerungssysteme im Kapitalertragsbesteuerungsbereich dringend brauchen in der Europäischen Union. Und ich bin auch der Meinung, wenn wir bei dem 1997 vereinbarten Koexistenzmodell geblieben wären, dann hätten wir diese Regelung auch schon heute, weil die Schweiz ja erklärtermaßen damit einverstanden wäre, in eine Quellensteuerregelung einzutreten, die sich auch auf nichtgebietsansässige Steuerzahler in der Schweiz anwenden würde. Das hieße im Konkreten, daß der Treuhandumweg wegfallen würde, der jetzt intensiv beschritten wird, wenn es um die de facto-Nichtbesteuerung nichtgebietsansässiger Steuerzahler in der Schweiz geht. Also da wäre die Möglichkeit groß, daß wir eine Regelung erreichen könnten. Darauf hatten wir uns 1997 unter luxemburgischem Vorsitz im übrigen verständigt. Die Briten haben nichts unversucht gelassen, um sicherzustellen, daß London ein Steuerparadies für Nicht-EU-Bürger bleibt, und insofern von der Naivität und den Unkenntnissen anderer Finanzminister profitiert, um diese Sachlage wieder zu kippen, trotz eindeutiger Warnungen und Festlegungen unsererseits, daß dies nur im Verbund mit Drittstaaten überhaupt denkbar wäre. Es geht nicht nur um die Schweiz, es geht auch um die USA. Wenn man den Ecofin-Sitzungen beiwohnt, möchte man meinen, die amerikanische Administration, der man ansonsten ja ein allzu einfaches Gedankengut vorwirft, besonders wenn man sie in deutscher Sprache im deutschen Wahlkampf artikulieren muß, dass die amerikanische Position klar sei. Weil der französische, der deutsche, der britische Finanzminister erklären mir dauernd, nach Gesprächen mit den Amerikanern wäre jetzt klar, daß auch die Amerikaner automatisch in den Informationsaustausch eintreten würden. Dann mache ich Amtsmißbrauch und rede auch mit dem amerikanischen Finanzminister, und dann ist das nicht so, wie uns das bedeutet wird. Obwohl wir vorher abgemacht hatten, wir würden angesichts internationaler Entwicklungen diese Frage klären, stelle ich fest, daß die Entwicklung nicht die ist, die uns damals in Aussicht gestellt wurde, nämlich daß die luxemburgische Regierung die letzten Mohikaner des Bankgeheimnisses wären und alle anderen Vernünftigen und auch sich moralischer Benehmenden hätten sich schon in Richtung Informationsaustausch auf den Weg gemacht. Das ist nicht so. Und weil das nicht so ist, wird das all ministers but one im Dezember heißen, es sei denn, Vernunft kehrt ein und wir würden uns darauf verständigen, daß wir jetzt mit einer Quellensteuerlösung anfangen und irgendwann auf der Strecke zwischen 2003 und 2011 beide Systeme miteinander vergleichen würden - Informationsaustauschsystem und Quellensteuersysteme - und dann eine erneute Richtungsänderung vornehmen könnten, wenn diese Vergleichsmaterialien so sind, daß die Beweisführung eindeutig ist und die Schlußfolgerung mithin auch. Aber es wird, solange die Drittstaaten nicht adäquat eingebunden sind, mit uns keinen automatischen Übergang von der Quellensteuerregelung zur Informationsaustauschregelung geben. Wobei ich gerne hätten, daß wir hier in Luxemburg die Quellensteuer einführen könnten. Weil ich habe mich mit fast allen Bankern so sehr zerstritten hier am Platz, daß wir das machen müssen. Daß ich auch überhaupt nicht gerne hätte, daß die jetzt billigen Triumph erleben. Wenn das die da sagen, der Idiot rackert sich da ab und jetzt ist noch weniger als nichts, und das hätte ich nicht gerne, wenn das so käme. Und deshalb wäre es gut, wenn wir uns in das Feld des Koexistenzmodells zurückziehen würden und vernünftige Lösungen stricken würden. Wobei eine unvernünftige Lösung im Europäischen Kontext die ist, die jetzt in der deutschen Koalitionsvereinbarung festgeschrieben wurde, wo ja das Kontrollmitteilungssystem eigentlich als denkbaren Weg, was Kapitalertragsbesteuerung anbelangt, angesehen wird. Ich habe mich darüber nicht auszusprechen. Ich hatte nur nicht gerne, wenn es jetzt wieder zu einer von der Politik ausgelösten Kapitalflucht aus deutschen Landen hin zu kleineren Territorien in der Europäischen Union und außerhalb der Europäischen Union kommt, daß dann diejenigen wieder an den Pranger gestellt werden, die sich um die deutschen Landesgrenzen herum mühseligst zu organisieren versuchen. Ich bin nicht jemand, der gerne hätte, daß jetzt massivste Kapitalflucht aus Deutschland in Richtung Luxemburg einsetzt. Dies ist nicht im Interesse des deutschen Haushaltes und nicht im Interesse luxemburgischer Politik, auch nicht luxemburgischer Finanzplatzpolitik. Dies kann nicht unser Bemühen sein. Aber man wird uns auch nicht zwingen können, die Schalter zu schließen. Und ich hätte lieber, vor den luxemburgischen Bankschaltern wäre ein Verkehr zu beobachten, der nicht steuerpolitisch betrachtet als obszön einzustufen wäre und insofern wäre es gut, wenn man Abstand nähme, bevor es europäische Regelungen gibt von diesen deutschen – fast hätte ich gesagt  - Sonderwegen, aber ich habe ja auch gelernt, daß das so wörtlich nicht zu nehmen war die Sache mit dem Sonderweg. Was schlimm ist und dieses Beispiel spricht auch dafür, daß ist, daß es immer wieder trotz Binnenmarkt und trotz Eurozone unilaterale nationale Festlegungen gibt, die zu festen Einrichtungen europäischer Entscheidungsprozesse werden. Ein Land beschließt in der Koalitionsrunde oder sonstwo, so wird es gemacht. Und dann wird die europäische Agenda demgemäß umgestaltet. Und das fängt an, wirklich zu einem Problem zu werden.

Europäische Steuerpolitik ist unleserlich geworden, weil die Beschlußlage dauernd ändert. Daß die Debatte den Stabilitätspakt betreffend trägt nicht zur Glaubwürdigkeit und zur besser Lesbarkeit europäischer Geld- und Wirtschaftspolitik und Finanzpolitik bei und das Agrargemetzel im Vorfeld des Brüsseler EU-Rates morgen und übermorgen ist nicht so, daß sich daraus ablesen ließe, die Europäische Union hätte ihre Agenda fest im Griff. Daß wir jetzt immer noch nicht imstande sind in Sachen Agrarpolitik diesen Beitrittskandidaten eine gemeinsame Stellungnahme der Europäischen Union und eine gemeinsame Position derselben zuzuleiten. In Kopenhagen, wo wir die Kandidatenländer ihre Würde mißachtend in dunkle Mansarden einsperren, um ihnen dann später mitzuteilen, nach welcher Soße sie bitte das europäische Agrargericht zu vertilgen haben, ist doch ein Vorgang, der zeigt, daß wir einige wichtige Dinge noch nicht kapiert haben. Diese Länder haben sich unter größten Mühen und ohne, daß wir viel dazu beigetragen hätten, aus der sowjetischen Umklammerung befreit sind, neue Demokratien geworden, haben einen Transformationsprozess mitgemacht, der uns eigentlich beschämen sollte. Und sind auch einem dementsprechenden Transformationsstress ausgesetzt gewesen, daß ich denke, sie finden es nicht sehr korrekt, wie die Mitglieder der Europäischen Union sich ihnen gegenüber jetzt benehmen. Wobei auch klar sein muß, Stress hin oder her, daß es dort auch einige Regeln gibt, die zu respektieren sind.

Wenn ich mir ansehen, wie in Polen wie in der Slowakei wie in der Tschechei im Stahlsubventionsbereich alle Blüten treiben gelassen werden, dann müssen auch die Beitrittskandidaten wissen, daß es Regeln gibt, an die man sich halten muß. Trotzdem wird diese Entscheidung getroffen. Aber was mich an diesem Gemengegelage so ärgert, ist, daß weder die Europäer selbst noch die, die sie von weither beobachten, ein Produkt vorgesetzt bekommen, was nicht nur zukömmlich wäre sondern was sie auch verstehen würden.

Jetzt wird auch im Konvent über eine Neuartikulierung der institutionellen Architektur der Europäischen Union geredet. Einige reisen mit der Idee durch die Welt, wir bräuchten jetzt einen gewählten Präsidenten des Europäischen Rates, ohne sich die Frage zu stellen, wie dies denn im Gleichklang mit dem Kommissionspräsidenten funktionieren könnte. Europa braucht ein Gesicht und deshalb müssen wir einen gewählten EU-Ratspräsidenten haben, der überhaupt keinen Zugriff hat auf die eigentlichen Entscheidungswege in der Europäischen Union, weil er überhaupt keine Minister in den Fachministerräten sitzen hat, die ihm irgendwie weisungsmäßig zuzuordnen wären. Ich bin nicht gegen das Gesicht, hätte nur gerne, daß das Gesicht den Mund auch aufmachen kann, um etwas zu sagen. Und wenn wir da ein Gesicht haben, der nur zum Zwecke eingestellt wird, daß er mit bierernstem Gesicht Kränze in Arlington niederlegt, wenn er in Washington ist, dann ist dies ein Gesicht, das wir so nicht brauchen. Und deshalb müssen diese europäischen Überlegungen, die in breitester Anarchie und von niemandem kontrolliert vorgetragen werden, wieder in geordnete Bahnen zurückführen. Wir brauchen nicht nur in Eurofragen Stabilität. Wir brauchen in allen Fragen Seriosität. Beides wäre nicht dumm und nicht stupide.

Vielen Dank.

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