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Le Premier ministre Jean-Claude Juncker lors des "Europäische Verfassungstage" à Francfort
Meine Herren Präsidenten,
Herr Ministerpräsident,
Frau Oberbürgermeisterin,
Herr Kommissar,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
Einspruch! Luxemburg gehört nicht zu den kleinen Ländern, weil Luxemburg ist ein Großherzogtum. Es gibt eigentlich nur zwei große Länder in der Europäischen Union: Großbritannien und das Großherzogtum. Deshalb sollte man sich mit der Frage „groß und klein“ nicht allzu sehr beschäftigen. Die Sprache und die Weisheit der Völker hat dies längst geregelt.
Ich bin froh heute in Frankfurt zu sein. Es gibt keinen besseren Ort als diese Stadt und diese Paulskirche, um über den Verfassungsgebungsprozess der Europäischen Union zu reden. Wir könnten dies jedoch besser, eindringlicher, verständlicher tun, wenn wir es manchmal unterließen über Europa schlecht zu reden. Wir haben es verlernt uns in der Europäischen Union an unseren Erfolgen zu erfreuen. Der moderne Mensch scheinbar mag es nicht mehr sich zu freuen. Vor allem die modernen deutschen Menschen mögen es nicht mehr und die Luxemburger in zunehmenden Maße auch, weil ja die öffentlich-rechtlichen deutschen elektronischen Medien grenzüberschreitend wirken. Wir haben es verlernt, uns unserer Erfolge zu erfreuen und das halte ich für einen methodologischen Fehler. Wir haben es in Europa geschafft - nicht meine Generation, sondern die Generation unserer Väter und Mütter - nach dem Zweiten Weltkrieg etwas auf den Weg zu bringen und auf die Beine zu stellen, was uns erlaubt heute überhaupt noch gehen und laufen zu können. Dieser ewige Nachkriegssatz „Nie wieder Krieg“ wurde zu einem Gebet für Millionen, zu einer Hoffnung für viele, zu einem politischen Programm für einen gesamten Kontinent. Dieses Programm, dieses Gebet und diese Hoffnung haben Wirkung gezeigt.
Wenn die Menschen, die 1945 aus den Konzentrationslagern zurückkamen, von den Frontabschnitten in ihre zerstörten Dörfer und Städte zurückkehrten so zur Larmoyanz tendiert hätten wie wir das heute tun, dann wäre Berlin nie wieder aufgebaut worden, Luxemburg nie wieder auf die Beine gekommen. Die Menschen haben damals die Ärmel hochgekrempelt und etwas getan, während wir uns beklagen. Wir haben die Pflicht die Dinge jetzt weiterzutragen! Auch dadurch, dass wir uns zu den Erfolgen bekennen, die wir erreicht haben.
Der Euro beispielsweise ist ja nicht eine Erfindung deutscher Professoren, sondern das Resultat einer gewollten Politik. Wenn man heute Zeitungen liest, öffentlichen Auftritten aufmerksam zuhört, möchte man meinen, alle wären immer schon für den Euro gewesen. Wenn die katholische Kirche so viele Spätberufene hätte wie der Euro, es gäbe keinen Priestermangel! Der Euro hat uns in den letzten Jahren - man kann es nicht oft genug sagen - gestützt und beschützt. Nach dem Kosovokrieg, dem ersten Krieg auf europäischem Boden nach dem Zweiten Weltkrieg, nach dem Irakkrieg, nach den Finanzkrisen in Asien, in Argentinien, in Mexiko, in Russland, nach all den Irrungen und Wirrungen der jüngsten Zeitgeschichte, wo stünde die europäische Wirtschaft heute, wenn es den Euro nicht gäbe? Sie steht nicht gut da. Sie steht nicht blendend da, aber sie würde am Boden liegen, wenn es den Euro nicht in seiner Schutzfunktion gegeben hätte, weil er zumindest als Gesamteffekt hatte, dass sich die europäischen Volkswirtschaften untereinander nicht in stupider Konkurrenz mittels kompetitiver Abwertungen und künstlicher Aufwertungen bewegten, sondern weil sie es verstanden, in einem geordneten System mit diesen externen Schocks umzugehen. Deshalb ist der Euro ein Erfolg der zeigt, dass wenn die Europäer eine feste Absicht, eine große Idee und einen festen Zeitplan haben, sie dann zu großen Leistungen fähig sind, Leistungen die uns selbst nicht mehr beeindrucken, weil wir ja nicht mehr zu beeindrucken sind, aber die andern Menschen in der Welt sehr beeindrucken.
Die Amerikaner beispielweise haben nie geglaubt, dass wir es schaffen würden den Euro auf die Beine zu kriegen. Im August 1995 stattete ich US-Präsident Bill Clinton einen Besuch ab. Auf seine Frage, was denn so los sei in Europa, legte ich los, merkte aber nach ein paar Minuten, dass das Gespräch den Präsidenten langweilte. Etwas später traf ich den amerikanischen Finanzminister und dachte: Das ist der richtige Mann! Noch einmal erzählte ich die ganze Euro-Geschichte, merkte aber auch hier, dass das Thema ihn langweilte. Beim Hinausgehen fiel mir auf, dass meine Gesprächspartner immer so müde gelächelt hatten und eigentlich zum Ausdruck bringen wollten: Das schaffen die Europäer nie mit ihren verrückten Ideen. Zwei Jahre später war ich wieder in Washington. Plötzlich ruft der amerikanische Finanzminister samstags nachmittags um 16 Uhr im Hotel an, um mir mitzuteilen: „Ich möchte dringend mit Ihnen über den Euro reden“. Daraufhin sagte ich mir: Also wenn der amerikanische Finanzminister den luxemburgischen Finanzminister samstags um 16 Uhr anruft, dann ist etwas passiert. Weil ich mir meiner plötzlichen Wichtigkeit bewusst war, sagte ich: „Ich habe jetzt keine Zeit“. Daraufhin hat der amerikanische Finanzminister sich Sonntag morgens mit mir um 07.15 Uhr zum Frühstück verabredet. Von dem Augenblick an ist mir bewusst geworden, aus dem Euro würde was werden. Die Amerikaner haben es damals schon geglaubt. Einige Amtsträger hierzulande und sonstwo haben es damals noch nicht geglaubt, gehören aber heute zum Club der Spätberufenen.
Ich will damit sagen, dass wir die europäische Verfassung nur dann hinkriegen, wenn wir uns unserer Erfolge besinnen. Ich bin mit Präsident Giscard d’Estaing sehr einverstanden, dass es bei der Regierungskonferenz, die sich jetzt auf den Weg gemacht hat, nicht darum gehen kann den Verfassungsentwurf, so wie vom Konvent vorgelegt, wieder auseinander zu schrauben. Il ne faut pas refaire, il ne faut pas défaire, mais il faudra parfaire ! Die Regierungskonferenz hat als Aufgabe, die Dinge besser zu machen, sie vollständiger zu machen. Ich bin sehr beeindruckt von dem Endergebnis des Verfassungskonvents, obwohl mit vielen Teilen dieses Ergebnisses nicht zufrieden. Ich kann mich bei der Lektüre, die einfacher geworden ist, als die komplizierte Lektüre vielfältiger Verträge, die uns bis dahin zugemutet worden war, nicht immer in Harmonie mit mir selbst bewegen, weil ich einiges nicht verstehe was da steht. Ich bin weder Schüler, noch Professor, sondern eine viel gefährlichere Spezies, nämlich ein Handelnder in Europa und deshalb wäre es doch gut, wenn man sehr genau wüsste, was mit einigen Passagen gemeint ist. Was gemeint ist, vermag ich zu verstehen. Was man damit machen könnte, wenn keine einheitliche Meinung über das, was gemeint ist besteht, das macht mich manchmal sehr besorgt. Dies trifft vor allem auf den institutionellen Teil des Gesamtentwurfes zu, wo ich nun wirklich der Meinung bin, dass es Sache der Regierungen ist, hier für Klarheit zu sorgen und im Detail zu bereden, wie sich beispielsweise der Vorsitz des europäischen Ministerrates in den nächsten Jahren zu organisieren hat. Dies ist für manche eine sehr unwichtige Frage. Für die, die das Geschäft mit Leben erfüllen müssen, ist dies jedoch eine zentrale Frage. Die werden wir auch auf Grundlage des Entwurfes des Konventes zu regeln wissen.
Viel wichtiger als diese institutionellen Fragen - Institutionen stehen ja immer nur im Dienste bestimmter Ambitionen oder politischer Entwürfe - sind die essentiellen Fragen, die, wie ich finde, von Präsident Giscard d’Estaing und dem gesamten Konvent in zufriedenstellender Art und Weise gelöst wurden. Wobei es doch einige Wünsche gibt, die man anbringen muss. Man zögert fast, überhaupt noch Wünsche und Träume zu artikulieren, weil man ja als Spielverderber gilt, wenn man noch zusätzliche Träume einzubringen hätte. Es gibt Dinge, von denen wir heute denken es wären Träume, die jedoch Notwendigkeiten von morgen sind. Mein Eindruck ist beispielsweise der, dass wir in allen europäischen Verträgen die Sozialfrage ungenügend gelöst haben. Wir müssen uns überlegen, wie wir das besser machen können. Wobei ich hier zu Protokoll geben muss, dass es im Konventsentwurf zum allerersten Mal überhaupt gelungen ist, in Substanzbereichen der Sozialpolitik, die, die die Menschen in Europa betreffen - beileibe nicht alle Bereiche, aber einige Bereiche - in Zukunft mit Mehrheit entschieden werden könnte, falls es nicht den Widerstand einiger Mitgliedstaaten und Mitgliedsregierungen auch zu diesem Punkt gäbe. Aber dass wir in Europa, mit Hilfe dieser Verfassung, endlich einen Mindestsockel an Arbeitnehmerrechten hinkriegen auf den die europäische Arbeitnehmerschaft ein Anrecht hat, halte ich für ein Gebot der praktischen Politik der nächsten Jahre, wahrscheinlich Jahrzehnte.
Dass wir in den Fragen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik weiterkommen müssen steht außer Debatte. Dass wir diese Fragen klären müssen steht außer Frage sowie die Tatsache dass wir, falls wir eine Verfassung auf den Weg schicken, die 40, 50 Jahre Bestand haben soll, in dieser Verfassung selbst Wegweiser aufstellen müssen. Mit Mehrheit in außen- und sicherheitspolitischen Fragen zu entscheiden, halte ich für ein sehr wichtiges Signal, das die Regierungskonferenz auf Grund der von dem Verfassungskonvent angedeuteten Lösungen geben muss.
Die Schwierigkeit in Europa ist die - darüber redet man nicht mehr oft - dass wir uns nicht mit den fundamentalen atmosphärischen Problemen Europas beschäftigen. Dieses fundamentale atmosphärische Problem ist, dass unsere öffentliche Meinung, die nationalen öffentlichen Meinungen - die europäische öffentliche Meinung gibt es leider noch nicht - hin- und hergerissen sind zwischen zwei fundamental divergierenden Orientierungen. Die Hälfte der Bevölkerung ist der Auffassung, wir hätten genug Europa, wir müssten Europa schichtweise abbauen. Diese Hälfte der Bevölkerung beklagt sich über manches, was an Unsinn in Brüssel gemacht wird. Die andere Hälfte der Bevölkerung befürwortet ein Mehr an Europa.
Ein Bereich wo wir mehr Europa brauchen, ist die Wirtschafts- und Währungsunion. Wir brauchen eine bessere Koordinierung der Wirtschaftspolitik in der Europäischen Union. Sie wissen ja noch was der Stabilitätspakt war. Ich bin im Übrigen der Meinung, dass es ihn noch gibt, wenn auch nicht in genügendem Maße. Man muss sich vorstellen, was deutsche und französische Haushaltspolitik zur Zeit wären, wenn es diese europäische Bremse nicht gäbe. Hier brauchen wir eine Straffung der koordinierenden Instrumente in der Europäischen Union, damit sich die Währungsunion auf Dauer so entwickeln kann, dass sie der europäischen Volkswirtschaft und den Menschen in Europa wirklich dauerhaft dienlich sein kann.
Wir brauchen auch mehr Europa in Fragen gemeinsamer Verteidigungspolitik. Ich mag die Rede nicht über das ewige Gegeneinander zwischen Amerika und Europa. Die Frage stellt sich nicht so. Die Frage ist die, ob wir als Europäer, wie die amerikanischen Freunde das von uns Jahrzehnte eingefordert haben, mehr Verantwortung für unsere eigene Verteidigung und für unsere eigene Sicherheit übernehmen möchten. Ich denke, dass Europäer weltweit nur glaubwürdig sind, wenn sie sich selbst im Sinne der Amerikaner und nicht gegen die Amerikaner und ihren eigenen Sicherheitsentwürfen auf unserem Kontinent und um unseren Kontinent herum kümmern. Das sollten wir tun!
Vielen Dank!