Jean-Claude Juncker, Transcription du discours tenu à la Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH), Aix-la-Chapelle

Sehr verehrter Herr Rektor,
Herr Oberbürgermeister, lieber Jürgen,
Herr Präsident,
Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Man hat mir, um über das Europa von morgen zu reden, exakt 15 Minuten zur Verfügung gestellt. Das reicht bei mir normalerweise um mich durch den ersten Teil der einführenden Worte in die Einleitung zu führen. Und dass das so einfach nicht ist, hat der Rektor eben auch deutlich gemacht, weil er hat um mich, und höchst unvollständig, vorzustellen, exakt 7 Minuten gebraucht.

Ich werde mich also sehr beeilen müssen.

Morgen in Europa, heißt der Vortrag. Seit gestern Morgen 11 Uhr habe ich den so festgelegt. Die Rede stand vorher schon fest, und soll zum Titel eigentlich passen. Wenn wir über das Europa von morgen und uns selbst in diesem Europa von morgen reden, dann sind wir ja mit zwei Füssen in der Zukunft. Und dies ist ja das Lebensmotto, wie es scheint, dieser bescheidenen Universität, dass hier die Zukunft beginnt - ergo gibt es keinen besseren Ort um sich auf dieses Thema zu zu bewegen, und mit dem zu beschäftigen, als diese Universität.

Wenn wir über Europa von morgen reden, und unsere Stelle in dem Europa von morgen, dann heißt das ja wohl in allererster Linie nicht dass wir uns mit dem Europa von heute beschäftigen müssten, weil wir reden ja über das Europa von morgen. Aber es gibt doch einiges aus dem heutigen Europa, das man auch in die Zukunft hineintragen muss.

Nicht nur hier, sondern überall denken jüngere Menschen, dass die Zukunft erst mit ihnen beginnt. Geschichte hatte, bevor wir sie betraten, ja eigentlich nicht stattgefunden.

Und trotzdem gibt es einiges an Wertvollem aus dem jetzigen Europa, aus dem Europa das wir von Eltern und Grosseltern geerbt haben, was wir in die Zukunft hinüber retten müssen.

Ich lese oft, die Bundeskanzlerin sagt das im Übrigen auch, dass der Friedensdiskurs, derjenige der die europäische Einigung nach dem Zweiten Weltkrieg inspiriert hat, ihn tragfähig gemacht hat, ihn belastbar gemacht hat, die Jungendlichen heute nicht mehr erreichen würde. Und ich mache auch jungen Menschen daraus keinen Vorwurf.

Wer etwas, was er nicht gekannt hat, nicht weiter kennenlernen möchte, der ist resolut auf Zukunft ausgerichtet. Aber trotzdem bleibt dieser originäre Ansatz der europäischen Integrationsidee, dieser ewige dramatische Kampf der Europäer mit sich selbst, der Kampf zwischen der Kriegsoption und der Friedensoption, ein andauerndes europäisches Thema.

Und wer denkt dass wir uns des Friedensdiskurses nicht mehr zu bedienen bräuchten in den nächsten Jahrzehnten, der irrt sich gewaltig. Europa ist zwar fest mit beiden Füssen auf Frieden eingestellt, aber vor weniger als 10 Jahren hat es mitten in Europa zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg in Europa wieder Krieg gegeben. Auf dem Balkan, im Kosovo. Wir haben das sehr schnell vergessen, wie wir heute alles sehr schnell vergessen möchten, was uns nicht in unseren eigenen Zukunftskram und in unsere Gegenwartsbeleuchtung passt. Dass dieses Thema also ein europäisches Thema bleibt, und dass es unsere Pflicht ist, unsere Art der Friedensatmosphäre und der Solidaritätsatmosphäre in andere Teile Europas hinein zu sagen, ist für mich eine ausgemachte Sache.

Wir müssen auch andere europäische Erfolge mit in die europäische Zukunft nehmen, und vor allem den Euro, ist ja in Deutschland besonders beliebt wie man lesen kann. Wer sich vorstellt, wie es heute wäre, wenn wir den Euro nicht hätten, was aus Europa, aus seinem Währungssystem, aus den nationalen Währungen, aus den nationalen Unterwirtschaftsräumen der Eurozone geworden wäre, der wird unschwer feststellen können, dass wir heute in totalem währungs- und wirtschaftspolitischem Chaos versinken würden.

Nach dem Irakkrieg, nach den Finanzkrisen in Südamerika, in Russland, in Südostasien, nach dem 11. September, nach all dem, was in den letzten 5, 6, 7, 8, 9, 10 Jahren in Europa an und in der Welt an geo-strategischem Durcheinander festzustellen war, hätten europäische Währungen, wären sie auf sich selbst und alleine gestellt gewesen, diese Herausforderungen ohne jeden Zweifel nicht bestehen können.

Und wir müssen auch die auch in Deutschland nicht sehr beliebte Erweiterung der Europäischen Union nach Ost- und Mitteleuropa mit in die Zukunft nehmen. Seit 1989 sind 22 - seit Sonntag 23 - neue Staaten in und um Europa herum geboren worden. Wenn ich nicht Luxemburger wäre, würde ich vor dieser Kleinstaaterei warnen. Aber Luxemburg ist ja ein Großherzogtum, entzieht sich insofern dieser minimalistischen Beschreibung.

Aber wir hätten es uns nicht leisten können - wir nicht, die Menschen in Ost- und Mitteleuropa nicht - wenn wir diese Staaten nicht in diesem europäischen Auffangnetz hätten Platz nehmen lassen - weil wir es wollten, weil sie es wollten, und weil es keine andere Wahl gab dies zu tun. Und dieser Prozess geht weiter.

Und dann bin ich beim Europa von morgen. Wie soll dieser Erweiterungsprozess weitergehen? Er muss sich selbstverständlich mit vertiefenden Elementen paaren, damit er überhaupt eine Chance auf Tragfähigkeit erhält und behält. Aber wir müssen auch angesichts einer gewissen Erweiterungsmüdigkeit in diesem Teil Europas, und angesichts fast nicht zu bewältigender Integrationsprobleme umdenken lernen, ohne andere Nationen zu beleidigen.

Wir sind ja hier im Westen in der Sonne nach dem Zweiten Weltkrieg aufgewachsen. Und das ist eigentlich nicht unser Verdienst, dass die sowjetischen Truppen nicht in Aachen und in Luxemburg und in Trier standen, sondern in Leipzig und in Dresden und sonst wo in Mitteleuropa. Wären sie hier, hätten sie hier sich breit gemacht, dann würden wir jetzt darum kämpfen Anschluss an die Europäische Union zu finden. Weil entgegen dem was wir gerne denken möchten, ist die europäische Integrationsidee überhaupt keine westeuropäische Erfindung, sondern eher eine mitteleuropäische Erfindung.

Es hat vor dem Zweiten Weltkrieg rund 200 Skizzen und Entwürfe zur europäischen Integration gegeben. Die Geschichte fängt nie nur erst mit uns an. Es hat sie schon vorher gegeben. Und einer dieser Entwürfe ist ein besonders wertvoller, weil er kam zustande aus den gemeinsamen Bemühungen heraus des polnischen Exilpremiers und des tschechischen Exilpremiers. Polen und Tschechen haben 1941 im Londoner Exil vorformuliert wie die Europäische Union, die sie auch schon so nannten, wachsen müsste nach dem Zweiten Weltkrieg, weil Polen und Tschechen haben damals gesagt: „Wir fangen jetzt in Mittel- und Osteuropa an, und wir laden die westeuropäischen Staaten ein, uns in unserem Bemühen zu unterstützen, und selbst Mitglieder dieser Europäischen Union zu werden“.

Wenn die Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg nicht die gewesen wäre, die sie schließlich war, dann hätten Ost- und Mitteleuropäer mit der Europäischen Union angefangen. Und wenn die Sowjets hier gewesen wären, dann würden wir jetzt an die Tür klopfen. Wir sollten vielleicht manchmal daran denken, wenn uns der Lärm der Anklopfenden scheinbar und erkennbar auf die Nerven geht. Dieser Lärm darf niemandem auf die Nerven gehen, weil es ein Zufallslärm ist. Es könnte auch der Lärm sein, den wir selbst machen müssten, wenn die Geschichte anders sich bewegt und gehäutet hätte, als sie dies getan hat.

Aber die Vorstellung, dass wir jetzt, nachdem Bulgarien und Rumänien am 1. Januar 2007 oder 2008, Mitglieder der Europäischen Union werden, alle diejenigen, die in der Warteschleife hängen, die sich auch auf den Weg nach Europa gemacht haben, dass wir die alle in der Form wie bis jetzt, alle Kandidatenstaaten, Mitglieder der Europäischen Union wurden, in die Europäische Union aufnehmen könnten, ist etwas was ich gerne glauben möchte, was ich gerne hätte, was ich eigentlich mit aller Gewalt wollte, von dem ich mir aber sage, dass dies nicht geht, und dass dies nicht möglich sein wird.

Wir müssen uns über einige Dinge klar werden, im Gespräch untereinander, im Gespräch auch mit denen die zu uns stoßen möchten.

Ich glaube nicht, dass das Konzept vom Kerneuropa ein weiterführendes politisches Konzept ist. Diese Vorstellung die in einigen jetzigen Mitgliedstaaten, älteren Mitgliedstaaten der Europäischen Union, mit Inhalten gefüllt wird, nämlich dass diejenigen die schneller gehen möchten, diejenigen die mehr Integration wollten, dies tun sollten ohne sich durch andere bei diesem Vormarsch und bei diesem Vorpreschen stören zu lassen, ist nicht meine Vorstellung.

Ich hätte gerne, dass wir immer versuchen zu 25 oder 27 Europäisches zu erreichen, Europäisches zu gestalten, integrationsweiterführende Schritte zu gehen. Nur wenn dies wirklich nicht geht, nur wenn sich herausstellt auf dem Wege dorthin, dass die Zahl derer die so schnell nicht marschieren können, dass die Zahl derer die an diese weit gestreckten europäischen Ambitionen glauben, abnimmt, nur wenn sich herausstellt, dass einige einfach nicht mehr Europa wollen, nur dann sollten wir uns dazu entschließen diese europäische Kerntruppe der Willigen zu bilden.

Aber aus der Avantgarde, aus der Pioniergruppe, aus dem differenzierten, unterstrukturierten Europa ein Konzept zu machen, das wir auch mit 9 Europäern anbieten könnten, dies ist und wäre nicht meine Idee.

Kerneuropa ist ein Ausweg aus europäischer Weglosigkeit, ist nie der Weg den wir a priori beschreiten sollten. Wenn das so ist, und wenn es denn so käme, und obwohl ich das nicht möchte, glaube ich dass es eines Tages so kommen wird, dass nur einige den europäischen Traum bis in die letzte Ecke weiter träumen möchten, dann werden wir andere Mitglieder in der Europäischen Union haben, die genau den Status haben, den sie heute auch haben. Das heißt im wirtschaftlichen, im monetären - nicht unbedingt im monetären – Bereich, die Politik weiter gestalten die jetzt zur Zeit in der Europäischen Union gestaltet wird. Dann hätten wir eine Kerntruppe, und eine Kerngruppe, und wir hätten einen Mitgliederkreis der Europäischen Union um diese Kerngruppe herum.

Und auf dieser zweiten Umlaufbahn, oder auf dieser ersten Umlaufbahn um den europäischen Kern herum, da finden nicht alle Platz, die jetzt Mitglieder der Europäischen Union werden möchten. Es wird eine weitere Umlaufbahn geben müssen, für diejenigen die Mitglieder der Europäischen Union werden möchten, von denen wir denken, dass sie Mitglieder der Europäischen Union werden sollten, weil sie alle Zulassungskriterien erfüllen, aber die nicht so beschaffen sind, dass sie wie die Deutschen, wie die Italiener, wie die Luxemburger, wie die Niederländer und andere, vollumfängliche Mitglieder dieser Europäischen Union werden könnten.

Es muss so etwas geben wie eine weniger intensive Mitgliedschaft für diejenigen die volle Intensität der Mitgliedschaft nicht schultern können. Wer auf dieser zweiten Umlaufbahn Platz nehmen wird, wage ich nicht vorherzusagen. Aber ich stelle mir schon vor, dass dies durchaus Staaten sein können an deren europäischer Identität manchmal partiell gezweifelt wird, oder die sich gesellschaftspolitisch, innenpolitisch, demokratiegehaltsmässig noch nicht an das Maß Europa gewohnt haben, von dem wir denken, dass man es durchlebt und durchlitten haben müsste um vollumfängliches Mitglied der Europäischen Union zu werden.

Sie denken an die Türkei! Ich sehe das in Ihren Augen. Ich kann das nicht ganz ausschließen, dass das was Sie denken sich als richtig herausstellen würde.

Aber es gibt wahrscheinlich auch im Kreise der jetzigen EU-Mitglieder diejenigen, die es sich auf Dauer überlegen müssen, ob sie wirklich, weil sie zur Kerngruppe nicht gehören wollen, und sich auf der ersten Umlaufbahn nicht wohl spüren, nicht lieber doch auf der zweiten Umlaufbahn - die es noch nicht gibt - Platz nehmen sollten. Die müsste in der Mitte des Kontinentes liegen. Da sind andere geographische Konstellationen durchaus denkbar.

Man muss nicht eine Insel sein um auf dieser zweiten Umlaufbahn Platz zu nehmen. Das können auch Kontinentaleuropäer tun. Aber ein Angebot wäre es.

Wenn wir Kerngruppen - erste Umlaufbahn, zweite Umlaufbahn - so miteinander in Gleichklang bringen, dass es letztendlich so irrsinnig wichtig nicht ist, in welcher Gruppierung und auf welcher Umlaufbahn man Platz nimmt. Hauptsache ist, dass wir von dem Weg nicht abweichen.

Und der Weg ist der, der europäischen Integration, der Weg ist der, dass die Europäische Union in ihrer diversesten Ausbildung offen steht für alle europäischen Demokratien. Dies wird ein anstrengender Weg werden, und er wird auch nur dann ein Weg bleiben, wenn wir auf diesem Weg Pflöcke einhauen, an denen die Europäer sich fest machen können, wenn sie über die Zukunftsgestaltung unseres Kontinentes nachdenken.

Dies hat dann mit praktischer Politik zu tun. Beispielsweise damit, dass wir die europäischen Linien nicht dingfest machen können, wenn wir uns nicht an den Eroberungszügen der neuen Zeit beteiligen. Es bleibt beschämend wie niedrig, und wie lachhaft gering eigentlich, die europäischen Forschungshaushalte sind.

Forschung und Innovation, das sind die Wege die in die Zukunft führen. Für Forschung bringen die Europäer 1,96% ihres Bruttosozialproduktes auf, die Amerikaner weit über 2%, die Koreaner über 3%. Die Europäische Union investiert pro Jahr 130 Milliarden Euro weniger in Forschung und Innovation als die Amerikaner das tun. Amerikanische Universitäten verfügen über Haushaltsmittel die pro Student genau 50% höher sind als sogar in den Universitäten die jetzt schon mit der Nase mitten in der Zukunft hängen. Das heisst, hier gibt es Nachholbedarf für Europäer.

Das ist auch eine europäische Ambition, dass wir anstatt über Globalisierung zu klagen, anstatt über Delokalisierung zu lamentieren und über das Abwandern von Arbeitsplätzen in unseren Staaten, anstatt nur die Notwendigkeit zu beschwören, dass wir führend sein müssen in Europa bei neuen Produkten, bei hochangesiedelten technologischen Spitzenprodukten, müssen wir die Zukunft so vorbereiten, dass wir via Forschung und Innovation auch die Voraussetzungen schaffen, damit die Europäer nicht endgültig abgehängt werden von denen die bei ihrer Zukunftsvorbereitung - und dies ist gleichzeitig die Zukunftsvorbereitung der Welt - mehr als nur eine Nasenlänge vor den Europäern liegen.

Nun es ist nicht so, dass wir Europa nur für uns selbst denken sollten. Europa ist eine gewaltige Friedensoffensive für den europäischen Kontinent gewesen, und muss es auch bleiben. Aber wir dürfen nicht nur an uns selbst denken, wenn es um Europa geht. Wer sind wir eigentlich, dass wir denken nur uns dürfte es in der Welt gut gehen, solange pro Tag in der Welt 25000 Kinder an Hunger sterben? So lange ist Europa nicht am Ende seiner Bemühungen angekommen.

Es muss ein großes europäisches Projekt der ersten 30 Jahre dieses Jahrhunderts werden, dass wir Europäer, weil wir das wollen und weil dies unsere moralische Pflicht ist, dafür sorgen - und wenn wir es allein tun müssen, dann eben allein - dass Armut und Hunger in den nächsten 30 Jahren von der Weltoberfläche und von der Weltkarte verschwindet.

Und all dies machen wir jetzt.

Vielen Dank.

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