Jean-Claude Juncker, Transcription du discours à l'occasion des festivités du 50e anniversaire de la rencontre entre Konrad Adenauer et Charles de Gaulle

Sehr verehrter Herr Fuchs,
liebe Frau Beck,
meine Damen und Herren Abgeordnete, Minister, Staatssekretäre,
Frau Botschafterin,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

Als ich meinem Freund Kurt Beck im Juni 2007 zugesagt habe heute Abend in Bad Kreuznach zu sein, wusste ich nicht, dass die Tage vor meinem Auftritt hier derartig überbelastet wären mit ausländischen Terminen.

Ich habe in frühen Jahren, in der Alterskategorie zwischen 20 und 30, oft meine Tage hier verbracht, in Rüdesheim, und kenne die Gegend sehr gut. Burgleute und Menschenschlag glaube ich auch verstanden zu haben. Insofern ist es mir wirklich eine Freude heute Abend hier zu sein, weil ich immer den Eindruck gehabt habe, dass die Deutschen sehr normal sind in dieser Gegend, und sie insofern sehr ähnlich sind.

Nun liegen 50 Jahre zwischen Herbst 58 und Herbst 2008, und eigentlich waren dies für den europäischen Kontinent, auch für das, was unser Leben hier in der gesamten Grossregion ausmacht, 50 glückliche Jahre. Und dass diese fünf Jahrzehnte 50 glückliche Jahre werden konnten, diese Tatsache hat sehr viel mit den beiden zu tun, die sich im November 1958 hier in Bad Kreuznach getroffen haben. Wobei ich nicht weiss, ob die anekdotische Schilderung des "Spiegels" aus dem Jahre 1958 wissenschaftlicher war als diese Schilderungen heutzutage sind. Der Spiegel ist nicht unbedingt bekannt für wissenschaftliche Genauigkeit wenn es auf historische und auch aktuell bezogene Details ankommt.

Aber undankbar ist das nicht, was der Spiegel 1958 schrieb. Dass Adenauer nicht nach Paris wollte, weil er diese Verbeugung vor der Siegesmacht eigentlich nicht machen wollte. Und dann nach Colombey-les-deux-Églises von De Gaulle eingeladen wurde, was später eine besondere Freundlichkeits- und Freundschaftsaufmerksamkeit wurde, und dann De Gaulle halt auch nicht nach Bonn wollte, weil er Bad Kreuznach von den Bürgersteigen her sehr gut kannte und also wusste, dass er hier sicheren Schrittes aufsehen könnte in dieser Stadt.

Nun sollte man fernab aller Anekdoten das Historische dieser Ereignisse und dieses dicht gefüllten deutsch-französischen Programms des Jahres 1958 nicht vergessen.

Ein einfacher Schritt war das nicht für Adenauer, dem viele komplizierte Schritte nach Kriegsende, nachdem er 1949 Bundeskanzler geworden war, abverlangt wurden, und ein einfacher Schritt war das sicherlich auch nicht für De Gaulle.

Beide wussten ja, was heute kaum noch jemand weiss, dass in den vergangenen 400 Jahren die Deutschen und Franzosen im Schnitt alle 15 Jahre Krieg geführt haben. Das ist heutigen Generationen nicht mehr geläufig, dieses ewige Gemetzel zwischen Deutschen und Franzosen. In 400 Jahren im Schnitt alle 15 Jahre Krieg zwischen Deutschland und Frankreich!

Jüngere Luxemburger wissen das auch nicht mehr, ältere wahrscheinlich nicht unbedingt, aber Luxemburg wurde immer nicht nur Zeuge dieser Auseinandersetzungen, sondern direktes Opfer dieser schrecklichen, nicht enden wollenden Feindlichkeiten zwischen Deutschen und Franzosen.

Und dass beide Staatsmänner, Adenauer und De Gaulle, sich 1958 auf den Weg gemacht haben diesem endgültig ein Ende zu setzen, dies wird man beiden nicht genug danken können.

Und beide stehen eigentlich stellvertretend für die Männer und Frauen ihrer Generation. Das sind Männer und Frauen der Kriegsgeneration.

Mich berührt sehr oft der Gedanke, dass wir, die wir denken mit uns hätte die Weltgeschichte begonnen - wir sind die einzigen die das wissen, die Weltgeschichte hat das noch nicht zur Kenntnis genommen - eigentlich sehr oft vergessen, was wir eigentlich denen verdanken, die vor uns da waren. Und diese Männer und Frauen - Franzosen, Luxemburger, auch Deutsche - die aus den Schützengräben und aus den Konzentrationslagern nach Hause kamen, in ihre zerstörten Städte und Dörfer, die während 5, 6 Jahren eigentlich jeden Tag dachten, die Welt könnte jeden Moment, inklusiv ihr Leben, zu Ende gehen, haben sich nach dem Krieg aufgerafft und haben diesen ewigen Nachkriegssatz, "Nie wieder Krieg", der so oft schon ausgesprochen worden war - ohne sichtbaren Erfolg ausgesprochen worden war - zu einem politischen Programm gemacht, nicht nur zu einem Gebet, und haben dieses politische Programm Schritt für Schritt und Tag für Tag in Wirklichkeit umgesetzt.

Wir, die denken sie wären die Grössten der Geschichte, wir, die denken sie würden alles richtig machen und alle die vor uns gewesen wären hätten das eigentlich Wichtige nicht begriffen, sollten etwas bescheidener werden wenn wir an die Ursprünge der europäischen Integration zurückdenken. Ohne unsere Väter und Mütter, ohne die, die gelitten haben, ohne die, die wissen wieso man Europa machen muss, wären wir nichts. Wir sind dieser Generation zu grossem Dank verpflichtet. Und Adenauer und De Gaulle stehen genau für die Generation.

Und wie immer wenn Grosses geschieht, wie immer wenn Meilensteine gesetzt werden müssen, wie immer wenn Brückenschläge stattzufinden haben, müssen diese Tatsachen geschaffen werden gegen den Willen vieler, die nicht auf der Höhe ihrer Zeit sind. Und wie immer wenn Grosses geschieht, muss man über die Kleinigkeiten des begleitenden Alltages grosszügig hinwegsehen, was immer wieder schwer fällt.

Adenauer und De Gaulle - das geht in der französisch-deutschen Freundschaftsgefühlsduselei sehr oft unter - mussten die Annäherung beider Völker, beider Nationen, beider Staaten gegen viele Widerwärtigkeiten und gegen viele Einsprüche zum Gelingen bringen.

Beide waren dafür gut ausgestattet. Adenauer war am Ende des ersten Weltkrieges Oberbürgermeister der Stadt Köln geworden; übrigens, die Ernennungsurkunde des deutschen Kaisers wurde in dieser Stadt ausgestellt. Und De Gaulle war nach dem Appell des 18. Juni 1940 zur der Inkarnation des französischen Widerstandes gegen die Nazi-Okkupation Frankreichs geworden.

Beide hatten also einiges hinter sich gehabt. De Gaulle, der gegen die vermeintliche, legitime Regierung - Régime de Vichy - seines Landes aufstand, und Adenauer, der von den Nazis als OB von Köln abgesetzt wurde, hatten die Kraft, trugen die Kraft in sich, um sich über die Einsprüche des Momentes hinweg zu setzen.

Adenauer, von dem berichtet wird, dass er sich auch in seiner Fraktion, der CDU-Fraktion, damals aufgespaltet in den atlantischen Teil und in den europäisch-deutsch-französischen Teil, sehr brutal über Einwände, vor allem aus Bayern - es gibt irgendetwas Beständiges in der deutschen bundesrepublikanischen Geschichte - hinweg zu setzen wusste als er den Elysée-Vertrag anstrebte. Adenauer, der dem CSU-Abgeordneten Eigener, dem späteren Vize-Präsidenten des europäischen Parlamentes, sagte, als der ihm gesagt hatte "Herr Bundeskanzler, Sie können doch nicht von uns verlangen, dass wir zu allem Ja und Amen sagen", "Herr Eigener, es reicht wenn Sie Ja sagen".

Und De Gaulle, von der französischen Linken in der Nationalversammlung stark attackiert wegen dieses deutsch-französischen Elysée-Vertrages, - wir sind im Jahre 1962, 1963 - seinen Opponenten in der Nationalversammlung gesagt hat: "Sie, verehrter Herr, Sie sind Abgeordneter, ich bin Frankreich".

Also wenn jemand sagt "Es reicht wenn sie Ja sagen", und der andere sagt "Ich bin Frankreich", entsteht daraus ein Elysée-Vertrag und dauerhafte Freundschaft. Staatsmänner von dem Schlag gibt es heute nicht mehr. Hätte es sie nicht gegeben, wären wir nicht dort, wo wir sind.

So ist Bad Kreuznach - viele Kreuzer wissen das auch nicht - eine wichtige Etappe auf diesem Weg zur deutsch-französischen Wiederversöhnung und damit auch eine wichtige Etappe auf dem Weg zur europäischen Integration. Weil diese europäische Integration hätte keinen Ursprung gehabt ohne diese Herbsttreffen zwischen De Gaulle und Adenauer in Colombey-les-deux-Églises und auch hier, und später dann in Reims, und hätte auch bis heute keine Weiterentwicklungsmöglichkeiten, wenn es dieses deutsch-französische Grundverständnis über den einzuschlagenden Weg, den auch in Zukunft einzuschlagenden Weg, nicht gäbe.

Es gibt zu viele Deutsche und zu viele Franzosen die denken, Europa wäre eigentlich ein deutsch-französischer Gleitzug in den sich andere einfach einzureihen hätten. Das ist nicht meine Auffassung und auch nicht das Resultat langjähriger, jahrzehntelanger Beobachtung.

Klar ist, dass es ohne ein deutsch-französisches Grundeinverständnis über die Notwendigkeit der europäischen Einigung und über Detailpraktika der anzustrebenden Einigungselemente kein europäisches Zusammenfinden geben könnte.

Falsch wäre die Vorstellung zu denken, Deutschland und Frankreich wären die einzig tonangebenden Elemente der europäischen Integration.

Tonangebend Ja, weil sie lauter reden als andere, aber nicht unbedingt in dem Sinne, dass andere nicht auch mitflöten würden. Weil wenn nur einer vorsingt und niemand nimmt ab, dann entsteht kein Gesang. Und der europäische Gesang hat sehr oft deutsch-französische Solisten, aber nie nur deutsch-französischen Grundtenor und Grundton. Die Vorstellung andere würden nichts zählen, ist eine falsche Vorstellung.

Die Vorstellung nur die Grossen würden in Europa zeigen wo es langgeht und die Kleinen hätten einfach nur auf den Zug aufzuspringen, ist eine Vorstellung der ich nicht anhänge und die auch nicht dem entspricht, was wir in den letzten 40, 50 Jahren in Europa erlebt haben.

Wissen sie, wir Luxemburger sind da nicht besonders empfindlich, aber besonders vorgewarnt. Wir wissen als Luxemburger über die Deutschen viel mehr, als die Franzosen jemals über die Deutschen in Erfahrung bringen können. Und wir wissen von den Franzosen Dinge, die die Deutschen sich überhaupt nicht vorstellen können. Und deshalb werden wir manchmal auch gebraucht um beide dann zusammen zu bringen, wenn sie denken, sie hätten lange miteinander geredet ohne sich wirklich etwas gesagt zu haben.

Insofern weiss ich aus vielfältiger, auch nächtlicher Erfahrung, dass es manchmal Dolmetscher braucht in der Europäischen Union, weil bis jetzt hat es ja noch nie einen französischen Präsidenten oder einen deutschen Bundeskanzler gegeben, die sich in einer der beiden offiziellen Sprachen der jeweiligen Länder hätten miteinander unterhalten können. Die reden nämlich immer englisch miteinander sofern sie der Sprache Shakespeare’s fähig sind, was auch nicht immer der Fall ist.

Nun reden wir beide Sprachen - deutsch und französisch - und das tun wir auch nur, weil Franzosen und Deutsche sich beharrlich weigern luxemburgisch zu lernen. Insofern bleibt uns nichts anderes übrig. Aber das erlaubt uns Einblicke in die tiefere Seele der einen und der anderen.

Das was in Colombey-les-deux-Églises und in Bad Kreuznach stattgefunden hat, war die Begegnung zwischen zwei Personen. Das war dann aber auch der Laufsteg der zur Begegnung zwischen beiden Völkern geführt hat. Und deshalb ist dies ein wichtiger Moment in der Rückbesinnung auf alles war europäisch ist. Und ich wäre auch sehr froh, das scheint mir auch so angelegt zu sein, dass man in dieser Stadt diesem Treffen zwischen De Gaulle und Bad Kreuznach gebührende Erinnerung zukommen lässt. Und soweit ich sehe, Herr Oberbürgermeister, ist das ja auch im November geplant.

Das muss nicht unbedingt grossspurig gemacht werden. Das muss nicht unbedingt mit Pauken und Trompeten gemacht werden. Aber man sollte darauf hinweisen, dass das so normal auch nicht war dass beide sich hier begegnet sind, und dass aus diesen Begegnungen Fruchtbares entstand, was auch allen Völkern Europas zum vollen Genuss gebracht werden konnte. Dies hielte ich schon für einen wichtigen Moment auch der Stadtgeschichte, in die ich mich nicht einmischen möchte, aber von der ich mir denke, dass in der oberflächlichen Betrachtung geschichtlicher Ereignisse die unsere Zeit hier auszeichnen und in der Übereile die unser Tageswerk auszeichnet, es doch gut wäre, wenn man daran gebührend erinnern würde.

Es macht nämlich Sinn an beide grossen europäischen Staatsmänner, den alten Adenauer und den damals noch jüngeren De Gaulle - beide hatten etwa 13, 14 Jahre getrennt, das ist unwahrscheinlich viel in diesem 20. Jahrhundert - zu erinnern. Die heute Lebenden wissen das nicht, weil das heute überhaupt keinen Unterschied macht, weil wir, weil es De Gaulle und Adenauer gab, seit 1945 in Frieden leben. Die beiden haben mehrfach Krieg gegeneinander geführt und deshalb ist der Altersunterschied - 13, 14 Jahre - ein epochaler Altersunterschied.

Es macht nämlich Sinn daran zu erinnern, weil aus dem was in Colombey-les-deux-Églises und hier in Kreuznach, und dann später in Reims, und in den Verhandlungen zwischen Deutschland und Frankreich an Bleibendem erwachsen ist, deutlich wird, dass dort die Grundsteine gelegt wurden für das, was in Europa zusammenwachsen musste, weil es zusammen gehörte.

Und nun zeichnet es unsere Zeit aus, dass wir auf das, was erreicht wurde nicht richtig stolz sein können.

Ich komme aus Asien zurück, aus China, auch aus der chinesischen Provinz, und aus der Mongolei, und wenn man dort als Europäer aus dem Flugzeug steigt, schlägt einem sofort so etwas wie stille, manchmal auch laute Bewunderung entgegen. Auf den anderen Kontinenten weiss man sehr wohl zu schätzen, was die Europäer in den letzten 50, 60 Jahren zustande gebracht haben, weil man dort unsere Geschichte auch viel besser kennt, als wir unsere eigene Geschichte eigentlich kennen.

Die Menschen in Asien, in Afrika oder sonstwo wissen, dass Europa ein Kontinent war - aber nicht mehr ist - dessen Geschichte sich aus Blut und Leiden zusammensetzt.

Wissen die Menschen, dass Europa der Kontinent des Krieges war? Wissen die Menschen, dass Europa der Platz Welt war, von dem aus vieles Leid über den Rest der Welt hereinbrach? Und wissen die Menschen auch, dass wir es, weil wir aus der Geschichte gelernt haben, geschafft haben diese Irrungen und Wirrungen der Geschichte hinter uns zu lassen und uns für eine andere Option zu entscheiden? Nämlich für die konsequente Friedensoption, darauf zu verzichten unsere Konflikte mit den Mitteln des Krieges und der militärischen Gewalt zu führen, respektiv zu beenden.

Dass wir es in Europa nach dem zweiten Weltkrieg geschafft haben, alle Völker Europas auf den Weg des Friedens zu bringen, dies ist eine Leistung der Europäer, die die Europäer weniger bewundern als die, die die Europäer von ferne betrachten und sie deshalb bewundern.

Und wir Westeuropäer sollten auch nicht die Arroganz der geschichtlichen Betrachtung haben, die darin besteht zu denken, wir alleine wären es gewesen, die diesen Weg beschritten hätten.

Wer sich in der Geschichte der Londoner Exilregierungen einigermassen auskennt - und das müssen wir Luxemburger, weil auch unsere Regierung nach der deutschen Besatzung Exil wählte in London - der weiss, dass die ersten Pläne für eine europäische Integration - nachdem die Zwischenkriegspläne von Coudenhove-Kalergi und anderen, von Briand und Stresemann, gescheitert waren - eigentlich Pläne der sich im Londoner Exil befindlichen osteuropäischen Regierungen waren.

Der erste Plan zur Politischen Union Europas, so hiess der nämlich, war ein gemeinsamer Plan der tschechischen und der polnischen Exilregierungen. Und mich hat immer sehr bewegt, dass dieses polnisch-tschechische Dokument mit diesem unwahrscheinlich beeindruckenden Satz aufhört: "Wenn es nach dem Krieg westeuropäische Regierungen gäbe, die sich mit auf diesen Weg machen würden, sind sie herzlich willkommen".

Und jetzt tun wir so, als ob wir die Ost- und Mitteleuropäer eigentlich in die Europäische Union hineinzwingen hätten müssen. Dabei war es die Idee der Polen und der Tschechen, und vieler anderer aus Ost- und Mitteleuropa, um nach dem Ende des zweiten Weltkrieges die europäische Integrationskraft zur Entfaltung zu bringen.

Dass wir also Frieden in Europa geschaffen haben, auf diesem ewigen Kriegskontinent, bleibt eine grosse Leistung der Generation, von der ich vorhin redete, und auch der Vordenker und Visionäre, die ja die eigentlichen europäischen Realisten sind, vom Schlage De Gaulles und Adenauers.

Dass im Zuge dieser westeuropäischen Integration - an der Adenauer immer festgehalten hat, gegen viele Widerstände auch aus anderen politischen Lagern in der Bundesrepublik - dass aus dieser europäischen Wiedervereinigung, auch die deutsche Wiedervereinigung erwachsen konnte, wird von vielen, etwas oberflächlichen Beobachtern unserer Zeit sehr oft vergessen. Vor allem in den überregionalen deutschen Medien und vor allem dann wenn sie sich elektronisch umsetzen.

Ohne europäische Wiedervereinigung hätte es die deutsche Wiedervereinigung nicht geben können. Adenauer war der erste, der von den zwei Seiten einer Medaille geredet hat, als er von deutscher und von europäischer Wiedervereinigung sprach. Helmut Kohl hat dies sehr oft wiederholt und es dann auch zu seinem krönenden Lebenswerk machen können.

Nun löst man in Deutschland kaum noch Begeisterungsstürme aus, wenn man über die Wiedervereinigung redet. Ich habe manchmal den Eindruck, ich wäre der einzige europäische Politiker der der deutschen Sprache mächtig ist, der sich über die deutsche Wiedervereinigung überhaupt noch freuen darf. Sie sollten das auch tun! Sie sollten das auch tun, weil dies hat der europäischen Integration einen erheblichen Substanzschub, eine erhebliche Substanzzufuhr gegeben, weil deutlich wurde, dass - um es mit dem brandtschen Wort zu sagen - hier in Deutschland zusammenwachsen konnte, was zusammen gehörte, und zwar so zusammenwachsen konnte, dass niemand in Europa daran Anstoss genommen hat.

Es gibt auch andere europäische Erfolge, über die wir uns kaum zu freuen wissen. Dass wir beispielsweise den grössten Binnenmarkt der Welt auf die Bahn gebracht haben, dass wir die Grenzen in der Europäischen Union abgeschafft haben, sowohl die Handelshemmnisse, als auch die technischen Hürden, wie auch die Grenzen überhaupt abschaffen konnten, ist ein in der Welt unerreichter Zustand. Niemand hat das neben uns, mit uns, jemals versucht.

Die Europäer reisen heute, fast quietschfidel, ohne sich an irgendwelchen Grenzhäuschen still verharrend während Stunden in andächtigem Gebet, weil es nicht weiter geht, zu versammeln.

Manchmal denke ich mir - wenn die Leute so über Europa reden als ob dies nichts wäre, als ob dies alles normal wäre - man sollte einmal im Grossversuch 6 Monate wieder die Grenzen einführen. Es wäre doch schön, wenn die Luxemburger, wenn sie nach Trier fahren, anderthalb Stunden mehr bräuchten. Und wenn die Deutschen, die ja aus vielerlei Gründen manchmal nach Frankreich fahren, oder nach Belgien, oder in die Niederlande, oder nach Dänemark, dann auch etwas länger die Grenzflüsse beobachten könnten, den Rhein oder andere, manchmal auch die Mosel, aber das findet in den seltensten Fällen statt.

Dass wir es geschafft haben, in dieser Europäischen Union, auf diesem extrem schwierigen und komplizierten Kontinent, uns eine gemeinsame Währung an die Hand zu geben, ist eine unwahrscheinliche Leistung. Noch nie war es in der Welt möglich, in irgendeinem Raum eines bestimmten Kontinentes eine gemeinsame Währung nicht aus dem Boden zu stampfen, sondern sie detailliert, programmiert, technisch und politisch und erfolgreich einzuführen. Dass wir dies schafften, beeindruckt die Europäer kaum noch. Dass niemand uns das zugetraut hat, haben alle vergessen. Und dass die, die davor gewarnt haben dass dies zum Verhängnis der Völker würde, es bis heute total unterlassen haben einen einzigen bekennenden Artikel zu schreiben in dem steht "wir haben uns geirrt", ist erstaunlich.

Es täte der Bescheidenheit deutscher Wirtschaftsprofessoren wirklich gut, dies einmal zu schreiben. Ich habe in meiner Archivarkiste noch immer den feierlichen Aufruf, den führende deutsche Wirtschaftsprofessoren - die sich auch jetzt sehr dezidiert dazu bekennen, wie man es machen müsste um aus der Finanzkrise heraus zu führen - kurz vor Einführung des Euros in der FAZ und in anderen Zeitungen publiziert haben. Und wo sie die Deutschen und die anderen Europäer davor warnten dieses Ding zu wagen. Weil Ding nannten sie das Ding, was kein Ding war, sondern ein tolles Werk.

Sehen sie mal, ich weiss ja, dass der Euro bis heute in der Bundesrepublik nicht sehr beliebt ist. Das hat auch mit Wortspielereien zu tun, weil es nur in der deutschen Sprache reicht, einen Buchstaben aus dem hinteren Teil des Alphabetes dem Euro vorzuschalten, damit der Euro verteufelt wird. In anderen Sprachen geht das nicht.

So zu tun als ob es Preissteigerungen nur erst gegeben hätte seitdem der Euro eingeführt wurde, ist eigentlich seit der Währungsreform 1949 zu vergessen. Es hat auch während 50 Jahren, zwischen 1949 und 1999, immer wieder Preissteigerungen in Deutschland, wie auch sonstwo, gegeben.

Der Euro hat nun wirklich keinen nachhaltigen Teuerungseffekt gehabt und die aktuell hohen Inflationszahlen sollte man nicht zum Gradmesser der Euro-Beständigkeit machen. Die aktuellen Inflationsraten, die ja sehr hoch sind, sind anderen Phänomenen zuzuordnen.

Aber viele andere sind auch relativ spät zur Erkenntnis gelangt, dass der Euro vielleicht doch das war was man 10 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung und kurz vor Eintritt ins 21. Jahrhundert tun musste.

Ich mache manchmal so Ausflüge in bayerische Landschaften und war neulich in München, wo ich den Franz-Josef-Strauss-Preis erhielt - womit ich so spontan nicht gerechnet hatte -, und dort habe ich den früheren bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber erlebt, eine flammende Pro-Euro Rede zu halten. Und das hat mich daran erinnert, dass ich 10 Jahre vorher, 12 Jahre vorher, schreckliche Fernsehdebatten mit ihm führen musste - auch auf Geheiss von Helmut Kohl, der mir da Stellungsbefehle gegeben hat - wo er massiv gegen den Euro Stellung bezogen hat. Ich kritisiere das nicht, ich begrüsse nur die Spätberufenen in der Runde. Es ist gut, dass man Erfolge zur Kenntnis nimmt, wenn die 90 Minuten vorbei sind und der Sieger feststeht. Das ist immer begrüssenswert, weil es für sich successive aufbauende Beobachtungsgabe spricht.

Dass wir jetzt einen Grundkonsens in Sachen Euro haben, ist nicht unvorteilhaft für die aktuelle Debatte, die wir in der Europäischen Union und weit darüber hinaus zu führen haben. Wir haben es zurzeit mit einer tiefgehenden Finanzkrise zu tun; die Zeit reicht heute Abend nicht um im Detail auszuführen, was einem alles dazu einfallen könnte. Jedenfalls wird uns diese Finanzkrise noch sehr lange beschäftigen, bis weit ins Jahr 2009 hinein.

Wir haben davon auszugehen, dass wir auf Grund dieser Finanzkrise im Jahre 2009 ein Weltwirtschaftswachstum haben werden, das in etwa die Hälfte des Durchschnittes der letzten 5 Jahre betragen wird.

Wir haben davon auszugehen, dass wir in der Eurozone, das heisst in den 15 Ländern die die Eurowährung zu ihrer nationalen Währung gemacht haben, weil sie ihre nationalen Währungen im Euro fusioniert haben - 16 eigentlich, weil die Slowakei tritt am 1. Januar der Eurozone bei -, ein Wachstum von wahrscheinlich zwischen 0% und 0,3% haben werden. Ein Wachstum also, was deutlich unter dem Wachstumspotenzial der Eurozone bleiben wird, das mit 2% bis 2,5% ohnehin schon ein zu schwaches Wachstumspotenzial ist, um den zukünftigen Aufgaben die sich in Europa stellen, besonders in Zusammenhang mit der Alterung der Bevölkerung, gerecht zu werden.

Wir werden davon auszugehen haben, dass die Finanzkrise, die ihren Ursprung in den USA gehabt hat, langsam aber sicher, eher sicherer als langsam, die europäische Realökonomie, das heisst Industrie, Mittelstand, Landwirtschaft, andere Bereiche der realtätigen Volkswirtschaft, erreichen wird.

Auch die heute von der Bundesagentur für Arbeit veröffentlichten Arbeitsmarktzahlen, wo erstmals seit 16 Jahren in ihrer Republik die Arbeitslosenzahl unter die drei Millionen Marke abgesenkt werden konnte, wird nicht die Zahl sein, die wir am Ende des ersten Semesters des Jahres 2009 verzeichnen werden. Die wird deutlich über drei Millionen Arbeitslosen liegen.

Die wirtschaftlichen Perspektiven sind also wesentlich eingetrübt durch diese Finanzkrise. Und dies ist ein externer Schock der auf das Euro-Währungsgebiet zukommt, gegen dessen ursprüngliche Zusammensetzungsfaktoren wir nichts zu unternehmen wussten, weil wir auch nichts unternehmen konnten.

Wir haben unsere amerikanischen Freunde seit 4, 5 Jahren - ich sage dies in meiner Eigenschaft als Präsident der Eurogruppe - immer wieder auf die sich anbahnenden Gefahren aufmerksam gemacht, die sich aus dieser Unterschätzung elementarer Risiken ergab und die sich auch aus diesen fundamentalen Ungleichgewichten, die die Weltwirtschaft auszeichnen, ergeben musste.

Ähnliches haben wir Japanern gesagt. Und ähnliches haben wir auch Chinesen gesagt, wobei unsere chinesischen Freunde nicht das gemacht haben, was wir den Amerikanern vorwerfen müssen, weil sie immer wieder mehr das Gewicht auf den exportorientierten Teil ihrer Produktion legten als auf den konsumbetriebenen internen Teil chinesischer Wohlstandsvermehrung.

Wer heute sagt, niemand hätte die Krise kommen sehen, sagt nicht die Wahrheit. Wer sagt, wir hätten nicht laut genug über die sich anbahnende Krise geredet, der sagt etwas, was richtig ist. Aber dass es so kommen könnte, dass es wahrscheinlich so kommen würde - auch wenn wir nicht diese totale Dimension der sich entladenden Krise voraussehen konnten - wurde immer wieder gesagt.

Ich rede über diese Finanzkrise aus zwei Gründen. Die Eurostaaten, und die Europäische Union insgesamt, hat es nach anfänglichen Zögerlichkeiten geschafft, ein Gesamtkonzept auf die Beine zu stellen mit dem wir gegen diese Finanzkrise antreten können, in dem Sinne, dass wir die Realauswirkungen ihrer Explosionskräfte einigermassen im Zaum behalten können.

Ich hätte mir nie trauen können, dass es einmal so weit käme, dass in den Vereinigten Staaten von Amerika, überhaupt in der angelsächsischen Welt, auch in Grossbritannien, Banken verstaatlicht würden.

Wenn ich in früheren Jahren immer gemault habe gegen diese übertriebene Art der Privatisierung, der Dereglementierung, des Aufgebens staatlicher Einflüsse, dann wurde mir immer wieder bedeutet von amerikanischen und britischen und anderen angelsächsischen Kollegen, der Markt würde das schon richten. Während mein Eindruck immer der war, dass der Markt aus sich keine Solidaritätselemente produzieren kann, dass es doch den normativen Zugriff öffentlich tätiger Hände braucht, damit Wirtschaft nicht nur für sich selbst stattfindet - dann brauchen wir keine Wirtschaft - sondern damit Wirtschaft sich im Dienste des Menschen bewegt. Deshalb wurde Wirtschaft erfunden, weil es den Menschen gibt, nicht weil es Wirtschaft werden muss.

Jetzt war ich im Oktober bei Präsident Bush und da war ich doch sehr erstaunt als er mir erklärte - er, der mir erklärt hatte, "My young friend, the markets will do it" - dass jetzt die Zeiten kommen werden, wo man etwas kollektiver und solidarischer denken müsste. Und das kann man eigentlich nur begrüssen, wenn es nicht nur als einen vorübergehenden Reparatureffekt zu werten wäre, sondern als eine ordnungspolitische Rückbesinnung auf das, was zu passieren hat.

Ich rede von der Finanzkrise, weil die Europäer eine geschlossene Antwort zu formulieren wussten, von der ich gerne hätte, dass auch deutsche Banker sie voll umfänglich begreifen würden, anstatt sich jetzt vornehm zurückzuhalten und auf schlimmere Ereignisse zu warten, um dann die Politik kritisieren zu können.

Ich habe nie zu denen gehört die dachten, die Politik wäre eine tugendhafte Einrichtung, die keine nuancierte Betrachtung ertragen würde. Aber ich habe mich immer gegen dieses arrogante Vormaulen der Wirtschaftseliten gewehrt, weil ich so gut bin wie die. Und dass man so tut, als ob jemand der ein öffentliches Amt besitzt, weniger geeignet wäre um Dinge zu regeln und Dinge vorauszusehen als die Wirtschaftseliten, die - weil besser bezahlt - nicht unbedingt besser wissen wie es um die Welt besteht, dagegen habe ich mich immer gewehrt. Und ich habe jeden Grund mich auch jetzt dagegen zu wehren. Ich sage, dass die Eliten, die Wirtschaftseliten, den Beweis ihrer Fähigkeit jetzt mehr als jemals zuvor schuldig sind. Und sie sind es schuldig geblieben. Ich kann über vieles nicht hinwegsehen.

Woraus sich nicht ergibt, dass die Politik fehlerfrei gewesen wäre, fehlerfrei wäre, oder fehlerfrei bliebe. Sie kann es schon allein deshalb nicht bleiben, weil sie es nicht ist. Insofern ist dies nicht eine pauschale Bankenschelte oder Wirtschaftsschelte die ich hier vom Stapel lasse, sondern einfach ein Aufruf zu bescheidener Selbstbetrachtung, zu der die Politik ja regelmässig eingeladen wird und dem Aufruf auch nicht nachkommt. Insofern hätte ich gerne, dass die Bänker uns einmal zeigen, wie man so einem Aufruf nachkommen könnte.

Ich rede darüber auch, weil ich gerne hätte, dass wir sehen, was der Euro uns eigentlich auch jetzt alles bringt. Stellen sie sich einmal eine Sekunde vor, wir würden uns noch im europäischen Währungssystem mit 15, 16 und mehr Währungen an Bord befinden.

1997, asiatische Finanzkrise. Damals haben wir ja gesagt "So etwas passiert nur in den Schwellenländern, so etwas kann uns nie passieren". Es war doch so, oder? Ich habe das auch gesagt.

Die russische Finanzkrise, die lateinamerikanische Finanzkrise, die Anschläge des 11. September 2001, der Irakkrieg und das sich Auseinanderdividieren der europäischen Staaten um diesen Konfliktherd herum, das französische und das niederländische Nein zum europäischen Verfassungsvertrag. Wenn all dies passiert wäre ohne Euro und in einem Ambiente das dadurch gekennzeichnet gewesen wäre, dass wir 15, 16, oder dann halt mehr europäische Währungen gehabt hätten, dann hätten wir ein massloses chaotisches Währungsdurcheinander in Europa erlebt.

Und jetzt - nach der Subprime-Krise in den USA, nach den sich in die amerikanische Realwirtschaft hineinbewegenden Auswuchsgefüge der Finanzkrise, nachdem die Finanzkrise auf Deutschland, auf Europa und auf andere Kontinente, zunehmend in den Schwellenländern Asiens und Afrikas übergesetzt hat - was denken sie eigentlich was los wäre in Europa? Wo wäre die deutsche Mark heute, wenn es sie noch gäbe? Was wäre aus dem niederländischen Gulden, dem belgisch-luxemburgischen Franken, italienischen Lira, den südeuropäischen Währungen eigentlich geworden?

Wir hätten es heute zu tun mit der grössten Währungskatastrophe aller Zeiten, die sich aus dieser Finanzkrise ergeben hätte. Und der Euro schützt uns gegen diese Anfechtungen von aussen, weil wir unseren Handel untereinander führen können als ob nichts passiert wäre, weil es ja keine Währungsdifferenzierungen zwischen unseren innereuropäischen Aussenmärkten gibt.

Das heisst: unsere exportorientierte Wirtschaft kann unangefochten von dieser Finanzkrise innereuropäischen Handel betreiben, ohne dass es Währungsprobleme und Auswüchse aus diesen Währungsproblemen zwischen uns gibt.

Insofern halte ich dies für den endgültigen Beweis der Richtigkeit der Entscheidung diesen Euro und diese europäische Wirtschafts- und Währungsunion einzuführen. Ich halte dies für einen Glücksfall europäischer Geschichte und eigentlich in der Nachbetrachtung, die eines Tages stattfinden wird, für europäische Friedenspolitik mit anderen Mitteln.

Wenn wir jetzt nationale Währungen hätten, wir würden uns, wenn auch nicht militärisch, so doch wirtschaftlich bekriegen und bekämpfen um unsere eigene Nase zu retten. Während wir uns jetzt auf gemeinsame Ziele zu verstehen wussten, angesichts dieser Krise die von aussen nach Europa hinein getragen wird.

Die Finanzkrise macht aber auch deutlich, dass wir neue europäische Vertragsbestimmungen dringend brauchen. Wir tun so, als ob wir den neuen Vertrag schon hätten, der uns effiziente Entscheidungsfindung erlaubt, der uns zu mehr Europa einlädt, dort wo wir mehr Europa brauchen, und zu weniger Europa Zugang verschafft, dort wo wir weniger Europa brauchen.

Die Vorstellung, dass wir uns in Europa mit diesem etwas wackeligen Vertragsgefüge, das der Vertrag von Nizza uns hinterlassen hat, auf alle Ewigkeit in die Zukunft hinein bewegen könnten, ist ein Trugschluss. Wir brauchen einen neuen Vertrag. Wir brauchen mehr Mehrheitsentscheidungen der Europäischen Union, vor allem in dem Bereich Justiz und innere Angelegenheiten. Es muss ja so sein können, dass europäische Staaten sich mehrheitlich auf Bekämpfungsmethoden der Kriminalität, des Terrorismus, des Frauenhandels und der massiven Gewalt einigen können.

Die einzigen, die ja die volle Logik des Binnenmarktes begriffen haben, sind ja Gangster und Banditen, die wissen, dass es keine Grenzen mehr gibt. Nur die Polizei der verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union stösst sich immer noch an den Grenzposten die es nicht mehr gibt. Wir müssen auch die Grenzen in den Köpfen endgültig eliminieren. Der neue Vertrag würde uns helfen dies zu tun.

Man redet sehr viel vom Europa der Bürger, man redet sehr viel davon, dass man den Graben zwischen Europa der Bürger und Europa der Regierungen überbrücken muss. Ja was wollen die Menschen denn in Europa? Die wollen doch zuerst und vor allem Sicherheit. Machen wir doch ein Europa der Sicherheit! Regeln wir doch grenzüberschreitende Kriminalitätsprobleme!

Nehmen wir doch zur Kenntnis, dass Menschen Menschen sind, ob sie in Sizilien, in Nordholland, in Bad Kreuznach oder in Luxemburg sitzen. Menschen haben Recht - das ist ein Bürgerrecht - auf ein Europa das ihnen ihre Sicherheit gewährleistet. Deshalb brauchen wir diesen neuen Vertrag und wir werden diesen neuen Vertrag haben müssen, damit wir in Europa, und im Europa der Bürger, endlich von der Stelle kommen.

Wir brauchen flexiblere, weil einfacher zu handhabende Regeln in Sachen Umweltschutz und Klimaschutz.

Ich bin sehr dezidiert der Auffassung, dass wir diese Finanzkrise nicht nutzen dürfen, um von der Klimakatastrophe abzulenken. Die Finanzkrise wird eines Tages hinter uns liegen, weil wir etwas tun. Wenn wir nichts tun, wird die Klimakatastrophe uns und unsere Kinder ein Leben lang begleiten. Also müssen wir Europäer auch etwas in Sachen Klimaschutz tun und uns nicht hinter der Finanzkrise verstecken, um nichts in Sachen Klimaschutz tun zu müssen. Klimaschutz ist so wichtig wie die Finanzkrise. Klimaschutz dauert nur länger als die Finanzkrise, wenn wir nichts tun. Also tun wir etwas in Europa!

Und wir brauchen ein Europa - dies ist ein wichtiger Punkt - das in Sachen europäische Verteidigung etwas mehr auf die Beine bringt als das wackelige Gebäude das wir bis dato aufzustellen wussten.

Europa ist keine Gegenerfindung zur nordatlantischen Allianz. Aber Europa muss seine Verantwortung übernehmen wenn es um die Verteidigung seiner Werte geht, sowohl auf dem eigenen Territorium als auch sonstwo auf der Welt. Europa muss seine eigene Verteidigung in die eigenen Hände nehmen.

Als Luxemburger rede ich darüber nie sehr lange, weil ich begründete Zweifel daran habe ob unsere Armee die strategischen Gleichgewichte der Welt fundamental durcheinander rütteln könnte. Sie sollten im Übrigen auch daran zweifeln, dass die Bundeswehr dies könnte. Die kann das auch nicht. Beide zusammen auch nicht.

Es kann keine zusätzlichen deutschen Auslandseinsätze geben, weil die Bundeswehr ans Ende ihrer Kräfte gelangt ist. Insofern möchte ich bitten zur Kenntnis zu nehmen, dass auch die Bundeswehr - die ein erheblich beeindruckenderes Heer ist als die luxemburgische Armee, weil wir zählen sogar den Verteidigungsminister als Soldat mit, damit wir auf bestimmte Truppenbestände kommen - nichts in der Welt wird bewegen können was von Bestand wäre, wenn die Bundeswehr nicht im europäischen Verbund mit anderen zusammenarbeitet. Also brauchen wir europäisches Miteinander und Zusammenwirken in Sachen Verteidigung.

Ich versteige mich nicht zu der Forderung, dass wir eine europäische Armee bräuchten. Aber was wäre eigentlich schlecht daran, wenn wir eine europäische Armee hätten? Wir bekämpfen uns doch nicht mehr untereinander. Wir sollten uns doch gemeinsam für unsere Interessen in der Welt einsetzen können, ohne dass man sagt, "das ist ein deutscher Soldat, ein britischer Soldat, ein luxemburgischer, ein französischer Soldat". Wir sind doch alle Soldaten Europas. Also ich wäre nicht dagegen, wenn wir eine europäische Armee hätten. Aber auf dem Wege dorthin müssen wir unsere Verteidigungsanstrengungen nach oben korrigieren.

Und der neue amerikanische Präsident - egal wer es wird, aber die Europäer sind ja alle für Obama - wird uns daran erinnern - vor allem wenn der neue amerikanische Präsident Herr Obama sein wird - dass wir die Bush-Ausrede nicht mehr haben. Europa wird mit Amerika zu tun haben und nicht mehr mit Bush. Niemand wird mehr sagen können "Bush, Bush, Bush"! Sondern der amerikanische Präsident wird sagen: "Europa wo bist du? Wo sind deine Kräfte? Wo sind deine Anstrengungen? Was tust du für den Frieden in der Welt? Was tust du, Europa, im Kampf gegen den Terrorismus?"

Und dann werden wir Europäer die Amerikaner, und die amerikanische Nation, wieder entdecken in ihrer fordernden Rolle, die jetzt verdeckt wurde durch die Ablehnung, die wir gegen Bush in Europa zu organisieren wussten. Wir werden geprüft werden wie weit wir dazu bereit sind für unsere Werte in Europa und in der Welt einzutreten.

Und deshalb plädiere ich sehr energisch für eine europäische Verteidigungsdoktrin. Und für das Zusammenlegen europäischer Verteidigungs-, Streit- und Abwehrkräfte, sowie für das Zusammenlegen der Durchsetzungskräfte unserer Werte in der Welt. Und ich plädiere dafür, dass wir nicht denken sollten, wir Europäer hätten mit dem, was in der sonstigen Welt passiert, nichts zu tun.

Wir stehen in der Verantwortung für die Welt. Wir sind nicht nur da um uns für europäische Belange in Europa einzusetzen. Wir sind auch da - dies ist der Auftrag gewesener Geschichte an uns - um dafür zu sorgen, dass die Welt gerechter wird. Sie ist es nämlich nicht!

Wir erleben in der aktuellen Finanzkrise dass sie es nicht ist, weil wir einfach irgendwelchen Wirtschaftsdoktrinen anhängen, die eigentlich mit dem wirklichen Lebensgefühl der Menschen nichts zu tun hatten. Diese Idee, dass man reich wird ohne zu arbeiten, ist eine Idee, die ich ein Leben lang bekämpft habe. Man wird nicht reich und wohlhabend, wenn man nicht arbeitet. Diese Inserate führender Finanzhäuser in Deutschland und in Luxemburg, "Lassen sie ihr Geld für sich arbeiten", sind ein Unding. Menschen sollen für sich arbeiten, nicht das Geld für sich arbeiten lassen.

Dass wir mit dem was es an Ungerechtigkeiten in der Welt gibt zu tun haben, ist doch klar. Stellen wir uns vor, die Welt wäre ein Dorf mit 100 Einwohnern. Stellen wir uns dieses Dorf am 1. Januar 1900 vor. Da waren noch 20 der 100 Dorfeinwohner Europäer. In diesem Dorf leben jetzt noch 8 Europäer. Und am Ende dieses Jahrhunderts noch 4. Und wir denken immer noch, wir wären die Herren der Welt und wir könnten bestimmen wie es geht.

I n diesem Dorf leben 58 Menschen, die weniger als zwei Euro pro Tag haben um zu essen. In diesem Dorf lebt genau einer der eine Aktie hat. Viele wären froh, sie hätten nie Aktien gehabt… In diesem Dorf gibt es nur zwei, die eine Geldbörse oder ein Geldkonto haben. Das ist die Welt in der wir leben. In dieser Welt in der wir leben, wo die Europäer, die 20% der Erdbevölkerung am 1. Januar 1900 ausmachten, noch 4% am Ende dieses Jahrhunderts sein werden, brauchen wir uns nicht lange darüber zu unterhalten, wieso wir eigentlich Europa brauchen.

Wir brauchen Europa, und sei es auch nur deshalb, weil es immer weniger Europäer gibt, weil wir einfach uns aufeinander zubewegen müssen, weil es weniger von uns geben wird, weil wir im Wettbewerb stehen mit Chinesen, mit Indern, mit andern.

Wieso kommen wir eigentlich auf die Idee Inder und Chinesen dürften nicht essen? Wieso regen wir uns darüber auf, dass die Energiepreise und die Nahrungsmittelpreise steigen, auch weil Inder und Chinesen anfangen zu essen. Sind wir mehr wert als Inder, oder als Chinesen, oder als Afrikaner, oder sind wir nicht dazu aufgerufen dafür zu sorgen dass wir die Reichtümer dieser Welt so mit anderen teilen, dass wir glücklich bleiben und andere glücklicher werden können?

Weil wenn andere den Zugang zum Glück auf Dauer versperrt sehen, werden wir unser Glück nicht bewahren können.

Solange es jeden Tag, meine sehr verehrten Damen und Herren, 25.000 Kinder gibt die an Hunger sterben, solange haben wir unsere Aufgabe nicht erfüllt.

Membre du gouvernement

JUNCKER Jean-Claude

Date de l'événement

29.11.2008

Type(s)

Inauguration Célébration Cérémonie