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Jean Asselborn, Discours à l'occasion d'une conférence académique internationale à l'université Julian Maximilien de Wurtzbourg, Wurtzbourg
Die internationale Rolle der Europäischen Union nach dem Vertrag von Lissabon – Einblicke und Perspektiven
In unserer von technischen Umwälzungen und politischen Revolutionen gekennzeichneten westlichen Kultur, greifen wir gerne auf klar definierte Zeiträume zurück. Unsere Geschichte teilen wir in ein vor- und nachchristliches Zeitalter ein, wir sprechen von vorindustriellen Gesellschaften und von Postkolonialismus. Und allesamt wissen wir: das einundzwanzigste Jahrhundert begann am 11. September 2001.
Wenn wir von der internationalen Rolle der EU nach dem Vertrag von Lissabon reden, laufen wir Gefahr uns zu verzetteln. Daher möchte ich an dieser Stelle gleich darauf hinweisen, dass es sich beim besagten Vertrag nicht um eine Zäsur handelt. Also, die institutionellen Erneuerungen des Vertrags stellen zweifellos einen erheblichen Fortschritt in vielen Bereichen der Europapolitik dar; auch in dem der europäischen Außenpolitik, auf die ich hier gebeten wurde länger einzugehen. Jene Erneuerungen sind jedoch im Sinne der Kontinuität des europäischen Integrationsprozesses und im Einklang mit der altbewährten "Politik der kleinen Schritte" zu verstehen. Auf Französisch würde man wohl sagen, dass es sich beim Lissabon-Vertrag um ein "changement dans la continuité" handelt.
Blickt man auf die nun fast 60-jährige Geschichte des europäischen Vereinigungsprozesses zurück, so stellt man fest, dass diese Evolution keine geradlinige ist, sondern durch Ab- und Umwege gekennzeichnet ist. Insbesondere im Bereich der Außen- und Verteidigungspolitik hat es so manche Rückschläge gegeben. Jedoch haben diese Rückschläge die Bestrebungen nach mehr Kohärenz und Zusammenarbeit nie dauerhaft aufgehalten.
Im Gegenteil: das Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft in den frühen 50ger Jahren hat nur wenig später zur Gründung der Westeuropäischen Union geführt, deren Aufgaben, wie Sie wissen, heute fast vollkommen von der Europäischen Union übernommen wurden. Die Ohnmacht und Zerrissenheit Europas über den Ausbruch des jugoslawischen Bürgerkriegs Anfang der 90ger Jahre hat die Erkenntnis nahe gebracht, dass die 1992 durch den Maastrichter-Vertrag gegründete "Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik" (GASP) vertieft und die internationale Rolle der EU konsequent ausgebaut werden muss. Auch in der jüngeren Vergangenheit gibt es hierfür Beispiele. Die 2003 vom Irak-Krieg ausgelöste Krise zwischen dem vermeintlich alten und neuen Europa wurde nicht nur überwunden: sie führte auch zu einer politischen Willenserklärung die erstmals in der Europäischer Sicherheitsstrategie (ESS) von 2003 festgeschrieben wurde und weitgehend die außenpolitische Komponente des Lissabonner Vertrages geprägt hat.
Der Einfluss der EU als politische Entität hat sich seit den 70ger Jahren und der Europäischen politischen Zusammenarbeit (EPZ) in bemerkenswerter Weise entwickelt. Natürlich werden Skeptiker nicht müde bei jeder Gelegenheit die Uneinigkeit der Union zu stigmatisieren. Nicht immer zu Unrecht, übrigens. Aber oft, zu oft meines Erachtens, gibt es die, die die EU als wirtschaftlichen Riesen und politischen Zwerg karikaturieren. Als einer der dienstältesten Außenminister des EU-Rats kann ich diese simplistische Auffassung nicht teilen: seit ihrer Gründung hat sich die GASP rasch entwickelt und konnte Erfolge verbuchen. Die EU ist heute die einzige Organisation in der Welt, die sich sowohl militärisch, wie auch zivil in Krisensituationen in Drittstaaten engagiert. Im Rahmen der EU sind 23 Krisenmanagement-Missionen auf drei Kontinenten unternommen worden, die insgesamt 70.000 Leute beschäftigen. Die Missionen, welche die EU-Länder bisher außerhalb ihres Gebietes durchgeführt haben, dienten der Friedenssicherung und der Stärkung der internationalen Sicherheit gemäß den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen.
Die strukturellen Veränderungen, die der Lissabon-Vertrag mit sich bringt, zielen auf eine bessere Übersichtlichkeit der Akteure und eine größere Kohärenz der europäischen Politiken ab. So wird z. B. der bisher informelle Rat der Staats- und Regierungschefs zu einer offiziellen EU-Institution. Von ihm werden auch in Zukunft die erforderlichen politischen Impulse für die Entwicklung der EU ausgehen. Er erhält allerdings keine neuen Kompetenzen und hat nach wie vor keine Gesetzgebungsbefugnisse. Diese liegen weiterhin bei der Kommission, dem Rat und dem europäischen Parlament. Wir bezeichnen dies als "Gemeinschaftsmethode". Aber, um für mehr Kontinuität in der politischen Führung und eine bessere Vertretung der EU nach außen zu sorgen, wird künftig für jeweils zweieinhalb Jahre ein ständiger Präsident des europäischen Rates gewählt. Bisher wechselte dieser Posten alle sechs Monate unter den Mitgliedsländern. Als erster Präsident ist der Belgier Herman Van Rompuy auf diesen Posten genannt worden. Er wird künftig die EU-Gipfeltreffen leiten und versuchen müssen, in schwierigen Fragen für Übereinstimmung zu sorgen.
Es ist wichtig, dass der erste Präsident des Rates aus einem Mitgliedstaat kommt, der an allen Politikbereichen teilnimmt, und dass er über klare europapolitische Überzeugungen verfügt. Der gemeinschaftliche Entscheidungsprozess, die, wie schon erwähnt, sogenannte Gemeinschaftsmethode, sowie das institutionelle Gleichgewicht sind Pfeiler des europäischen Integrationsprozesses. Der Präsident darf sich weder als Gegenspieler des Präsidenten der Kommission entpuppen, noch als Verteidiger der Interessen der größten Mitgliedstaaten der EU. Dies verlangt Fingerspitzengefühl, da er die nötige Sensibilität für die Belange aller Mitglieder aufbringen muss, ob groß oder klein. Im Vorfeld der Wahl hatte sich Luxemburg zusammen mit seinen Partnern Belgien und den Niederlanden in einem Beneluxpapier für diese Ideen stark gemacht.
Eine andere wichtige Neuerung ist die Vereinfachung des Beschlussverfahrens der EU. Die Handlungsfähigkeit des Ministerrates der europäischen Union, in dem die jeweilig betroffenen Minister zusammenkommen, zum Beispiel die Transportminister oder die Umweltminister, ist wesentlich davon abhängig, ob Rechtsakte durch einstimmige oder mehrheitliche Beschlüsse verabschiedet werden können. Die Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit im Ministerrat wird nun laut Vertrag auf 47 neue Politikfelder ausgedehnt. Das bedeutet, dass Entscheidungen in den Bereichen nicht mehr von einem einzelnen Land blockiert werden können. Das ist zum Beispiel der Fall für die Immigrationspolitik, die Polizei- sowie weite Teile der Justizzusammenarbeit. Der EU werden so bessere Möglichkeiten eröffnet, gegen grenzüberschreitende Kriminalität und illegale Zuwanderung sowie gegen den Menschen-, Waffen- und Drogenhandel vorzugehen. Dies liegt im Interesse aller EU-Bürger.
In der Europäischen Außenpolitik bleibt die Einstimmigkeit leider die Regel, auch unter Lissabon.
Die gleichzeitige Ausweitung des gesetzgeberischen Mitentscheidungsverfahrens zusammen mit dem europäischen Parlament, das nun zum Regelfall wird, stärkt des Weiteren die Legitimität der Beschlüsse.
Für den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ist das Mitentscheidungsverfahren von besonderer Bedeutung. In der Innen- und Justizpolitik, wo oft Fragen des Eingriffs in die Privatsphäre der Bürger anstehen, festigt das Mitbestimmen des europäischen Parlaments die erforderliche demokratische Legitimität. Nach meiner Ansicht gilt dies speziell auch für die notwendige Schaffung von Mindestrechten in Strafverfahren oder eines gesamtgesetzgeberischen Rahmens in punkto Datenschutz. Nur so stärken wir das zur Weiterentwicklung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung notwendige Vertrauen in die Rechtssysteme der Mitgliedstaaten.
Der Lissabon-Vertrag verhilft also dem europäischen Parlament zu weiteren Befugnissen. Seine Rolle wird gestärkt. Es entscheidet fortan über den EU-Haushalt und internationale Verträge mit. Es bekommt auch mehr Rechte bei der Nominierung der Kommission. Das europäische Parlament stimmt über die Kommission in ihrer Gesamtheit ab. Erst nach der Zustimmung des Parlaments kann die neue Kommission formell vom europäischen Rat ernannt werden. Eine Prozedur, die zurzeit nicht uninteressant verläuft.
Des Weiteren stärkt der neue Vertrag auch die Rolle der nationalen Parlamente bei der Beschlussfassung. In diesem Zusammenhang, erlauben Sie nur ein Wort im Kontext "imperatives Mandat". Ich weiß, dass dies hierzulande Teil langer Verhandlungen war und schließlich im Text der Begleitgesetze zum Richterentscheid in Sachen Lissabon nicht festgeschrieben wurde. Dies wäre auch nicht im langfristigen Interesse von Deutschland und der EU. Die nationalen Vertreter im EU-Rat sollten so viel Handlungsfreiheit behalten, dass sie in Brüssel zielorientiert verhandeln können. Das geht nur, wenn sie weiterhin eine gewisse Flexibilität behalten und nicht bei jedem Detail die Erlaubnis ihres Parlaments einholen müssen, vor allem nicht bei aktuellen außenpolitischen Fragen.
Andersrum gesagt: würde Deutschland in Zukunft einen ausgeprägten Hang zum imperativen Mandat entwickeln, läge die Gefahr nahe, dass alle strittigen Fragen vom Ministerrat auf den Europäischen Rat abgeschoben werden würden. Dies hätte zur Konsequenz, dass sich die Konsensbildung auf dem absolut niedrigsten Niveau einpendeln würde. Dies zum Nachteil der politischen Effizienz in der EU und der EU schlechthin.
Der Lissabon-Vertrag legt ebenfalls die Grundwerte der Union im Einzelnen klar dar. Diese Grundwerte sind für alle Mitgliedstaaten verbindlich. Dies war bisher nicht der Fall. Werte wie Wahrung der Menschenrechte, Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit sollen allen Mitgliedstaaten gemeinsam sein. Die europäische Gesellschaft soll sich durch Pluralismus, Gerechtigkeit, Nichtdiskriminierung, Solidarität und die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau auszeichnen. Auch der grundsätzliche Schutz der sprachlichen und kulturellen Vielfalt wird festgeschrieben.
Sie werden es dem Sozialdemokraten nicht übel nehmen, wenn er an dieser Stelle kurz auf die sozialen Errungenschaften des Vertrags eingeht. In der nahen Zukunft wird es in Europa darum gehen, auf politischer Ebene die Balance zu finden zwischen den Vorgaben des europäischen Stabilitäts- und Wirtschaftspakts und dem Weiterbestand unseres Sozialmodells. Ich bin überzeugt, dass das was wir im Bereich der Sozialpolitik in der EU vollbringen können in anderen Teilen der Welt verfolgt wird. Man sollte die Vorreiterrolle der EU in diesem Bereich nicht unterschätzen.
Der Lissabon-Vertrag führt im Sozialbereich einige notwendige – wenn auch, meiner Ansicht nach, unzureichende – Innovationen ein. So zum Beispiel die horizontale Sozialklausel. Sie besagt, dass bei der Festlegung ihrer Politik die EU sozialen Ansprüchen Rechnung tragen muss, wie zum Beispiel der Förderung eines hohen Beschäftigungsniveaus, eines angemessenen Sozialschutzes und der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung. Auch der Förderung eines hohen Bildungsniveaus und Gesundheitsschutzes soll Rechnung getragen werden.
Dies ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zum Ziel, den sozialen Rechten den gleichen Rang zu geben als den wirtschaftlichen Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarktes. Diesen wurde ja bisher in einigen Fällen vom europäischen Gerichtshof der Vorrang gegeben, zum Beispiel in den Urteilen Rüffert oder Laval. Der Sockel der Sozialrechte war bis jetzt mit Sicherheit noch nicht stark genug, was auch mit der Geschichte der EU als eine ursprünglich marktorientierte Union zusammenhängt. Die EU muss sich stärkere soziale Regeln geben, aufgrund derer gegebenenfalls der Gerichtshof entscheiden kann. Europa braucht eine ausgeglichene soziale Marktwirtschaft, im rheinischen Sinne.
Von großer Bedeutung für die Verteidigung dieser Wirtschafts- und Sozialkultur ist die jüngste Entwicklung in den USA einzuordnen. Die großen Reformen auf dem Gebiet des Gesundheitssystems von Präsident Obama, sind ein entscheidender Durchbruch der zeigt, dass Wirtschafts- und Sozialpolitik nicht ohne gegenseitige Komplimentarität funktionieren sollte. Hoffentlich schafft es Obama, die Reform auch durchzusetzen, auch nach der rezenten Niederlage in Massachusetts bei der Wahl für den freigewordenen Sitz Ted Kennedy’s im Senat.
Der neue Vertrag zielt auch auf eine stärkere Einbindung der Sozialpartner ab. Der mindestens einmal jährlich stattfindende Sozialgipfel soll spezifisch zum Dialog über Wachstum und Beschäftigung einen Beitrag leisten, indem er Teilnehmer aus der Kommission, der Ratspräsidentschaft und Vertreter der Sozialpartner zusammenbringt. Auch hier kann die EU ein Beispiel der Nachahmung für andere in der Welt sein.
Man darf allerdings nicht glauben, in der EU wären grundsätzlich soziale Anliegen bisher auf taube Ohren gestoßen. Schaut man sich die vieldiskutierte Entsenderichtlinie an, stellt man fest, dass durch sie eine ganze Reihe von Rechten und Pflichten für alle Arbeitnehmer und Unternehmen europaweit verbindlich werden. Sie betreffen Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten, Mindestlohnsätze, Gesundheitsschutz und Hygiene am Arbeitsplatz sowie arbeitsrechtliche Mindeststandards an Freizeit und Urlaub. Der Gerichtshof hat zum Beispiel auch die Richtlinie bestätigt, nach der jeder Arbeitnehmer Recht auf mindestens vier Wochen bezahlten Urlaub hat. Somit wurde der Grundsatz bestätigt, dass nicht nur der Markt, sondern der Mensch im Mittelpunkt unseres politischen und wirtschaftlichen Bestrebens stehen muss.
In dem Sinne plädiere ich für die Einführung eines europäischen Mindestlohns. Löhne von 3,50 Euro die Stunde und weniger sind keine Seltenheit mehr und der sogenannte Niedriglohnsektor umfasst mehr und mehr Beschäftigte: in Deutschland müssen 4,5 Millionen Arbeitnehmer für weniger als 7,50 Euro die Stunde arbeiten! Davon kann man nicht leben. Ein Europa des Wettbewerbs nach unten bei Sozial- und Arbeitsbedingungen lehne ich ab.
Das Argument, wonach Armutslöhne den Abbau von Arbeitsplätzen verhindern, hat keinen Bestand. Eine solche Politik ist nicht nur menschenverachtend. Sie ist auch negativ für die Produktivität unserer Volkswirtschaft. Mindestlöhne setzen dem Wettlauf um die niedrigste Entlohnung ein Ende. In Großbritannien und Irland wurden erst vor wenigen Jahren Mindestlöhne eingeführt. Der von vielen Wirtschaftsinstitute angekündigte Anstieg der Arbeitslosigkeit ist jedoch nicht eingetreten; durch die vermehrte Kaufkraft haben sich vielmehr positive Beschäftigungseffekte ergeben.
Sicher, ein einheitlicher Mindestlohn in ganz Europa wird nicht funktionieren, dazu ist die wirtschaftliche Situation in den 27 EU-Mitgliedstaaten zu unterschiedlich. Dennoch sollte auf europäischer Ebene eine Regelung getroffen werden, die garantiert, dass in allen Mitgliedstaaten eine Lohnuntergrenze von über der Hälfte des jeweiligen nationalen Durchschnittslohnes gilt. Hier bleibt in der EU große Überzeugungsarbeit zu leisten.
Ich vertrete die Meinung, dass es nach den Phasen der Entstehung der EU im Rahmen der deutsch-französischen Versöhnung, dann der Erweiterung im Nachspann des Mauerfalls im Jahre 1989 heute darum geht, in Europa soziale Errungenschaften abzusichern. Vor allem nach der Krise sollten wir uns darauf zurückbesinnen, dass nicht der Profit, sondern das nachhaltige Wohlergehen der Menschen wichtig ist. Wachstum ist kein Selbstzweck, sondern eine Voraussetzung für die Wahrung und Vermehrung des Wohlstands in Europa und somit für den Erhalt und die Verbesserung unseres Sozialmodells.
Eines der Ziele der Union ist das Hinwirken auf eine nachhaltige Entwicklung in Europa, die auf einem hohen Maß an Schutz und Verbesserung der Umwelt beruht. Jetzt, gerade nach der Ernüchterung in Kopenhagen, müssen wir noch verstärkten Wert auf unsere Umweltpolitik legen. Wir dürfen unsere ambitiösen Ziele in dem Bereich nicht aus den Augen verlieren. Im Vertrag von Lissabon wird die Förderung von nationalen und internationalen Maßnahmen zur Bewältigung von Umweltproblemen und zur Bekämpfung des Klimawandels erstmals verankert.
Der Vertrag von Lissabon läutet ebenfalls einen neuen Abschnitt zum Thema Energie ein, ein hochkarätiges, auch außenpolitisches Thema. Die Union sollte für einen funktionierenden Energiemarkt sorgen, die Versorgung sichern, die Energieeffizienz und das Energiesparen, sowie die Entwicklung neuer und erneuerbarer Energieträger fördern. Darüber hinaus legt der Vertrag das Prinzip der Solidarität für den Fall fest, dass in einem oder mehreren Mitgliedstaaten ein Versorgungsengpass auftritt. Von den übrigen Mitgliedstaaten wird dann erwartet, dass sie einspringen.
Durch eine im Vertrag neu festgeschriebene Solidaritätsklausel versichern sich die Union und ihre Mitgliedstaaten gemeinsam zu handeln, wenn ein Mitgliedstaat von einem Terroranschlag, einer Naturkatastrophe oder einer vom Menschen verursachten Katastrophe betroffen ist. Die Union wird verpflichtet alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel, einschließlich der ihr von den Mitgliedstaaten bereitgestellten militärischen Mittel, zu mobilisieren. Wenn dies auch bis jetzt nicht in der Praxis so gehandhabt wurde, so ist doch die Verankerung dieser gegenseitigen Beistandsklausel ein wichtiger Ausdruck des europäischen Solidaritätsgedanken.
A propos Solidarität: Für viele unserer Mitbürger klingen Aussagen über die Europäische Außenpolitik eher abstrakt. Komplizierte politische Zusammenhänge, ein noch komplizierteres institutionelles Gefüge, bewirken bei den meisten nur ein müdes Achselzucken. Wenn sich eine Naturkatastrophe wie das Erdbeben von Haiti ereignet, wird einem jedoch bewusst, dass Außenpolitik – zu der auch Katastrophenhilfe und Krisenmanagement gehören – doch ganz konkret sein kann. Für die neuen Strukturen die aus dem Vertrag von Lissabon entstanden sind, ist diese Naturkatastrophe auch ein erster Test. Der EU-Rat der Entwicklungsminister ist Anfang der Woche zusammengekommen um die Hilfe für Haiti zu koordinieren.
Das ganze Ausmaß der Erdbebenkatastrophe wird erst nach und nach deutlich. Es wird wohl noch einige Zeit dauern bis die Zahl der Todesopfer bekannt wird. Man kann aber davon ausgehen, dass zwischen 100.000 bis 200.000 Menschen ihr Leben verloren haben. Viele haben das wenige was sie besaßen, verloren. Rund 20% aller Gebäude sind entweder eingestürzt oder erlitten Totalschaden; 50% sind mehr oder weniger schwer beschädigt. Bilder vom verheerenden Tsunami das 2004 weite Teile Südasien überschwemmte, werden wieder wach.
Die Europäische Union und die USA müssen zusammen mit den Vereinten Nationen die Hilfe unterstützen und koordinieren. Die Union hat sich bereit erklärt, insgesamt rund 430 Millionen EUR zu Verfügung zu stellen. Als erstes gilt es, den Überlebenden zur Hilfe zu kommen und die Sicherheitslage zu stabilisieren. Dann erst kann die zweite Phase, die der Räumungsarbeiten, in Angriff genommen werden, ehe man mit der eigentlichen Aufbauhilfe beginnen kann.
Das Beispiel Haiti zeigt uns, wie wichtig eine gute Koordination innerhalb der Europäischen Union ist. Die Zusammenarbeit der 27 Mitgliedsstaaten erlaubt uns unsere Kräfte zu bündeln und effizienter auf der Weltbühne aufzutreten und die Werte an die wir glauben, und für die wir stehen, zu verteidigen.
Eine der wichtigsten Errungenschaften des Vertrags von Lissabon siedelt sich im Bereich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik an, die uns hier an erster Stelle beschäftigt. Das neu geschaffene Amt der Hohen Vertreterin der Union für Außenpolitik mit Doppelfunktion wird dafür sorgen, dass die EU nach innen wie nach außen geschlossener auftreten kann. Damit werden die außenpolitische Kontinuität und die Sichtbarkeit der EU verstärkt. Die Britin Catherine Ashton, die für diesen Posten nominiert worden ist, leitet fortan den Rat der Außenminister und ist zur gleichen Zeit Vize-Präsidentin der Kommission. Zusammen mit dem Präsidenten des Europäischen Rates und dem Kommissionspräsidenten soll sie die außenpolitische Strategie der Union verfolgen. Dazu wird Catherine Ashton einem eigenen diplomatischen Korps vorstehen, der Beamte aus der Kommission, dem Rat und den Mitgliedstaaten umfassen wird. Er soll eng mit den diplomatischen Diensten der Mitgliedstaaten zusammenarbeiten, so dass die beschlossenen Maßnahmen wirksamer umgesetzt werden können.
Die EU ist auf der ganzen Welt durch Vertretungen repräsentiert. Diese Außenstellen, die bis jetzt ausschließlich die europäische Kommission vertraten, wurden am 1. Dezember zu Vertretungen der europäischen Union. Sie setzen sich in mehr als 130 Ländern für unsere Werte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte ein, sind die Ohren und Augen der europäischen Union. Sie helfen, Informationen zu kohärenten Politiken zu verarbeiten, sei es Außen-, Entwicklungs- oder Handelspolitik.
Seit dem Vertrag von Amsterdam und der Schaffung des Amtes des Hohen Repräsentanten trifft der Vorwurf der mangelnden Sichtbarkeit der EU in ihren Außenbeziehungen nicht mehr ganz zu. Ich möchte hier keine ausführliche Bilanz der zehnjährigen Amtszeit des Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik wagen. Andere haben das während dieser internationalen Tagung mit viel Kompetenz gemacht. Was ich aber aus meiner sechsjährigen Erfahrung als Außenminister bestätigen kann, ist, dass Vieles von dem was sich im Bereich der GASP – inklusive der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) – seit 1999 getan hat, auf den Verdienst von Javier Solana zurückgeht. Während seiner Amtszeit hat die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik eine rasante Entwicklung vollzogen. Mit 23 ESVP-Missionen rund um den Globus ist die EU ihrer weltpolitischen Rolle gerecht geworden. Javier Solana hat durch seine aktive Rolle aber auch für Kontinuität und Sichtbarkeit der gemeinsamen Außenpolitik gesorgt. Unermüdlich hat er sich als Vermittler eingesetzt: im Nahost-Friedensprozess, in der Ukraine, im Iran und natürlich im Balkan. Seiner menschlichen Diskretion stand immer ein großes, ja leidenschaftliches Engagement gegenüber.
Dem Balkan kommt in der Entwicklung der GASP eine besondere Rolle zu, weil die Jugoslawien-Tragödie die europäische Außenpolitik maßgeblich beeinflusst hat. Politisch und wirtschaftlich lag die Region des westlichen Balkans Ende der 90ger in Trümmern. Sein Wiederaufbau war die Aufgabe Europas. Im griechischen Thessaloniki wurde 2003 bestätigt, dass die Zukunft der Balkanstaaten in der Europäischen Union liege. Die riesige Herausforderung, welche die EU damals verkündet hat, ist die Aufgabe die die Union in der kommenden Dekade erwartet.
Für die Balkanländer war die europäische Perspektive Anreiz und Ermutigung, die Kopenhagener Beitrittskriterien zu erfüllen und die nötigen politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Reformen einzuläuten. Mit allen Balkanstaaten wurde inzwischen ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen abgeschlossen. Slowenien trat als erste der sechs ehemaligen Teilrepubliken Jugoslawiens der EU bei; zwei weitere – Kroatien und Mazedonien – haben den Status eines offiziellen Beitrittskandidaten; Serbien, Montenegro sowie Albanien haben eine Aufnahme in die Europäische Union beantragt. Wichtiger noch: trotz Spannungen zwischen Albanern und Slawen in Mazedonien, trotz der Unabhängigkeitserklärung Kosovos und trotz der Dauerkrise in Bosnien-Herzegowina ist es auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens zu keinen neuen Gewaltausschreitungen gekommen. Damit ist die GASP ihrem Hauptziel – nämlich die Wahrung des Friedens – gerecht geworden.
Es wird noch viel Kraft und Geduld kosten bis alle Balkanstaate bereit sind, der EU beizutreten. Es wird von den europäischen Mitgliedsstaaten aber auch politischen Mut verlangen, weil die Erweiterung heute in Europa wenig populär ist. Aber es gibt für das Friedensprojekt EU keine Alternative zum Ziel von Saloniki. Hervorzuheben ist, dass alle Balkan-Länder selbstverständlich mit dem Internationalen Hager Tribunal eng zusammenarbeiten müssen, und dass auch die Kopenhagen Kriterien erfüllt werden müssen, bevor über die Mitgliedschaft in der EU entschieden werden kann.
Wissend, dass das Thema Türkei in Deutschland Emotionen erweckt, mit denen man als Nichtdeutscher behutsam umzugehen hat, möchte ich versuchen meine subjektive Annäherungsweise darzulegen.
1. Die EU ist ein "Verein" dessen politische Verlässlichkeit oberstes Gebot ist. 2004 und 2005 hat die EU einstimmig beschlossen Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufzunehmen. Dazu muss die EU stehen. Stellen wir uns vor zu jedem X-beliebigen Zeitpunkt stünde einer der sogenannten "Leader" der EU auf und stelle gefasste Beschlüsse in Frage. Zum Beispiel der Mann aus der ewigen Stadt möchte seine Lira wiederhaben, oder der Mann aus der goldenen Stadt die Auflösung des EU Gerichtshofes in Luxemburg. Kaum vorstellbar! Die EU muss zu Ihren Abmachungen stehen.
2. Die Türkei tritt der EU bei. Nicht die EU der Türkei. Anders gesagt: die EU bestimmt die Prozeduren, legt Rechenschaft über die Verhandlungen in der Substanz ab und entscheidet zu einem gewissen Moment, ob ja oder nein der Beitritt für beide Seiten abzuschließen ist.
3. Die Türkei ist ein großes, strategisch wichtiges Land, ein Land das der EU mit Blick auf den nahen und mittleren Osten ein einzigartiges politisches Gewicht verleihen könnte. Um eine der herausragendsten Aufgaben in diesem Jahrhundert anzugehen, dem Zusammenleben der Zivilisationen, wäre eine EU mit Türkei der ideale "Player" mit gewaltigem Einfluss. In der Türkei wie auch in der EU, sollte es das langfristige Ziel sein die europäische Türkei zu fördern. Eine Türkei, die Europa nicht den Rücken wendet, sondern zeigen kann, dass Islam und Demokratie sehr wohl miteinander funktionieren können.
4. Ich habe es schon gesagt: die EU ist ein Friedensprojekt. In diesem Sinne ist seit 2004 viel Positives in der Türkei, im Interesse von 70 Mio Menschen geschehen: Abschaffung der Todesstrafe, Reformen im Justizwesen, Vertiefung der Frauenrechte und der Zivilrechte, Abschaffung der Folter und verfassungsrechtliche Reformen. Nichts ist abgeschlossen. Vieles bleibt im Fluss. Aber allein das Bestehen der Nabelschnur, via Beitrittsverhandlungen mit der EU, ist eine Garantie, dass die Türkei offener, demokratischer und stabiler wird, dass die Menschenrechte sich zusehends verbessern.
5. Die Türkei muss wissen, dass ohne Lösung der Zypernfrage eine Mitgliedschaft in der EU ein Ding der Unmöglichkeit bleibt. Wir hoffen, dass die Gespräche zwischen den beiden Teilen Zyperns schnell Erfolge aufweisen können. Der deutsche Außenminister Westerwelle hat bei seinem Türkei-Besuch letzte Woche eine Position bezogen hat, die in der EU breite Zustimmung findet, auch wenn ein CSU-Knurren aus Wildbad-Kreuth bis nach Luxemburg vernehmbar war.
Ich möchte an dieser Stelle aber auch an die bereits kurz erwähnte Europäische Sicherheitsstrategie erinnern, die unter der Federführung von Javier Solana ausgearbeitet wurde. Die Bedeutung und Wichtigkeit dieses Dokumentes ist hervorzuheben: mit diesem außenpolitischen Grundsatzkonzept wurden gleich mehrere Prinzipien der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik festgehalten. Erstens: mit ihren 500 Millionen Einwohnern, die mehr als ein Viertel des Weltbruttosozialprodukts erwirtschaften, ist die EU zwangsläufig ein globaler Akteur geworden. Zweitens: aus dieser Stellung ergibt sich für die EU eine besondere Verantwortung, die sie verpflichtet eine weitaus aktivere Rolle zur Wahrung der Sicherheit und der Stabilität in der Welt wahrzunehmen. Drittens: die EU verfügt über ein einzigartiges Handlungsinstrumentarium, das Diplomatie, Handelspolitik, Entwicklungspolitik und militärische Kapazitäten vereint. Nicht zuletzt bekennt sich das von Javier Solana ausgearbeitete Strategiepapier offen zum Multilateralismus und zum internationalen Völkerrecht und vereint somit die ethische Weltanschauung der europäischen Staaten mit den außenpolitischen Interessen der EU.
Sechs Jahre nach ihrer Veröffentlichung, haben die von der Europäischen Sicherheitsstrategie definierten Herausforderungen von ihrer Dringlichkeit nichts eingebüsst: Terrorismus, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, regionale Konflikte, Scheitern von Staaten und organisierte Kriminalität bilden auch heute noch die Hauptbedrohungen für den Weltfrieden.
Der gescheiterte Attentatversuch auf den Flug 253 Amsterdam-Detroit an Weihnachten hat uns alle aufs Neue vor Augen geführt, dass Al-Kaida noch immer in der Lage ist zuzuschlagen und dies trotz den seit 2001 stetig erhöhten Sicherheitsmassnahmen. In diesem Sinn bekommt die 2002 getätigte Aussage des ehemaligen deutschen Verteidigungsministers Peter Struck, "Die Sicherheit Deutschlands beginnt am Hindukusch" neue Aussagekraft, nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa, am Hindukusch, im Jemen und wo immer sich die Rückzugsgebiete der Terroristen befinden mögen.
Die Einschränkung dieser Rückzugsgebiete soll unserer oberste Priorität sein, sei es in Afghanistan, auf das ich noch zurückkommen werde, sei es im nördlichen Jemen, im angrenzenden Somalia oder in der Sahelzone. Dies kann aber nicht nur mit militärischen Mitteln erfolgen, sondern muss von einer Gesamtstrategie begleitet werden, die zum Ziel hat die rechtsstaatlichen Strukturen zu stärken und die Armut zu verringern. Dies gilt besonders im Jemen, ein Land das uns nicht erst seit letzten Dezember beschäftigt, sondern schon seit mehreren Jahren unsere Besorgnis erregt und als Ursprungsland der Al-Kaida gilt. Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten bemühen sich seit Jahren kontinuierlich darum, die desolate humanitäre Lage zu verbessern, Entwicklungshilfe zu leisten und durch eine Konzentration auf den Staatsaufbau und entscheidende Reformen die wichtigsten Entwicklungsaufgaben anzugehen.
Schon im Oktober letzten Jahres hat der EU-Ministerrrat seine Unterstutzung für ein vereinigtes, stabiles, demokratisches und prosperierendes Jemen bekräftigt und die Stabilität für das jemenitische Volk und die gesamte Region als von entscheidender Bedeutung bezeichnet. In diesem Zusammenhang hat sich der Rat die Bedeutung eines umfassenden Konzepts für die Bewältigung der sicherheitspolitischen, wirtschaftlichen wie politischen Herausforderungen unterstrichen und angekündigt eine Aufstockung der umfassenden Unterstutzung der EU für Jemen prüfen zu wollen, und dies insbesondere in sicherheitspolitischen Bereichen wie Terrorismusbekämpfung.
Schon vor dem fehlgeschlagenen Angriff auf eine amerikanische Passagiermaschine nahe Detroit gab es Hinweise auf eine erneute Verlagerung von Al-Kaida-Tätigkeiten in den Jemen. Die Nähe zu Saudi-Arabien, aber auch zu dem auf der gegenüberliegenden Seite des Golfs von Aden gelegenen Somalia weisen dem Jemen eine geostrategisch interessante Lage für den Kampf gegen die USA und ihre westlichen Verbündeten zu. Die EU hat hier ihr Gewicht einzubringen damit, unter UNO-Schirm, Stabilität wieder eine Chance bekommt.
Auch wenn seit Weihnachten der Begriff "Krieg gegen Terrorismus" wieder hoch im Kurs steht, sollte man eines nicht vergessen: Mit technischen Maßnahmen in den Flughäfen, in den Flugzeugen, mit Verbesserungen in der Zusammenarbeit der Sicherheitsdienste, mit biometrischen Pässen, usw. wird man vielleicht punktuell Anschläge vereiteln können. Das Problem des Terrorismus aber wird man nicht an der Wurzel in den Griff bekommen.
In den letzen 20 Jahren, nach dem Mauerfall, in denen die Globalisierung sich rasant entwickelt hat, wurde eine große Lehre nicht konsequent gezogen. Die Abrüstungsspirale hat sich nicht dorthin bewegt, wo die vielen Milliarden hätten freigesetzt werden können, die für die Verwirklichung der Millenniumsziele dringend notwendig gewesen wären. Die Menschheit ist von der im Jahre 2000 angepeilten Halbierung der Armut auf dem Planeten bis 2015 weit entfernt. Es ist gar zu befürchten, dass die Weltwirtschaftskrise den Fortschritt weiter bremsen wird.
Der ehemalige deutsche Außenminister Steinmeier hat sich in den vier Jahren seiner Amtszeit unermüdlich und zäh für den Abbau der Waffenarsenale eingesetzt. Äußerst verständlich aus deutscher Sicht deshalb, dass der Vertrag bezüglich des Abbaus der konventionellen Waffen in Europa wieder belebt werden müsste. Sollte "Start2" zwischen den USA und Russland in Sachen Reduzierung der interkontinentalen Raketenarsenale in den nächsten Monaten Wirklichkeit werden, wäre ein Schritt gemacht der parallel zum Inkrafttreten des CTBT-Vertrages, der alle atomaren Versuche auf der Welt untersagt, Anlass zu neuer Hoffnung geben könnten. In derselben Logik ist auch die Rede von Präsident Obama in Prag anzusiedeln, als er im April 2009 von einer Welt ohne jegliche Atomwaffen sprach.
Jedenfalls stünde es der EU absolut gut zu Gesicht, wenn sie in den kommenden Jahren die beiden Ziele der Waffenabrüstung und der "Kooperationsaufrüstung" in der Dritten Welt mit viel Engagement verfolgen würde. Wir wissen, dass heute rund 1,2 Milliarden Menschen in absoluter Armut leben und mit weniger als 1 Dollar pro Tag auskommen müssen. Nur eine gerechtere Welt mit menschenwürdigen Lebensbedingungen auf allen Kontinenten, die eigentliche Vorlage der UN-Millennium-Ziele, wird Hass, Intoleranz und in letzter Instanz Terror den Nährboden entziehen.
Die Europäische Union setzt sich seit 2004 federführend für eine diplomatische Lösung der Frage des iranischen Nuklearprogramms ein. Die Lage ist besorgniserregend: Der Iran hat bislang nichts unternommen, was die internationale Gemeinschaft davon überzeugen könnte, dass sein Nuklearprogramm ausschließlich friedliche Zwecke verfolgt. Der Iran will das auch nicht zurzeit. Die Tatsache, dass Iran heimlich eine Urananreicherungsanlage in der Nähe von Qom errichtet und damit gegen seine Verpflichtungen verstoßen hat, sowie die erklärte Absicht, weitere Anlagen zu bauen, sind keine vertrauensbildende Maßnahmen.
Es ist bedauerlich, dass der Iran sich mit der internationalen Atombehörde (IAEO) nicht auf eine Regelung für die Versorgung des Teheraner Forschungsreaktors mit Kernbrennstoff geeinigt hat, die dem Bedarf Irans an medizinischen Radioisotopen Rechnung tragen würde. Wiederholt wurden Angebote zu weiteren Gesprächen über sein Nuklearprogramm und andere Fragen von gegenseitigem Interesse vorgeschlagen. Ohne Erfolg.
Irans kontinuierliche Verstöße gegen seine internationalen Verpflichtungen und sein fehlendes Interesse an einer Fortsetzung der Verhandlungen verlangen jedoch eine deutliche Antwort. Wie der Europaïsche Rat im Dezember festhielt, wird die Europäische Union Maßnahmen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen unterstützen, sollte Iran die Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft in Bezug auf sein Nuklearprogramm weiterhin verweigern. Die Europäische Union ist ebenfalls bereit, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um den Prozess im Rahmen des UN-Sicherheitsrates zu begleiten. Leider ist die Schiene der diplomatischen Sanktionen für die internationale Gemeinschaft die einzig anwendbare. Mir wäre eine echte politische Kooperation mit dem großen, jungen Volk im Iran 100-mal lieber. Der Frieden und die Stabilität in der ganzen Region sind Funktion vom politischen Werdegang im Iran. Von entscheidender Wichtigkeit ist es, dass im Prozess der UNO-Diplomatie, sprich Sanktionen, die Veto-Mächte, plus Deutschland, alle weiterhin am selben Strang ziehen.
Der nahe Osten ist wohl eine Schlüsselstelle des Weltfriedens. Solange das Kernproblem "Frieden zwischen Israel und Palästina" nicht gelöst ist, werden von den Philippinen, über Indonesien bis in die Türkei, wie in großen Teilen Afrikas immer wieder Motivationen geschürt werden, um Gewalttaten zu stimulieren, gar zu rechtfertigen.
Als Freund Israels und gerade hier in Deutschland muss darauf hinzuweisen sein, dass die jetzige Regierung in Tel Aviv aus meiner Sicht einen gravierenden politischen Fehler macht.
Sie macht ihn einerseits durch ihre Siedlungspolitik im Westjordanland, die dem Geiste von Annapolis grundlegend widerspricht und dem palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas es nicht ermöglicht an den Verhandlungstisch wiederzukehren. Noch nie gab es eine solch friedensorientierte, pragmatische und engagierte Regierung der Palästinenser. Sie hätten mehr Entgegenkommen aus Tel Aviv verdient.
Andererseits war in den Ländern der arabischen Liga der Wille mit Israel Frieden zu schließen nie so groß, wie nach Annapolis. Dieser verschwindet jedoch zusehends. Ägypten und Syrien neutralisieren sich gegenseitig. Die diplomatischen Anstrengungen der Türkei tragen viel weniger. Das erhoffte Näherkommen zwischen Israel und Syrien ist gestoppt. Aus dem Iran bezieht Hamas große Unterstützung und breitet seinen Einfluss aus.
Israel kann sich, wie der frühere Israelische Botschafter in Berlin, Avi Primor, es in der Süddeutschen Zeitung schrieb, nicht jedes Jahr einen Krieg leisten.
Darum ist es an uns Europäer die israelische Regierung zu ermutigen:
a) die Siedlungspolitik einzustellen in Gebieten, die Israel nicht gehören;
b) Gaza zusammen mit Ägypten zu öffnen damit 1.5 Mio Menschen aus diesen Käfig mit Meeresblick herauskommen, um arbeiten zu können, den Wiederaufbau zu tätigen, um sich medizinisch pflegen zu lassen, um studieren zu können, kurz gesagt, um neue Lebensmotivation aufzubauen. Nur so kann diese tickende Bombe Gaza entschärft werden. Ein wenig Menschlichkeit ist gefragt, mehr Weitsicht täte gut.
Ich hoffe, dass die EU mit allen Mitgliedstaaten seine gemeinsame Linie zu Israel weiter entwickelt. Israel braucht eine klare EU-Linie, zu den Grenzen von 1967, zu der die Frage von Jerusalem gehört, zur Flüchtlingsfrage und zur Zweistaatenlösung als großes Ziel.
Im breiten politischen Spektrum aller EU-Länder, in Stellungnahmen von NGO’s, gar in Predigten, wird über die Präsenz von Militär- und Zivilmissionen vieler EU-Mitgliedstaaten in Afghanistan Pro und Kontra debattiert.
Drei Punkte dazu:
1. Es besteht ein UNO-Mandat, das der internationalen Gemeinschaft den Auftrag gibt in Afghanistan beim Aufbau rechtstaatlicher Strukturen zu helfen, die dem Land und dem Volk erlauben in Frieden und Freiheit zu leben. Militärischer Einsatz wie ziviler Aufbau gehören zu diesem Mandat. Dies im Gegensatz zum Irak wo kein solches UNO-Mandat vorlag.
2. Als Luxemburger habe ich großen Respekt vor Ländern wie Deutschland, Frankreich, Spanien, Dänemark, Italien, Großbritannien, die Niederlande, um nur einige EU-Länder zu nennen, die viel Engagement zeigen und oft tote Soldaten zu beklagen haben. Entschieden stehe ich persönlich auf der Seite jener die wie übrigens General McChrystal, auf der letzen NATO-Tagung in Brüssel sagen, dass mit Bomben, Tanks und Raketen dem UNO-Mandat nicht Genüge geleistet werden kann.
Nur die Afghanisierung der Sicherheit in Afghanistan wird Stabilität bringen. Das heißt, dass die internationale Gemeinschaft Ausbilder stellen muss für Polizei und Armee. Wenn eines Tages nur noch afghanische Uniformen in den Strassen von Kabul patrouillieren, wenn afghanische Soldaten eingesetzt werden um Opiumsfelder zu zerstören, wird Stabilität eine Chance haben.
Kai Ede, der UN-Beauftragte in Afghanistan sagte in Brüssel im Dezember: "Wir brauchen dringend erfahrene Leute aus der westlichen Welt, die den Afghanen zeigen wie Schulen, Krankenhäuser, Verwaltungen, Gemeinden und Städte geführt werden."
Die extremistischen Taliban sind in Afghanistan stark, weil die Regierung und die Verwaltungen schwach sind. Hier muss angesetzt und durchgesetzt werden. Die Londoner Konferenz am 28. Januar bietet Gelegenheit dafür.
3. Wer jemals in Kambodscha war, weiß, dass man dort heute noch sieht welches Unheil die roten Khmer 1975 und 1979 angerichtet haben. 1.7Mio Menschen wurden gefoltert, erschossen, ermordet. Die Welt hat zugeschaut. Gleiches darf sich nicht in Afghanistan wiederholen.
Darum ist es wichtig und notwendig, dass wir in Afghanistan engagiert sind und bleiben. Verloren hat die internationale Gemeinschaft, wenn das afghanische Volk nach Jahrzehnten Krieg, wieder unter der Dominanz der Extremisten zu leiden hätte. Gewonnen hat sie wenn auch Taliban freie Wahlen akzeptieren und in einer rechtstaatlichen Regierung Verantwortung zu übernehmen bereit sind.
Ich hoffe, dass die Londoner Konferenz ihre eigentlichen Ziele erreicht:
- Ein neuer Vertrag zwischen Afghanistan und der internationalen Gemeinschaft ist auszuarbeiten. Ein neuer "Afghan Compact", in dem sich die afghanische Regierung verpflichtet, rechtsstaatliche Strukturen aufzubauen, gegen die Korruption entschieden vorzugehen und die staatlichen Institutionen funktionsfähig zu machen;
- Einen Kalender aufzustellen für die schrittweise Übernahme der Sicherheitsdienste durch die afghanischen Autoritäten.
Die Mitgliedstaaten der EU, allen voran die großen, wie z. Bsp. Deutschland oder Frankreich, dürfen sich nicht in endlose Debatten nur über militärische Optionen verlieren. Zwei Zielsetzungen müssen absoluten Vorrang genießen:
- die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte;
- der soziale und wirtschaftliche Aufbau, oder besser gesagt, der zivile Wiederaufbau.
In einer Welt, die von großer Nervosität, von schreiender Intoleranz und Hass, von Hunger und menschlicher Perspektivlosigkeit in vielen Ländern und Regionen geplagt ist, sind Ruhepole, Friedensmächte von Nöten.
Meine persönliche positivste Wahrnehmung im Gestrüpp der Ereignisse des letzten Jahres war die politisch erfrischende Mentalität von Präsident Obama. Die Welt ist nicht mehr eingeteilt in Schurken und Engel, in Schwarz und Weiß, in Unwillige und Willige. Völker, Länder sind niemals Schurken oder paradiesische Gebilde. Die Menschen in Diktaturen leiden mehr als andere. Ihnen ist nicht geholfen mit "Boykott" oder Isolierung.
"Amerika", so sagte der ehemalige Präsident Clinton, "muss durch die Macht seines Beispiels führen, nicht durch das Beispiel seiner Macht". Ein Amerika, das mehr zuhört, das bereit ist der UNO zu dienen, es versteht, sich besser und bescheidener zu engagieren auf allen Kontinenten: ein solches Amerika kann der Welt viel Positives anbieten.
Es kann zum Beispiel helfen, Russland unwiderruflich auf der Schiene der Demokratisierung und Rechtsstaatlichkeit weiterzubringen. Ein Russland, das respektiert wird, das nicht getrieben wird, sondern sich von innen stabilisieren und stärken kann ist auch im Interesse der Weltmacht Amerika ein Plus.
Das 21. Jahrhundert braucht ein aufgeschlossenes Amerika, ein geläutertes Russland und ein vereintes, engagiertes Europa. Viele Konflikte dieser Welt sind dann lösbar. Dieses Dreiergespann sollte aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts gelernt haben, dass Frieden oder Krieg von dessen politischer Zusammenarbeit oder Konfrontation abhängig sind.
Eine EU, die "in varietate concordia", also in Vielfalt vereint, voranschreitet muss diese Botschaft mit Leidenschaft herüberbringen.