Jean-Claude Juncker, Discours à l'occasion d'un discours à l'Institut suisse de recherches internationales

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Liebe Freunde,

Ich mag die Schweiz sehr. Ich bin überhaupt nicht der Auffassung, dass diejenigen in der Europäischen Union Recht haben, die Europa nur als Europäische Union denken, und die Schweiz außen vor lassen. Für mich gehört die dazu, ist europäisches Kerngebiet, wenn auch nicht von EU-Euphorie erkennbar übermannt. (…)

Ich rede gerne in dieser Aula. Ich hab hier mal die Churchill-Lecture gemacht, 2003, 2004. (…) Und ich bin immer gerührt, wenn ich hier in der Aula reden darf, weil dies für jemanden, der europapolitisch aktiv ist, ja kein neutraler Ort ist, weil von hier aus wichtigste Impulse für das europäische Einigungswerk mit großem Weitblick vorgetragen worden sind.

Und sei es auch nur, weil Churchill in seiner Züricher Rede ab initio abgeschlossen hat, dass Großbritannien damit etwas zu tun haben sollte. Worin er nachträglich über Generationen in seiner Mutmaßung bestätigt wurde, dass dieses Engagement nie ein 100%es sein kann. Er hat aber auch kluge Worte über kleinere Staaten in Europa gefunden, dass die auch dazu gehören. Ich bin eh der Auffassung, dass es mit Ausnahme des Großherzogtums Luxemburg und Großbritanniens keine großen Staaten in Europa gibt, sondern nur kleine Nationen, die sich verzweifelt umarmen, damit sie überhaupt noch als Nationen auffallen. Insofern ist dieser Ort der richtige Ort um einige Dinge, einige Überlegungen eher in Plaudereiform über europäische Gesamtzusammenhänge vorzutragen.

Ich habe eben gesagt, die Europäische Union dürfte nicht denken, sie stellte den europäischen Kontinent in seiner Gänze dar. Es gibt andere, tüchtige, aufstrebende Nationen die dazugehören.

Und ich gehöre eh nicht zu denjenigen, denen zur Schweiz und in Sachen Schweiz nur Negatives einfallen würde. Ich bin, wenn es um die Schweiz geht, eher von Neugier getrieben, als denn von Neidgier, wie andere dies tun, weil ich die Schweiz zu jenen Staaten, Nationen, Menschen in Europa zähle an denen man sich eher ein Beispiel nehmen sollte, als dass man die Leistungen dieses Landes in Abrede stellen könnte.

Und die Europäische Union begreift auch nicht nur das Euro-Währungsgebiet, diese 17 Staaten, die sich eine gemeinsame Währung gegeben haben, indem sie die 17 bestehenden Währungen zu einer einheitlichen Währung fusionierten. Die Währungsfusion, die in der Weltgeschichte einmalig ist, unerreicht ist, mit, wie wir aktuell merken, unwahrscheinlichen Problemmassen befrachtet ist; diese Europäische Wirtschafts- und Währungsunion gehört insgesamt zu einer der größten europäischen Nachkriegsleistungen, weil unabhängig von der aktuellen Problemlage. Der Euro, die europäische Währung, hat eine insgesamt maximal stabilisierende Wirkung, sowohl geldpolitisch als auch wirtschaftspolitisch, in den von ihr abgedeckten Staaten in Europa. Und hat im Übrigen auch extremst zur Stabilisierung der nicht zum Euro-Währungsgebiet gehörenden EU Mitgliedstaaten, und auch der direkten Nachbarstaaten der Europäischen Union geführt. (…)

Viele, die sich um das Euro-Währungsgebiet herum geographisch gezwungen versammeln, leiden unter der sich anbahnenden Instabilität des Euro-Währungsraumes, falls wir nicht richtig reagieren, und fürchten um ihre eigene Stabilität; was im Umkehrschluss ja heißt, dass sie in den letzten 12 Jahren maximal von der Währungsstabilität profitiert haben, die vom Euro-Währungsgebiet ausging. Insofern, bei aller Notwendigkeit die es gibt, dass wir kritischen Zungenschlägen und Zwischenzungenschlägen unser Augen- und Ohrmerk schenken, ist es nicht sehr angebracht, wenn andere uns so massiv kritisieren wie dies aus dem angelsächsischen Raum zurzeit passiert.

Die amerikanischen Schuldenstände, die britischen Schuldenstände, sind deutlich höher als der Durchschnitts-Schuldenstand des Euro-Währungsgebietes. Gleiches zählt für die jährlichen Defizitbildungen.

Insofern hielte ich es für angebracht, wenn man sich etwas in Bescheidenheit üben würde, was aber dadurch auch schwierig fällt, weil die Europäische Union selbst sich eigentlich schwer tut wenn es um Bescheidenheit in der Betrachtung der Leistungen Anderer geht.

Wir haben es nicht mit einer Eurokrise zu tun, wie dies fälschlicherweise auch in Teilen der überregionalen schweizerischen Presse immer wieder beschrieben wird, sondern mit einer Schuldenkrise in einigen Mitgliedsstaaten des Euro-Währungsgebietes. Und diese Schuldenkrise, die den aktuellen Tagesablauf so sehr prägt, lässt in Vergessenheit geraten, dass, seit wir die europäische Währungseinheit, den Euro haben, es doch zu sehr erheblichen Fortschritten, auch im Euro-Währungsgebiet und in der Europäischen Union insgesamt gekommen ist.

Es hat noch nie, in keinem Jahrzehnt eine derartige Nettoarbeitsplatzschaffung gegeben, wie in den ersten 10 Jahren des Bestehens des Euros. Ja, die Einführung des Euros hat, wegen der stabilisierenden Wirkung, wegen des Wegfallens der Transaktionskosten, wegen der Herstellung währungspolitischer Aussichts- und Perspektivsicherheit, zu einem regelrechten Wachstumsschub geführt.

Die Inflation war mit 1,97% in den ersten 12 Jahren der Euro-Geschichte so niedrig wie noch nie.

Die Deutschen, die dem Stabilitätsgesäusel anhängen, dem öffentlich kommentierenden Denken, die Zukunft negativ und die Vergangenheit verherrlichend betrachtendem Denken, die Deutsche Mark wäre wesentlich stabiler, die Inflation niedriger gewesen – das Gegenteil ist der Fall.

Die durchschnittliche Inflationsleistung, im Positiven, der Währungszone ist deutlich ausgeprägt positiver als die letzten 10 Jahre, die es unter der Vorherrschaft der Deutschen Mark gab. Die Zinssätze waren niedriger, sie sind immer noch niedriger als im Durchschnitt der europäischen nachkriegsgeldpolitischen Geschichte. Und die Defizitstände waren auf 0,7%, im Direktvergleich zum Bruttosozialprodukt, Ende 2007 zusammengeschrumpft, und sind erst unter dem Eindruck der weltweit tobenden Finanz- und Wirtschaftskrise, und der Notwendigkeit des Anlegens breiter Konjunkturprogramme wieder nach oben geschnellt. Ähnliches gilt für den Gesamtschuldenstand.

Insofern, trotz aller Betrübnis des Augenblickes, kann man die Eurogeschichte nicht als die Geschichte eines großen Misserfolges beschreiben, sondern eher als eine konsolidierte und konsolidierende. (…)

Diese Schuldenkrise, die wir in einigen Mitgliedsstaaten des einheitlichen Währungsgebietes haben, ist auch nicht nur auf das Unvermögen der dort Regierenden zurückzuführen, nicht ordentlich haushalten zu können.

Das auch, aber es hat auch damit zu tun, beides hängt zusammen, dass die Staaten, die schwächelnden Staaten, die klammen Staaten; deren Absinken in der Skala der internationalen Erfolgsträger hat wesentlich damit zu tun, dass die Griechen, vornehmlich die Griechen, aber auch die Portugiesen und die Iren ihre Wettbewerbsfähigkeit nach ihrem Eintritt in das Euro-Währungsgebiet nicht zu erhalten wussten.

Griechenland, beispielsweise, hat über 50% seiner Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt seit dem Eintritt Griechenlands in das Euro-Währungsgebiet, Eintritt von dem wir ja jetzt wissen, dass er nicht in vollem Einklang verbunden war mit der nachweisbaren Erfüllung der beitrittsöffnenden Konvergenzkriterien. Was wiederum eher mit zu wenig Europa, als mit zu viel Europa zu tun hat, weil es dem Statistischen Amt der Europäischen Union bis vor kurzem untersagt war, die statistischen Daten der Mitgliedsländer kritisch zu überprüfen. Was wiederum zeigt, dass der Schlachtruf "Weniger Europa ist besser als zu viel Europa", nicht stimmt, wenn es um wirklich ernste Dinge des europäischen Zusammenwachsens geht.

Auch die Iren, auch die Portugiesen, die Italiener und die Spanier auch, haben an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. Und die Tatsache, dass diese 5 Staaten eigentlich im Fokus der Euro-Schuldenkrise stehen hat wesentlich damit zu tun, dass in Sachen Wettbewerbsfähigkeit nicht mit der notwendigen Härte, jedenfalls mit der notwendigen Vorsicht vorgegangen wurde.

Wobei ich nicht gerne Griechenland, Portugal und Irland in einen Topf werfen möchte, weil die Vorgänge unterschiedlicher Prägnanz und auch unterschiedlicher Provenienz sind; weil man in der Causa Irland die Banken- und Immobilienkrise ursächlich hinzuzählen muss, und in Spanien auch die Lage auf dem Immobiliensektor nicht außer Betracht lassen kann, so wie spezifische regionale Finanzierungsprobleme der Regionen in Spanien, und auch Teile des spanischen, vornehmlich öffentlich verwalteten Bankengewerbes ihren Teil zu der Spanien-spezifischen Krisenhaftigkeit beigetragen haben.

Aber Irland ist auf einem guten Weg. Weil, seit Irland eine Programmhilfe der Eurogruppe erhalten hat, es seine Leistungen permanent verbessert. Irland hat seit Eintritt in die Programm-Umhegung, die die Eurogruppe zur Verfügung gestellt hat, die Hälfte seines Wettbewerbsfähigkeitsverlustes wieder wettgemacht, aufgrund sehr tiefgreifender politischer Maßnahmen, die alle Sektoren des politischen Tuns umfasste. Aufgrund auch der Tatsache, dass die Iren so sind wie die Schweizer und die Luxemburger, nämlich bodenständig. Und wenn wir was falsch tun, sind wir wie die Iren: wenn wir uns verrennen, versuchen wir wieder den Weg zurückzufinden ohne den Rest der Welt in Haft zu nehmen für das eigene Unvermögen. Die Iren sind Schweizer und die Schweizer sind erst gut, wenn sie luxemburgische Züge tragen, insofern ist Irland eigentlich ein Erfolgsprogramm, das nur ihre schweizerische und luxemburgische Eigenart erklären kann.

Aber man redet nicht darüber, dass Irland wieder, nach erfolgter und erfolgversprechender Konsolidierungsphase, sich hier auf dem Weg zurück in den Kreis erfolgreicher Volkswirtschaften befindet. Man findet mehr Gefallen daran, auch in der angelsächsischen Presse und Teilen der schweizerischen Presse, über die Probleme im Euroraum zu reden, als über die Erfolge die wir, einige habe ich davon im Vorspann genannt, auch jetzt in Sachen Irland erleben.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Obwohl ich keiner Verschwörungstheorie anhänge, weil die Wirklichkeit braucht keine Verschwörung, aber viele denken es gäbe eine angelsächsische Verschwörung. Das ist keine Verschwörung, die sind nur so. Die Financial Times hat einen gut fundierten Artikel geschrieben über den Weg Irlands zurück in die Erfolgszielmenge. Dann habe ich am selben Tag Analysten aus dem asiatischen Raum empfangen (…) und denen sage ich, haben Sie den Artikel in der Financial Times von heute gelesen? Und dann stelle ich fest, in der asiatischen Ausgabe der Financial Times fehlte dieser Artikel. Es ist keine Verschwörung, die sind nur so. Vergessen manchmal, ihr Wissen weltweit zu verbreiten.

Also, über den Erfolg Irlands redet man nicht, ich möchte Ihnen hier nur sagen, mit unserer Hilfe und mit unserer solidarischen Hilfe, aber auch wegen der irischen Soliditätsbereitschaft war es möglich Irland wieder auf Erfolgskurs zu bringen. Und so kann es, so wird es, so müsste es auch im Gesamteuropa möglich sein Staaten die sich verrannt, verirrt haben wieder auf Erfolgskurs zu bringen.

Nun ist das in Griechenland ausgeprägt schwierig, weil die griechischen Probleme den Problemen der anderen genannten Länder nur im Entferntesten ähneln. Weil Griechenland, und ich habe den größten Respekt vor der griechischen Nation, kein Staat ist, wie wir denken dass Staaten geführt werden müssten. Und ich sage dies nicht despektierlich, sondern feststellend. Es ist halt so, dass das Phänomen der Korruption, das es wahrscheinlich in allen Staaten gibt, in Griechenland zum täglichen Modus vivendi gehört, auf allen Ebenen, Schichten durchkreuzend, auf Grund vieler Irrungen und Wirrungen griechischer, jahrhundertelanger Geschichte. Viele Griechen sehen das inzwischen auch so. Und diese Bemerkung verliert deshalb, auch wegen des griechischen Eingeständnisses, dass dies so ist, jeden beleidigenden Charakter.

Ich entdecke an Griechenland Dinge von denen ich nicht wusste, dass es sie geben kann. Auch diese Bemerkung ist nicht despektierlich gemeint. Beispielsweise stelle ich fest, dass es in Griechenland kein Grundbuch gibt. Ich debattiere mit den griechischen Kollegen über Monate über die Notwendigkeit, aus Haushaltskonsolidierungsgründen ein 50-Milliarden Privatisierungsprogramm in Griechenland zur Anwendung zu bringen, und stelle dann fest, es gibt kein Grundbuch. Das heißt, ich privatisiere etwas von dem ich nicht weiß, ob es mir überhaupt gehört. Und daraus erwächst eine Rechtsunsicherheit, die natürlich die Privatisierungsgelüste massiv in sich zusammenbrechen lässt. Wenn ich nicht weiß, ob das was ich jetzt kaufe dem gehört dem ich es abkaufe, und ich vielleicht morgen mit jemandem zu tun habe, der denkt er wäre auch Eigentümer und er wäre nicht rechtmäßig entschädigt worden; ob das die Investorenlust bis zu ihren absoluten Maximum steigert, ist infrage zu stellen. Das ist ein Erbe des ottomanischen Reiches. Ich dachte immer, die Türken sind ja schon längere Zeit weg, aber ein Grundbuch gab es trotzdem nicht. Das gab es übrigens auch nicht in der DDR, insofern ist auch diese Bemerkung nicht in die Kategorie der despektierlichen Betrachtungen einzureihen, aber die haben das hingekriegt. Die Griechen müssen dies selbstverständlich auch hinkriegen.

Und Ähnliches könnte ich in epischer Breite, abendfüllend hier vortragen, nur um zu zeigen, dass Griechenland nicht Staat ist in dem Maße wie die Schweiz, wie Luxemburg, wie Österreich, wie Deutschland, die Niederlande Staat sind. Und da geht es auch um ein Stück, ich sage nicht gerne nationbuilding, um ein Stück administrative statebuilding. Der griechische Staat funktioniert nicht wie die Schweiz, nicht wie Luxemburg, nicht wie Österreich. Und wir wissen von unseren Staaten, dass sie nicht optimal funktionieren. Insofern ist das ein Trost, dass es noch Staaten gibt die weniger gut funktionieren, aber es ist kein zielführender Trost.

Wenn es jetzt um die Behebung des Griechenlandproblems geht, gilt es mehrere Ebenen zu unterscheiden. Wir haben ja, nachdem wir am Sonntag schon zusammensaßen, für morgen Abend wieder einen Europäischen Rat in der Euroformation, 17er Rat, vor uns liegen und dort müssen wir zu abschließenden Ergebnissen kommen. Davon sind wir noch ein gutes Stück weit entfernt.

Ich bin überrascht von einigen höchst positiven Pressemeldungen von heute Nachmittag, beispielsweise wenn es darum geht die Privatgläubigerbeteiligung so zu regeln, dass alle froh und glücklich wären. Ich verhandele dauernd mit meinem Verhandlungsteam in Brüssel und lese parallel, dass ich zu Unrecht verhandele, weil alles ja schon geklärt wäre. So ist es nicht. Wir sind da noch ein ganzes stückweit weg von dem anzupeilenden Erfolg.

Aber richtig ist, dass der private sector involvement geklärt werden muss, und dass die Privatgläubiger, ich sage nicht gern in Haft genommen werden müssen, aber in Mitbringpflicht genommen werden müssen. Das wurde so verabredet am 21. Juli.

Ich bin auch ideologisch sehr dafür, dass diejenigen die partiell, wenn nicht überpartiell mitschuldig sind an dem Zustand der in Griechenland und sonst wo eingetreten ist, mit dazu beitragen, dass die Kosten des Austrittes aus der Krisenfolge und aus der Folgenkrise, dass die da mitmachen. Sehr klug finde ich das aber nicht, weil es sehr viele Investoren vor weiteren Engagements in Teilgebieten des Euro-Währungsgebietes abschreckt. Es wäre gut, wenn wir deutlich machten, dass diese Privatgläubigerbeteiligung nicht prinzipieller ex ante- und a priori-Natur ist, sondern dass dies in der Causa Griechenland gemacht werden musste, wegen der Anhäufung so vielfältiger und auch unterschiedlicher, verantwortungsmäßig zuzuteilender Gesamtresponsabilität, und dass man das in anderen Fällen nicht tun wird. Das wäre gut, wenn wir diese Message morgen geben könnten. Ich glaube nicht, dass wir sie geben werden.

Es muss klar sein, dass wir in Sachen Griechenland alles tun müssen um ein Kreditereignis zu verhindern, alles. Und dass wir alles tun müssen um ein Default zu verhindern, sei es ein Teildefault oder ein ganzes Default. Dies hätte für Griechenland sehr erhebliche Negativfolgen, die ich mir nicht vorstellen möchte, angesichts der Tatsache auch, dass sich Griechenland heute schon, was man verstehen muss, in einem vor-bürgerkriegsähnlichen Zustand befindet.

Sie wissen sehr genau, wenn wir in der Schweiz, in Liechtenstein, in Österreich, in Deutschland, in Luxemburg derartige Sparprogramme unseren Bevölkerungen zumuten müssten, dann wäre hier und bei uns die Hölle los. Wenn die Deutschen in einem Jahr 340 Milliarden Euro einsparen müssten, hätten sie wahrscheinlich mehr Verständnis für das was wir Griechenland zumuten. Und das genau entspricht der Summe, die umgerechnet in Deutschland einzusparen wäre.

Also, zu sagen, Griechenland tut nichts und Griechenland schaut seinem eigenen Elend zu, ist eine falsche Behauptung. Die griechische Regierung hat Erhebliches geleistet in den letzten anderthalb Jahren. Die Hoffnung ist nur, dass das was entschieden wurde auch durchgesetzt wird. Also, wenn in unseren Ländern das Parlament ein Steuergesetz erlässt, dann kommt es zur Anwendung. Und in Griechenland sagen jetzt viele Menschen, auch auf Grund dessen was ihnen zugemutet wird, wir zahlen keine Steuern. Dann ist es schwierig den Haushalt zu finanzieren. Wenn es eine Bürgerweigerung gibt Steuern zu zahlen – wer verstünde sie nicht, aber ich war 20 Jahre Finanzminister, habe also kein Verständnis für jemanden der nicht Steuern zahlt, aber nicht jeder Grieche war 20 Jahre Finanzminister. Insofern muss man verstehen, dass wenn einem viel zugemutet wird, man auch Schwierigkeiten hat, dies von der Umsetzung her positiv zu begleiten. Aber das muss von den Griechen geleistet werden.

Es kommt überhaupt nicht in Frage, weder jetzt noch in Zukunft, dass ein Land aus dem Währungsgebiet ausgeschlossen wird. Es kommt auch nicht in Frage, dass ein Land aufgrund eigener Beschlusslage aus dem Währungsgebiet austritt.

Ein Währungsgebiet lebt nicht nur von seiner feststellbaren Substanz, sondern auch von dem zu vermutenden Erhalt dieser festgestellten Substanz. Und wenn es über Jahre und Jahrzehnte Rätselraten an den Finanzmärkten – die ich eh nicht mag – darüber geben würde, ob diese Konstruktion des Euro-Währungsgebietes Bestand hat, oder ob da ein Rückzug in Teilgebiete stattfindet, mit Rückkehr zu nationalen Währungen, hätte das natürlich einen den Erfolg des Gesamtunterfangens sehr stark in Frage stellenden Gesamtimpakt. Deshalb muss man davon Abstand nehmen.

Wir müssen ein neues Griechenlandprogramm definieren. Das wird einem vom öffentlichen Sektor zu bewältigenden Kostenpunkt haben, der über den 109 Milliarden liegen wird, die wir programmmäßig am 21. Juli dieses Jahr festgelegt haben.

Die 21%ige Privatgläubigerbeteiligung die wir auch am 21. Juli dieses Jahres festgelegt haben, wird sich massiv nach oben korrigieren müssen. Obwohl ich jetzt keinen genauen Prozentsatz hier ankündigen möchte, sei es auch nur, weil ich sehe, dass die Presseagenturen sehr eifrig beim Mitschreiben sind. Ansonsten ich Ihnen jetzt die Gesamtlösung hier im Detail vorgetragen hätte, selbstverständlich. Die Privatgläubigerbeteiligung wird ausgeprägter sein müssen, um die 50% herum.

Wir werden die europäischen Banken rekapitalisieren müssen. Wir haben uns als Finanzminister darauf verständigt, dass die Eigenkapitalquote 9% sein muss, was eine erhebliche Anstrengung von vielen Bankenhäusern in Europa zur Folge haben wird. Und wir haben uns darauf verständigt, dass dies bis zum 30. Juni 2012 zu gewährleisten ist in einer market to market approach, so heißt das in Neudeutsch, die auf den 30. September 2011 zurückgeht. Das wird ein Gesamtvolumen von über 100, aber nicht über 112 Milliarden Euro betragen.

Und wir werden das machen müssen, und das ist die wichtigste Aufgabe, die jene gewährleisten müssen die darauf bedacht sein müssen, dass mögliche griechische Irrwege (…) nicht zu Ansteckungsgefahren für andere führt.

Wenn wir über Griechenland reden, reden wir de facto über Italien. Griechenland macht 2% der Euro-Wirtschaftsleistung aus. Vor Monaten befanden sich nur 2% des europäischen Bruttosozialproduktes unter intensiver Beobachtung der Finanzmärkte. Heute sind es schon 40%. Aus unerfindlichen Gründen ist das Euro-Währungsgebiet zum Epizentrum einer globalen Herausforderung geworden. Eigentlich müssten die Finanzmärkte ihr Augenmerk auf die Unmachbarkeit amerikanischer und japanischer Entschuldung richten. Japan hat einen Schuldenstand von 240% Bruttosozialprodukt. Nein, man findet Gefallen daran, jetzt die Eurozone als Ganzes in Frage zu stellen.

Wir sind das Epizentrum einer globalen Herausforderung, und deshalb geht es eben nicht nur um Griechenland. Ginge es nur um Griechenland, wären die Dinge einfacher aber sehr schwierig. Aber es geht nicht nur um Griechenland, also müssen wir Schutzwälle gegen Ansteckungsgefahren in Richtung Italien, Spanien und andere aufrichten.

Und wenn wir das alles falsch machen, dann sage ich Ihnen heute voraus – ich hoffe, dass ich nicht wiederkommen muss um mir bestätigen zu lassen, dass ich prognostisch richtig lag – dann kommen alle an die Reihe. Glauben Sie mir, alle Eurostaaten, und nicht nur die, auch die Schweiz, werden an die Reihe kommen, wenn wir dieses Problem nicht adäquat einer Lösung zuführen.

Ich gehöre nicht zu diesen aufgeregten Menschen die sagen, wenn der Euro explodiert, explodiert die Europäische Union und der ganze Kontinent. Ich bin ein sehr aufgeregter Europäer, weil ich die europäische Geschichte kenne. Ich spiele nicht gerne mit dem Feuer, weiß dass die Europäer nicht klüger sind als die anderen Menschen auf der Welt. Und das was wir an Unheil im 20. Jahrhundert angestiftet haben auf unserem Kontinent, dazu sind wir jederzeit in der Lage es irgendwo wieder so dämonenhaft entladend anwachsen zu lassen, dass wir uns sehr schnell wieder in der Lage befinden. Vergessen Sie nie, dass vor 15 Jahren im Kosovo und in Bosnien getötet, gemordet, vergewaltigt wurde. Das war mitten in Europa. Das ist nicht 18 Flugstunden von hier entfernt. Das sind anderthalb Stunden. Insofern müssen die Europäer sich vor sich selbst in Acht nehmen.

Ich spiele also nicht mit Errungenschaften wie dem Euro, von dem ich immer gesagt habe, dass er Friedenspolitik mit anderen Mitteln ist. Das sind die Friedensmittel die unserer Generation zur Verfügung stehen, also müssen wir, auch angedenk dessen was die Churchill-Generation gemacht hat, dafür sorgen, dass unsere Mittel, die Mittel unserer Zeit und das Handwerkszeug unserer Generation funktioniert.

Daran arbeiten wir, und deshalb müssen wir auch das Griechenlandproblem in den Griff kriegen. Und wir müssen die Eingriffsmöglichkeiten des Europäischen Rettungsschirmes, den wir zum besseren Verständnis der Bürger EFSF nennen, so ertüchtigen, durch Hebelwirkungsmechanismen, an denen wir arbeiten, dass die Feuerkraft und die Eindämmungsgewalt, und die abschottende Mauergewalt dieses Rettungsschirmes so sein wird, dass diese Ansteckung nach Italien und sonst wo hin keine Chance hat.

Und wir müssen natürlich in Sachen Finanzmarktregulierung von der Stelle kommen. Nicht nur in Europa, sondern weltweit. Und nicht nur in der G20-Gruppe, sondern auch über die G20-Gruppe hinaus.

Ich bin mit dem was wir in Europa an Regularien geschaffen haben, seit der Lehman Brothers-Krise nicht unzufrieden. Überhaupt nicht unzufrieden mit dem was wir überhaupt als Eurogruppe aufgestellt haben. Ich habe noch nie in Europa – aber zu langsam war es doch – so viel Entscheidungsmasse in anderthalb Jahren mir zu Auge führen können, wie in den letzten 18 Monaten. Es war auch notwendig, dass wir dies taten. Und wir haben das viel zu langsam getan. Und die Finanzmärkte verstehen auch nicht, weil sie nicht demokratisch funktionieren, dass Demokratien etwas länger Zeit brauchen um sich intern und interdemokratisch zu verständigen. Wissen Sie, das ärgert mich, aber das nutzt ja nix.

Finanzmärkte funktionieren in Sekundenschnelle. Das merkt man daran, dass sie nicht immer nachdenken, dass das sehr schnell geht. Und Demokratien funktionieren sehr, sehr langsam. Da braucht es demokratisch legitimierte Entscheidungen in 17 Staaten, da braucht es die Zustimmung von 17 Regierungen, das sind insgesamt 60 politische Parteien, die in der Eurogruppe zusammenhocken. Und von 17 Parlamenten, da braucht es das Werben um die Zustimmung von 17 öffentlichen Meinungen.

Die Probleme haben die Trader, in New York vor laufenden Klimaanlagen mit kurzer Hose und nicht über 30 Jahre alt, die haben die nicht. Ich habe die.

Unsere Systeme sind demokratisch verfasst. Ich lege großen Wert auf parlamentarische Begleitung dessen was Regierungen tun. Obwohl ich der Auffassung bin, dass die parlamentarischen Beratungen eigentlich eher zur Information der Spekulanten angelegt sind, als zur Behebung der Probleme.

Demokratien brauchen Zeit, Finanzmärkte brauchen keine Zeit. Demokratien haben keine Zeit, und Finanzmärkte nehmen sich keine Zeit.

Und das ist das Problem mit dem wir zu tun haben, und deshalb muss es regulierende Gesamtumrahmungsgesetzesgebungswerke weltweit, und auch in Europa geben, damit wir das spontihafte der Finanzmärkte in den Griff kriegen. Anstatt dass die Politik, und ergo die Menschen, von den Finanzmärkten, die keinerlei Verantwortung niemandem gegenüber schuldig sind, getrieben werden, ist es so, dass wir eigentlich den Finanzmärkten auf den Vorsprung kommen müssen.

Weil Finanzmärkte, Banken zum Teil auch, haben sich an den Kardinaltugenden der sozialen Marktwirtschaft versinnlicht in den letzten Jahren, weil das Haftungsprinzip in Vergessenheit geraten war, dass derjenige der etwas Falsches tut auch dafür in Haft genommen wird, statt dass Staaten und Steuerzahler oder sonstige Institutionen dafür geradestehen müssen.

Ich gehöre nicht zu denen, die zu den systematischen Bankenkritikern gehören würde (…). Aber irgendwo muss hier mehr Ordnung und mehr System wieder Einzug erhalten, weil wir zu sehr abhängig sind von irrationalen Entscheidungsfindungswegen. Und diese Verirrungen des sozialmarktwirtschaftlichen Grundgedankens müssen abgestellt werden, und deshalb muss man an der Finanzmarktregulierung, die ja nicht gleichzusetzen ist mit Finanzmarktstrangulierung, intensiv arbeiten.

Aber Europa ist nicht nur Währung, ist nicht nur Geldpolitik, ist nicht nur Griechenland, Irland, Portugal und die angeschlossenen Sendeanstalten, die auch auf Empfang hoffentlich eingeschaltet sind. Europa ist mehr als das. Ich bin kein Euro-phoriker, also im Sinne dass alles was man sich in Brüssel zusammendenkt als der Weisheit letzter Schluss begreifen würde. Seit vielen Jahren bin ich nicht der Auffassung, weil ich das ja hautnah, live und in Farbe erlebe.

Beispielsweise diese bahnbrechende Idee, dass man das kaum überschaubare Gebiet des Großherzogtums Luxemburgs immer versucht in Regionen einzuteilen, damit man die regionalen Beihilfen auch in Luxemburg entsprechend zur Anwendung bringen kann, zeugt davon, dass es eine erhebliche Unkenntnis über geographische Gesamtverhältnisse des Großherzogtums Luxemburg gibt, wo man auf dem linken Bürgersteig der Straße 15% Beihilfe kriegt und auf dem rechten Bürgersteig, wegen der regionalen, interkontinentalen Differenz 18%, das versteht in Luxemburg niemand. Das führt übrigens dauernd dazu, dass die Geschäfte die Straßenseite wechseln, damit sie 3% mehr kriegen.

Also, all den Blödsinn, von einigen Reissbrettfanatikern, das muss man abstellen. Ich bin sehr der Auffassung, dass zu viel Europa an der falschen Stelle zu zu wenig Europa führen wird, insofern muss man das in den Griff kriegen. Aber die europäische Sache hat nichts mit Regionalhilfe in Luxemburg zu tun, sondern hat mit Vergangenheitsbetrachtung und mit Zukunftsvorstellungen wesentlich zu tun.

Die europäische Vergangenheit war keine gute. Die guten alten Zeiten, die hat es ja in Europa nie gegeben. Als sie noch wirklich alt waren.

Das 20. Jahrhundert in seiner ersten Hälfte war ja kein gutes Jahrhundert. Die Generation meiner Großeltern, meiner Eltern, ich bin – hoffentlich sieht man das noch – deutlich nach Kriegsende geboren, 1954, nur für diejenigen die es nicht sehen würden; das Leben meiner Generation ist ja in keinerlei Weise vergleichbar mit dem was unsere Großeltern und unsere Eltern haben erleben, erleiden und erdulden müssen.

So, und jetzt sind diese Menschen, die Krieg haben führen müssen – niemand kommt ja individuell spontan auf die Idee Krieg zu führen, es ist ja immer eine Entscheidung der Politik oder der nichtfunktionierenden Politik – die kommen aus den Konzentrationslagern nach Hause, von den Frontabschnitten nach Hause und beschließen: das machen wir nicht noch einmal. Das hatten die Europäer schon so oft vorher gesagt, aber zum ersten Mal nach Kriegsende wurde aus diesem ewigen Nachkriegsgebet "Nie wieder Krieg" ein politisches Programm, das bis heute wirkt und bis heute Wirkung zeigt.

Wenn ich das vergleiche mit dem was unsere Generation heute tut, dann ist das ja nicht nur unvergleichlich, sondern auch fast empörend, weil wir ja in der Sonne groß geworden sind. Die Sonne hat ja auf so viele Köpfe gebrannt, dass diese Köpfe das erkennbar schlecht ertragen haben, wenn ich mir Heute anschaue was aus diesen Köpfen an europäischem Gedankengut sprudelt. Also, wir sollten der Vorgängergeneration dankbar sein, dass sie uns in eine Welt hineingeboren hat oder uns es erlaubt hat in eine Welt hineingeboren zu werden, in der es keine existentiellen und essentiellen Problembewältigungsaufgaben mehr gibt.

Es reicht aber nicht, das Thema Europa nach den Arbeitstiteln Krieg und Frieden abzuarbeiten. Ich bin immer noch der Meinung, dass es immer noch darum geht. Und das Kurzzeitgedächtnis der Europäer ist null. Ich habe eben von Bosnien und vom Kosovo geredet, das war ja nicht im vergangenen Vorjahrhundert, das war nicht im 19. Jahrhundert, das war Ende des 20. Jahrhunderts, hat es diese Kriege und diese Menschenrechtsverletzungen gegeben. Es geht um eine perspektivische Erzählung über Europa. Und die fundiert auch, zum Teil jedenfalls, auf ökonomischen Betrachtungsweisen.

Unser Gewicht in der Weltwirtschaft nimmt rasant ab. Ich rede nicht nur von EU und Euro-Europa, sondern vom Europa im breitesten Sinne des Wortes. Heute steht die Europäische Union für 20% des weltweiten Bruttoinlandproduktes. Das wird so nicht bleiben. Wir rutschen unaufhörlich in Richtung 14%. Mit Wettbewerbsfähigkeitsverlust oder ohne Wettbewerbsfähigkeitsverlust haben wir eine konstante Entwicklung die wir beobachten können. Wir haben von 2007 bis 2010 2.000 Milliarden Euro an Wirtschaftsleistung allein im Euro-Währungsgebiet eingebüßt, dadurch dass wir den rezessiven Entwicklungen keine konsequente Wiederaufmöbelungspolitik sofortiger Natur entgegenstellen konnten. Wir werden schwächer.

Und wir werden auch immer weniger zahlreich. Das ist ein Thema das mich umtreibt. Geschichte ist das Ergebnis vom Miteinander und Gegeneinander und Nebeneinander von Geographie und Demographie. Die europäische Geographie ist irrsinnig kompliziert. Deshalb gehöre ich zu denen, die immer noch denken – obwohl viele das inzwischen nicht mehr so sehen – dass der Erweiterungsprozess der Europäischen Union nach Ost- und Mitteleuropa ein historisch zu begrüßender ist, weil es uns gelungen ist, europäische Geschichte und europäische Geographie sich wieder miteinander versöhnen zu lassen. Und weil wir uns nicht mit diesem unmöglichen Nachkriegsdiktat abgefunden haben, dass die Europäer auf ewig in zwei getrennten Untergruppierungen funktionieren müssten.

Aber die Demographie, betrachtet man sie in der Retrospektive und stellt man sie sich in der Perspektive vor, erzählt eine eindeutige Geschichte, die uns zu mehr Europa wird veranlassen müssen, es sei denn, wir hätten uns endgültig dazu entschieden völlig geschichts- und zukunftsblind zu sein.

Am Anfang des 20. Jahrhunderts haben die Europäer, nochmals, im breitesten Sinne des Wortes, 20% der Erdbevölkerung dargestellt. Am Anfang dieses Jahrhunderts, vor nun mehr 11 Jahren, hat es noch 11% Europäer gegeben. Die Weltbevölkerung wächst weiter und wir schrumpfen, wirtschaftlich und demographisch. Und wir werden Mitte des Jahrhunderts noch genau 7% der Erdbevölkerung ausmachen. Und am Ende dieses Jahrhunderts wird es noch 4% Europäer geben. Das heißt, in 2 Jahrhunderten hat sich der Anteil der Europäischen Bevölkerung an der Erdbevölkerung durch 5 geteilt. Wir sind 5-mal weniger als am Anfang des 20. Jahrhunderts.

Woraus sich ergibt, dass diejenigen die denken, der Nationalstaat wäre das optimale politische, auch außenpolitische Instrumentarium um in der Welt des ausgehenden 21. Jahrhunderts zurechtzukommen, sich fundamental irren. Die irren sich fundamental.

Das ist jetzt kein Plädoyer für den Beitritt der Schweiz. Es ist nur der Hinweis darauf, dass es keine großen europäischen Länder mehr gibt. Es gibt sie schon heute nicht mehr. Und es wird sie morgen absolut nicht mehr geben. Niemand wird mehr zur Kenntnis nehmen, angesichts der Bevölkerungsexplosion – weniger in China als in Indien, weil die Inder werden in 20 Jahren die Chinesen überrundet haben, mit all dem was dies an gesamtwirtschaftlicher Impaktbildung zu Folge haben wird – niemand wird mehr von den sich heute noch groß wähnenden europäischen Nationen reden. Glauben Sie mir das.

Es ist heute schon so. Ich reise ja durch die Welt. Bin in Moskau, bin in Peking, rede mit den Medwedews und Putins dieser Welt, und mit den Wus und Wins und Wens. Wenn diese Staaten – die ich hier nicht beschimpfen möchte, wieso sollte ich das? – Franzosen, Engländer, Briten, Italiener, wenn sie nicht Mitglieder der Europäischen Union wären, sie würden als Einzelstaaten nicht mehr zur Kenntnis genommen, es wären keine Players mehr.

Die Chinesen haben ja in Sachen Demographie eine eigene Sicht der Dinge. Man muss sich dieser Sicht der Dinge anschließen um überleben zu können. Wenn ich in China bin, da bin ich zweimal im Jahr um den chinesischen Premierminister zu treffen, dann nehme ich den immer an der Schulter und sage, stell dir mal vor, du und ich, wir beide, wir repräsentieren ein Drittel der Menschheit. Und dann lacht er. Aber er würde auch lachen, wenn Frau Merkel, Herr Sarkozy oder Herr Berlusconi ihn so ansprechen würden. Das macht für ihn überhaupt keinen Unterschied, weltweit betrachtet.

Deshalb muss man wissen, wenn wir nicht zusammenstehen, so oder so, im Rahmen der Europäischen Union, oder in etwas lockeren Gesamtzusammenschlüssen, nicht jede europäische Nation und Land muss ja zu dem europäischen Kerngebiet gehören; wenn wir Politik gegeneinander machen, statt Politik miteinander und Politik miteinander heißt nicht Politik gegen die Chinesen und gegen die Inder – die erschrecken mich überhaupt nicht. Wieso sollen eigentlich die Europäer die einzigen sein, die in der Sonne leben, die Wohlstand kennen? Sind die Chinesen weniger wert als wir, oder die Inder? Wir sind doch nicht die Herren der Welt. Wir waren es nie. Und als wir dachten wir wären es, war es nicht zum Guten der Welt, als wir unsere Herrschaft ausübten.

Insofern kommt es ja auch, das ist ein altmodischer Begriff – ich bin nicht Sozialist – es kommt ja auch auf Brüderlichkeit an, in Europa und außerhalb Europas.

Und so lange jeden Tag 25.000 Kinder den schlimmsten aller Tode sterben, nämlich an Hunger krepieren, so lange sind Sie, wir, die Europäer, die EU-Europäer, die Euro-Europäer, die Schweizer mit ihren Aufgaben der Welt nicht fertig.

Vielen Dank.

Membre du gouvernement

JUNCKER Jean-Claude

Organisation

Ministère d'État

Date de l'événement

25.10.2011