Premierminister Jean-Claude Juncker über die EU-Osterweiterung und die Quellensteuer

Welt am Sonntag: Herr Juncker, Hauptthema des EU-Gipfels in Nizza an diesem Wochenende war die Osterweiterung. Viele Westeuropäer stehen dem Vorhaben skeptisch gegenüber. Zählt deren Unmut nicht?

Jean-Claude Juncker: Es würde die EU-Erweiterung nach Ost- und Mitteleuropa nicht geben, wenn wir die Menschen in unserem Teil Europas nicht von dem Sinn des Vorhabens überzeugen könnten. Wir Politiker müssen engagiert dafür eintreten und nicht denken, es wäre besser, die Fragen der historischen Vereinigung Europas in ihrer Dramatik unter den Teppich zu kehren.

Welt am Sonntag: Worin sehen Sie die Dramatik?

Jean-Claude Juncker: Die Ost-Erweiterung ist doch auch eine Frage von Krieg und Frieden. Wir können auf Dauer nicht friedlich leben, wenn es den Bürgern in Osteuropa schlecht geht. Es muss in unserem Interesse sein, dass die Menschen aus beiden Teilen Europas stärker zueinander finden. Der Krieg in Jugoslawien sollte uns allen eine Warnung sein.

Welt am Sonntag: Die EU ist jetzt schon nahe der Handlungsunfähigkeit. So versucht sie seit Jahren eine einheitliche Regelung bei der Quellensteuer zu erreichen, doch heraus kommen nur halbherzige Kompromisse.

Jean-Claude Juncker: Das stimmt nicht. Wir haben uns auf eine gemeinsame Besteuerung der Zinserträge verständigt und wollen durch Gespräche mit Drittstaaten und abhängigen Territorien der EU-Staaten zu kommen, dass diese Länder gleichwertige Steuermaßnahmen ergreifen. Dann ist der Weg frei, eine europaweite Quellensteuer von erst 15, dann 20 Prozent zu erheben.

Welt am Sonntag: Weitere Forderung ist die Lüftung des Bankgeheimnisses. Warum sollten die Drittstaaten das tun?

Jean-Claude Juncker: Es gibt einen internationalen Trend in Richtung Abschaffung des Bankgeheimnisses. Sind die Drittstaaten jedoch nicht bereit, ihr Bankgeheimnis zur Disposition zu stellen, kann niemand von Luxemburg verlangen, dieses zu tun. Dann bliebe es bei der Einführung der Quellensteuer, allerdings nur dann, wenn auch die Schweiz und andere Staaten sie flächendeckend für In- und Ausländer einführen.

Welt am Sonntag: Warum spielen Sie nicht mit offenen Karten und sagen, dass Luxemburg auf die Milliarden-Einnahmen durch Steuerflüchtige nicht verzichten will?

Jean-Claude Juncker: Ich würde Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir einen Beschluss gefasst haben ...

Welt am Sonntag: ... klar, wenn die Drittstaaten mitmachen, was so wahrscheinlich ist, wie die Aufhebung der Schwerkraft ...

Jean-Claude Juncker: ... nein. Es gibt überhaupt keinen Zweifel daran, dass die Schweiz und andere mitziehen werden. Meine Gespräche mit den dortigen Kollegen zeigen, dass die Quellensteuer für gebietsfremdes Vermögen in den Drittstaaten 2003 eingeführt wird.

Welt am Sonntag: Aber mit einem Mausklick am PC ist das Kapital aus Europa verschwunden.

Jean-Claude Juncker: Wir müssen darauf achten, dass sich nicht andere Finanzzentren für Kapitalbewegungen anbieten. Wenn wir nachträglich feststellen, dass es einen erheblichen Geldabfluss aus der EU nach Singapur oder Hongkong gibt, dann werden wir uns mit dem Brüssler Beschluss vom 27. November noch einmal neu beschäftigen müssen. Es darf nicht sein, dass wir in der EU eine gemeinsame Quellensteuer einführen, die Steuergelder uns jedoch verloren gehen. Wir sollten uns vor der verlockenden Naivität schützen, so zu tun, als gebe es außerhalb der EU keine Anlagemöglichkeiten für das Kapital.

Welt am Sonntag: Luxemburg wird also weiterhin ein Ärgernis für Bundesfinanzminister Hans Eichel bleiben, der nicht an die Kapitalanlagen in Ihrem Land herankommt.

Jean-Claude Juncker: Deutschland ist für die anderen Länder auch ein Ärgernis. Es wird systematisch verschwiegen, dass Deutschland auch keine Quellensteuer auf ausländisches Vermögen erhebt. Man sollte den moralischen Zeigefinger also möglichst tief in der Hosentasche belassen. Wir lassen uns nicht verantwortlich machen für die Irrungen und Wirrungen der deutschen Zinssteuerpolitik.

Welt am Sonntag: Deutschland hat nicht so ein strenges Bankgeheimnis wie Luxemburg.

Jean-Claude Juncker: Das Bankgeheimnis in Luxemburg ist nicht so absolut, wie man denkt. Dass sich hinter unserem Bankgeheimnis Kriminelle und Geldwäscher verstecken, ist natürlich eine reine Erfindung mit dem Ziel, Luxemburg mürbe zu machen. Diese Propaganda können sich die Deutschen sparen.

Welt am Sonntag: Mögen Sie vielleicht zustimmen, dass es einen quantitativen Unterschied zwischen deutschem und luxemburgischem Fluchtkapital gibt?

Jean-Claude Juncker: Trotz größter Anstrengungen wird es uns in den nächsten Jahren nicht gelingen, bei der Bevölkerungszahl die Deutschen zu überflügeln. Das stimmt.

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