Interview mit Premierminister Jean-Claude Juncker anlässlich des "Europatag". Jean-Claude Juncker über die Einführung des Euro, die EU-Osterweiterung und das Schröderpapier

Herr Juncker, wie kann man Europa denn mehr ins Bewusstsein seiner Bürger bringen?

Jean-Claude Juncker: Also, Europa gehört in den Mittelpunkt des allgemeinen Bewusstseins und diese Meinungsumfragen, von denen ich im übrigen strikt nichts halte, weil ich nicht der Meinung bin, dass man politisches Handeln an Meinungsumfragen ausrichten sollte, zeigen, dass vieles, was unterwegs ist, eigentlich von der Bevölkerung entweder nicht mitgetragen wird oder auch sentimental so nicht gewollt wird. Das heisst dass man Europa jeden Tag immer wieder neu erklären muss, und dass man immer wieder - das tun die wenigsten - auf die eigentlichen Ursachen eingeht, die nach dem Ende des 2. Weltkrieges uns eigentlich dazu gebracht haben Europa zu wollen.

Jetzt ist aber die Frage wie man das der Bevölkerung, der jetzigen Generation transportiert? Da gibt es ja offenbar ein Vermittlungsproblem?

Jean-Claude Juncker: Da gibt es ein sehr ernstzunehmendes Vermittlungsproblem. Wir müssen den Menschen erklären, dass die Erweiterung der Europäischen Union nach Ost- und Mitteleuropa einhergeht mit der Öffnung starkwachsender Märkte. Hier werden Absatzgebiete für deutsche, für luxemburgische, für französische Waren und Produkte frei, die so nicht freigeworden wären, wenn es den Umschwung und den Umsturz in Ost- und Mitteleuropa so nicht gegeben hätte. Man muss den Menschen erklären, dass Prag, dass Budapest europäische Städte sind, wie Luxemburg, Saarbrücken, Trier, oder Paris...

Aber gerade, was jetzt die Erweiterung nach Osteuropa angeht, da ist es ja so, dass eher die Ängste vorherrschen. Dass man z.B. sagt, aus Polen kommen Billigarbeiter nach Deutschland oder wenn die EU jetzt die ganzen Oststaaten mitaufnimmt, wird es so sein, dass unsere Staaten weniger Geld von der EU kriegen, weil  wir erst mal da reinbuttern müssen. Also da sind ja zunächst einmal die Ängste, die dort vorherrschen?

Jean-Claude Juncker: Ob das alles so schlimm kommen wird, und so dicke kommen wird, wie jetzt vorausgesagt daran hab ich erhebliche Zweifel. Aber ich muss aus eigener Erfahrung und aus der meines Landes sagen, als Portugal  1986 Mitglied der europäischen Union wurde, wir uns auch und sehr energisch - ich selbst auch - für eine möglichst lange Übergangsfrist einsetzten, weil wir dachten - weil wir damals 14% portugiesische Gastarbeiter in Luxemburg hatten - wir würden von portugiesischen Arbeitnehmern überrannt. Das ist überhaupt nicht passiert. Im Gegenteil, nach 5 Jahren haben wir in einem unilateralen Verfahren diese Übergangsbestimmungen gegen uns selbst, wenn ich so sagen darf,  aufgekündigt. Wir haben die Erfahrung damals gemacht, dass wenn die Menschen vor Ort, dadurch dass ihr Land Mitgliedsland der Europäischen Union wird, die Perspektive, glaubhaft vor Augen haben, dass die Lebensverhältnisse vor Ort besser werden, dann wandern sie nicht aus. Insofern bin ich überhaupt nicht der Überzeugung, auch  nach vielen Gesprächen in Ost- und Mitteleuropa,  letztlich noch in Polen, dass die Menschen sich massiv in Richtung westeuropäische Arbeitsmärkte in Bewegung setzen. Ich halte diese Debatte für masslos übertrieben.

Sie haben eben die Übergangsfristen angesprochen. Auch für Polen ist eine Übergangsfrist von 7 Jahren geplant. Wäre das denn so in Ihren Sinne?

Jean-Claude Juncker: Das wäre überhaupt nicht in meinem Sinne, weil ich nicht der Auffassung bin, dass wir eine derartig lange Übergangsfrist brauchen. 7 Jahre halte ich für überzogen. Ich bin der Meinung, dass wir mit einer zweijährigen Übergangsfrist gut bedient wären. Ich bin aber nicht dagegen, dass man über diese zweijährige Grundübergangsfrist hinaus Modalitäten festlegt, wenn es in einer Grenzregion z.B. zu einem übermässig starken Zuwanderungsprozess ost- und mitteleuropäischer Arbeitskräfte käme. Aber jetzt schon zu sagen, wir brauchen da mindestens 7 Jahre, das  halte ich für übertrieben. Wer aber trotzdem auf den 7 Jahren beharrt, muss wissen, er macht die Angst nicht kleiner, er macht sie grösser, weil die Menschen werden sich sagen, es wird wirklich so schlimm kommen, wie wir denken, weil , ansonsten diese siebenjährige Übergangsfrist ja nicht in den Beitrittsvertrag aufgenommen worden wäre.

(...)

Eine radikale Reform der EU möchte Bundeskanzler Gerhard Schröder. Seine Vorschläge: die Europäische Kommission soll zu einer europäischen Regierung ausgebaut werden, der Ministerrat soll zu einer Staatenkammer werden, das Europäische Parlament mehr Budgethoheit erhalten und die Nationalstaaten in bestimmten Bereichen wieder mehr Kompetenz. Im SR 1 Studio ist der Premierminister von Luxemburg, Jean-Claude Juncker. Herr Juncker, sind das Vorschläge, die Sie unterstützen?

Jean-Claude Juncker: Alle sind diskussionswert und viele andere auch noch, die nicht in dem sogenannten Schröderpapier stehen. Ich bin mit Schröder absolut einer Auffassung, dass wir die Position der Europäischen Kommission stärken müssen. Die luxemburgische Regierung, wie auch die anderen Benelux-Regierungen, haben dies auch während  des nach Nizza geführten Verhandlungsprozesses dauernd angemahnt. Ich bin der Meinung, dass man die Rechte des Europäischen Parlamentes stärken muss, wobei es dem deutschen Bundeskanzler, der fast 100 Abgeordnete im Europäischen Parlament hat, wahrscheinlich leichter fällt dies zu verlangen als einem Regierungschef, der nur mal genau 6 Abgeordnete im Europäischen Parlament hat. Aber, dass das Parlament in seiner gesetzesgeberischen  Funktion gestärkt werden muss, steht für mich ausser Zweifel. Dass man die Haushaltsbefugnisse des Europäischen Parlamentes stärken sollte, stösst bei mir nicht auf prinzipielle Bedenken. Ich hätte nur gerne, dass wir dann vorher über die Politik reden, die über den europäischen Haushalt gestaltet werden soll. Allgemein und insgesamt finde ich den Vorstoss des Bundeskanzlers interessant, gut, und integrationsweiterführend. Mir ist ein deutscher Bundeskanzler, der auf die europäische Karte setzt und der die europäische Integration durch konkrete vertragsabändernde politische Beschlüsse irreversibel gestalten möchte, lieber als ein deutscher Bundeskanzler, der der europäischen Politik und ihren Notwendigkeiten den Rücken kehren würde. Insofern bin ich prinzipiell und atmosphärisch in weiten Teilen mit dem einverstanden, was Schröder formuliert hat.

Frankreich hat sich ja gegenüber diesem Schröderpapier eher skeptisch gezeigt und das passt ja so ein bisschen jetzt in die Tradition, die sich neuerdings angebahnt hat zwischen Frankreich und Deutschland. Das hatten  wir ja schon auf dem Nizzagipfel gesehen. Also der frühere Motor, dieses Tandem Frankreich Deutschland das scheint ja so ein bisschen zu bröckeln. Wie ist denn Ihre Sicht, Sie waren ja jetzt auf den Gipfeln dabei und haben auch einen Einblick. Ist das wieder reparabel oder scheint das so weiterzugehen?

Jean-Claude Juncker: Ich sehe das alles nicht so dramatisch wie viele publizistische Beobachter in Deutschland oder in Frankreich. Deutschland und Frankreich sind in ihrer Motorfunktion nicht ersetzbar. Aber man sollte nicht denken - das denken viele in Berlin, das denken viele in Paris - als ob es ausser Deutschland und Frankreich sonst niemanden an Bord gäbe, der deutsch-französische Motor wird überhaupt nichts bewirken, wenn andere nicht auch Motorfunktion übernehmen, die Beneluxstaaten z.B., andere Kombinationen sind auch denkbar. Nichts geht in Europa wenn der deutsch-französische Motor ausfällt. Aber nichts geht in Europa nur weil dieser Motor anspringt. Wir verstehen von den Franzosen viel mehr als die Deutschen je über die Franzosen in Erfahrung bringen werden. Und wir wissen von den Deutschen unendlich mehr als die französische Phantasie jemals imstande sein wird über die Deutschen auch nur zu vermuten. Wir sind Luxemburger, sitzen in der Intersektion zwischen Deutschland und Frankreich, wissen von beiden mehr, eigentlich alles, mehr jedenfalls als die beiden übereinander. Und das ist der Stoff aus dem wir unsere Politik machen, der ist überraschungsfrei und überraschungsgeschützt.

Und sie sind in der perfekten Vermittlerrolle?

Jean-Claude Juncker: Manchmal müssen wir das tun.

Und werden sie das auch tun - also ich meine jetzt gerade, was dieses Schröderpapier angeht und die Ablehnung Frankreichs?

Jean-Claude Juncker: Der luxemburgische Premierminister wird manchmal um Vermittlungsdienste gebeten, ich glaube er würde das nicht mehr werden, wenn er darüber öffentlich berichten würde.

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