Gibt es Ängste, muss man sich damit beschäftigen. Premier Juncker zu seinem Österreich-Besuch und der EU-Osterweiterung

Werden Sie bei Ihrem Besuch im Wien im Unterschied zu Gerhard Schröder auch FPÖ-Minister treffen?

Jean-Claude Juncker: Ich organisiere meine Reise nicht an Hand des Programms, das andere absolviert haben. Ich werde den Kanzler treffen, den ich seit Jahren schätze und dem ich freundschaftlich verbunden bin. Ich werde auch den Finanzminister treffen. Österreich und Luxemburg haben ja gemeinsame Interessen.

Bei den Sanktionen haben Sie mitgetan. War es eine Torheit?

Jean-Claude Juncker: Man muss in Österreich sehr gut verstehen, dass es zu Reaktionen im EU-Ausland kommt, wenn eine Partei an die Macht kommt, die im Wahlkampf etwa bei Ausländerfragen sich als nicht einwandfrei solide erwiesen hat. Dass es zu einer Reaktion kommen musste, war klar. Ob diese Reaktion die Geeignete war, steht in Frage. Eine gehobene Form der Staatskunst waren die Sanktionen nicht.

Man hat sich also bei der Methode geirrt?

Jean-Claude Juncker: Es wäre ein noch größerer Fehler gewesen, wenn es keine Reaktion gegeben hätte. Sonst bin ich der Meinung, dass man in den 15 Hauptstädten nicht adäquat reagiert hat. Ich betone in 15, nicht nur in 14.

Zur Osterweiterung: Die Ängste in Österreich sind sehr groß.

Jean-Claude Juncker: Wenn es Ängste gibt, muss man sich damit beschäftigen. Wenn die Politik sich nicht damit beschäftigt, beschäftigt sich die Angst mit der Politik. Insofern kann ich nachvollziehen, warum Österreich und Deutschland um Garantien bei der Freizügigkeit von Arbeitnehmern ersuchen. Sonst halte ich die Angst, die eine diffuse Ängstlichkeit ist, für grundsätzlich nicht berechtigt.

Spielen Sie auf die Erfahrung Luxemburgs mit den Portugiesen 1986 an?

Jean-Claude Juncker: Ja. Vor deren Beitritt waren bereits 14 Prozent unserer Bewohner Portugiesen. Nach deren Beitritt ist der Zustrom zurückgegangen. Das wird bei Ungarn und Polen nicht anders sein. Die Leute schöpfen Hoffnungen, dass sich die Dinge vor Ort stabilisieren. Mit dem Beitritt haben sie erstmals eine Perspektive, die das Dableiben plausibler macht. Ich weiß auch nicht, ob jene, die diese Ängste politisch kultivieren, sich auch nur für zehn Minuten in die Haut eines Südpolen versetzt haben. Warum soll er Haus, Freunde, Familie zurücklassen und nach Österreich auswandern? Die Menschen funktionieren nicht so, wie es Regierungen gern hätten oder wie sie es manchmal befürchten.

Ist nicht das Dilemma der Osterweiterung, dass sie politisch notwendig, aber nicht populär ist?

Jean-Claude Juncker: Ich habe schon Mitte der neunziger Jahre gesagt, dass die Osterweiterung zu den unpopulärsten Unterfangen zählt, die die EU jemals angegangen sind. Deshalb überrascht mich nichts. Wenn man den Kontinent wiedervereinigen will, muss man in den Geschichtsbüchern nachlesen, nicht in den Meinungsumfragen.

Ist der politische Wille unter den Fünfzehn wirklich vorhanden, 2004 die ersten Länder aufzunehmen?

Jean-Claude Juncker: Der Wille, dass die ersten neuen Mitglieder an den Europawahlen 2004 teilnehmen, ist ungebrochen. Die Entscheidung fällt aber auf der Basis der Fortschrittsberichte. Jedes Land sollte auf Grund seiner eigenen Verdienste, Leistungen und Anstrengungen für beitrittsreif erklärt werden. Ich beteilige mich nicht an Spekulationen, wann wie viele Länder aufgenommen werden. Diese könnten sich zu einem selbstständigen Faszinosum entwickeln, das die sachliche Auseinandersetzung mit den Substanzfragen unmöglich macht.

Wird man beim Fahrplan auf die Wahlen in Frankreich und Deutschland im nächsten Jahr Rücksicht nehmen?

Jean-Claude Juncker: Ich halte nicht sehr viel davon, den Bürger zum Deppen zu erklären. Die Menschen wissen sehr genau, dass die Beitrittsverhandlungen schwierig sind und dass einige große Brocken auf uns warten. Die Menschen werden sorgsam darüber wachen, das ohne Rücksicht auf Wahltermine verhandelt wird.

Bei der Erweiterung geht es letztlich um das Geld. Die Spanier winken bereits mit dem Zaunpfahl.

Jean-Claude Juncker: Das Zusammenwachsen des Kontinents muss zu einer Logik des Teilens führen. Wenn wir uns dem verwehren, erleben wir ein kontinentales Desaster. Jeder muss auch wissen, dass es keine unverrückbaren Ansprüche an die Brüsseler Kassen gibt. Die Strukturpolitik muss als Solidarinstrument weitergeführt werden, aber es wird nicht ohne Abstriche für die bisherigen Nutznießer gehen.

Zur Kompetenzabgrenzung: Hat Brüssel zu viel Macht?

Jean-Claude Juncker: Die Frage stellt sich nicht in der Form. Es geht nicht darum, Brüssel Kompetenzen abspenstig zu machen. Sie müssen neu geordnet werden. Hier halte ich die Frage der Proportionalität für wesentlich wichtiger als die Frage der Subsidiarität. Die Frage ist nicht, ob Brüssel eine Kompetenz besitzt. Entscheidend ist, wie Brüssel damit umgeht. Beim Wettbewerb und der Strukturpolitik ist die Kommission manchmal viel zu detailverliebt.

Wo hat Brüssel zu wenig zu sagen?

Jean-Claude Juncker: Etwa bei der Bekämpfung der internationalen Kriminalität. Die Leute erwarten zu recht, dass die Politiker die Sicherheit der Bürger garantiert. Das Verbrechertum hat die europäische Dimension schon viel besser begriffen als die europäische Politik.

Mehr Kompetenzen für Europol?

Jean-Claude Juncker: Ich bin dafür, das wir auch auf EU-Ebene eine FBI-ähnliche Polizeistruktur bekommen. Die Menschen sind nicht interessiert an unseren Gedankengebäuden, die um die institutionelle Neuordnung Europas kreisen.

Österreich macht sich für eine Verankerung der militärischen Beistandspflicht in der EU stark. Was halten Sie davon?

Jean-Claude Juncker: Wenn ich das richtig sehe, hat es sich zu einem Riesenpolitikum in Wien hochgeschaukelt. Ich will in die Innenpolitik nicht eingreifen. Für mich ist klar, dass auf längere Sicht die verteidigungspolitische Dimension immer wichtiger wird. Es gibt in der EU das tragende Element der Solidarität. Auf längere Sicht kann es nicht anders sein, als dass diese Solidarität auch auf den Verteidigungsbereich ausgedehnt wird. Es liegt in der Logik der Entwicklung.

Sie sind als Nachfolger Wim Duisenbergs als Präsident der Europäischen Zentralbank im Gespräch. Sind Sie für das Amt zu haben?

Jean-Claude Juncker: Wie steht es schon in der Bibel: Viele fühlen sich berufen. Ich gehöre nicht zu denen.

Sie wollen also gefragt werden?

Jean-Claude Juncker: Ich bin schon öfters für internationale Ämter gefragt worden, zu denen ich mich nicht berufen fühlte.

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