Luxemburg bleibt sauber. Premierminister Jean-Claude Juncker zu den Folgen der Ereignisse des 11. Septembers und der anstehenden Steuerreform

Luxemburg ist von den Entwicklungen nach den Attentaten des 11. September nicht verschont geblieben. Das Land weigert sich aber, den europäischen Haftbefehl so ohne weiteres einzuführen. Warum?

Jean-Claude Juncker: Das ist so nicht ganz richtig. Man muss es tiefgründiger sehen. Wir sind nicht dagegen. Aber: Es gibt keine europäische Definition für den Tatbestand des Terrorismus. Deswegen kann man auch keinen europäischen Haftbefehl ins Leben rufen. Wir werden uns auf europäischer Ebene auf eine Positivliste einigen, in der 15 oder 16 Vergehen genau beschrieben werden. Dafür wird es einen europäischen Haftbefehl geben. Richtig ist allerdings, dass ich dagegen bin, dass wir nun für Vergehen quer durch den Garten europäische Haftbefehle ausstellen.

Leben wir in der Gefahr einer Überreaktion auf die Ereignisse vom 11. September?

Jean-Claude Juncker: Wir müssen als Erfahrung aus den Ereignissen des 11. September der inneren Sicherheit eine verstärkte Aufmerksamkeit widmen. Aber ich habe zwei Sorgen. Die eine ist, dass in unserem gemeinsamen europäischen Wertekanon Vorstellungen von Freiheit durch Terroristen ausgehöhlt werden. Die andere, dass wir in einem Übereifer unsere Wertvorstellungen von Freiheit für den Begriff der Sicherheit über Bord werfen.

Was kann man da tun?

Jean-Claude Juncker: Ich werde mit großer Distanz an diese Fragen herangehen. Wir werden die Osterpause des Jahres 2002 dazu benutzen, unsere Sicherheitslage zu prüfen und unsere Gesetze auf die neuen Erfordernisse hin in Ruhe anschauen. Ich möchte jetzt nichts überstürzen.

In Luxemburg spielt das Bankgeheimnis eine große Rolle. Trägt es die Schuld daran, dass sich Terroristengelder ungehindert über den Globus bewegen können und in den USA zur Finanzierung von Attentätern dienen?

Jean-Claude Juncker: Die Regierung in Luxemburg hat veranlasst, dass alle verdächtigen Konten überprüft werden. Wir haben bis auf wenige Konten nichts festgestellt. Hingegen sind dort, wo das Bankgeheimnis nicht besteht, in London, in Paris, in erheblichem Maße Terroristengelder festgestellt worden. Die Schlussfolgerung, dass es Geldwäsche dort gibt, wo es ein Bankgeheimnis gibt, ist nicht zulässig.

Und was ist, wenn doch?

Jean-Claude Juncker: In Luxemburg weiß jeder Bankangestellte, dass er in der Pflicht steht, verdächtige Geldbewegungen zu melden. Wir haben hier derzeit eine große Sensibilisierung der Banken im Hinblick auf Terrorgelder und Geldwäsche. Würde sich herausstellen, dass Luxemburg ein Bankenplatz für Geldwäsche ist, dann wäre dies das Aus für den Bankenplatz. Luxemburg lebt von seiner Reputation als sauberer Finanzplatz. Wir achten darauf, dass dies so bleibt.

Worauf muss sich ein Bankenkunde in Luxemburg nun einstellen? Werden luxemburgische Behörden mit den deutschen in einen Informationsaustausch über Konten treten?

Jean-Claude Juncker: So darf man das nicht verstehen. Wir werden auch in der derzeitigen Situation unsere Praktiken nicht verändern. Wir haben uns im europäischen Rahmen dafür eingesetzt, dass die zuständigen Banken-Aufsichtsbehörden enger kooperieren und sich mehr austauschen. Wir haben alle US-Wünsche an die Kreditinstitute in Luxemburg weitergeleitet. Wir haben dem US-Finanzministerium angeboten, einen Beamten nach Luxemburg zu schicken, damit wir enger und schneller arbeiten können.

Dürfen Behörden ohne richterliche Erlaubnis auf Konten zugreifen?

Jean-Claude Juncker: Nein! Wir haben eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft für die Geldwäsche, die sich auch mit Terrorgeldern beschäftigt. Das Verfahren zwischen Banken und Justiz ist perfektioniert. Alles läuft zunächst einmal über diese Staatsanwaltschaft. Das gibt die rechtliche Sicherheit. Gerade weil wir diese juristische Sicherheit anbieten können, waren wir im Europäischen Sonderrat im September auch dafür, Rechtsanwälte und Steuerberater in die in Luxemburg bestehende Meldepflicht bei Geldwäsche einzubinden. Dabei hat sich Deutschland erheblich schwerer getan als wir.

Darf man in einem Europa der Hochsicherheit als Deutscher noch ein Konto in Luxemburg haben?

Jean-Claude Juncker: Ja! Wer allerdings glaubt, dass er mit seinem Konto in Luxemburg Geldwäsche betreiben kann, der läuft hier in ein offenes Messer.

Luxemburg ist nicht nur Finanzplatz sondern auch ein Land, das täglich etwa 100000 Grenzgänger empfängt. Gerade die Grenzgänger beginnen, nach den Infrastrukturen im Großherzogtum zu fragen. Die Staus nach Deutschland, Frankreich, Belgien zu den Verkehrsspitzenzeiten sind mittlerweile berüchtigt.

Jean-Claude Juncker: Als wir, die Christlich Sozialen, 1974 die Wahlen verloren hatten, wurde dem damaligen abgewählten Bautenminister von Journalisten vorgeworfen, mit der Autobahn nach Frankreich eine völlig unsinnige Straße durchgesetzt zu haben, an der eines Tages die Kühe die leere Straße bestaunen würden.

Das Gegenteil ist eingetreten, heute beobachten die Autofahrer die Kühe, während sie im Stau stehen. Wie bekommt man den Verkehr wieder flüssig?

Jean-Claude Juncker: Ich weiß, dass unsere Straßeninfrastruktur nicht mehr ausreicht. Aber ich bin dagegen, dass wir als einzige Lösung die Autopisten von zwei auf drei Spuren ausbauen. Wir müssen zu einem vernünftigen Mix von Autoverkehr und öffentlichem Nahverkehr kommen. Mit Lothringen verhandeln wir schon über Park&Ride-Systeme. Niemand darf glauben, in 20 Jahren, wenn sich die Zahl der Grenzgänger auf 200 000 eingependelt haben wird, noch so einfach mit dem Auto nach Luxemburg fahren zu können.

Um die Attraktivität des Landes zu erhalten und zu erhöhen, wird das Großherzogtum im kommenden Jahr eine umfangreiche Steuerreform in Gang setzen. Worin liegen die Grundzüge?

Jean-Claude Juncker: Gewerbesteuer und Körperschaftssteuer betragen für Unternehmen heute zusammen 37,45 Prozent. Vom 1. Januar kommenden Jahres an sinkt diese Belastung auf 30 Prozent. Die Körperschaftssteuer alleine wird auf 22 Prozent gesenkt. Zum Vergleich: In Deutschland liegt die Körperschaftssteuer bei 25 Prozent.

Bei der Lohn- und Einkommenssteuer legt Luxemburg Wert auf eine starke Kinderkomponente. Ab welchem Jahreseinkommen zahlt eine Familie mit zwei Kindern vom kommenden Jahr an überhaupt Steuern?

Jean-Claude Juncker: Wenn man alle Freibeträge und Abzüge mitzählt, bezahlt eine solche Familie erst ab einem Jahreseinkommen von 75 000 Mark an Steuern.

Lohnt es sich, in Luxemburg zu wohnen?

Jean-Claude Juncker: Wenn ich der Meinung wäre, dass es sich nicht lohnen würde, dann hätte ich mich beruflich längst verändert. Aber im Ernst: Es lohnt sich, in Luxemburg zu wohnen. In der Großregion gibt es keinen anderen Flecken mit 2500 Quadratkilometern Größe, der auch nur eine ähnliche Lebensqualität aufzuweisen hat, wie Luxemburg.

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