Jean-Claude Juncker: In einer Stunde war das Thema Euro durch

Herr Juncker, Sie waren vor zehn Jahren beim EU-Gipfel in Maastricht dabei, als die Währungsunion beschlossen wurde. Wie lief das damals ab?

Jean-Claude Juncker: Es ging ganz schnell. In Maastricht haben wir nur eine Stunde lang über die Währungsunion gesprochen, dann war das Thema durch. Die Währungsunion war zwar der einzig richtige Erfolg von Maastricht, aber sie spielte dort praktisch keine Rolle. Die Entscheidungen waren wirklich sehr gut vorbereitet.

Machen wir also einen Schritt zurück: Wie fing der Euro denn an?

Jean-Claude Juncker: Ich glaube, man muss auf das Jahr 1985 zurückschauen, als der europäische Binnenmarkt beschlossen wurde. Damals haben sich die Deutschen noch mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, in dem Vertrag irgendetwas über die Währung zu sagen. Das änderte sich erst 1989/1990: Die deutsche Wiedervereinigung und die Veränderungen in Osteuropa führten dazu, dass die deutsche Politik ihre Bedenken vergaß. Der damalige Bundeskanzler und CDU-Politiker Helmut Kohl sagte: Jetzt machen wir die Währungsunion.

War die Aufgabe der DM also der Preis, den die Deutschen für die Wiedervereinigung zahlen mussten?

Jean-Claude Juncker: So würde ich das nie formulieren. Aber sicherlich haben sich die Franzosen damals gesagt: Deutschland wird größer, und deswegen muss Deutschland noch mehr in Europa fest gemacht werden. Und es muss auch Schluss sein mit der Vormachtstellung der deutschen Mark. Die Franzosen haben zwar diesen Preis nie ausdrücklich verlangt, aber sie haben die Gesamtkonstruktion so hinbekommen, dass es einfach so war.

Das mussten sich die Deutschen gefallen lassen?

Jean-Claude Juncker: Anfang des Jahres 1990 konnten die Deutschen nicht fordernd auftreten. Wegen der Wiedervereinigung waren sie auf ihre Partner angewiesen. Allerdings haben sie sich von diesem Schwächeanfall sehr schnell erholt. Sobald der Grundsatzbeschluss getroffen war - wir machen die Währungsunion -, hat die deutsche Regierung alles in Bewegung gesetzt, um die neue Währung nach den deutschen Vorstellungen von Stabilitätspolitik zu gestalten. Letztlich hat sie sich damit auch durchgesetzt, gegen erbitterten französischen Widerstand.

Sie hatten im ersten Halbjahr 1991 den Vorsitz bei den europäischen Finanzministern.

Jean-Claude Juncker: Ja. Es war in hohem Maße nervenaufreibend, weil ich immer wieder schlichten musste. Es gab wirklich heftigste Auseinandersetzungen zwischen den deutschen und französischen Verhandlungsführern und Büchsenspannern.

Nicht mit den Briten?

Jean-Claude Juncker: Das britische Problem wurde erst zum Knackpunkt, nachdem sich Deutsche und Franzosen so einigermaßen verständigt hatten und klar wurde, dass es zur Währungsunion kommen würde. Die Briten wollten auf keinen Fall mitmachen, und vor allem wollten sie keinen Automatismus: Dass nämlich alle mitmachen müssen, die die wirtschaftlichen Kriterien erfüllen. Deswegen habe ich damals vorgeschlagen, dass sie eine opt-out-Klausel bekommen, also das Recht, außen vorzubleiben. Dafür waren die Briten ziemlich dankbar.

Herr Juncker, über lange Zeit war Luxemburg das einzige Land, das sein Haushaltsdefizit unter Kontrolle hatte. Eine Zeit lang sah es sogar so aus, als ob Sie womöglich den Euro alleine einführen müssten.

Jean-Claude Juncker: Bis 1996 waren wir tatsächlich die Einzigen, die alle Kriterien für die Währungsunion erfüllten. Man weiß ja heute nicht mehr, dass der Euro eigentlich schon 1997 hätte eingeführt werden sollen. Das zweite Datum, 1999, haben wir nur eingeführt, um noch eine zweite Chance zu haben. Im Übrigen habe ich selbst nie geglaubt, dass es zwölf Länder sein werden, die jetzt am 1. Januar das Bargeld einführen. Wenn es gut geht, sind wir fünf oder sechs, habe ich gedacht.

Wann hatten Sie das letzte Mal Zweifel, ob die Währungsunion überhaupt stattfindet?

Jean-Claude Juncker: 1993 habe ich wirklich gezweifelt. An dem Tage, an dem der belgische König Baudouin starb, wurden wir Finanzminister hier in Brüssel zusammengetrommelt, um über Auf- und Abwertungen der europäischen Währungen zu entscheiden. Deutschland und die Niederlande wollten damals aus dem europäischen Währungssystem austreten. Die anderen Währungen wären unter französischer Vorherrschaft dringeblieben. Da habe ich gesagt: Luxemburg bleibt nicht im Währungssystem, wenn Deutschland und die Niederlande herausgehen, weil unsere Fundamentaldaten wesentlich besser sind. Das kann ich niemandem erklären. Aber es gibt ein Problem: Luxemburg hat keine eigene Währung.

Richtig, Luxemburg hatte eine Währungsunion mit Belgien.

Jean-Claude Juncker: Aber Belgien hatte ein hohes Defizit und wäre sicherlich im Währungssystem mit Frankreich geblieben. Genau für einen solchen Fall hatten wir Vorkehrungen getroffen: Wir hatten in aller Heimlichkeit eigene Geldscheine gedruckt. Milliarden neuer luxemburgischer Franken lagerten an einem geheimen Ort. Wir haben das Geld schließlich nach dem Start der europäischen Währungsunion verbrannt. Einen Schein habe ich noch, als historische Erinnerung.

1993 hätten Sie die Geldnoten beinahe aus dem Lager geholt?

Jean-Claude Juncker: Ja. Ich habe damals die ganze Nacht über mit dem deutschen Finanzminister Waigel und Bundesbankchef Tietmeyer darüber geredet, wie wir das machen. Deutschland und die Niederlande sind am Ende im Währungssystem geblieben, weil die Angst vor dem Durcheinander so groß war. Das war so ein Moment - wenn wir das damals hätten laufen lassen, würde es heute keine Währungsunion geben.

Das war die letzte Krise?

Jean-Claude Juncker: Einmal habe ich mir noch Fragen gestellt über die Dauerhaftigkeit des Angefangenen. Das war in Dublin im Dezember 1996, als sich die Franzosen beim Stabilitätspakt für den Euro querlegten. Kohl gab damals eine sehr ernste Erklärung ab. Er sagte, über sein Europa-Bekenntnis brauche er ja nichts zu sagen. "Aber ich bin nicht naiv, ich lasse mich nicht über den Tisch ziehen. Wenn wir jetzt abweichen vom Stabilitätsgedanken, dann wird das ganze Manöver abgeblasen. Das Ende der Fahnenstange ist erreicht."

Sie haben dann zwischen Kohl und Chirac vermittelt?

Jean-Claude Juncker: Ja. Am Ende haben die Franzosen eingelenkt.

Wenn Sie sich heute den Stabilitätspakt ansehen: Sind die Kriterien nicht inzwischen überholt, gerade angesichts derjetzigen Konjunkturschwäche?

Jean-Claude Juncker: Als jemand, der immer noch Haushaltsüberschüsse hat, sage ich: Niemand will Deutschland und Frankreich ein so enges Korsett anlegen, dass wir die Konjunktur abtöten. Aber die Stabilitätskriterien sind auch nicht so engmaschig. Drei Prozent Haushaltsdefizit ist viel, und 60 Prozent Gesamtverschuldung ist schrecklich viel.

Herr Juncker, es gibt immer wieder einmal Gerüchte, Sie wollten Präsident der Europäischen Zentralbank werden. Stimmt das?

Jean-Claude Juncker: Ich möchte das nicht werden, und das habe ich auch schon mehrfach erklärt. Ich bin der Meinung, dass es der Unabhängigkeit und dem Ruf der Bank gut täte, auch für die zweite Amtszeit einen Nicht-Politiker als Präsidenten zu haben. Ich glaube nicht, dass jemand aus der Politik Richtung Europäische Zentralbank umsteigen sollte.

Sie sind doch auch ein unabhängiger Geist?

Jean-Claude Juncker: Vielleicht. Aber als Politiker entwickelt man trotzdem mit der Zeit ein gewisses Verständnis für das Reflexkostüm von anderen Politikern. Da: heißt, es bestünde die Gefahr, zu sehr Rücksicht zu nehmen auf den politischen Erwartungshorizont. Im Übrigen bin ich einfach kein Zentralbanker, ich bin nicht so gestrickt.

Sind Sie stolz, wenn jetzt das Bargeld kommt?

Jean-Claude Juncker: Es tut mir gut. Ich war ja immer sehr engagiert bei der Währungsunion, nicht so sehr aus wirtschaftspolitischen Gründen, sondern weil der Euro die europäische Einigung unumkehrbar macht. Und ich genieße, dass ich am 1. Januar 2002 viele werde strahlen sehen, die den Prozess der Währungsunion anfangs sehr missmutig begleitet haben. Ich sage manchmal: Wenn die Katholische Kirche so viele Spätberufene hätte wie der Euro, dann gäbe es keinen Priestermangel.

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