Jean-Claude Juncker: Keine Benelux-Blockade einer französischen Duisenberg-Nachfolge

Herr Juncker, Belgiens Finanzminister Didier Reynders hat auf dem informellen Treffen der Finanzminister und Notenbanker in Oviedo indirekt mit der Blockade eines französischen Nachfolgers für Wim Duisenberg als Präsident der Europäischen Zentralbank gedroht, falls im nächsten Jahr auf die Finnin Sirkka Hämäläinen kein Belgier, Luxemburger oder Niederländer in das EZB-Direktorium einzieht. Ist diese Haltung unter den Benelux-Staaten abgestimmt?

Jean-Claude Juncker: Es gibt unter den Regierungen in der Europäischen Union Einvernehmen, dass für den Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Wim Duisenberg, ein Franzose an die Spitze der EZB nachrückt. Ich kann mir weder im Traum noch hellwach vorstellen, dass irgendjemand die Blockade eines französischen Bewerbers für das EZB-Präsidentenamt betreiben oder auch nur anstreben könnte. Auf jeden Fall würde ich mich an derartigen Übungen nicht beteiligen. Sie würden auch im Keim erstickt.

Heißt das auch, es gibt keine gemeinsame Haltung der Benelux-Regierungen?

Jean-Claude Juncker: Es gibt keine Benelux-Blockade, es gibt aber eine Benelux-Befindlichkeit, die besagt, dass es legitim wäre, bei der Ersetzung von Sirkka Hämäläinen zum Zuge zu kommen, da wir genügend qualifizierte Kandidaten für den Job haben. Aber es ist nicht so, dass wir dies in einer überdramatisierten Art und Weise hochziehen. Es gibt auch Portugal, Irland und Österreich. Die Benelux-Staaten wären gut beraten, wenn sie sich in dieser Frage jetzt nicht mit anderen, nicht so großen Staaten in Europa anlegen würden. Man wird die Nachfolge von Frau Hämäläinen im Spiegel des verfügbaren Personaltableaus sehen müssen, wenn sich die Frage stellt. Legitim ist, dass wir sagen, wir möchten im EZB-Direktorium vertreten sein. Legitim ist aber auch, dass dies andere Staaten äußern. Ich warne davor, hier ein Politmassaker vorzubereiten. Wir müssten eigendlich alle aus der Duisenberg-Bestellung klug geworden sein.

Glauben Sie, dass man den Ernennungsprozess für Spitzenposten in der Europäischen Zentralbank überdenken sollte?

Jean-Claude Juncker: Nein, das glaube ich nicht. Ich bin aber allergisch dagegen, die Personalfragen immer zu dramatischen politischen Prozessen hochzustilisieren. Dies müssen wir in Zukunft im ruhigen Arbeitsgang unter uns klären. Man muss den Eindruck vermeiden, dass es sich bei den Spitzenjobs in der EZB um ein Postengeschacher der nationalen Regierungen handelt.

Bundesfinanzminister Hans Eichel und der britische Schatzkanzler Gordon Brown haben einen Vorschlag für neue europäische Strukturen in der Finanzmarktaufsicht gemacht. Wie steht der luxemburgische Finanzminister dazu?

Jean-Claude Juncker: Der deutsch-britische Vorstoß zielt ohne Zweifel in die richtige Richtung. Er unterscheidet sehr säuberlich zwischen dem, was bei der Bank und der Finanzaufsicht in nationaler Zuständigkeit verbleiben wird, und wie künftige Entwicklungen aussehen könnten. Ich halte es für sehr vernünftig, dass diejenigen, die sich auf nationaler Ebene mit der Gesamtproblematik beschäftigen, sich in Zukunft regelmäßig zusammensetzen, um den Informationsaustausch zu verbessern. Damit kann die Krisenprävention deutlich verbessert werden.

Sehen Sie in diesem Vorstoß den Nukleus für eine neue Superaufsicht in Europa?

Jean-Claude Juncker: Nein, ich glaube nicht, dass jemand ernsthaft daran denkt, sich in Richtung Superbehörde abzusetzen. Es wird immer so bleiben, dass die nationale Finanzaufsicht näher am Ball sein wird, als wenn dies zentral geregelt wird. Ich hielte eine Superbehörde im Übrigen nicht für gut, weil ich denke, dass eine zentrale Organisation eine weniger dichte Finanzaufsicht zur Folge hätte.

Wie stark sollen die Notenbanken eingebunden werden?

Jean-Claude Juncker: Das ist Sache der einzelnen Nationalstaaten. Es gibt in Europa unterschiedliche Systeme. Luxemburg beispielsweise hat Bankenaufsicht und Zentralbank getrennt, da wir der Auffassung sind, eine unabhängige Zentralbank sollte nicht in Sparten aktiv werden, wo auch politische Mitverantwortung herrscht.

Der Berliner Ansatz, das deutsche Allfinanzmodell, ist aus Ihrer Sicht also keine Blaupause für Europa?

Jean-Claude Juncker: Nein, ich glaube, es gibt gute Gründe, warum die Dinge in den Nationalstaaten so und nicht anders liegen. Es macht keinen Sinn, jetzt alles schmelztiegelartig regeln zu wollen.

Es wurde in Oviedo angeregt, auf internationaler Ebene wie etwa gegenüber dem Internationalen Währungsfonds als EU oder zumindest als Eurozone geschlossener aufzutreten, um damit auch mehr politische Effizienz an den Tag zu legen. Teilen Sie diese Auffassung?

Jean-Claude Juncker: Wenn ich die Debatte richtig verstanden habe, findet das unter den Regierungen nicht die ungeteilte Zustimmung. Ich selbst würde es schon bevorzugen, wenn Europa mehr Geschlossenheit im IWF zeigen würde. Ich finde es im Übrigen auch nicht störend, unipersonal im IWF aufzutreten. Mir leuchtet allerdings nicht ein, warum dazu die bestehenden Ländergruppen aufgelöst werden und in eine europäische Gruppe formiert werden sollen. Dies könnte, je nachdem wie man das macht, den Verlust von europäischem Einfluss auf das Stimmverhalten von Drittstaaten nach sich ziehen. Man kann im IWF auch geschlossen auftreten, ohne nur auf einem Stuhl zu sitzen. Ich stelle aber fest, dass es Erbhöfe gibt, an denen einige sehr hängen.

Gelten diese Erbhöfe auch, wenn es darum geht, auf G-7-Ebene die europäischen Kräfte zu bündeln und nicht ständig mit neuen Gesichtern aufzutauchen? Mit anderen Worten: Ist es nicht langsam an der Zeit, den Vorsitz der Eurozone neu zu strukturieren?

Jean-Claude Juncker: Ich bin wirklich sehr dezidiert der Auffassung, den Vorsitz der Eurozone auf einen längeren Zeitraum auszudehnen als die üblichen sechs Monate der Präsidentschaft. Es wäre gut, wenn in der Eurogruppe ein Finanzminister den Vorsitz führte, der dann zwei oder drei Jahre diesen Job übernimmt. Das wäre auf internationaler Ebene gut für die Außenvertretung, um sich an das Gesicht zu gewöhnen. Das wäre aber auch gut für die Verbesserung der Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik in der Eurozone selbst, um dort gemeinsam mit der Europäischen Kommission, und, wo notwendig, mit der Europäischen Zentralbank in einen dauerhaften, besser organisierten und intelligenter strukturierten Gesamtdialog einzutreten.

Teilen diese Auffassung auch andere Ihrer Finanzministerkollegen?

Jean-Claude Juncker: Ich glaube nicht, dass dieser Ansatz sich allgemeiner Zustimmung erfreut, aber er wird kommen. Der gesunde Menschenverstand hat den Vorteil, dass er zwar unterschiedlich verteilt ist, sich letzten Endes aber durchsetzt.

Gilt das auch für die Überlegungen von EU-Währungskommissar Pedro Solbes, mit verbindlichen Standards eine effizientere Koordinierung in der Euro-Wirtschaftspolitik herzustellen, allein schon deshalb, um in Zeiten von Wahlen budgetäre Stringenz der Euro-Partner sicherzustellen?

Jean-Claude Juncker: Ich halte den Vorstoß von Solbes für wegweisend und auch zielgerichtet, und kann seinen Gedanken relativ viel abgewinnen. Zunächst aber wird sich mit dem Gesamtbereich der Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Wirtschafts- und Finanzausschuss beschäftigen und einen Bericht an die Finanzminister erstellen.

Müssen Sie das Thema nicht schon deshalb vorantreiben, weil sich auch der Konvent zur nächsten EU-Verfassungsreform mit Fragen der wirtschafts- und finanzpolitischen Abstimmung auseinander setzen wird?

Jean-Claude Juncker: Es macht sich im Kreis der Finanzminister die Auffassung breit, eigene Vorschläge erarbeiten zu müssen, um nicht vom Konvent überholt zu werden und dann in einen Vollzugszwang zu kommen, der dann nicht notwendigerweise allen Punkten Rechnung trägt, die für die Finanzminister wichtig gewesen wären, hätten sie sich selbst im Vorfeld dazu geäußert.

Der Disput von Bundeskanzler Gerhard Schröder mit der Europäischen Kommission um deutsche industriepolitische Interessen schwelt weiter. Haben Sie Sorge, dass Berlin die Prodi-Behörde einseitig in die Verantwortung nimmt?

Jean-Claude Juncker: Mich wundert sehr, dass über die Einlassungen des Kanzlers so viel Verstimmung herrschte und teilweise noch herrscht. Denn wer austeilt, muss auch einstecken können. Wenn es darum geht, massive Kritik an den Mitgliedstaaten oder einzelnen Mitgliedstaaten anzubringen, nimmt die EU-Kommission ja auch kein Blatt vor den Mund. Deshalb muss sie auch akzeptieren, dass in einem kritischen Dialog manchmal auch etwas harsche Töne aus den Mitgliedstaaten zurückhallen. Demokratie heißt Debatte und bedeutet nicht, dass die Kommission selbstherrlich über Gut und Böse entscheiden darf. Insofern gibt es immer wieder aus den Hauptstädten Kritik an die Brüsseler Adresse; nur wenn diese dann aus Berlin kommt, stößt sie einigen offenbar etwas schneller auf, als dies bei anderen Einlassungen von anderen Staaten der Fall ist. Ich bin da überhaupt nicht besorgt, dass es die Absicht der Bundesregierung ist, die Kommission nun enger an die Leine zu nehmen. Das kann sie auch gar nicht.

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