Henri Grethen: Von Konzepten nationaler Grenzen trennen

Derzeit wird per Wettbewerb versucht, die Großregion zusammenzuführen. Wo ist aus ihrer Sicht das Ziel bereits erreicht?

Henri Grethen: Die Großregion ist in Luxemburg schon zusammengewachsen. Es sind über 90.000 Arbeitnehmer aus Deutschland, Frankreich und Belgien, die täglich nach Luxemburg kommen. Für die ist Luxemburg als Teil der Großregion täglich gelebte Realität. Für die Luxemburger selbst ist die Großregion eine Selbstverständlichkeit, sie begegnen Kollegen, die in Saarbrücken, Trier, Arlon und Thionville wohnen. Und über den Arbeitsplatz bilden sich Freundschaften.

Sie haben die Zahl der 90.000 Grenzgänger genannt. Premierminister Jean-Claude Juncker geht davon aus, dass sich ihre Zahl in 50 Jahren sogar verdreifachen kann. Ideal oder Sehreckenszenario?

Henri Grethen: Weder noch. Wir müssen uns von den Konzepten nationaler Grenzen trennen. Das ist ja das Interessante an der Idee Großregion. Luxemburg muss man wie Hamburg, Frankfurt, Brüssel oder London als Wirtschaftszentrum sehen. Dieses Zentrum übt eine Anziehungskraft auf die umliegenden Gebiete aus, ohne dass die Barriere der nationalen Grenzen in den Köpfen der Menschen noch eine Rolle spielen wird.

Luxemburg gilt mit über 150 Nationen als Multi-Kulti-Land. Jetzt will das Land die Türen für weitere Einwanderer öffnen. Ist das das Ende der Luxemburger Gemütlichkeit?

Henri Grethen: Weshalb? Luxemburg war in den letzten 50 Jahren immer ein Einwanderungsland. Wenn wir die Türen weiter öffnen, sehe ich das nicht als Gefahr. Wir stehen an der Schwelle einer Erweiterung der Europäischen Union. Falls Bürger von künftigen Mitgliedsländern bald leichter nach Luxemburg kommen können, dann ist das nur ein Vorziehen der Realität von morgen.

Inwiefern kann die doppelte Staatsbürgerschaft, die Luxemburg einführen möchte, integrationsfördernd sein?

Henri Grethen: Es gibt immer Schwierigkeiten, sich in einen anderen Kulturkreis zu integrieren. Wenn man in der ersten Generation ins Ausland geht, hat man immer den Wunsch, zurück in die Heimat zu gehen. Das gilt auch für die portugiesischen Mitbürger. In der zweiten und dritten Generation fühlen sie sich als in Luxemburg ansässige Bürger, vielleicht noch mit einem portugiesischen Pass, aber nicht mehr mit dem Wunsch, Luxemburg zu verlassen. Eine Möglichkeit, die Nabelschnur dieser Leute mit ihrer Heimat nicht durchzuschneiden, und ihnen auch den Luxemburger Pass zu geben, ist ein interessantes Vorhaben. Das wird die Integration erleichtern, aber auch viele juristische Fragen zum Famhilienrecht, Erbschaftsrecht und Steuerfragen aufwerfen.

In Deutschland gab es harte Diskussionen zur doppelten Staatsbürgerschaft, was den Sprachnachweis angeht. Ein Luxemburgisch-Sprachkurs als Voraussetzung für den Pass?

Henri Grethen: Nicht unbedingt. Wir haben nur eine Sprache - Letzebuergisch. Und wir haben zwei Verwaltungssprachen - Deutsch und Französisch. Zu einer Integration gehört, dass man einen Teil der Sprachen beherrscht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich in Luxemburg jemand integrieren kann, ohne eine der drei Sprachen gut und eine zweite zumindest mäßig zu beherrschen.

Luxemburg könnte in 50 Jahren 700.000 Einwohner haben. Sie wollen deshalb das Wohnungsangebot und die Infrastruktur verbessern. Doch alles hängt vom Wirtschaftswachstum ab. Ist das dauerhaft zu sichern?

Henri Grethen: Ich kann mir nicht vorstellen, dass man über Jahre hinweg ein Wirtschaftswachstum von vier oder fünf Prozent halten kann. Wirtschaftspolitk ist ein ewiges Kämpfen für Wachstum. Dass wir mal 700.000 Einwohner haben, erschreckt mich allerdings nicht. Nehmen Sie die Fläche des Saarlandes, die in etwa so groß wie Luxemburg ist, dort leben eine Million Einwohner. Die sind ja auch nicht kreuzunglücklich.

Sie sind optimistisch.

Henri Grethen: Ich kenne die Luxemburger und ich weiß, dass sie bereit sind, wenn es sein muss, schmerzliche Einschnitte hinzunehmen. Das haben sie mehrfach bewiesen.

Luxemburg, das Vorbild der Großregion?

Henri Grethen: Das würde ich nicht so sehen. In der Großregion haben wir als einzige die Möglichkeit, Dinge direkt umzusetzen. Diese Möglichkeit haben die Kollegen in Ostbelgien, Rheinland-Pfalz, Lothringen und im Saarland nicht.

Welche Tipp geben Sie denen?

Henri Grethen: Überhaupt keinen. Ich halte es mit dem ehemaligen deutschen Bundeskanzler Schmitt, der gesagt hat: Ratschläge sind auch Schläge.

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